Ist Organspende für einen Christen gestattet?
(2. Teil) Grundsätzliche Feststellung. In der letzten Ausgabe unserer Zeitschrift haben wir ja die Frage erörtert, ob denn Organspende vom christlich-katholischen Standpunkt aus gesehen moralisch vertretbar sei oder nicht. Danach trafen bei uns mehrere Reaktionen von unseren Lesern ein, die sich alle auf den Fall einer Organspende im Falle des Todes eines potentiellen Spenders bezogen. Und nur diesen Fall behandeln wir nun in der Folge. Außerdem wurde dieses Thema auch von einigen Gläubigen in Gesprächen mit mir als dem betreffenden Autor jenes Artikels angeschnitten. In jedem Fall sieht man, dass diese ganze Thematik viele Menschen beschäftigt und bewegt, zumal sie ja auch tatsächlich einen sehr sensiblen Bereich des menschlichen Lebens betrifft. Daher möchten wir auch allen, die sich sachlich an uns wandten, ausdrücklich sowohl für ihr Interesse als auch für ihre entsprechenden Zuschriften danken. Man verstehe bitte, dass wir dann nicht jeden Brief einzeln beantworten konnten.
Inhaltlich fiel die betreffende Reaktion zweiteilig aus. Auf der einen Seite hatte man sich nicht einverstanden erklärt mit der in “Beiträge”/105, S. 19 geäußerten Meinung, dass “man wohl nicht unmoralisch handelt, wenn man sich auch bei der Frage nach der Organspende im Falle des eigenen Todes am Hirntod als dem Zeitpunkt des Ablebens orientiert. Das natürlich nur sofern, dass auch alle anderen wesentlichen Voraussetzungen vorliegen.” Auf der anderen Seite gab es auch ausdrücklich Zustimmung zum Inhalt des betreffenden Artikel, speziell von einer Person, die als Arzt an einer Klinik arbeitet, die auch als eines der Zentren für Organtransplantation gilt, und selbst ebenfalls an der Glaubenstradition der katholischen Kirche festhält.
Jedenfalls haben die Reaktionen unserer Leser einmal mehr bestätigt, dass die entscheidende Frage in der betreffenden Diskussion darin besteht, ab wann denn von einem sicheren Tod eines Menschen ausgegangen werden kann, ab welchem konkreten Zeitpunkt des Sterbeprozesses nach dem jetzigen Stand der Medizinforschung die Rückkehr zum Leben definitiv ausgeschlossen werden könne.
Mit dieser grundsätzlichen Feststellung ist auch gleich dem ersten Einwand begegnet, mit dem wir in den Zuschriften konfrontiert worden sind, dass man ja noch leben würde bei der Entnahme der Organe. Manche rückten diese Frage direkt-indirekt in die Nähe einer Abtreibung, was so sachlich aber nicht zulässig ist. Denn es geht uns ja ausdrücklich nicht darum, einem lebenden Menschen die Organe (zum Zweck der Organspende) zu entnehmen - die ganz spezifische Frage, die ja auch von uns aufgeworfen wird, besteht darin, ab welchem Stadium denn von einem endgültigen Ableben eines Menschen (als eines potentiellen Organspenders) gesprochen werden kann.
Denn sollte man seitens der Medizin feststellen können (Konjunktiv!), dass der Tod irreversibel eingetreten sei und die Organe zu diesem Zeitpunkt noch geeignet seien für die Organspende, könne man ja vom christlich-katholischen Standpunkt aus gesehen nicht ein grundsätzliches und ausnahmsloses “Nein” zur Organspende sagen. Man nehme an, ein Mensch ist infolge eines Unfalls z.B. enthauptet worden. Da wird wohl niemand mehr erwarten können, diese Person könnte womöglich doch noch wieder ins Leben zurückkommen. Muss man denn in einem solchen Fall die Organspende (ebenfalls) grundsätzlich verbieten?
Nun, Papst Pius XII., den wir im ersten Teil unserer Abhandlung zitiert haben, hat ja bezeichnenderweise auch nicht von einer grundsätzlichen Ablehnung der Organspende seitens der katholischen Kirche gesprochen. Seine Worte zielten darauf ab zu fragen, ob denn die Mediziner den Zeitpunkt des sicheren Todes feststellen können oder nicht. Sollte dies möglich sein und sollten die Organe zu diesem betreffenden Zeitpunkt noch verwendbar sein für eine eventuelle Organtransplantation, wäre die Organspende in einem solchen Fall moraltheologisch gesehen an sich grundsätzlich wohl kaum zu verwerfen. Sollten aber die gegenwärtig von der Medizin aufgestellten Kriterien für die Feststellung des Hirntodes nicht ausreichen bzw. sollte zum gegebenen Zeitpunkt immer noch die Möglichkeit der Rückkehr eines Patienten zum Leben (bzw. eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür) gegeben sein, wäre natürlich eine auf der Grundlage solcher unzureichenden Kriterien durchgeführte Organspende eindeutig abzulehnen bzw. moralisch verwerflich!
Hirntote zum Leben zurückgekehrt? Einer der Einwände, welchen ich in den Reaktionen der Leser vernommen habe, war eben genau dieser, dass es nämlich sehr wohl Fälle gegeben habe, in welchen für hirntot erklärte Menschen zum Leben zurückgekommen seien (bevor ihnen im Falle ihrer entsprechenden Zustimmung Organe entnommen werden konnten). Nun, ich denke, es ist für jeden Katholiken klar (wie gerade ja auch unmissverständlich dargelegt), dass, sollte diese Möglichkeit der “Wiederbelebung” eines “Hirntoten” sehr wohl und jederzeit im Bereich des Möglichen sein, unsererseits einer jeglichen Organspende entschieden widersprochen werden muss. Sie würde ja dann einer bewussten Tötung gleichkommen, zu welcher man in unserem Zusammenhang niemals seine Zustimmung geben darf!
Allerdings konnte ich bei meiner betreffenden Beschäftigung mit dem Thema auch die Tatsache in Erfahrung bringen, dass es nämlich in verschiedenen Ländern auch verschiedene Regelungen für die Feststellung des Hirntodes (und somit auch Definitionen von "Hirntod") gibt. So sehen die betreffenden gesetzlichen bzw. medizinischen Bestimmungen in einem Land etwas weniger strikt aus, in einem anderen dagegen etwas mehr. Somit stellt sich auch die wichtige Frage, in welchem konkreten medizinisch-gesetzlichen System denn solche Fälle der “Wiederbelebung” von “Hirntoten” vorgekommen seien bzw. ob solche auch in solchen Ländern anzutreffen seien, in welchen man striktere Regeln hat. Sollte es da nämlich keinen entscheidenden Unterschied geben und in sämtlichen Systemen solche Fälle festzustellen sein, wären sie wohl alle als mangelhaft einzustufen bzw. dürfte man in der Folge in keinem dieser Länder seine Zustimmung zu einer entsprechenden Organtransplantation geben.
Nun, jener oben erwähnte katholische Arzt erklärte mir, dass man an der Klinik (in der Schweiz), an der diese Person arbeitet, seitens der Ärzte sehr behutsam und gewissenhaft umgehe mit der Frage nach der Feststellung des Hirntodes. Man würde da auch nicht etwa leichtfertig und übereilt den Hirntod feststellen, sondern verschiedenste Tests durchführen. Keinesfalls würde jeder beliebige Arzt den Hirntod feststellen (können und dürfen) - diese Feststellung müssten und würden (unabhängig voneinander) jeweils zwei dafür extra geschulte Spezialisten vornehmen. Sie beklagte auch, dass man nicht selten lediglich mit Halbwissen an die Sache herangehe und plädierte dafür, sich doch auch über die betreffenden medizinischen Prozesse und deren Bedeutung umfassender zu informieren.
Diese Person erzählte auch von einem konkreten Fall in ihrem Transplantationszentrum, in welchem eine Patientin eine solche weitestgehende und tödliche Verletzung ihres Gehirns davon getragen habe, dass man überhaupt nicht in der Lage gewesen sei, die vorgeschriebene Diagnostik zur Feststellung des Hirntodes durchzuführen. Und obwohl es eindeutig gewesen sei, dass diese Person wegen der Art und Schwere ihrer Hirnschädigung nie wieder ins Leben zurückkommen würde, sei sie doch nicht für eine eventuell Organtransplantation in Frage gekommen - weil man eben nicht die dafür vorgeschriebene medizinische Prozedur starten konnte.
Unter www.transplantationszentrum-freiburg.de/files/Hirntod Hirntoddiagnostik.pdf kann sich jeder interessierte Leser über die entsprechenden in Deutschland geltenden gesetzlichen Regelungen informieren. Ob sie aber ausreichen für die Behauptung, dass ein nach diesen Bestimmungen festgestellter Hirntod mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dem wirklichen und endgültigen Tod gleichkomme, kann ich als Nicht-Mediziner persönlich natürlich weder beurteilen noch entscheiden. Das gebe ich ehrlich zu. Dies würde aber wohl auch auf die meisten unserer Leser zutreffen.
Dennoch ist es interessant, dass bisher angeblich kein einziger Fall bekannt sei, in welchem in Deutschland ein für hirntot erklärter Mensch wieder zum Leben zurückgekommen sei. Dies ist mir erzählt worden und soll an dieser Stelle aus Objektivitätsgründen ebenfalls Erwähnung finden. Sollte sich also diese Behauptung in der Realität bewahrheiten (Konjunktiv!), würde das oben erwähnte und an sich natürlich sehr gewichtige Argument, Hirntote seien wieder zurückgekommen, für den Bereich der bundesdeutschen Kliniken wohl nicht greifen können.
Wenn es aber solche Fälle in anderen Ländern gegeben haben soll, dann müsste man wohl extrem kritisch sein mit der ganzen Organtransplantation bzw. sie aus grundsätzlichen moraltheologischen Überlegungen heraus ablehnen. Dasselbe müsste dann auch gesagt werden für den Fall, dass sich die im Raum stehende entsprechende Behauptung auch im deutschen Bereich als nicht zutreffend erweisen sollte. Daran sieht man einmal mehr, wie kompliziert die ganze Thematik ist - mit einem einfachen und verallgemeinernden “Ja” oder “Nein” wird man diesem gesamten Thema wohl nicht gerecht.
Kürzlich unterhielt ich mich mit einem befreundeten traditionalistischen Priester in den USA über das Thema der Organspende. Er berichtete dann auch von seinem eigenen Bruder, der sich als Arzt aktiv in der Anti-Abtreibungsbewegung in den USA betätige und dort wegen seiner entsprechenden Verdienste auch bereits einige Auszeichnungen erhalten habe. So habe dieser Arzt, dessen Leumund wohl ebenfalls über jeden Zweifel erhaben ist, seinem Priesterbruder erzählt, dass die offiziellen Kriterien zur Feststellung des Hirntodes eines Patienten sehr streng seien und sowohl seiner eigenen Meinung nach als auch in Entsprechung zur Haltung der Mehrheit der Anti-Abtreibungsärzte in den USA sehr wohl ausreichen würden.
Auch könne sich dieser Arzt nich vorstellen, dass Personen, die nach den in den USA offiziell geltenden strengen Kriterien für hirntot erklärt worden sind, wieder zurückgekommen seien bzw. überhaupt zurückkommen könnten. Er meine, hier würde man bei der Behauptung solcher Fälle etwas durcheinanderbringen und Hirntote unzulässigerweise vielleicht mit Komapatienten verwechseln. Wie gesagt, ich persönlich kann dies alles nicht beurteilen, will aber das entsprechende Statement vollständigkeitshalber erwähnt wissen.
Selbstverständlich entscheidet auch hier keine demokratische Mehrheit über die Frage, was wahr und richtig ist. Dennoch zeigt uns dieser Verweis, dass bei weitem nicht jeder, der sich für die offizielle Hirntod-Theorie ausspricht, irgendwie moralisch verdorben oder unchristlich eingestellt sei bzw. sein müsse. Anscheinend gibt es auch eine ganze Reihe von Ärzten, die gute Katholiken sind, die auf der einen Seite uneingeschränkt sowohl für das Lebensrecht von Ungeborenen als auch gegen die Tötung von senilen oder behinderten Menschen eintreten und auf der anderen Seite die in einigen Ländern strikten offiziellen Kriterien zur Feststellung des Hirntodes für so ausreichend halten, dass sie die Schlussfolgerung ziehen, ein auf diese Weise für hirntot erklärter Mensch könne nicht mehr zum Leben zurückkommen. Das sollten wir ebenfalls objektiv zur Kenntnis nehmen.
Auf der anderen Seite gibt es ja auch Mediziner, die die betreffenden Kriterien für unzureichend halten und sich somit eindeutig gegen entsprechende Organtransplantationen aussprechen. Wem soll man da als medizinischer Laie Glauben schenken (können)? Wird es im Falle, dass man konkret eine Pro- oder Contra-Entscheidung für sich selbst oder eigene Angehörige treffen muss, vielleicht darauf ankommen, wer welche Fachleute persönlich kennt bzw. welcher Seite man mehr Vertrauen schenkt?
Hirntote noch Lebende? Außerdem bin ich mit dem Argument konfrontiert worden, Menschen, deren Hirntod festgestellt worden ist, seien nicht als tot anzusehen, sondern als Sterbende, die sich nämlich noch im Sterbeprozess befinden. Denn bei ihnen sei immer noch sowohl der Bartwuchs als auch bei Männern die Zeugungsfähigkeit festzustellen, sowohl würden schwangere Frauen ihr Kind weiter austragen als auch alle solche Patienten äußerlich durchaus noch als Lebende erscheinen und sich somit optisch deutlich von sog. “echten Toten” unterscheiden. Eine Meinung ging so weit, dass man sogar im Falle einer zweifelsfreien Feststellung des irreversiblen Hirntodes eines Patienten diesen noch bei weitem nicht für tot halten dürfe, weil er ja eben noch immer bestimmte Körperfunktionen haben würden.
Nun, hier stellt sich die entscheidende Frage, wie denn das menschliche Leben genauer zu definieren sei, was denn sein Wesen ausmache. Aus christlicher Sicht ist der Mensch ja ein Geistwesen, welches hier auf Erden, in Zeit und Raum, an einen jeweils konkreten Körper gebunden ist. Somit kommt es entscheidend auf die Bewusstseinsakte eines Menschen an - danach und letztendlich nur danach wird er von Gott als der höchsten moralischen Instanz bewertet und gerichtet werden. Und was außerhalb seines Bewusstsein etwa noch an rein körperlich-biologischen Aktivitäten ablaufen sollte, dafür trägt er weder die Verantwortung noch wird er dafür jemals Rechenschaft ablegen müssen. Das ist jedenfalls die katholische Sicht der betreffenden Dinge.
Die sog. Sterbesakramente, die hl. Kommunion als die sog. Wegzehrung, die Beichte/Absolution und Letzte Ölung, können einem Sterbenden eigentlich nur solange gespendet werden, wie er noch bei Bewusstsein ist und somit noch etwas mitbekommt. Im Falle, dass jemand zwar noch am Leben aber bewusstlos ist, dürfen die Sterbesakramente, in diesem Fall die Absolution und Letzte Ölung, nur sub conditione gespendet werden. Das heißt dass die Kirche da eigentlich nicht weiß, ob der Sterbende in diesem Zustand überhaupt noch etwas mitbekommen und somit willensmäßig z.B. wichtige Reueakte setzen könne oder nicht. Da man dies aber nicht ganz ausschließen kann (das Gehirn und das Gehör arbeiten ja an sich noch), werden die beiden letztgenannten Sakramente eben bedingungsweise gespendet.
Wenn jemand verstorben ist, räumt die Kirche die Möglichkeit ein, ihm die Sterbesakramente unter Umständen noch bis zu 2-3 Stunden danach bedingungsweise zu spenden. An sich geht man davon aus, dass der betreffende Mensch da bereits in der Ewigkeit weilt und ihn somit die betreffenden Sakramente nicht mehr erreichen können. Da man aber von klinisch toten Personen, die (nach wenigen Minuten Herz- und Atmungsstillstand) erfolgreich wiederbelebt werden konnten, vernimmt, dass sie da bisweilen noch vieles davon gehören hatten, was um sie herum geschah, sieht sich die Kirche in ihrer pastoralen Sorge veranlasst, auch den betreffenden eigentlich bereits toten Menschen die Sterbesakramente (sub conditione) zukommen zu lassen - vielleicht können sie für sie ebenfalls noch heilsame Wirkung haben. Aber man weiß das nicht.
Der entscheidende Punkt hierbei ist, dass man kirchlicherseits denkt, der Betreffende könnte vielleicht immer noch etwas hören, zumal ja manche biologischen bzw. physiologischen Reaktionen des Körpers bekanntlich nicht sofort gänzlich zum Erliegen kommen. Somit könnte man theoretisch annehmen, dass auch das Gehirn noch eine gewisse Zeit nach dem Herz- und Atemstillstand nach dem Prinzip der Trägheit (in langsam abnehmendem Umfang?) “arbeitet” und somit eventuell das Hören ermöglicht. So sind auch die katholischen Priester angewiesen, einem gerade Verstorbenen vielleicht noch etliche Minuten weiter kurze Gebete ins Ohr zu flüstern - in der Hoffnung, dass er vielleicht doch noch etwas hören und in der Folge entsprechende heilsame Bewusstseinsakte setzen kann.
Man stelle sich schlussendlich die Frage und beantworte sie selbst, ob denn der rein vegetative Zustand des menschlichen Körpers - ohne dass wegen weitestgehendem Ausbleiben entscheidender Hirnaktivitäten wenigstens eine minimale berechtigte Hoffnung auf die Wiedererlangung des Bewusstseins bestehe - der Definition von menschlichem Leben entspreche oder nicht. Einen Fötus darf man nicht abtreiben, weil in ihm bereits alles darauf angelegt ist, dass dieses Wesen nach einer gewissen Zeit infolge seines natürlichen Wachstums zur Erlangung des menschlichen Bewusstseins kommt. Bei einem schlafenden Menschen gehen wir ja legitimerweise davon aus, dass er wieder aufwachen werde. Und auch bei einer Person, die geistig behindert ist, kann man wohl kaum gänzlich ausschließen, dass sie zwischendurch vielleicht doch zu einem wenigstens begrenzten Bewusstseins- und Willensakt fähig ist. In jedem Fall sind da auch sowohl sämtliche Vitalfunktionen des Körpers als auch speziell des Gehirns vorhanden. So ähnlich auch bei Komapatienten, von denen ja immer wieder jemand aufwacht, wenn auch bisweilen erst nach vielen Jahren.
Wenn man aber nach dem jetzigen Stand der medizinischen Forschung berechtigterweise annehmen dürfte, dass bei einem (nach strengeren Kriterien festgestellten) Hirntoten keine berechtigte Aussicht auf Erlangung seines Bewusstseins mehr bestehe und auch die sonstigen Vitalfunktionen des Körpers (Herzschlag und Atmung) nur durch Einsatz von Maschinen aufrechterhalten werden könne, dann muss man wohl rational zur Schlussfolgerung kommen, dass sich der Lebensstatus solcher Menschen leider wohl doch nicht unbedeutend von dem eines Fötus, eines schlafenden oder auch geistig schwerstbehinderten Menschen unterscheidet.
Sicherlich kann man für hirntot gehaltene Patienten als Sterbende bezeichnen, also als solche, die sich im Prozess des Sterbens befinden. Da aber dieser Prozess offensichtlich aus mehreren Stufen besteht, ist die Frage erlaubt, ob es denn eine solche Stufe des Sterbeprozesses geben kann, bei deren Eintreten zwar noch einige Funktionen des Körpers vorhanden bzw. bestimmte Reflexe gegeben sind, der Mensch aber dennoch nicht mehr zu eigentlichen Bewusstseinsakten zurückkommen kann (und die Seele somit bereits vom Körper getrennt ist und in der Ewigkeit weilt), so dass man da aus christlicher Sicht vielleicht doch schon von seinem Tod sprechen kann.
Interessant ist, dass Papst Pius XII. im Jahre 1957, als er sich nämlich im Hinblick auf den “Hirntod” und die “Organtransplantationen” an den Internationalen Kongress der Anästhesisten wandte, den eigentlichen Zeitpunkt des Todes ja keinesfalls definitiv und unmissverständlich auf das Eintreten der Todesstarre und Leichenblässe bestimmt hat, wenn die Toten halt “richtig tot” aussehen. Er richtet einige Fragen an die betreffenden Ärzte und räumt dabei theoretisch auch die Möglichkeit ein, dass der Tod “dann eintritt, in Entsprechung zur gegenwärtigen Meinung der Ärzte, wenn die Atmung komplett aufhört, ungeachtet der fortdauernden künstlichen Beatmung” (“Beiträge”/105, S.18f.).
Dagegen ist in jedem Fall klar, dass eine jegliche Organentnahme von einer für hirntot erklärten schwangeren Frau für gänzlich unzulässig gehalten werden muss! Denn solange ihr unter ihrem Herzen weiterhin wachsende Kind am Leben ist, muss alles unternommen werden, dass es nicht stirbt, sondern gesund geboren werden kann. Das Lebensrecht dieses Kindes steht ebenfalls über allen anderen Überlegungen, mögen sie bisweilen noch so “fromm” formuliert werden.
Emotionale Belastung. Natürlich kann es für das medizinische und pflegende Personal in den Kliniken sogar eine extrem schwere psychische Belastung darstellen bzw. einen sehr starken emotionalen Stress bedeuten, auf der einen Seite zu sehen, wie lebendig ein Hirntoter noch aussehe, und sich auf der anderen Seite vorzustellen, dass er erst nach der Organentnahme das Erscheinungsbild eines “echten” Toten abgeben werde. Es ist deswegen auch voll verständlich, wenn jemand diesen Stress nicht mehr aushalten kann und seine entsprechende Arbeit u.U. sogar gänzlich quittiert. Diese Menschen verdienen unser Mitgefühl; seien wir auch froh, was wir nicht in ihrer Haut stecken.
Allerdings gibt es auch bei manchen anderen Berufsgruppen viele analoge Stresssituationen, die die betreffenden Menschen in größte emotionale Schwierigkeiten stürzen können. Wie viele Psychiater sind denn nicht schon selbst in Depressionen gefallen, weil sie durch die intensive Beschäftigung mit den gewaltigen psychischen Problemen ihrer Patienten auch selbst entsprechend in größte Kalamitäten geraten sind und dann in der Folge ihre entsprechende Arzttätigkeit vielleicht ebenfalls gänzlich aufgeben mussten? Und kann es z.B. nicht auch einem katholischen Priester als Beichtvater psychisch-emotional u.U. sogar gewaltig zusetzen, gelegentlich vielleicht sogar mit den dunkelsten Tiefen der menschlichen Bosheit in Berührung gekommen zu sein? Ähnliches können wohl auch so manche Polizeibeamten berichten. Und trotzdem sind alle diese Berufe an sich nicht nur notwendig, sondern sogar höchst sinnvoll.
Also geht es bei der Bewertung solcher Stresssituationen zunächst wohl darum, unter Heraushalten von (sonst verständlichen) menschlichen Emotionen rein sachlich zu fragen, ob die betreffende Tätigkeit an sich entweder moralisch vertretbar oder eben gänzlich verwerflich sei. Somit müsste auch im Hinblick auf die Organentnahme von nach strengen Kriterien für hirntot erklärten Menschen die erste Frage wohl lauten, ob dies denn dem moralischen Gesetzt entspreche oder nicht. Und auf der Grundlage dessen, was weiter oben über die kirchliche Praxis im Hinblick auf die Spendung der Sterbesakramente ausgeführt worden ist, erscheint es wohl eher als unzulässig, die Frage nach der moralischen Legitimität der entsprechenden Organspenden von der Frage her bewerten zu wollen, wie die betreffende Person denn rein äußerlich aussehe bzw. ob bei ihr noch Haar- und Bartwuchs vorhanden sei oder nicht. Und hätte denn, gestatten Sie bitte diese provokative Frage, die Zeugung eines Kindes von einem für hirntot gehaltenen Mann noch irgendetwas mit bewusster liebender Hingabe eines Ehegatten an seine Ehefrau zu tun?
Denn wenn man die betreffenden und an sich natürlich verständlichen Emotionen des medizinischen Personals (die ich gegebenenfalls wohl auch haben würde) über grundsätzliche rationale Überlegungen stellen wollte, müsste man genauso viel an Logik dem gegensätzlichen Argument zubilligen, man müsste unbedingt Ja zur Organspende sagen, weil sie ja einem edlen Zweck diene, nämlich der Lebensrettung von Menschen, die ohne eine solche Organspende sonst bald sterben würden. Und wie in diesem letzteren Fall kein (noch so guter) Zweck die (unmoralischen) Mittel heiligt, genauso wenig darf man sich nur unter Berufung auf das äußere Aussehen der betreffenden Hirntoten oder die emotionale Belastung des betroffenen medizinischen Personals gegen die entsprechende Organspende aussprechen.
Zusammenfassung. Papst Pius XII. hat es 1957 als “die Aufgabe der Ärzte, und hier speziell der Anästhesisten,” formuliert, “eine klare und genaue Definition von ‘Tod’ und dem ‘Zeitpunkt des Todes’ eines Patienten zu geben, der im Zustand der Bewusstlosigkeit stirbt”. Wie es aussieht, sind sich die Mediziner in dieser Frage nicht ganz einig. Wohl gibt es da auch den einen oder anderen wichtigen Umstand, der ebenfalls berücksichtigt werden muss. Wie sollen da wir, die wir doch selbst meistens kein eigenes hinreichendes medizinisches Wissen haben, den sog. 100%-igen Durchblick gewinnen können?
Man könnte natürlich sagen, solange die Medizin nicht in der Lage ist, in noch tiefere Regionen des menschlichen Gehirns vorzudringen und somit definitive und für jedermann einsichtige Erkenntnisse zu liefern, wolle bzw. solle man sich vorerst lieber abwartend verhalten und eben ein Nein zur Organspende sagen. Natürlich könnte man so verfahren.
Allerdings stehen da auf der anderen Seite auch Menschen, denen man mit einer eventuellen Organspende, sollte man später als Organspender überhaupt in Frage kommen, höchstwahrscheinlich das Leben retten würde, sofern sich diese ganze Angelegenheit doch als moralisch vertretbar erweisen sollte. Daher kann ich persönlich nach meinem jetzigen (sicherlich ebenfalls nicht umfassenden) Wissensstand auch niemand verurteilen, der bei der konkreten Anwendung von denselben moralischen Grundsätzen, die wir als Katholiken ja wohl alle gleichermaßen teilen, für sich zum Ergebnis kommt, einer eventuellen Organspende doch zuzustimmen. Jedenfalls ist es klar, dass ich weder eine entsprechende definitive Entscheidung in dieser Frage geben kann und darf, noch fachlich genug qualifiziert bin, um auf persönlicher Ebene eine eindeutige Empfehlung aussprechen zu können.
In diesem Artikel wurde halt der Versuch unternommen, das eine oder andere Argument, welches als Reaktion auf den ersten Teil zu meiner Kenntnis gebracht und entweder Pro oder Contra vorgebracht wurde, sachlich zu beleuchten. Es wird wohl keinem erspart bleiben, sich selbst ernsthafte Gedanken zu diesem sensiblen Thema zu machen bzw. weiter nach sachdienlichen Informationen zu suchen. Möge uns dabei alle die Gnade des Heiligen Geistes erleuchten.
Auf die Möglichkeit und die Gefahr des Missbrauchs, von welchem man im Zusammenhang mit Organspenden leider immer wieder zu hören bekommt, haben wir ja bereits im 1. Teil ausführlich genug hingewiesen. Diese Frage nach dem Vertrauen in das jeweilige medizinische System spielt daher ebenfalls eine große Rolle bei unserer betreffenden Meinungsbildung.
P. Eugen Rissling
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