Die Gottesfrage

Katechesen (1981) von S.E. Dr. Günther Storck

Teil 11

Liebe Brüder und Schwestern, ... wir haben beim letzten Mal den Gesichtspunkt behandelt, den ich Ihnen auch für die Aufschlüsselung dieser Frage, die wir im Auge haben, schon nannte. Es gibt drei wesentliche Gesichtspunkte, die zu beachten und zu beantworten sind:

Einmal die Frage nach dem Sein, das, was man im Allgemeinen den Ursprung der Schöpfung nennt.
Dann die andere, die Frage nach dem Grund unseres Erkennens: Können wir tatsächlich erkennen? Und wie kann man diese Erkenntnis in Wahrheit begründen und rechtfertigen?

Die dritte Frage war die, der wir uns beim letzten Mal auch schon zugewandt haben - ich werde das gleich auch noch einmal zusammenfassend wiederholen: Die Frage nach der Begründung unseres sittlichen Handelns, dessen, was man auch im religiösen Sinne "den Willen Gottes erfüllen" nennt.

Sie werden vielleicht bemerkt haben, so muss man das Verhältnis zwischen Theologie und Glauben sehen, dass die Theologie den Glauben festmacht und klärt.

Die Theologie setzt im rechten Verständnis den Glauben voraus! So dass die Theologie dem Glauben nicht widerspricht, allerdings aber auch der Glaube der Theologie nicht!

So hat es die Kirche, so haben es die großen Lehrer der Kirche immer gesehen. Dann, wenn man die Zuordnung so sieht und auch so einhält, dann ist die Bemühung der Theologie und auch die Bemühung um die Wissenschaft nicht fruchtlos und sinnlos, dann kann sie dem Glauben und dem einfachen Gläubigen helfen und bringt ihn nicht in Verwirrung, im Gegenteil, bringt ihm gerade die Sicherheit, die der einfache Gläubige ja auch braucht, heute zumal braucht. In den meisten Fällen bekommt er sie ja nicht.

Ich habe Ihnen beim letzten Mal auch den Blick dafür zu schärfen gesucht, dass diese Frage nach dem Sollen ein ganz wichtige ist. Ich habe Ihnen den Hinweis darauf gegeben: Für die meisten Menschen gibt es einfach eine Welt der toten Fakten, eine Welt der Materie sozusagen nur, wo nur tote Dinge vorkommen!

Und so ist es leider auch in den meisten Philosophien. Sie begnügen sich mit einer Realität, in der es im Grunde genommen nur ein totes Sein gibt! Ich habe Ihnen den Hinweis gegeben: Viel wichtiger als dieses unlebendige Sein sind die Werte, ist die Welt der Werte, die für den Menschen eine viel größere, ja eine überragend große Rolle spielt, wenn Sie einmal nur darauf sich konzentrieren wollen!

Diese Werte sind keine Sachen, sind keine Dinge, sondern sind Willensrealitäten, und deshalb spielen sie auch, weil sie Willensrealitäten - das heißt eben: lebendige Realitäten - sind, für den Menschen eine so große, ja überaus große Rolle.

Jedem Menschen, der überhaupt lebt, geht es in seinem Leben um irgend etwas, um irgend ein Interesse, um irgend ein Motiv, um irgend eine sinnvolle Wirklichkeit, für die er sich einsetzt. Denken Sie mal, man nennt einen Menschen, oft leicht ein wenig abfällig jedenfalls, einen Idealisten! Denken Sie mal an einen Menschen, der einem Verein angehört, sagen wir einmal, einem Sportverein, der seine ehrenamtliche Arbeit macht aus reinem Interesse an der Sache. Oder denken Sie einmal an einen anderen Menschen, der im Alter sich einsetzt, sagen wir einmal für die Caritas, der selbstlos irgendwelche Arbeiten und Verpflichtungen übernimmt, die er sich auch ersparen könnte, einfach deshalb, weil er weiß, das ist sinnvoll, das ist gut, dafür opfere ich meine Zeit, dafür opfere ich meine Kraft und meine Energie! Oder denken Sie an bestimmte Leute, die ihre Freizeit für den Krankenhausdienst einsetzen! Nicht wahr, das nennt man ja im Allgemeinen Leute, die idealistisch gesinnt sind!

Es gibt aber auch andere Idealisten, denken Sie einmal an einen Menschen, der sein Leben einsetzt um einer bestimmten Idee willen. Man kann hier auch schon den Martyrer nennen als ein Beispiel. Diese Menschen nennt man Idealisten, sie setzen ihr Leben ein für eine Idee - noch besser wäre es, von einem Wert zu sprechen! - , der ihnen so wertvoll ist, für den sie sich so einsetzen, dass sie alles andere dafür hingeben!

Hier sieht man, wie stark, wie mächtig ein solcher Wert sein kann, an dem der Mensch sich festmacht, an den der Mensch sein Herz hängt, für den er sich einsetzt, für den er sogar alles andere zu opfern bereit ist!

"Werte" heißt ja: ich bin an etwas interessiert, mir geht es um etwas! Sie sehen hier die geistige Realität des Menschen ganz besonders. Wenn ein Mensch lebt, dann geht es ihm um etwas! Er muss ganz bestimmte Interessen, ganz bestimmte Motivierungen haben, er muss ganz bestimmte Werte haben, die für ihn wertvoll sind.
...
Man kann grundlos Gott, der die Liebe ist, der überaus liebenswert ist, völlig hassen! Dann verkehrt sich natürlich die ganze Wertwelt, dann wird das Gute gerade das Böse und das Böse wird das Gute! So sehr kann der Mensch auf Grund seiner Freiheit, auf Grund der Willkür seiner Freiheit eben angesichts dieser objektiven Wertwelt sich anders entscheiden!

Aber es gibt eben auch die positive Möglichkeit, dass der Mensch sich völlig im Gehorsam den objektiven Werten und vor allem dem absoluten Wert, also Gott, unterordnet, Ihm völligen Gehorsam leistet, die objektive Wertwelt ganz zu seiner eigenen macht und vor allem den höchsten Wert der objektiven Werthierarchie, Gott also, völlig anerkennt, Ihn völlig liebt: das ist im Grunde der Fall des Heiligen! Dann ist er natürlich mit dem Willen Gottes eine Einheit, dann liebt er Gott und dann geschieht das, was der heilige Paulus sagt: "Christus ist in mir und ich in Christus!" (vgl. Gal. 2,20; Kol. 3,16; Röm 6,23; 8,1,10; 16,7; 1Kor. 1,30; 1Petr. 5,14; 2Kor. 5,17; 13,5; 1Thess. 2,14; 4,16 usw.)

Die eigentliche Moral ist die Erfüllung des Willens Gottes! ... Ich habe, glaube ich, schon einmal im Zusammenhang dieser Vorträge darauf hingewiesen, wie sehr Möhler, dieser große Theologe des 19. Jahrhunderts, in seiner "Symbolik" darauf aufmerksam macht, dass in der katholischen Religion, im katholischen Glauben, Sittlichkeit und Religion nicht zu trennen sind!

Was bei Luther eben völlig auseinanderfällt! Der religiöse Mensch nach Luther handelt und lebt nicht sittlich, er braucht es auch nicht nach Luther, nach Luther ist ja der religiöse Mensch weiterhin Sünder, er kann gar nicht heilig sein! Und dann sehen Sie unmittelbar, was aus einer solchen Auffassung folgt, wie sehr sie im Widerspruch ist zur Offenbarung und zu der Forderung Gottes in der Offenbarung, heilig zu sein wie Er heilig ist (vgl. Lev.11,44; 1Petr.1,16)!

Sie sehen aber auch hier, dass der Mensch tatsächlich, was so Verwunderung erregt, in vollem Maße lieben kann und lieben soll! Er soll so lieben, wie die Liebe es fordert! Wenn es anders wäre, würde die Forderung der Liebe unmöglich zu erfüllen sein und in weiterer Konsequenz ergäbe sich, dass, weil diese Forderung unmöglich zu erfüllen ist, die Forderung nicht berechtigt wäre!

Der Mensch könnte sie nicht erfüllen. Und dann wäre diese Forderung unberechtigt, ja, sie wäre sogar böse! Denn der Mensch kann sie nicht erfüllen, aber die Forderung tritt an den Menschen heran, dass er sie erfüllt!
Und hier muss der Mensch, auch das ist eine Forderung des Gehorsams, anerkennen, dass diese Forderung der Liebe zu Recht besteht, dass der Wille Gottes ganz erfüllt werden muss, denn sonst wäre Gott nicht heilig und Er wäre nicht gut!...

Jetzt ist ja ganz wichtig, Sie werden das unmittelbar sehen, dass ein Mensch, je mehr er die objektive Werthierarchie sich zu eigen macht, um so reicher wird! Ein Mensch, der sich abschließt von den objektiven Werten, der etwa von den künstlerischen Werten, vom Wert der Gerechtigkeit, von den religiösen Werten, von den sittlichen Werten, dem Wert der Treue, dem Wert der Barmherzigkeit und vor allem als entscheidendem Wert, dem Wert der Liebe Gottes selbst - ein Mensch, der sich sperrt, der wird um so ärmer, je mehr er sich sperrt! Ein Mensch wird um so reicher, je mehr er sich öffnet und je mehr er vor allem den entscheidenden absoluten Wert der Liebe in den Blick bekommt, und nicht nur abstrakt in den Blick bekommt, sondern je mehr er darauf eingeht, je mehr er liebt. Um so mehr hat er Teil an der Liebe, um so mehr und reicher und erfüllter lebt er! Der Heilige ist der Mensch, der völlig erfüllt ist von Gott: weil er Gott liebt. Um so mehr ist er auch mit sich im Reinen. Das ist ein Geheimnis um den Menschen. Der Mensch ist um so mehr mit sich im Reinen, je mehr er im Reinen ist mit Gott!

Das ist eigentlich die Summe des ganzen christlichen Menschenbildes. Weil der Mensch Ebenbild Gottes ist - wir werden darauf noch ausdrücklich zu sprechen kommen müssen -, ist er umso mehr Mensch, je mehr er mit Gott lebt. Hier ist der enorm große Widerspruch zu allen modernen Auffassungen vom Menschen, nach denen der Mensch eigentlich erst im Widerspruch, im Widerstand zu Gott seine eigene Größe erfährt! Denken Sie an solche Auffassungen, wie sie bei Nietzsche oder Sartre verbreitet sind, dass der eigentliche Mensch der ist, der gegen Gott rebelliert, sich gegen Gott auflehnt!

Das ist völlig unsinnig und ist völlig falsch! Im Gegensatz dazu, denken Sie an die heilige Jungfrau, sie ist der ganz von der Gnade erfüllte Mensch, der ganz heilige, aber dafür völlig gehorsame, völlig demütige Mensch, der ganz von Gott lebt!

Ich darf noch einmal kurz darauf hinweisen: Je höher ein Wert ist in der Werthierarchie, um so stärker ist die Fülle, die Lebensfülle, die Wertfülle, die er hat! Und das gilt vor allem natürlich für den höchsten Wert! Ich darf noch einmal sagen, der höchste Wert ist der absolute Wert, der unvergleichlich ist, der nicht nur auf der Skala der Ranghöhe der höchste ist im Vergleich zu anderen, die nicht so hoch sind, sondern der höchste Wert ist zugleich der absolute Wert, wir werden darauf in anderen Zusammenhängen noch deutlich zu sprechen kommen.

Hat ein Mensch diesen Wert erreicht und hat er einen Anteil, dann lebt er erfüllt! Und dann lebt er so erfüllt, dass es gar keine höhere Fülle gibt! Und Sie sehen, hier erst kommt die Freiheit zu ihrer wahren, wahrhaften Erfüllung, zu ihrem wahren, wahrhaften Reichtum!

Ich darf noch einmal die für die Erziehung sehr wichtige Anmerkung hier anfügen: Das ist gerade die Aufgabe der Erziehung, jungen Menschen, Kindern oder Jugendlichen oder um wen es sich handelt, gerade diese objektive Werthierarchie, die objektiven Werte und vor allem den höchsten objektiven Wert, also die Liebe, Gott, zu erschließen! Eine Erziehung ist umso besser und umso gelungener, als sie das gerade tun kann und verwirklicht.

Das heißt natürlich aber auch notwendig: Der Erziehende, sagen wir einmal der Lehrer oder die Eltern, müssen natürlich selbst erfüllt sein von diesen Werten! Wenn sie nicht wahrhaft erfüllt sind, dann können sie die Menschen auf diese Werte auch nicht aufmerksam machen, das ist völlig klar.

Sie sehen, wie fatal eine Erziehung ist, bei der die Moral, die sittliche Einstellung der Lehrer oder der erziehenden Personen gleichgültig geworden ist, wo man, sagen wir einmal aus materiellen Gründen, weil es so lange Ferien gibt, oder weil ein solcher Beruf so reich dotiert ist, einen solchen Beruf wählt, aber nicht aus Liebe zum Menschen! Das ist notwendig die Tötung des Menschen, der kindlichen Liebe. Und das ist gerade die Vernichtung eines echten erzieherischen Verhältnisses. Ich denke, diese Zusammenhänge sind Ihnen allen klar und offenbar, ich wollte sie hier auch nur anmerken.

Die Freiheit wird also umso größer, je höhere Werte ich erfasse. Die absolute Freiheit wird dann erreicht, wenn ich am absoluten Wert, also an Gott, Anteil habe. Das sind die Dinge, die ich noch einmal zusammenfassen wollte. Sie haben eine ganz enorme Bedeutung.

Ich habe Ihnen schon einmal gesagt: Bei der Gottesfrage ist das Zentrum gerade diese Realität des Wertes, des objektiven und höchsten, des absoluten Wertes! Wenn ich diesen absoluten Wert bejahe, dann habe ich Gott erkannt und dann liebe ich Ihn! Sie sehen, wie fundamental wichtig es ist für jeden Menschen, den Menschen dahin zu führen, dass er nicht nur die Liebe erkennt, sondern dass er auch lieben lernt!

Moralisch handeln setzt ja voraus, dass ich einen Wert erkenne und ihn bejahe! Die Liebe kann man also nur erkennen, Gott kann man also nur erkennen, wenn man Ihn bejaht und wenn man Ihn liebt. Viele Menschen sind mit Gott nicht im Reinen, weil sie nicht in der rechten Weise lieben!

Und das ist natürlich die wesentliche Aufgabe der Seelsorge, dem Menschen zu helfen, dass er in der rechten Weise lieben lernt! Denken sie nur einmal an das große Evangelium, das wir eben gehört haben zum Feste des heiligen Martyrers Laurentius, eines der bedeutendsten Heiligen der römisch-katholischen Kirche, dieses Diakons, der sein Leben hingegeben hat wie das Weizenkorn, das in die Erde fällt, das ist ja der Inhalt des heutigen Evangeliums: Je mehr ein Mensch Gott liebt, desto mehr weiß er, wer Gott ist, umso mehr weiß er, dass der, der Gott hat, alles hat!

Und dann kann man sogar und muss man sogar sein Leben dafür hingeben, das höchste Gut, das der Mensch hat, sein irdisches Leben. Er weiß aber, dass die Forderung Gottes, eben weil sie absolut ist, das mit Recht fordern kann, und deshalb gibt er dieser Forderung auch nach, eben weil er wahrhaft liebt.

Am Fest einer heiligen Jungfrau, die Martyrin war, heißt es einmal im Hymnus: Sie, diese Martyrerin, folgte dem Lamme, wohin es auch ging (vgl. Offbg. 14,4). Das ist die wahre Liebe, die bedingungslose Liebe, die keine Grenzen und Einschränkungen kennt und keine Vorbehalte, kein Wenn und Aber, sondern völlig gehorsam ist, bedingungslos gehorsam ist bis in den Tod.

Und hier sehen Sie, das ist genau die Realität der Liebe, die Christus verwirklicht hat in Seinem Tod. Er, der treue und gerechte Zeuge hat in Seinem Tod gerade Zeugnis abgelegt für die Wahrheit und hat darin Seine Liebe, den Gehorsam gegenüber dem Vater geoffenbart. Und die gleiche Liebe verlangt Er von den Jüngern, die Ihm folgen wollen, und die Martyrer sind eben diese Heiligen, und deshalb ist der Martyrer der höchste Typ des Heiligen, weil er bis zu diesem Äußersten zu gehen bereit ist, um seine Liebe unter Beweis zu stellen.


 

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