Frage: Warum Unauflöslichkeit der Ehe?


Kaum ein anderer Bereich der zwischenmenschlichen Beziehung hat mehr unter dem gesellschaftlichen Umbruch, der in den letzten Jahrzehnten stattfand, gelitten als das Gebiet der Ehe. Die Tatsache, daß in unserem Land heute annähernd jede dritte Ehe aufgelöst wird, belegt diesen traurigen Vorgang. Laut Statistik gehen auch nur ungefähr 50% der Brautleute die Ehe ein mit der Vorstellung und der festen Absicht, sie nach der bekannten kirchlichen Redewendung zu gestalten: “bis der Tod euch scheidet”. 

Zu dieser Entwertung der Ehe trägt sicherlich auch die sexuelle Freizügigkeit in unserer Gesellschaft bei. Zahlreiche außereheliche Beziehungen, (häufiger) Partnertausch, die Vergötterung von Sex - auch und gerade durch die Massenmedien - unterstützen und beschleunigen diesen Prozeß. Der Gedanke der Jungfräulichkeit und sexuellen Enthaltsamkeit steht bei einem großen Teil der Zeitgenossen - besonders bei den Jugendlichen - nicht geradezu hoch im Kurs. Warum dennoch an der Ehe und an ihrer Unauflöslichkeit festhalten? 

Bei der Beantwortung dieser Frage könnte man darauf verweisen, daß Jesus Christus die Ehe zur Würde eines Sakramentes erhoben hat, und daß sich in ihr die geheimnisvolle Beziehung Christus-Kirche widerspiegelt bzw. widerspiegeln soll (vgl. Eph 5, 21-32). Daraus ließe sich dann ohne weiteres die Unauflöslichkeit der Ehe ableiten. Wir wollen aber hier hauptsächlich auf Gedankengänge hinweisen, deren Wahrheitsgehalt auch ein Nichtchrist einsehen kann, ohne daß von ihm unbedingt ein christliches Glaubensbekenntnis vorausgesetzt werden muß. Jeder Mensch muß bzw. wird beim vorurteilsfreien Nachdenken erkennen, daß die Liebe an sich auf die Ganzheit ausgerichtet ist. Wenn man einen Menschen wirklich liebt, dann liebt man ihn ganz und allumfassend. Oder besser gesagt: man kann nur dann jemand wahrhaft lieben, wenn man ihn ganz liebt, ohne Wenn und Aber! Sonst kann von keiner (sittlichen) Liebe gesprochen werden. Die mit Bedingungen welcher Art auch immer behaftete “Liebe” einer anderen Person würde bedeuten, daß man der eigenen Liebe eine Grenze setzt, daß man nicht bereit ist, den Lebenspartner ohne jegliche Einschränkung zu lieben. In diesem Fall kann höchstens von einem (starken) Gefühl gesprochen werden, nicht aber von einer sittlichen Liebe, die die geliebte Person grenzenlos, bedingungslos liebt. Das Gefühl, die Emotionen kommen zwar zur Liebe hinzu, sie allein machen sie aber nicht aus. Die Liebe ist in ihrem Wesen eine Willenshaltung, die (manchmal/oft) auch von Gefühlen begleitet wird, was aber nicht unbedingt immer der Fall sein muß. 

Daraus wird ersichtlich, daß es keine sogenannte “Liebe bzw. Ehe auf Zeit” geben kann. Wenn jemand wirklich ernsthafte Interessen an einer anderen Person hat, dann wird er - nach reifer Überlegung - selbstverständlich auch bereit sein, freiwillig und mit Freude (!) die Verpflichtung zu übernehmen, den zukünftigen Ehegatten auf ewig zu lieben, “bis der Tod euch scheidet”. Die sittliche Liebe ist auf die Endgültigkeit der eigenen Entscheidung ausgerichtet! 


Die eheliche Bindung erscheint dann auch nicht als eine schwere und unangenehme Last, derer man sich möglichst erwehren soll. Nein, das entschiedene und jegliche Zeitspanne überdauernde willentliche “Ja” zum Ehegatten ermöglicht erst die volle Hingabe an die liebende Person, dieses “Ja” eröffnet erst die Tore zu einer ganzen und uneingeschränkten ehelichen Liebe, weil man sich in diesem Fall voll und ganz auf die liebende Person einläßt! Wie jede Tätigkeit oder jedes Hobby den Menschen innerlich nur erfüllen kann, wenn er sich damit eingehend und intensiv beschäftigt, ähnlich kann auch die persönliche Erfahrung über die Schönheit und den geistigen Reichtum der Liebe nur im Falle einer Ganzhingabe an die geliebte Person gemacht werden! Und diese (innere) Erfüllung geht auch bei weitem über das Maß hinaus, das einem die rein sexuelle Befriedigung bieten kann. 

Darauf sollten besonders die jungen Menschen achten. Trägt sich jemand mit dem Gedanken der Heirat, sollte er sich fragen, ob er bereit ist, diese Ganzhingabe an den geliebten Menschen zu leben, ob er willens ist, sich voll und ganz auf ihn einzulassen! Auch wäre zu fragen, ob der potentielle Ehegatte dieselben lauteren Absichten besitzt. Diese innere Qualitäten machen nämlich die geistige Schönheit und die Anmut eines Menschen aus! Für Paare, die sich gegenseitig selbstlos verschenken, stellt sich trotz gelegentlicher Meinungsverschiedenheiten überhaupt nicht die Frage nach einer eventuellen Ehescheidung. Liegt bei den Ehegatten wirklich Liebe vor, wachsen sie im Laufe der Zeit immer mehr zusammen und vertiefen ihre Beziehung. Dadurch wird bei ihnen auch jeglicher Gedanke an eine mögliche freiwillige Auflösung der Ehegemeinschaft im Keim erstickt. Denn sie lernen dann auch, mit den Unzulänglichkeiten des Ehegatten persönlich besser umzugehen. 

Dagegen können Menschen, der in einer “wilden Ehe” oder im Konkubinat leben, sich eben nicht ganz auf ihren Partner einlassen, weil diese Beziehungen mangels der Ganzheit und Endgültigkeit des (Ehe-)willens erheblich beeinträchtigt sind. (Weil dieses uneingeschränkte und endgültige "Ja" zum Partner (noch) nicht vorliegt, lehnt der christliche Glaube übrigens auch die voreheliche sexuelle Beziehung ab.) Sollten bei den Betreffenden tatsächlich ernste Absichten vorliegen, muß es in der Konsequenz früher oder später zu einer Entscheidung zugunsten der Ehe als einer ganzheitlichen und unauflöslichen Lebensgemeinschaft kommen. 

Auch in psychologischer Hinsicht ist das Festhalten an der Unauflöslichkeit der Ehe wertvoll. Wenn man weiß, daß kein Weg daran vorbeiführt, wieder vollen Frieden in der Beziehung zu schließen, “verspürt” man bei gelegentlichen Differenzen eine größere Veranlassung und Motivation, unbedingt wieder Ausgleich und Versöhnung herbeizuführen. Wenn aber die Option besteht, eventuell auch auseinanderzugehen, strengt sich der Mensch vielleicht doch weniger an, an einer positiven Lösung der Probleme zu arbeiten. 

Zum oben gezeichneten (christlichen) Verständnis der ehelichen Liebe gehört auch die unbedingte Treue zum Ehegatten. Nicht nur darf die Ehe zu Lebzeiten des Ehegatten nicht aufgelöst werden, auch ist es sittlich unerlaubt, die eheliche Liebe zwischen mehreren Personen aufzuspalten. Die ganze und ungeteilte Hingabe an den Ehegatten beinhaltet ebenfalls die (freiwillige) Bindung der speziellen ehelichen Liebe an eine Person, für die man sich entscheidet, und mit der man gemeinsam durch das Leben geht. Ein Seitensprung oder etwas dergleichen wird ausgeschlossen. Ohne Treue ist die seelisch-geistige Einheit der Ehegatten, die eindeutig Priorität vor der rein leiblichen Vereinigung hat, nicht möglich, ohne Treue kann es zu keiner allumfassenden Liebe kommen, ohne Treue verkommt diese zu einer bloßen Karikatur! Wollte man also dafür eintreten, die Ehe in moralischer Hinsicht grundsätzlich für auflösbar zu halten, würde dies die Verhinderung der ganzheitlichen und allumfassenden Liebe zwischen Mann und Frau bedeuten. 

Die christliche Sicht der Ehe und der ehelichen Liebe stellt kein bloß frommes Gerede dar - das Leben selbst bestätigt die Notwendigkeit des Festhaltens an der Unauflöslichkeit und Treue als den zwei der Wesenseigenschaften der Ehe. Lediglich andeutungsweise wollen wir hier darauf hinweisen, von wieviel Streit, Zwist und Aufregung eine Ehescheidung in der Regel begleitet wird. In welchem Umfang haben besonders die (unschuldigen) Kinder - auch beim “friedlichen” Auseinandergehen der Eltern - unter der Scheidung ihrer Eltern zu leiden!? Bei den betroffenen Erwachsenen hinterläßt sie ebenfalls eindeutig Spuren. Wenn ein Mensch den (inneren) Frieden einmal verloren hat, was eine Ehescheidung in der Regel mit sich bringt, läßt er sich bei ihm nicht leicht wieder finden. Eine große Enttäuschung belastet ja auch seelisch den Menschen. Durch das wachsende (ungesunde) Mißtrauen besteht die erhöhte Gefahr des Sich-Abschließens und der Vereinsamung. Als Folge wird dann auch die zwischenmenschliche Eintracht und der gesellschaftliche Friede in Mitleidenschaft gezogen. Scheinbar klein der Anfang, verheerend aber die Folgen! 

Das deutsche Wort “Ehe” entspringt ethymologisch der indogermanischen Wurzel è, èwe, was dem griechischen aiwn und dem lateinischen aevum gleichkommt und soviel wie “unbegrenzte Zeit, Ewigkeit” oder “Lebenszeit, Leben” heißt. Dies deutet darauf hin, daß die Ehe eine ernste Sache ist, mit der man nicht beliebig herumspielen darf. So wollen auch wir in uns das Bewußtsein über ihre Erhabenheit und Heiligkeit erhalten und die Anliegen der Ehe und der Familie in unser Gebet einschließen. 

 

P. Eugen Rissling



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