Wo leben wir denn?
Es ist der 27. November 2009, Nachrichten im Radio, Sender: Deutschlandfunk. Es wird ein Kommentar zur Verleihung des Hessischen Kulturpreises 2009 an Kardinal Karl Lehmann, an den früheren evangelischen Kirchenpräsidenten Peter Steinacker, an den Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland Salomon Korn und an den Iraner, Orientalisten und freien Schriftsteller Navid Kermani ausgestrahlt.
Es heißt darin, die verschiedenen Religionen dürften trotz des laufenden interreligiösen Gesprächs sehr wohl ihre eigene Identität bewahren. So hätten sie natürlich auch das Recht, die jeweils anderen Religionen zu kritisieren. Es wird ein konkretes Beispiel gebracht. So dürfe demnach “ein Moslem das Kreuz abstoßend finden, ein Jude Jesus für einen Halsabschneider halten und ein Christ den Mohammed ignorieren”.
Hurra, alle sind gleichberechtigt! Man denkt etwas nach und stellt fest: Nein, einige sind eigentlich noch “gleichberechtigter” als die anderen! So darf ein Moslem das Kreuz, das zentrale christliche Symbol, in Deutschland, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, mit dem ziemlich starken emotionalen Werturteil wie “das Kreuz sei abstoßend” negativ belegen. Die Christen haben tolerant zu sein. Sie haben das schweigend hinzunehmen. Ein Jude darf sich gegen Jesus Christus, von den Christen als menschgewordener Gottessohn und göttlicher Erlöser anerkannt und verehrt, sogar ein noch schwerwiegenderes negatives Urteil erlauben. Ihm wird das Recht zugesprochen, Jesus ganz unbehelligt als einen “Halsabschneider” zu bezeichnen. Die Christen haben unbedingt tolerant zu sein. Sie haben das mucksmäuschenstill hinzunehmen. Wir haben ja Religionsfreiheit. Da darf jeder sagen, was er möchte.
Aha, klar. Auch ein Christ darf seine Meinung äußern. Er darf ja in aller Öffentlichkeit sagen, warum er kein Anhänger von Mohammed ist, was ihm an diesem nicht passt, weshalb er diese ganze Lehre ablehne. Und er darf selbstverständlich ebenfalls entsprechend starke negative Werturteile äußern. Hurra, der Christ ist in Deutschland komplett gleichberechtigt!
Ja sicher. Nur muss er dann in Kauf nehmen, dass er als intolerant, fremdenfeindlich, radikal, fundamentalistisch, rechtsradikal, menschenverachtend verschrieen wird - von denselben Medien, bei denen er gleichberechtigt ist. Und dass er dann unter Umständen vielleicht sogar um sein Leben wird bangen müssen, gehört auch zu dieser Gleichberechtigung.
Ja, ein Christ darf Mohammed ignorieren. Eine herrliche Errungenschaft unserer liberalen Gesellschaft. Und was ist mit dem Judentum? Darf ein Christ dazu etwas Kritisches sagen? Vielleicht sogar ein negatives Werturteil wagen? Wenn er da an sein gleiches Recht appelliert, kann sich jeder denken, was passiert, jeder ausmalen, was ihm blüht... Besonders einem Christen, in Deutschland, in unserer die Freiheit auch so sehr anpreisenden Gesellschaft.
So erlebt ein Katholik seine herrliche Gleichberechtigung, wenn man sich mit Wut und Empörung gegen das Gebet der Kirche am Karfreitag um die Bekehrung der Juden ausspricht. Aber ein Katholik hat ja seine Rechte, er ist gleichberechtigt, nur ein bisschen weniger.
Aber jener Kommentar im Radio, im Deutschlandfunk, ist doch nur ein Einzelfall! So eine Verachtung der Christen den anderen gegenüber, sich darüber aufzuregen! Ist es denn nicht nur irgendein Journalist, den keiner kennt? Vielleicht. Aber seine Worte spiegeln die Tatsachen wider, reflektieren die Realität. Und jeder würde seinen Namen bald kennen lernen, wenn er anders spräche...
John Wine
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