Das Leiden Jesu am Kreuz von Limpias

  Vor 90 Jahren ging eine merkwürdige Meldung um die Welt: Seit dem 30. März 1919 habe sich in der Kirche eines kleinen Dorfes an der Nordküste Spaniens Jesus am Kreuz in lebendiger Gestalt gezeigt. Der Gekreuzigte soll seinen Gesichtsausdruck, Seine Blickrichtung und Seine Haltung am Kreuz immer wieder verändert haben, und zwar nicht nur vor einem oder einigen, sondern auch vor vielen Menschen!
Die Berichte klangen so außergewöhnlich, dass bald viele private und öffentliche Untersuchungen eingeleitet wurden. Man ging vielfach zunächst von einer optischen Täuschung aus, die durch entsprechende Lichtverhältnisse ausgelöst worden sein könnte, oder von einer Art Massensuggestion oder -hysterie usw.
Alle diese Hypothesen hielten aber den tatsächlichen Untersuchungsergebnissen nicht stand. Menschen, welche in belustigter, überheblicher oder auch nur vorschneller Weise die Vorkommnisse zu Limpias als Humbug widerlegen wollten, sahen sich zu Füßen des Gekreuzigten plötzlich selbst widerlegt und wurden durch die überraschenden Eindrücke ihrer eigenen Beobachtungen in ihrem Herzen total umgewandelt.
Die Ereignisse lösten ein weltweites Interesse aus, so dass im Jahr 1921 die Zahl der ausländischen Pilger und Touristen in Limpias jene von Lourdes bereits übertraf! Am 20. Juli 1920 eröffnete der Bischof von Santander, zu dessen Diözese Limpias gehörte, einen kanonischen Prozess zur Untersuchung der Ereignisse, ein Jahr und ein Tag später folgte die praktische Anerkennung, indem zunächst für einen Zeitraum von sieben Jahren allen Gläubigen die Gewinnung eines vollkommenen Ablasses ermöglicht wurde, die den Gekreuzigten besuchten.
Wunder wurden nicht nur am Christusbild selbst beobachtet, viel größere Wunder ereigneten sich seelisch und leiblich an den Besuchern selbst. Überraschend war die große Zahl von Heilungen, nicht nur in Limpias, sondern vor allem auch überall dort, wo Pilger die am Kreuz zu Limpias berührten Gegenstände zu Hause ihren kranken Angehörigen oder Bekannten auflegten! Schon im Juli 1920 gab es mehr als 1000 medizinisch bestätigte Heilungen!
Ein Zeitgenosse berichtet: „Limpias ist ein Städtchen von 1500 Einwohnern in der Landschaft Santander des nördlichen Spaniens. Dort hängt in der alten Pfarrkirche über dem Tabernakel ein Kruzifix, 'Der heilige Christus von der Todesangst' genannt. Das Bild dürfte aus dem 17. Jahrhundert herrühren, ein Kaufmann in Cadiz habe es um die Mitte des 18. Jahrhunderts, nachdem es sich dort gegen das verheerende Meer als wundertätig erwiesen, der Kirche seiner Heimat Limpias geschenkt. In den letzten Jahrzehnten wurde dem Bilde keine besondere Verehrung zuteil; religiöse Lauheit und Gleichgültigkeit hatten sich bei den Bewohnern Limpias so eingenistet, dass der greise, tugendhafte Pfarrer oft mit dem Ministranten allein das Messopfer feiern musste und er die Kirche ganz schließen und die Schlüssel dem Bischof zurückgeben wollte. Erst nach Einführung der Kongregation der Marienkinder war das Heiligtum weniger verlassen. Auch nahm eine Mission in der Fastenzeit 1919 einen segensreichen Verlauf.
Bei der letzten Predigt am 30. März schrie plötzlich ein kleines Mädchen: 'Pater, der heilige Christus bewegt sich, der heilige Christus schaut mich an'. Man beruhigte das Kind, aber gleich erhob sich ein zweites, ein drittes – bald hörte man nur mehr das allgemeine, laute Rufen und Flehen in Reue und Schmerz um Gnade und Barmherzigkeit. Die Blicke des sterbenden Heilandes in seiner Todesangst am Kreuze waren zur hinreißenden Predigt geworden.
Seit diesem Tage hielten wunderbare Erscheinungen an diesem Kruzifix viele Leute in Spannung, zunächst die Bewohner von Limpias und der Umgebung, bald drang die merkwürdige Kunde in immer weitere Kreise. Schon im letzten Jahre (1920? Anm.) kamen bei 200 000 Personen nach Limpias, teils um das wundertätige Bild zu verehren, teils um die Neugierde zu befriedigen, teils um den vermeintlichen neuen Aberglauben zu bekämpfen. Es kamen Ungläubige und Spötter, Priester und Bischöfe, Gelehrte und Doktoren; Männer der Wissenschaft kamen eigens zu dem Zwecke, die Erscheinungen scharf zu beobachten und genau zu prüfen.
Sehen wir uns zunächst das natürliche Bild etwas an. Der Körper des Gekreuzigten ist von künstlerischer Schönheit, ohne Verrenkung und Verzerrung, das erhobene Haupt trägt eine natürliche Dornenkrone, die Haare wallen auf die Schultern herab, die brechenden Augen sind gegen den Himmel gerichtet, die vertrockneten Lippen sind etwas geöffnet; namenlose Schmerzen des Leibes und Qualen der Seele, welche dem sterbenden Heilande die Worte erpressen: 'Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?' sprechen tief ergreifend aus dem edlen Antlitz.
Worin bestehen nun die Wunder an diesem Bilde? Nach den verschiedenen Beobachtungen ergibt sich folgende Antwort:
'Der heilige Christus nimmt Leben an, leidet und stirbt von neuem am Kreuze, so wie es geschah auf dem Kalvarienberg: Bald bewegt er die schmerzerfüllten Augen, bald das dornenumkrönte Haupt nach allen Seiten, bald die dürstenden Lippen. Der Ausdruck des Angesichtes ändert sich tief ergreifend, indem es von der gewöhnlichen Farbe in die dunkelblaue, dann in die erdfahle und leichenblasse übergeht. Der Körper bedeckt sich mit Todesschweiß. Hellrotes Blut dringt aus seinen Wunden, besonders unter der grausamen Dornenkrone hervor und tröpfelt auf Angesicht, Schultern und Brust herab. Der halbgeöffnete Mund füllt sich mit Schaum und Blut, und bisweilen quillt auch ein frischer Blutstrahl aus Seiner heiligen Seitenwunde.'
Diese Wunder aber werden weder zu jeder Zeit, noch von allen Besuchern der Kirche, noch in der gleichen Weise wahrgenommen. Obwohl sie häufig sich wiederholen, so vergehen auch Tage, an denen sie sich nicht zeigen, selbst wenn große Prozessionen vor dem Wunderbild auf den Knien liegen. Viele sehen einen oder mehrere Züge aus der Todesangst, andere, darunter besonders Ärzte und Studenten der Medizin, werden gewürdigt, den ganzen Verlauf des qualvollen Hinscheidens Jesu zu schauen... es kommen wunderbare Krankenheilungen vor, doch weit mehr Wunder an der Seele. Viele Ungläubige und Sünder fallen hier reumütig auf die Knie und ziehen bekehrt von dannen. Limpias selbst ist wie umgewandelt“ (aus dem alten, ohne Jahresangabe erschienenen Büchlein von Walser, Josef, Pfarrer i.R., Der heil. Christus von der Todesangst oder Das wundertätige Kruzifix zu Limpias in Spanien, Höchst/Vorarlberg, S. 3ff.).
Andere, genauere Berichte geben an, dass zunächst einige Kinder im Beichtstuhl einen Pater aufmerksam gemacht hätten, dass Christus über dem Altar die Augen geschlossen habe. Nach der Predigt des anderen Priesters über den Vers aus dem alttestamentlichen Buch der Sprüche (23, 26) „Schenk mir, mein Sohn, dein Herz, dass meine Wege deinen Augen wohlgefallen“ habe er dann diesen aufmerksam gemacht, und nach einem lauten Ausruf aus dem Volk seien alle voll Ergriffenheit, Staunen und mit Flehen auf die Knie gefallen.
Diese Erscheinung wurde schnell im weiten Umkreis bekannt, und so kamen am Palmsonntag, dem 13. April 1919, auch zwei prominente Personen von Limpias zum Altar, welche die Berichte als Ausflüsse von Massensuggestion oder sonstigen Haluzinationen hielten. Als jedoch auch vor ihnen der Mund und die Augen Christi sich bewegten, fielen auch sie auf die Knie und baten um Vergebung.
Am 20. April 1919, dem Ostersonntag jenes Jahres, wurde von Ordensschwestern während des Rosenkranzgebetes Ähnliches zum dritten Mal beobachtet. Und vom 24. April jenes Jahres an zeigten sich die Erscheinungen schließlich fast täglich. Viele Personen berichteten, dass sie Jesus angeschaut haben, manche mit durchdringendem, andere mit traurigem Blicke. Viele sahen Tränen in Seinen Augen, andere beobachteten Blutstropfen aus den Wunden rinnen, wieder andere sahen den Blick Christi von einer zur anderen Seite und über die ganze Volksmenge wandern, oder auch, wie Schweiß Seinen Körper bedeckte. Der Pfarrer des Ortes stieg deshalb einmal, nachdem sich die Menschenmenge aus der Kirche wieder verlaufen hatte, eigens mit einer Leiter zum Kreuz empor und stellte dort fest, dass der Körper Christi tatsächlich mit Schweiß bedeckt war.
Es wurde auch bekannt, dass bereits im August 1914 ein Professor des Kollegs Sankt Vinzenz von Paul, Pater Antonio López, der wegen Arbeiten an der elektrische Beleuchtung ebenfalls mit einer Leiter zum Altar hinaufgestiegen war, die sonst geöffneten Augen des Gekreuzigten aus nächster Nähe geschlossen vorgefunden hatte und darüber sehr beunruhigt war. Er hatte auf Bitten seines Vorgesetzten den Vorfall allerdings nur niedergeschrieben und bis zur Veröffentlichung seines Berichtes am 16. März 1920 Stillschweigen bewahrt.
In der Sakristei von Limpias werden über 8000 Zeugnisse über die verschiedenen erstaunlichen Vorkommnisse aufbewahrt, 2500 davon wurden unter Eid abgegeben. Unter den Augenzeugen befinden sich Ordensleute, Priester, Ärzte, Professoren, Advokaten, Beamte, Viehzüchter, Kaufleute, auch Ungläubige und Atheisten.
Hier einige Beispiele von Augenzeugenberichten: Der Kapuzinerpater Celestino Maria de Pozuelo schreibt über seinen Besuch am 29. Juli 1919: „Das Angesicht zeigt einen lebhaft schmerzerfüllten Ausdruck, der Körper ist bleich als ob er grausame Geißelhiebe erhalten hätte und ganz in Schweiß gebadet...“
Pater Valentin Incio von Gijon schreibt: „Als ich ankam, schaute ich unseren Herrn, als ob er lebendig wäre... Seine Augen waren voll Leben und sahen in verschiedene Richtungen... der bewegendste Moment von allen: Jesus richtete Seinen Blick über uns alle, aber in einer so süßen, milden, ausdrucksvollen, liebevollen und göttlichen Weise, dass alle Anwesenden auf die Knie fielen und wir zu Christus flehten und Ihn anbeteten... Unser Herr bewegte Seine Augen und Lider weiter, welche glänzten wie wenn sie von Tränen voll wären, und Er bewegte Seine Lippen als ob Er etwas sagte oder betete...“. Dieses Geschehen bezeugten drei Priester, zehn Seemänner und eine Frau, die dabei waren.
Am 15. September 1919 erzählten zwei Bischöfe und achtzehn Priester, was sich zugetragen hatte, als sie vor Jesus am Kreuz niederknieten:
„Wir alle sahen, dass das Gesicht Christi noch trauriger wurde. Auch Sein Mund war mehr als sonst geöffnet. Seine Augen wandten sich mild zu den Bischöfen und dann Richtung Sakristei. Seine Gesten nahmen gleichzeitig den Ausdruck eines Menschen an, der ums Überleben kämpft.“
Am 24. Dezember 1919 sah der Beichtvater der Kirche del Pilar in Zaragoza, Don Manual Cubi, in Begleitung einer Gruppe von Personen, Christus im Todeskampf:
„Unser Herr versuchte sich vom Kreuz mit heftigen und krampfartigen Bewegungen zu lösen, dann erhob Er Sein Haupt, bewegte Seine Augen und schloss Seinen Mund. Gelegentlich konnte ich Seine Zunge und Zähne sehen. Für ungefähr eine halbe Stunde zeigte Er uns, wieviel Ihn unsere Erlösung gekostet hat und wieviel Er für uns im Augenblick Seiner Verlassenheit am Kreuz gelitten hat.“
Einige Jahre später hörten die öffentlichen Phänomene gänzlich auf. Wir wissen nicht, warum. Waren die Erscheinungen ein Zeichen für eine besondere Zeit? Die Gnaden des Gekreuzigten hören jedoch niemals auf. Viele Wallfahrer wie Neugierige suchen den Gekreuzigten von Limpias auch heute noch auf, angezogen nicht nur von der Kunde der wunderbaren Ereignisse, sondern auch von der Schönheit und Ausdruckskraft des gekreuzigten Christus, der übrigens dem Bild, das sich auf dem Grabtuch von Turin findet (siehe Artikel zum Thema Grabtuch), überraschend ähnlich erscheint.
Da Christus am Kreuz uns nicht nur Sein Leiden, sondern vor allem Seine Liebe vor Augen stellte, sollten auch wir aus tiefstem Herzen diese Liebe durch unser Leben hindurch erwidern! Eine kleine Hilfe dazu mögen einige Gebete sein, die uns helfen, uns mit unserem leidenden Heiland am Kreuz zu vereinigen, besonders jetzt in der vorösterlichen Bußzeit. Sich im Geist mit dem Leiden Christi in Liebe zu vereinigen ist ja weitaus wertvoller für uns, als außergewöhnlicher Bilder gewürdigt zu werden.

Thomas Ehrenberger

Lit.: Walser, Josef, Pfarrer i.R., Der heil. Christus von der Todesangst oder Das wundertätige Kruzifix zu Limpias in Spanien, Höchst/Vorarlberg, ohne Jahresangabe


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