Die Gottesfrage

Katechesen (1981) von S.E. Dr. Günther Storck

Teil 6

Ich sagte... beim letzten Mal, dass ja die moderne Universität von dieser einseitigen Grundlage nur ausgeht, dass sie zwar, angeblich, die Wahrheit des Denkens erreichen will, aber nicht an der Wahrheit des Handelns und des Wollens interessiert ist!

Denken Sie nur einmal an ein naheliegendes Beispiel: Wenn ich sagen wollte, ich bin nur an der Erkenntnis des Sittlichen interessiert, aber nicht daran, es auch zu praktizieren! Ich habe es auch schon ausgeführt: Wenn ich den Ehebruch für möglich halte, dann werde ich natürlich auch die Treue nicht erkennen!

Die moralischen Werte, die moralische, sittliche Wahrheit, erkenne ich nur, wenn ich auch - nicht nur sittlich 'erkennen', sondern auch sittlich leben, das heißt sittlich handeln und wollen will! Sie sehen hier, der Anspruch der Wahrheit geht viel weiter als etwa nur auf die Wahrheit des Denkens!

Und schränkt man den Anspruch der Wahrheit ein, etwa nur auf das Denken, aber nicht auf das Wollen und Handeln, man könnte auch andere Fälle nehmen: Ich bin nur an der Wahrheit des Wollens, aber nicht des Handelns interessiert. Oder ein Dritter könnte die Auffassung haben: Es ist wichtig und notwendig, sinnvoll, nur auf das Handeln zu schauen, das Wollen und das Erkennen seien unwichtig!

Das alles sind Einseitigkeiten, Einschränkungen, die wir nicht vornehmen dürfen, die wir uns nicht gestatten dürfen! Man muss die Wahrheit ganz lieben, dann kann man sie auch erkennen! Ein wichtiger, ein eherner Grundsatz! Wer die Wahrheit nur teilweise annimmt und anerkennt, der wird sie auch nur teilweise erkennen! Ein ganz wichtiger Grundsatz, den ich hier Ihnen vortragen möchte, der auch für unsere Lebensführung natürlich von größter Bedeutung ist! Wenn ich nicht in allem den Willen Gottes tue, und zwar uneingeschränkt, absolut eben, dann komme ich auch nicht zu Gott!
Und dann darf man sich nicht wundern, dass diese mangelnde Gotteserkenntnis auch Auswirkungen hat auf unser Leben, dann komme ich eben zu solchen Auffassungen, die heute so verbreitet sind, dass man sagt: Man kann eben Gott doch gar nicht erkennen!

Das ist eine Auffassung, die - nebenbei gesagt - ja sehr deutlich, sehr klar und eindeutig Luther vertreten hat: Man kann Gott nicht erkennen!

Ich will Ihnen einmal an diesem Beispiel klar machen, was daraus folgt: Wenn man Gott nicht erkennen kann, dann kann man natürlich auch Seinen Willen nicht erkennen! Wenn man Seinen Willen nicht erkennen kann, dann kann man auch Seinen Willen folgerichtig natürlich nicht verwirklichen! Dann kann ich eben die Gebote auch nicht verwirklichen!

Das ist ja auch, wie Sie wissen, bei Luther tatsächlich der Fall. Er sagt ja: Der Mensch ist Sünder. Man kann den Willen Gottes gar nicht erfüllen! Der Mensch ist auch durch die Erlösung Christi von der Sünde nicht tatsächlich befreit. Er bleibt durchgängig Sünder.

Das sind alles Auffassungen, die natürlich diese Frage und die Lösung dieser Frage, die wir hier stellen und zu beantworten suchen, gar nicht gestatten. Und so könnte man viele andere Versuche auch hier heranziehen und untersuchen und man käme zu dem gleichen Resultat.

Wenn Gott nicht erkennbar ist, dann hat die ganze Gottesfrage keinen Sinn! Das ist völlig klar! Oder wenn ich sage: Gott existiert zwar, aber ich kann Ihn nicht erkennen, dann kann ich über Gott gar nichts aussagen.

Hier besteht sogar ein tiefer Widerspruch, den ich Ihnen eben noch erläutern möchte. Wenn ich sage: Gott existiert ja, aber ich kann Ihn nicht erkennen, dann muss ich ja fragen: Woher weiß ich denn, dass Er existiert? Ich könnte ja dann nicht einmal wissen, dass Er existiert!

Ich will Ihnen noch einen weiteren Widerspruch bei Luther zeigen, der anzeigt, dass jede Auffassung, die leugnet, dass man Gott erkennen kann, in einem Widerspruch landet. Wenn Luther sagt, er lehre die wahre Religion, dann muss ich dies ja wenigstens erkennen können, dass er die wahre Religion - etwa im Unterschied zum Katholizismus, den er so heftig attackiert und kritisiert - lehrt. Das muss ich erkennen! Wenn ich das auch nicht erkennen könnte, dann hätte und verdiente Luther auch keinen Vorzug gegenüber der Auffassung, die er so kritisiert!

Hier sieht man: Jede Auffassung, die die Existenz und Erkennbarkeit der Wahrheit leugnet, führt in einen Widerspruch und ist schlechthin denkwidrig, kann man nicht aufrecht erhalten!
Und ich möchte hier schon auf etwas ganz Entscheidendes für den wahren Glauben und die wahre Religion hinweisen, in der, wie Sie wissen, Gott ja gerade selbst mit der Wahrheit identifiziert ist und der Mensch ja gerade als Ebenbild Gottes bezeichnet wird! Ebenbild Gottes heißt: Dieses Vernunftwesen, "Mensch" bezeichnet, hat einen unmittelbaren Bezug zu Gott und soll gerade nach dem Willen Gottes einen unmittelbaren Bezug zu Gott haben und finden und aus diesem Bezug leben! Das ist eine ganz wichtige Grundlage der Offenbarungsreligion!

Das möchte ich jetzt nur vorwegnehmend andeuten, wir sind ja jetzt noch bei den Voraussetzungen. Ich hatte auch beim letzten Mal - das muss ich nochmals aufgreifen, um den Zusammenhang herzustellen - ausdrücklich gesagt: Es sind vor allem drei Fragen, die man lösen muss, wenn man die Gottesfrage behandeln will:

Man muss einen Grund finden für das, was ist. Das ist die Schöpfungsfrage. Man muss die   Antwort auf die Frage stellen und lösen: Woher kommt alles, was ist?

Die andere Frage: Man muss einen Grund finden dafür, dass man wahrhaft erkennen kann, dass unsere Erkenntnis nicht scheitert, dass sie nicht trügt, dass sie nicht an der Wahrheit, an der Wirklichkeit vorbeigeht!

Und dann noch eine ganz andere, ganz wichtige dritte Frage, die man stellen und lösen muss, die für die meisten Menschen leider gar nicht existiert, obwohl sie die allerwichtigste ist, nämlich die Frage nach dem moralischen "Soll"!

Was ist der Grund, was berechtigt uns, was verpflichtet uns, religiös gesprochen die Gebote anzunehmen und zu erfüllen? Ich habe es beim letzten Mal auch schon gesagt, ich darf es hier auf andere Weise noch einmal formulieren, mit einem Hinweis, den ich vor einiger Zeit in einer der Schriften fand, die so zirkulieren: Da hat ein Moraltheologe - "Moraltheologe" kann man eigentlich gar nicht mehr sagen - in Bamberg erklärt, die sittlichen Werte, die Normen stammen vom Menschen. Sie stammen vom Menschen und sie sind für den Menschen.

Wenn das so ist, dass die Normen vom Menschen stammen, dann sind sie natürlich auch korrigierbar, dann kann man sie verändern! Man hat heute die Norm, die dem Menschen etwa nützt, morgen hat man eine andere Norm, die man eben auf Grund eines Konsenses fixiert und nach der man sich richtet. Wenn das so wäre, dann gibt es überhaupt gar keine Normen, denn Normen - das was man mit Recht und sinnvoll als Normen bezeichnet - stammen eben nicht vom Menschen. Denn dann ist wahr, was die Sophisten im alten Griechenland gesagt haben: Der Mensch ist das Maß aller Dinge!

Wenn der Mensch das Maß aller Dinge ist, dann gibt es keine echte sittliche Verpflichtung! Denn dann gibt es nur - sagen wir - eine Übereinkunft, dass wir - sagen wir mal - heutigen Menschen eben sagen: Man soll den Menschen nicht töten. Aber dieses "Soll" ist im Grunde schon entlarvend. Man kann dann nur sagen: Wir wollen dass man den Menschen nicht tötet. Aber das ist dann im Grunde nur Willkür! Wenn eine Masse von Menschen, vielleicht auch die ganze Menschheit, erklärt - was ja ebenso möglich ist, wenn die Normen von Menschen kommen - , dass man den Menschen töten darf, dann wäre das natürlich auch dann, selbst wenn man einen Einheitsbeschluss herbeiführen könnte oder wollte, keine sittliche Norm!

"Sittlich" heißt eben, etwas ist verpflichtend, und zwar auf Grund der Wahrheit! Auch wenn die ganze Welt "nein!" sagt, auch wenn die ganze Welt widersteht!

Schauen Sie, Sie kennen alle aus der konziliaren Kirche die Auffassung: Wenn alle eins sind, sagen wir mal, wenn alle Bischöfe eins sind auf dem Vatikanum II und unterschreiben eine Konstitution, dann ist das wahr. Das ist natürlich völlig närrisch! Kein Mensch, auch der Papst wohlgemerkt nicht, kann einen falschen Satz wahr machen. Zwei mal zwei ist vier, und wenn auch die ganze Welt erklärt, das sei fünf, dann ist das eben falsch, und zwar in sich und aus sich, auf Grund der Erkenntnis dieses Satzes selbst!

Das ist natürlich ganz wichtig, dass wir uns darauf wieder besinnen: Es gibt sittliche Werte! Es gibt überhaupt Werte, die unabhängig vom Menschen und seiner Willkür Werte sind!

Wenn die ganze Welt erklärte, ich sag das noch einmal an Hand eines anderen Beispiels, es gebe kein sechstes Gebot, so gibt es doch ein sechstes Gebot! Und zwar auf Grund des Willens Gottes! Und wenn kein Mensch zu diesem Willen Gottes "ja" sagt, so gibt es ihn doch! So gilt Seine Forderung doch zu Recht!

Ich darf das auch noch einmal andeuten, weil es sehr wesentlich ist: Für die meisten Menschen ist die Realität eine Realität ohne Werte, Werte kommen in ihr nicht vor, die Realität ist tot, es gibt nur Sachen: Sterne, vielleicht ein Weltall, eine Erde, die Dinge auf dieser Erde, sagen wir Tiere, Pflanzen, vielleicht auch Menschen - nach Art von Sachen betrachtet! Das führt natürlich dazu, dass man, ich sagte es schon, in einer toten Welt lebt. Die Welt ist völlig unlebendig. Hier gibt es natürlich auch keine Normen, keine moralischen Vorschriften, an die man sich hält. Das ist der Hintergrund des ganzen Einflusses der Philosophie, wie sie aus dem Heidentum kommt! Hier gibt es keine Werte, hier gibt es nur eine tote Realität!

Sie sehen, was alles daran hängt, die Gottesfrage zu stellen und sie in der rechten Weise zu stellen! Ich will das noch einmal an einem sehr schönen Beispiel eines der ganz großen Christen des 19. Jahrhunderts, nämlich an Dostojewskij Ihnen klar machen. Dostojewskij hat ja sehr deutlich in seiner Inhaftierung als Gefangener in Sibirien erlebt, welche Hölle es bedeutet, wenn man die Gottesfrage nicht stellt und wenn man nicht den lebendigen Gott hat und findet! Und er sagt einmal etwas, was sehr wichtig ist für jedes menschliche Leben: Jeder Mensch sei verzehrend darauf aus, so sagt er, etwas zu suchen und zu finden, was er wahrhaft anbeten kann!

(Fortsetzung folgt)
 

 

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