Betrachtung über die Todesangst Jesu im Ölgarten.


„In jener Zeit ging Jesus nach seiner Gewohnheit hinaus an den Ölberg; es folgten Ihm aber auch die Jünger dahin nach. Und als Er an den Ort gekommen war, sprach Er zu ihnen: „Betet, dass ihr nicht in Versuchung fallet.“ Und Er entfernte Sich von ihnen einen Steinwurf weit, Kniete nieder und betete und sprach: „Vater, willst Du, so nimm diesen Kelch von Mir, doch nicht Mein Wille, sondern Dein Wille geschehe.“ Es erschien Ihm aber ein Engel vom Himmel und stärkte Ihn. Und als Ihn Todesangst befiel, betete Er länger. Und Sein Schweiß ward wie Tropfen Blutes, das auf die Erde fiel .„(Lk 20, 39-44.)

Die Jünger, die soeben mit Ihm getrunken haben aus dem Kelche der Liebe, sollen bald auch trinken aus dem Kelche der Leiden. Große Prüfungen standen ihnen bevor; daher warnt der Herr sie und mahnt zur Wachsamkeit und zum Gebete. In Wachen und Gebet erwartet Er selbst sein Leiden. An den Ort, wo dasselbe beginnen soll, nimmt Er nur die drei Apostel mit, die Zeugen seiner Verklärung auf Tabor gewesen sind. Sie werden am ersten es ertragen können, Ihn in der ganzen Schwachheit seiner menschlichen Natur zu sehen. Doch entfernt Er Sich auch von ihnen; Er weiß, dass im Ansturm der schwersten Leiden menschlicher Trost versagt und einzig bei Gott im Gebete Trost und Stärke zu finden ist. Er zaget, Er klaget in schwerer Seelenangst; doch wendet Er Sich stets wieder zum Gebete, um uns zu zeigen, wie wir in Geduld und Liebe leiden können.

Nichts, sagt St. Augustinus, kann uns größere Ursache geben, die göttliche Liebe unseres Heilandes zu bewundern, als diese Traurigkeit, diese Angst. Ihm genügte nicht, meine Natur anzunehmen, Er nahm auch meine Empfindungen an. Er legte von Sich ab die Wonne ewiger Gottheit und ließ Sich anfechten vom Schmerz über meine Schwachheit. - Meine Seele ist betrübt bis in den Tod. Sobald Er also sprach, war jede Freudigkeit aus seinem Herzen verschwunden, alles in Ihm finstere Nacht. Trauer und Angst stürmten so gewaltig auf Ihn ein, dass Ihm der Angstschweiß ausbrach, das Merkmal eines tödlichen Kampfes; und so mächtig ward auch sein heiliger, zarter Leib erschüttert, dass selbst Blut hervordrang, wie die Kelter den Wein preßt aus den gebrochenen Trauben. Ihn im prophetischen Bilde schauend, redete darum Isaias Ihn schon an: Warum ist Dein Kleid so rot und Dein Gewand wie das eines Keltertreters? Ich trat die Kelter, ich allein, und von den Völkern stand mir niemand bei (Is. 63). Sankt Bernhard nennt diesen Angstschweiß blutige Tränen, die nicht mehr bloß aus den Augen erquollen, sondern aus dem ganzen Leibe. Ein kostbarer Morgentau, der herniederrann auf die fluchbeladene Erde, ihr wieder den Segen zu bringen.

Dreimal wiederholte Jesus dasselbe Gebet, nicht allein seinetwegen, sondern auch uns zum Beispiel, dass wir nicht wanken dürfen im Vertrauen und nicht nachlassen im Gebete, wenn sich auch nicht sogleich Erhörung zeigt. Anlaß zu der dreimaligen Todesangst mochte eine dreifache Reihe von Bildern sein, die vor seiner Seele vorüberzogen und auf sie einstürmten.
 

1. Es stiegen vor Ihm auf die Sünden der ganzen Welt, von den sinnlichen Gelüsten und dem undankbaren Ungehorsam des ersten Menschen bis zu dem Frevel des letzten, den der Gerichtstag überraschen wird. Er sieht, wie unrecht die Menschen handeln gegen die ewige Gerechtigkeit, wie undankbar gegen die unergründliche Liebe, wie hartnäckig boshaft gegen die unbegreifliche Barmherzigkeit und Langmut. Er sieht allen Dingen auf den Grund und darum auch das innerste Wesen einer jeden Sünde; wie abscheulich, unaussprechlich boshaft sie ist, welchen Greuel sie anrichtet in der Seele und im Leben. Gott hasset unaussprechlich jedes Unrecht; allein es kann Ihm nichts anhaben, Seine Glückseligkeit keinen Augenblick trüben. Jesus sieht mit göttlichen Augen alle Abscheulichkeiten, die jemals die finstere Nacht ausgebrütet hat; sie dringen auf Ihn ein gleich Schreckensgestalten und erfüllen Ihn mit Entsetzen.

Noch mehr. Alle diese Sündengreuel soll Er auf Sich nehmen, weil Er Sich ja erboten hat, das Opferlamm für die Sünden der Welt zu sein. „Unser aller Frevel hat der Herr auf Ihn gelegt; unsere Missetaten hat Er getragen“ (Is. 52). Wenn eine einzige Sünde den Kain dermaßen in Angst versetzte, dass Er nirgends Ruhe fand, wenn den unseligen Verräter Judas die innere Qual zum Selbstmord trieb, was wird erst der Herr in Gethsemane ausgestanden haben, da Er Millionen und Abermillionen Sünden der ganzen Welt auf Seine Schultern nehmen sollte!


2. Es steigen vor seiner Seele auf die Bilder seines bitteren Leidens, das Ihm so nahe bevorsteht. Es ist vorgekommen, dass Menschen aus Furcht gestorben sind, und der Tod aus Furcht soll ganz besonders schmerzvoll sein. Wenn etwas unvermutet kommt, so ist das viel weniger hart, als wenn man es langsam heranrücken sieht. Wie dankbar müssen wir Gott sein, dass Er die Zukunft, z. B. die Todesstunde, vor uns verborgen hat! Vor den Augen Jesu ziehen schon die Bilder seines Leidensweges vorüber. Die Marterwerkzeuge, die blutgierigen Feinde, die grausamen Henker, die Backenstreiche, der Schandpfahl, alles peinigt Ihn schon im voraus. Hier verkostet Er im Geiste auf einmal, was dort nach und nach über Ihn kommt. Die Gerechtigkeit des Vaters wälzt den ganzen Berg der Sünden auf Ihn; und Er sieht Sich verlassen vom Vater, als den Auswurf der Menschheit mit den Strafen aller Verbrecher beladen; den ganzen Kelch innerer und äußerer Leiden muß Er nun auf einmal trinken, so sehr Ihn davor schaudert. In seinem Herzen wogt ein Meer von Bitterkeit.
 

3. Es tritt vor Seine Seele der breite Weg, der zum Verderben führt, auf dem so viele wandeln und wandeln werden, für die Er ebenfalls sein Blut vergoß, und die Er trotzdem nicht retten kann. Auch sie, die verlorenen Seelen, liebt Er mehr als eine Mutter ihr einziges Kind; sie aber treten sein Blut mit Füßen, kehren Ihm den Rücken und verachten Seine Erlöserliebe. Er wird für jeden von ihnen den Kelch der Leiden bis zu Hefe austrinken, aber vergebens.

Und nun besinne dich einmal: wie standest du damals in der Schmerzensnacht vor dem geistigen Auge deines Erlösers? Auch deine Sünden sah Er schon vor Sich, von der geringsten bis zur schwersten, alle, auch die du längst vergessen hast, die du noch begehen wirst; Er erblickte sie, und es erfaßte Ihn Todesschrecken. Dich läßt das Gedächtnis deiner Sünden kalt, weil du zu blind und stumpf bist, ihre wahre Natur zu begreifen. Dir jagt die Sündengefahr keinen Schrecken ein, du stürzest dich so oft mutwillig in die Gelegenheit und bringst das Gewissen zum Schweigen. Schau auf den Schmerzensmann, der in Gethsemane auf seinem Angesicht liegt und für dich betet, der mit seinem Blutschweiß die Erde netzt aus Angst wegen deiner Sünden, wegen der Gefahr deiner unsterblichen Seele! Betrachte Ihn, wenn du Reue erwecken willst; schau auf Ihn, wenn dich die Versuchung reizt. Es kommt ein Tag, an dem auch dir die Sinne vergehen, der kalte Angstschweiß auf der Stirn lagert, die Sünden deines Lebens noch einmal, zum letztenmal, an deiner Seele vorüberziehen und du vor Not und Elend verzagen möchtest. Denke schon jetzt manchmal an diese deine letzte Stunde und bete aus der Tiefe des Herzens:

„durch deine Todesangst in Gethsemane hilf uns, o Herr, in unserer Todesangst! Dann erbarme dich unser, o Jesu! Der du für uns Blut geschwitzet hast.“


(Aus: Leonhard Goffine, Handpostille, 1922, 127ff.)

 

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