Der heilige Nikolaus
 


Wie bei kaum einem anderen Heiligen ist beim heiligen Nikolaus das Andenken an seine vollkommene Heiligkeit in volkstümlicher Weise erhalten geblieben. Von diesem Bischof von Myra muß eine gewaltige Ausstrahlung ausgegangen sein, ja in ihm wird bis heute das Ideal des guten Hirten und das Abbild der Vaterliebe Gottes in überzeugender Weise sichtbar.

Diese seine Güte, vor allem den Notleidenden gegenüber, ist in zahlreichen Überlieferungen verbürgt. Am bekanntesten ist bei uns seine Darstellung als Bischof mit drei goldenen Kugeln auf dem Arm, welche an seine großzügige Hilfe gegenüber den drei Töchtern eines verarmten Witwers erinnern, die aus Geldmangel in ein schlechtes Fahrwasser zu geraten drohten und denen Nikolaus durch das heimlich durchs offene Fenster geworfene Gold eine ehrbare Heirat ermöglichte.

Die älteste uns heute bekannte Lebensbeschreibung des heiligen Nikolaus geht auf Michel Archimandrit zurück, der in der Zeit zwischen 814 und 842 schrieb und der nach eigenen Aussagen auf alte Berichte zurückgriff. Schon um das Jahr 565 berichtet eine Lebensbeschreibung des heiligen Nikolaus von Sion, wie das Volk von Lykien den heiligen Bischof Nikolaus von Myra durch volkstümliche Feiern zu seinem Festtag ehrte, und daß sein Todestag am 6. Dezember von alters her feierlich begangen wurde. Es ist dort auch die Rede von der dem Heiligen zu Myra geweihten Kirche. Ebenso interessant ist es, daß, nachdem man den Kindern seit dem Ende des 4. Jahrhunderts die Namen von Heiligen zu geben pflegte, man in Lykien Anfang des 5. Jahrhunderts auffallend häufig den Namen “Nikolaus” wählte. Nikolaus war also schon damals ein echter “Volksheiliger”. 

Seine Bischofsstadt Myra lag an der Küste von Lykien im Süden der heutigen Türkei, zwischen der Insel Rhodos und dem Golf der heutigen Stadt Antalya. Der heilige Paulus hatte in diese Gegend die frohe Botschaft gebracht, und Myra war eine Station auf seiner Reise als Gefangener nach Rom (Apg. 27,4-6). Nikolaus war Bischof dieser Stadt im 4. Jahrhundert. Dieses Jahrhundert war geprägt von den letzten großen Christenverfolgungen im Römischen Reich, der beginnenden Freiheit für die Kirche und den ersten großen theologischen Kämpfen und Irrlehren, welche die Kirche beinahe verwüsteten. Verschiedenen Biographen zufolge nahm Nikolaus - als Zeitgenosse des heiligen Athanasius - auch am Konzil von Nicäa (325 n. Chr.) teil, welches die Gottheit Jesu Christi gegen die damaligen Angriffe entschieden verteidigte. 

Der heilige Nikolaus muß schon vor seiner Wahl zum Bischof ein auffallend frommer und gütiger Mann gewesen sein. Als Kind soll er seinen Altersgenossen weit voraus gewesen sein und von sich aus schon die Fastengebote der Kirche erfüllt haben. Seine Eltern lebten nach Michel in Patara westlich von Myra und waren ihrer Frömmigkeit wegen wohlbekannt. Nikolaus verlor sie sehr früh, erhielt jedoch durch das Erbe die Möglichkeit, arme Menschen zu unterstützen. Seine Wahl zum Bischof soll sich nach Michel und den alten Biographen folgendermaßen zugetragen haben: Nach dem Tod des Bischofs von Myra hatten sich die Bischöfe aus der Umgebung versammelt, um einen Nachfolger zu weihen. Da hatte einer von ihnen des Nachts einen Traum, in dem ihm gesagt wurde, daß derjenige, der in der folgenden Nacht als erster die Kirche besuche, zum Bischof geweiht werden solle. Sein Name sei Nikolaus. Als der Bischof sich in der Nähe der Türe aufstellt, kommt Nikolaus herein. “Wer bist du?” fragt ihn der Bischof. “Ich bin der Sünder Nikolaus, Diener Eurer Heiligkeit, o Herr!” antwortet dieser. Ob dieses göttlichen Zeichens bleibt den anwesenden Bischöfen nichts anderes übrig, als den Erwählten zu weihen. Nikolaus beteuert seine Unwürdigkeit, doch auch die Gemeinde der Gläubigen stimmt zu. Und er wird seiner Herde ein treusorgender Vater. Während in Lykien Hungersnot herrrscht und in Andriake, dem Hafen von Myra, alexandrinische Schiffe mit Korn für die Hauptstadt Konstantinopel anlegen, eilt Bischof Nikolaus dorthin, um von den Seeleuten Korn für seine hungernden Mitbürger zu erbitten. Und obwohl diese darauf hinweisen, daß dies unmöglich sei, da das Korn beim Verladen genau gewogen worden sei und sie alles getreulich in Konstantinopel abliefern müßten, erwidert ihnen Nikolaus: “Tut, was ich euch sage, und ich verspreche euch, daß ihr keine Gefahr lauft!”

Sie willigen ein. Jedes Schiff gibt hundert Scheffel ab. Als die Ladung jedoch in Konstantinopel gewogen wurde, stimmte das Gewicht genau und die Schiffer priesen den heiligen Diener Gottes. Auch in Myra reichte das von Nikolaus verteilte Getreide wunderbar für zwei Jahre und noch lange zur Aussaat. 

Die Wundermacht des Bischofs von Myra muß ungeheuer groß gewesen sein. Selbst aus der Ferne wird Nikolaus schon zu Lebzeiten öfter um Hilfe angerufen. So flehen einmal Schiffer in großer Seenot zu dem heiligen Bischof, von dessen Ruhm sie gehört hatten. Nikolaus erscheint ihnen, macht ihnen Mut, greift ein und rettet das Schiff und seine Mannschaft. Und nach ihrer Ankunft in Myra erkennen sie in der dortigen Kirche den ihnen bis dahin unbekannten Bischof wieder, dem sie von Herzen danken. Und Nikolaus ermahnt sie zu einem heiligen Lebenswandel.

Eine in der westlichen Kirche weniger bekannte Überlieferung berichtet von drei Feldherren, welche auf ihrem Weg nach Phrygien durch Myra kamen und dort von Bischof Nikolaus, nachdem er einen Streit zwischen den Soldaten und den Einwohnern der Stadt geschlichtet hatte, als seine Gäste eingeladen wurden. Da stürmen Bürger von Myra zu ihrem Bischof und berichten, daß man eben drei Unschuldige zur Hinrichtungsstätte führe, die wegen der Bestechlichkeit des Richters ungerecht verurteilt worden waren.

Nikolaus läßt alles liegen und stehen und eilt mit den Feldherrn zur Hinrichtungsstätte. Er entreißt dem Henker das Schwert, er löst den Verurteilten die Bande und begibt sich mit ihnen zum Gouverneur. Es gelingt ihm, die Bestechung aufzudecken, die Verurteilten sind gerettet.

Die drei Offiziere sind beeindruckt und erbitten den Segen des Bischofs für ihren Auftrag in Phrygien, wo sie entstandene Unruhen beenden und die Ordnung wiederherstellen sollen. Sie haben Erfolg, sie können sich dieses Auftrags ohne Blutvergießen entledigen.

Doch bald werden auch sie durch Neider verleumdet, vom kaiserlichen Präfekten des Verrates angeklagt und schließlich sogar zum Tode verurteilt. Da erinnert sich einer der Offiziere im Kerker des mutigen Eintretens von Bischof Nikolaus für die Gerechtigkeit, und gemeinsam rufen sie ihn um seine Fürsprache bei Gott in ihrer verzweifelten Lage an. Und Nikolaus erscheint dem Kaiser Konstantin in der Nacht. Er gibt sich als Bischof Nikolaus von Myra zu erkennen und fordert die Freilassung der drei unschuldig verurteilten Männer. Ebenso spricht er zum kaiserlichen Präfekten. 

Am nächsten Morgen schickt der Kaiser zum Präfekten und läßt die Gefangenen zu sich kommen. Da bestätigt auch der Präfekt diese Vision. Der Kaiser fragt die Gefangenen nun nach Nikolaus, und die Offiziere berichten ihm voller Begeisterung, was dieser heilige Mann getan hatte. Da läßt sie der Kaiser frei und gibt ihnen Geschenke an den Heiligen mit. Sie eilen nach Myra und danken Gott und dem heiligen Bischof für ihre wunderbare Rettung...

Wer so schon zu Lebzeiten zum Patron und Fürsprecher der in Not und Elend Geratenen geworden ist, wird der nicht auch nach seinem Tod mit um so größerem Vertrauen angerufen werden? Nikolaus bleibt der geliebte Patron aller Notleidenden. Er lebt im Andenken des Volkes, für alle ist er ein Mann von wahrer Heiligkeit. Die strenge Askese, die Nächte, welche er im Gebet verbringt, vor allem aber sein großes, mitfühlendes Herz, das sich jeder Not annimmt und keinen Bittenden zurückweist, bleiben unvergessen. Es wird überliefert, daß er auch den Artemistempel in Myra zerstört habe, was sich zeitlich nachvollziehen läßt.

Ein großes Wunder bewegt bald alle Herzen: Aus seinem Grab fließt ein wohlriechendes Öl, und schnell wird bekannt, wie Kranke dadurch geheilt werden! Nikolaus ist und bleibt der Helfer in allen Nöten! Wer wollte sich nicht an ihn wenden? Nach seinem Tod reißen die Berichte über seine spürbare Hilfe in den verschiedensten Anliegen nicht mehr ab: Wunderbare Bekehrungen von Andersgläubigen, die Umkehr von Sündern von schlechten Wegen, die Wiedererweckung von Toten - alles vermag er bei Gott zu erwirken!

Mehr und mehr Darstellungen des heiligen Bischofs finden sich in den Kirchen des Erdkreises. Sein Bild erscheint auf zahlreichen Siegeln. Von hundert byzantinischen Bullen, welche das Bild eines Heiligen tragen, weisen mindestens fünfzig das Bild des heiligen Nikolaus auf. Er erhält einen Platz neben den berühmtesten Kirchenvätern, neben dem heiligen Johannes Chrysostomus und dem heiligen Basilius, obwohl wir nicht eine einzige Zeile von ihm besitzen und er sein Andenken lediglich durch seine Wohltaten fortlebt. Doch kann es eine größere Auszeichnung geben?

Nach dem Sieg der Türken über die Byzantiner im Jahre 1071 verließen die Einwohner von Myra die Stadt und flohen in die Berge. 1087 entschließen sich Kaufleute aus Bari, die Gebeine des heiligen Nikolaus zu entführen und sie in ihre Heimatstadt zu bringen. Dort wird eine neue Kirche für diese Reliquien gebaut, und bald ist Bari zu einem Heiligtum geworden, das fast so viele Pilger wie Rom oder der heilige Jakobus in Compostela anzieht. Denn das Wunder der Flüssigkeit, die aus dem Gefäß mit seinen Gebeinen tropft, hat sich erneuert. Dieses “Manna di San Nicola” wird bis in unsere Zeit jeden Morgen von einem Priester mit dem Schwamm aufgesogen und für die Gläubigen zur Verteilung aufbewahrt. Der 8. Juni und er 9. Mai, die Tage der Übertragung der Gebeine, sind in Bari zu regelrechten Volksfesten geworden, an denen Sankt Nikolaus von tausenden Menschen besucht und verehrt wird und wo die Gebeine des Heiligen unter großer Anteilnahme durch die Stadt und aufs Meer hinausgetragen werden. 

Und wenn auch manches aus dem Leben des heiligen Nikolaus scheinbar im Dunkel der Geschichte versunken ist, so schenkt er doch bis heute Kindern und Erwachsenen eine wertvolle - manchmal die erste und einprägsamste - Begegnung mit der Heiligkeit Gottes und gibt uns ein Beispiel dafür, was das Leben in der Liebe Christi eigentlich bedeutet.


Wer sich näher mit dem heiligen Nikolaus beschäftigen möchte, sei auf das Büchlein von Jeanne Ancelet-Hustache verwiesen: Der hilfreiche Bischof, Heidelberg 1965, wo sich auch weitere Literaturangaben finden.


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