Der heilige Vinzenz von
Paul (1581 - 1660)
war Gründer einer
Priesterkongregation, die sich der Volksmissionen unter den armen
Bevölkerungsschichten Frankreichs widmete, sowie der "Barmherzigen
Schwestern", und übte durch sein Leben, seine Predigten, aber auch seine
Stellung als Berater am damaligen Königshof, mit anderen bedeutenden
Kirchenmännern, wie Kardinal Berulle oder dem hl. Bischof Franz von Sales,
nachhaltigen Einfluß auf ein vertieftes religiöses Leben in Frankreich aus,
der bis heute fortwirkt und weltweit viele Früchte einer wahrhaft
katholischen Gesinnung hervorgebracht hat.
Die folgenden Zeilen sind entnommen aus: Maynard, Tugenden und Lehren des
Heiligen Vinzenz von Paul, Regensburg 1879, S. 272ff.
"Unser Heiland", so sprach er, "war nicht allein selbst demütig, Er war es
auch in Bezug auf die kleine Gesellschaft, die Er um sich hatte. Er setzte
sie zusammen aus wenigen armen, einfältigen Leuten, ohne Wissenschaft und
Bildung, welche anfangs unter sich selbst uneins waren, dann aber alles
verließen und endlich gleich Ihm behandelt wurden, indem man sie verbannte,
verachtete, verurteilte und hinrichtete.. Die Apostel setzten ein
Glaubensbekenntnis auf, um sich und die Christen von anderen zu
unterscheiden, so daß sie, wenn man sie fragte: Wer seid ihr? zur Antwort
gaben: '... Ich glaube an Gott; ich glaube an Jesum Christum!' So soll auch
die Demut das Wahrzeichen der Genossenschaft sein, ... so daß man, wenn man
uns um unsere Beschäftigung fragt, wir sagen können: Es ist die Demut; und
wenn man uns zuruft: Wer da? unser Losungswort die Demut sei."
"Wenn man seine besten Handlungen prüft, so wird man finden, daß man sich
bei der Mehrzahl derselben in Bezug auf die Absicht nicht gut benommen hat;
und daß sich bei denselben, man mag sie von was für einer Seite immer
ansehen, fast ebenso viel Schlimmes, als Gutes findet... Eine einzige
Verdemütigung wurde ihm (dem reumütigen Zöllner im Tempel, vgl. Lk. 18,9 -
Anm.) das Mittel zum Heile. Wir können hieraus erkennen, daß die Demut, wenn
sie aufrichtig ist, in unsere Seele die übrigen Tugenden einführt, und daß
man, wenn man sich tief und aufrichtig demütigt, aus einem Sünder, der man
war, ein Gerechter wird. Ja wären wir im Gegenteil den Engeln gleich und
ausgezeichnet durch die größten Tugenden, hätten dabei aber keine Demut, so
könnten diese Tugenden, da sie der Grundlage entbehrten, nicht bestehen, und
wir würden, da sie wegen der mangelnden Demut zerstört werden müßten, den
Verdammten ähnlich werden, die auch keine Demut haben... Hätte ich alle
Tugenden, die Demut aber nicht, so täusche ich mich selbst; und während ich
tugendhaft zu sein glaube, bin ich ein stolzer Pharisäer und ein
verabscheuungswürdiger Missionär. O Heiland Jesus Christus, verbreite über
unsern Geist diese göttlichen Erleuchtungen, wovon Deine Seele erfüllt war
und welche Dich bewogen, die Schmach dem Lobe vorzuziehen."...
Einer ..., der erst kurze Zeit aufgenommen war und den Geist und die
Gebräuche ... noch nicht kannte, bezeichnete sie einmal als eine heilige
Genossenschaft. "Mein Herr," fiel ihm Vinzenz alsogleich in die Rede, "wenn
wir von der Genossenschaft reden, dürfen wir uns nicht dieses Ausdruckes
oder anderer ähnlicher und prunkender Worte bedienen, sondern vielmehr
solche: die arme Gesellschaft, die kleine Gesellschaft und ähnliche,
gebrauchen. So werden wir den Sohn Gottes nachahmen, welcher die Versammlung
Seiner Apostel und Jünger "eine kleine Herde", eine kleine Gesellschaft
nannte. O wie sehr wünschte ich, es möge Gott gefallen, dieser unscheinbaren
Genossenschaft die Gnade zu schenken, sich in der Demut wohl zu begründen,
auf dieser ihre Grundfeste zu haben und sich aufzubauen, und in derselben
als ihrem eigentlichen Posten und ihrer eigentlichen Stelle zu verbleiben!
Meine Herren! Täuschen wir uns nicht, haben wir die Demut nicht, so haben
wir nichts. Ich rede nicht allein von der äußeren Demut, sondern vorzüglich
von der Herzensdemut, von derjenigen, welche uns antreibt, es für ganz wahr
zu halten, daß niemand auf Erden armseliger sei, als wir; daß die
Kongregation der Mission unter allen religiösen Gemeinschaften die
armseligste sei und die geringste in Betreff der Zahl und der Eigenschaften
ihrer Mitglieder, und daß wir ganz zufrieden sind, wenn man in der Welt also
von uns redet. Ach! Was heißt denn das, geschätzt werden wollen? Heißt es
nicht, anders behandelt sein wollen, als der Sohn Gottes? Das ist ein
unerträglicher Stolz. Was sagte man von dem Sohne Gottes, als Er auf Erden
war? Für wen wollte Er in den Augen des Volks gelten? Für einen Toren, für
einen Aufwiegler, für ein Lasttier, für einen Sünder, obwohl Er es nicht
war; ja, Er wollte es sogar dulden, daß Er einem Barabbas, einem Räuber,
einem Mörder, einem verruchten Menschen nachgesetzt würde.
O, mein Heiland! Wie sehr wird am Gerichtstag Deine heilige Demut solche
Sünder, wie mich Elenden, zuschanden machen! Achten Sie hierauf, die Sie auf
Mission gehen; Sie, welche in Öffentlichkeit auftreten. Manchmal und
ziemlich häufig sieht man das Volk über die Worte des Predigers ganz
gerührt; man sieht, daß alle weinen; es geschieht sogar, daß manche so weit
gehen, in die Worte auszubrechen: Selig der Leib, der dich getragen, und die
Brüste, die du gesogen hast! Wir haben selbst mitunter solche Worte
aussprechen hören. Hört man nun Solches, so fühlt sich die Natur befriedigt,
die Eitelkeit erhebt und brüstet sich, wenn man nicht alle diese eitle
Selbstgefälligkeit zurückdrängt und einzig und allein die Ehre Gottes sucht,
für welchen allein wir arbeiten sollen, ja, einzig und allein für die Ehre
Gottes und das Heil der Seelen. Würde man es anders machen, so hieße das,
sich selber predigen und nicht Jesum Christum; und jemand, welcher predigt,
um nach Beifall zu haschen, um geschätzt, gelobt zu werden, um von sich
sprechen zu machen, was tut ein solcher Prediger? Welche Handlung vollzieht
er? Einen Gottesraub, ja, einen Gottesraub! Wie! Des Wortes Gottes, der
göttlichen Dinge sich bedienen, um Ehre und Berühmtheit zu erlangen? Ja, das
ist ein Gottesraub! O mein Gott! O mein Gott! Schenke dieser kleinen
Genossenschaft die Gnade, daß auch nicht Eines ihrer Mitglieder diesem
Unglücke verfalle! Glauben Sie mir, meine Herren, wir werden niemals
geeignet sein, das Werk Gottes zu vollführen, wenn wir nicht eine tiefe
Demut, eine gänzliche Mißachtung unserer selbst besitzen. Nein! Wenn die
Kongregation der Mission nicht demütig ist und nicht die Überzeugung hegt,
daß sie gar nichts Nennenswertes zu tun im Stande ist, daß sie vielmehr
geeignet ist, alles zu verderben, als einen guten Erfolg zu erringen, so
wird sie nie etwas Gutes vollbringen. Hat sie aber den Geist, wovon ich eben
gesprochen habe und lebt sie in demselben, dann, meine Herren, wird sie für
Gottes Absichten tauglich sein, weil sich Gott gerade solcher Werkzeuge zur
Ausführung des Großen und wahrhaft Guten bedient."
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