Der liebe Gott und das Leid


„Gott“ und „gut“ sind inhaltlich miteinander verwandt, gehören zusammen! Da stellt sich für dem Menschen die Frage, woher denn das Übel, das Böse und das Leid kommen.

Im Heidentum, aber auch bei bestimmten alten und neuen Sekten, wird und wurde diese Frage oft einfach mit der Annahme gelöst, dass es eben ein gutes und ein böses Prinzip in der Welt gebe, die miteinander im Streite liegen oder gar sich irgendwie ergänzen.

Das ist zunächst eine naheliegende und scheinbar einfache Erklärung. Bei genauerer Betrachtung wird aber schnell klar, dass hier etwas übersehen wird, nämlich dass das so gedachte Gute und das so gedachte Böse niemals die höchsten Prinzipien sein können, sondern letztlich von einer höheren Macht abhängig vorgestellt werden, da sie sich ja nicht durch sich selbst bestimmen, sondern in ihrer Macht und ihren Grenzen bestimmt werden und schon bestimmt sind.

Gibt es aber eine noch höhere Macht, so kann sie nicht gut und böse zugleich sein, weil sie sich sonst selbst aufheben würde! Die höchste und letzte Macht hinter aller Wirklichkeit kann nur das Ja, die Liebe, die unendliche Vollkommenheit des Guten sein, weil nur so überhaupt etwas - natürlich erst recht so etwas wie das Gute selbst - existieren und erscheinen kann!

Auch wir selbst erfahren uns bejaht und getragen von einer Macht, die nicht wir selbst sind, und die auch alles andere ins Dasein ruft und im Dasein erhält. Dieser Ruf zum Dasein ist nicht wertneutral, sondern beinhaltet schon einen Aufruf zum Ergreifen eines Wertes! Mit allem ist so ein Wert und eine Güte verbunden, die nicht aus dem Ding oder der Person selbst stammt!

Wenn wir diesen Wert und diese Güte nicht sogleich erkennen, so ergibt sich für uns unwillkürlich ein unerträglicher Widerspruch, der zur Klärung und Stellungnahme herausfordert. Wir antworten damit dem Ruf der Güte selbst, den wir ursprünglich kennen, auch wenn wir uns das nicht immer klar eingestehen. Schon allein dadurch, dass wir über den Unterschied von Gut und Böse nachdenken können, zeigen wir, dass wir wissen, was wir mit Gut und Böse benennen, und den ursprünglichen Wert des Guten erkennen!

So werden wir in all unserem Denken auf eine absolute Güte, auf den wahren höchsten Wert zurückverwiesen, der sich selbst rechtfertigt, den nicht wir willkürlich geben, sondern der vor uns selbst war, der auch uns selbst Anteil am Guten, Wert und Daseinsberechtigung gibt und der auch von uns die bewusste, uneingeschränkte Entscheidung für das Gute will!

Der liebe Gott ist diese höchste, alles erschaffende und erhaltende, alle Güte hervorbringende Wirklichkeit, dieser höchste Wert, der aus sich Gute und Vollkommene, der allein Heilige und Gerechte im umfassenden Wortsinn, die Liebe selbst!

Woher kommt dann aber das Übel, das Böse, das Leid, der Schmerz in der Welt? Wenn Gott allmächtig ist, ist Er dann nicht auch für alles Übel verantwortlich? Können wir hier eine klare Antwort finden? Es ist dies eine sehr alte Frage der Menschheit.

Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass uns sehr viele, zunächst sehr einfach erscheinende, Fragen der Wirklichkeit verwirren können. Das betrifft auch ganz alltägliche Fragen und Sachverhalte!

Bis heute kann die Wissenschaft zum Beispiel das Licht, das wir doch jeden Augenblick wahrnehmen, nur in scheinbar widersprüchlichen, in scheinbar nicht zu vereinbarenden, aber sich merkwürdigerweise doch wieder ergänzenden, Theorien erklären! Ähnliches gilt auch für die Materie und für viele andere Bereiche der Wirklichkeit! Nicht einmal Raum und Zeit sind für uns in ihrer Unendlichkeit wirklich vorstellbar! Wegen unseres eingeschränkten Blickwinkels ergeben sich für uns fortgesetzt unzählige Fragen und scheinbare Widersprüche, auch bei ganz alltäglichen Dingen - wie bei einem ins Wasser gehaltenen Stab, der für unser Auge als gebrochen, für unseren Tastsinn aber als gerade erscheint! Zwei Wahrheiten, die auf den ersten Blick eigentlich nicht miteinander existieren könnten!

Die Vernunft ist natürlich hier herausgefordert, solch scheinbare Widersprüche von einem höheren Standpunkt aus zu lösen, ein einheitliches Bild zu gewinnen, das in seiner Gesamtheit als wahr erkannt werden kann!

Das gilt auch für den Verstand selbst. Wir können aus dem Zusammenhang unseres Wissens erkennen, dass wir mit unserem Verstand in Bezug auf manche Fragen nur bruchstückhaft sehen (vgl. 1Kor.12)! Erst recht gilt das im Hinblick auf Gott, der all unser Begreifen übersteigt! Das heißt nicht, dass wir überhaupt keine Wahrheit erkennen können, wie manche behaupten (woher haben sie dann aber diese Erkenntnis?), sondern nur, dass unser beschränkter Verstand notwendig hinter Gottes unendlicher Vollkommenheit zurückbleibt und Ihn nie völlig ergründen und fassen kann!

In der Vernunft, mit der uns der liebe Gott als Seine Ebenbilder begabt hat, erkennen und begreifen wir die Grenzen unseres Verstandes! Hätten wir keine Vernunft, könnten wir auch das nicht begreifen, ja könnten wir als Geistwesen gar nicht existieren!

Für unseren begrenzten Verstand ist es also schwierig, alles recht zu begreifen. Erst recht stoßen wir an Grenzen, wenn wir erklären wollen, wie Gott als der Absolute Bestand haben kann, wenn Er eine endliche Freiheit neben sich schafft und damit auch ein mögliches Übel in der Welt zulässt! Wenn Gott eine wahre Freiheit neben sich zulässt, kann Er dann noch für die Güte der gesamten Wirklichkeit bürgen!? Verliert Er damit nicht Seine absolute Freiheit, Seine absolute Güte?

Wir können von unserem Standpunkt nur soviel sagen: Dem lieben Gott ist nichts unmöglich, auch nicht die Erschaffung der endlichen Freiheit und die Überwindung des Widersinnes! Gerade darin besteht ja Seine absolute Größe!

Wollen wir besser erkennen, müssen wir demnach unsere beschränkte und vordergründige Sicht der Dinge überwinden und uns dem lieben Gott so öffnen, wie Er selbst sich uns offenbart hat!
Seit Jesus für uns Mensch geworden und am Kreuz gestorben ist, wissen wir, dass Gott immer gerade in der tiefsten Not am nächsten ist und alles Leid mit uns in Liebe teilt!

Nicht durch den lieben Gott selbst, sondern durch die Sünde, die Abkehr von Seiner Güte, bekam die Vollkommenheit und Güte der Schöpfung einen Riss. Die ganze Wirklichkeit, die ursprünglich nach Güte verlangt und von der Güte getragen ist, kann ohne die Beantwortung der Liebe Gottes nicht mehr in ihrer Vollkommenheit erscheinen! Die Abkehr von Gottes Güte bringt die Harmonie der Schöpfung, die doch um der Ebenbilder Gottes willen ins Dasein gerufen ist, durcheinander!

Darin liegt natürlich auch eine Strafe für die Abkehr von der Güte. Jedoch eine Strafe, die zugleich zur Gnade werden kann und soll! Der Mensch, der nach dem Sündenfall immer in Gefahr steht, ohne Gott oder gegen die Liebe Gottes leben zu wollen, muss nun im Leid schmerzhaft erkennen und erfahren, dass ohne Gottes Güte alles verloren wäre, überhaupt nichts bestehen könnte und dass er nur in der Liebe Christi das Leid, die Folge der Sünde, bewältigen und wieder das wahre Heil finden kann! Trotz der Sünde, die den Menschen von Gott getrennt hat, sucht der liebe Gott wie ein liebender Vater auch hier noch das Heil und die Heilung des Menschen, jedoch in Freiheit, weil Er den Menschen ernst nimmt, den Er liebt!

Auch wenn das Leid und die Sünde also nicht ursprünglich von Gott gewollt sind, so gilt doch: Alles, was von Gottes Liebe zugelassen worden ist, dient letztlich auch einem positiven Zweck! Wir sollten uns deshalb in der Katastrophe nicht von Gott ab-, sondern vielmehr Ihm zuwenden, um die richtige Lehre daraus zu ziehen und die scheinbar verborgene Liebe Gottes und damit auch den Sinn alles Seins besser zu verstehen! Er allein weiß in Seiner vollkommenen Güte, was für jeden einzelnen im derzeitigen Zustand der Schöpfung das Beste ist!

Auch wenn wir mit unserem beschränkten Horizont nicht einmal die einfachsten Fragen des Daseins wirklich beantworten und vieles an Leid, das die Welt und das Leben jedes einzelnen Geschöpfes heimsucht, nicht immer gleich vollständig begreifen können, so können wir doch in Wahrheit untrüglich erkennen: Der liebe Gott jedoch hat für uns persönlich und auch für Seine heilige Kirche stets das Beste im Sinn, wenn Er für jede Situation das Schicksal abwägt!

Damit wir das besser verstehen, deshalb ist Er selbst Mensch geworden, hat unter uns gelebt, hat für uns die schmerzhaftesten Leiden erduldet, uns in der gänzlichen Hingabe Seiner selbst den Weg zum Himmel, zur ewigen Glückseligkeit, zu Seinem in der Liebe unendlichen Herzen wieder erschlossen und geöffnet!

Durch die Offenbarung der Liebe Jesu und durch Seinen Tod und Seine Auferstehung ist uns ein vorher verborgener Schlüssel zum Verstehen des Sinnes des Leidens gegeben worden! Wir erahnen einen tiefen Sinn, der in der Liebe Gottes liegt, wie ein Kind, das unangenehme oder schmerzhafte Maßnahmen der Erwachsenen oft auch nicht versteht, dennoch aber ihre Sinnhaftigkeit und die dahinter stehende Liebe erahnen kann!

Wir werden hier auf Erden vom Leid noch nicht völlig erlöst, aber wir werden auch nicht mehr erdrückt! Wie der erste Morgenschimmer den Anfang des Endes der Nacht, der Kälte und der lebensfeindlichen Finsternis mit sich bringt, so ist die bis in den Tod gehende Liebe Jesu der Anfang eines neuen, nie endenden, in Gott und in der Liebe vollendeten und seligen Lebens, trotz Tod und Not, die uns noch umgeben!

Wir stehen unter dem Kreuze Jesu und treten als Seine Jünger auch in Seine Fußstapfen auf dem Weg der Kreuzesnachfolge! Wie Jesus rufen auch wir in scheinbar auswegslosen, unerträglichen Situationen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ (Mt. 27,46). Doch das ist im Blick auf Jesus nicht das Letzte! Der liebe Gott sucht uns und kommt uns gerade in schwierigen Zeiten entgegen!

Jesus am Kreuz zeigt uns: Der liebe Gott ist uns dann besonders nahe - ja in der Liebe Jesu sogar am nächsten!, - wenn alles zu Ende zu sein scheint, wenn wir am tiefsten in Ängsten und Schmerzen stecken! Und so können und sollen wir in jeder Lage auch mit Jesus am Kreuz vertrauens- und hoffnungsvoll rufen: „Vater, in Deine Hände befehle ich meinen Geist!“ (Lk. 23, 46).

Und so ist wie beim Tod Jesu die Katastrophe nicht das Letzte, das Eigentliche war, so kann und wird sie es auch niemals für Seine Kirche und für keinen Menschen sein, welcher der Liebe Gottes treu bleibt! Jedes Kreuz ist nämlich auch ein Aufruf und eine „Heim - suchung“ des lieben Gottes! Ja, in der Nachfolge Christi freudig getragen, wird wunderbarerweise aus dem Kreuz ein Mittel der Liebe, der hochherzigen Hingabe, des Lobes, des Dankes, der Sühne und der Bitte und somit, wenn wir es nur richtig sehen und annehmen wollen, ein unermesslicher Gnadenschatz, für uns und für andere!

So steht auch hinter jeder Not, die der liebe Gott in Seiner Kirche oder in der Welt zulässt, ein Anruf und die gnädig ausgestreckte Hand des lieben Gottes! Es geht nicht darum, uns zu vernichten, sondern zu retten!

Als Jünger Jesu sind wir deswegen verpflichtet, von der Liebe Gottes, von unserer Erlösung am Kreuz und vom Sieg Jesu über den Tod und das Böse in der Welt Zeugnis zu geben, damit die Menschen die Liebe Gottes erkennen und lieben können! Selbst wenn wir hier noch den körperlichen Tod erleiden müssen, so ist dies nur ein Durchgang, ein letzter Aufruf zur Entscheidung und ein Mittel zu unserer Vollendung, bis uns Jesus am Ende der Zeit in Seine ewige Osterfreude heimholen kann, wenn wir in der Kreuzesnachfolge Seiner Liebe treu geblieben sind!


Thomas Ehrenberger


 

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