“Für die Wahrheit Zeugnis geben!”

■ Als Abiturient unterhielt ich mich einmal im Zug mit einem jungen moslemischen Araber über das Thema Religion. Dabei brachte er ernsthaft das Argument ins Spiel, der Islam sei deswegen die richtige Religion, weil ja die Zahl der Moslems weltweit zunehme und die Zahl der Christen abnehme. Nun, es muss hier wohl nicht lang darüber diskutiert werden, dass dies unter keinen Umständen ein sachliches Argument ist, da ja bei Gott grundsätzlich nicht die Zahlen und die Menge, die Quantität, sondern die göttlich offenbarte Wahrheit, sozusagen die Qualität, zählt! Und mit Mathematik oder irgendwelchen sonstigen Rechnungen lässt sich die alles entscheidende Wahrheitsfrage ganz sicher nicht lösen.
Auch wenn uns, den Christen, dies im Prinzip klar sein dürfte, dürfen wir dennoch nicht meinen, wir würden gefeit sein gegen die Versuchung, bisweilen wenigstens ansatzweise in dieselbe Richtung zu denken, wie jener junge Mann. Denn die Frage nach dem Erfolg bzw. Misserfolg beeinflusst doch stärker unser ganzes Denken bzw. das Werturteil, als es uns lieb wäre bzw. als wir es uns vielleicht eingestehen wollen.
So neigen wir doch in Fragen der Wahrheitssuche und Religion sehr gern dazu, anzunehmen, wir hätten Recht und würden uns auf dem richtigen Weg befinden, wenn wir z.B. auf die Weise sozusagen “Erfolg verbuchen” können, dass jemand seine Zustimmung zu unseren Ansichten und Auffassungen zum Ausdruck bringt. Und sollte es sich dabei sogar um den überlieferten katholischen Glauben handeln, dürfen wir nicht meinen, dieser wäre allein wegen (!) der Zustimmung einer bestimmten Zahl der Menschen zu ihm der richtige Glaube. Selbstverständlich dürfen und sollen wir uns über eine jede gute Erkenntnis und Einsicht unserer Mitmenschen aufrichtig freuen, auch und gerade über eine jede ernstgemeinte Bekehrung zum Katholizismus. Nur sollten wir uns davor hüten, unsere ganze Argumentation zu einseitig auf dem Argument eines oberflächlichen äußeren Erfolges aufzubauen.
Noch deutlicher tritt für uns die Unzulänglichkeit dieser Mentalität im Falle des an sich doch ziemlich schmerzhaften Erleidens irgendeines als Misserfolg aufgefassten oder interpretierten Ereignisses zutage. Dass wir dann darüber traurig sind und uns Sorgen (um die betreffenden Menschen und die gute Sache selbst) machen, ist sicherlich ganz normal und sogar geboten. Zumal wir doch nach den Worten des hl. Apostels Paulus mit den anderen mitfühlen sollen: “Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden” (Röm 12,15).
Problematischer wird es allerdings, wenn sich dann bei uns allein deswegen vielleicht sogar depressive Niedergeschlagenheit breitmacht und wir einer Art weitestgehender Hoffnungslosigkeit erliegen, weil entweder wir z.B. massiv ungerecht behandelt und sonst irgendwie benachteiligt werden oder unser Glaubensbruder z.B. seiner gottgegebenen Berufung untreu wird oder unserer Gemeinde aus irgendeinem anderen Grund fern bleibt oder vielleicht sogar seinen Glauben gänzlich aufgibt. Dieser äußere Misserfolg lässt uns dann gern zu schnell und zu voreilig nennenswerte Zweifel an der grundsätzlichen Richtigkeit des katholischen Glaubens und der Gottwohlgefälligkeit unseres ganz konkreten Weges als glaubenstreue katholische Christen hegen. Und das wäre dann sicherlich mehr als nur bedenklich! Aber daran wird ersichtlich, wie sehr wir alle im Prinzip nicht unbeträchtlichen Schwankungen unseres Gemütszustandes unterliegen, sofern sich bei uns äußerer Erfolg oder Misserfolg einstellen.
■ Und auch in dieser Hinsicht soll uns das Beispiel Jesu Christi Orientierung geben und zur Richtschnur unseres Denkens und Handelns werden. Auffallend ist, dass Er sich während Seiner gesamten Predigttätigkeit praktisch nie in die aktuelle Tagespolitik eingemischt hatte, obwohl dies sicherlich zur Steigerung Seines Ansehens im Volk beigetragen hätte, hätte Er dabei nur das “Richtige” gesagt. Weder hat Er also versucht, zwischen Pontius Pilatus und Herodes Antipas zu vermitteln, die “zuvor feindlich zueinander standen” (vgl. Lk 23,12), noch hat Er ein einziges Wort vor allem zum Konflikt der Juden mit der verhassten Besatzungsmacht des heidnischen Römischen Imperiums geäußert, obwohl er hier unter Seinen Volksgenossen wegen der entsprechenden Messiaserwartung im Volk extrem viele Pluspunkte hätte sammeln können! Aber Seine folgenden in diesem Zusammenhang statt dessen geäußerten Worte klingen sogar als taktisch ziemlich unklug: “Gebt also dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!” (Mt 22,21) Also ging es Jesus nicht darum, eine politisch-gesellschaftliche Show zu veranstalten und die Menschen auf diese Weise für sich zu gewinnen.
Und auch als Er in der Wüste eine große Menschenmenge durch das Wunder der Brotvermehrung gesättigt hatte, wollte diese kommen und Ihn mit Gewalt zu ihrem König ausrufen. Wäre Jesus darauf eingegangen, hätte Er dadurch Seinen Einfluss im Volk sicherlich vergrößern und zu den so genannten “höchsten Ehren” kommen können. Ohne Zweifel hätte man Ihm das als einen großen (äußeren) Erfolg ausgelegt!
Und dennoch lehnte es Christus ohne Wenn und Aber ab, dem betreffenden Ansinnen der Menge nachzugeben, und zog sich statt dessen “wieder auf den Berg zurück, ganz allein” (vgl. Joh 6,14f). Somit verzichtete Er ausdrücklich darauf, sich bei der Vermittlung dessen, was Er im Auftrag Seines himmlischen Vaters der Menschheit mitzuteilen bzw. zu offenbaren hatte, des billigen Mittels der äußeren Effekthascherei zu bedienen! Also kann und darf es wohl auch einem Jünger Christi letzten Endes nicht darum gehen, sich lediglich darum zu “kümmern”, dass äußerer Erfolg in Gestalt wohlklingender Zahlen und beruhigender Bilanzen eingefahren werde. Denn von solchen Faktoren hängt die Wahrheitsfrage ganz sicher nicht ab.
Aber welchem Zweck hat denn dann die Missionstätigkeit Christi letztendlich gedient, wenn Er in erster Linie nicht auf den rein numerischen Zuwachs an Anhängern und Sympathisanten aus war? Nun, eine klare Antwort darauf gibt uns Jesus selbst, als Er nämlich bei Seinem Prozess von Pontius Pilatus verhört wurde. Denn auf die Frage, ob Er der “König der Juden” sei, antwortete Er zunächst, dass Sein “Reich nicht von dieser Welt ist” (vgl. Joh 18,33-36). Und den darauffolgenden Einwand des Pilatus: “Also bist Du doch ein König?”, erwiderte Er mit den Worten: “Ja, Ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass Ich für die Wahrheit Zeugnis gebe” (Joh 18,37)!
Somit sah Jesus Seine erste und hauptsächlichste Aufgabe darin, dass Er die göttliche Wahrheit ohne irgendwelche falschen Rücksichten auf menschliche Befindlichkeiten verkündet und dazu dann auch selbst sowohl zu jeder Zeit als auch unter allen Umständen steht! Denn wenn den Menschen durch Ihn der ewige und reine Wille Gottes kundgetan werden sollte, durfte dieser nicht durch irdisch-menschliche Hoffnungen bzw. politisch-gesellschaftliche Erwartungen verwässert und somit inhaltlich verdorben werden. Denn hätte Er z.B. dem oben geschilderten Druck und den Erwartungen der Menge nachgegeben, wären zwar Seine zahlenmäßigen “Umfragewerte” gestiegen und hätte Er an gesellschaftlicher Popularität zugelegt. Aber etwas anderes, substanziell Entscheidendes, wäre dadurch verloren gegangen - Seine eigene unanzweifelbare Verwurzelung im Willen Seines himmlischen Vaters! Und dadurch hätte Er sich dann nur selbst zu einer Art lediglich nach dem Mund der Menschen redenden Populisten degradiert bzw. zu einem auf momentanen Zuspruch ausgerichteten Showmaster erniedrigt!
So aber nahm Jesus zwar in Kauf, dass viele Seiner Zuhörer Seine klaren und direkten Aussagen nicht verstanden und Seine Feinde Ihn bewusst missverstehen wollten, dass wegen Seiner an den Tag gelegten Offenheit und Prinzipientreue sogar “viele von Seinen Jüngern” Seine Rede als “hart” empfanden und sich in der Folge von Ihm zurückzogen (vgl. Joh 6,60.66), dass selbst Seine nahen Verwandten, die so genannten “Brüder”, “nicht an Ihn glaubten”, weil Er nämlich ihrem Ansinnen, die Wunder öffentlich zu wirken (um damit aufzufallen), nicht entsprach (vgl. Joh 7,3-5).
Aber Er verkündete immer noch unverfälscht und unverwässert den Willen Gottes und vertrat Seine gerechten Interessen! Somit konnte Er sowohl gewissermaßen “das Salz der Erde” bleiben, womit man alles würzt und welches allem erst den guten und richtigen Geschmack gibt, als auch bildlich als “das Licht der Welt” wahrgenommen werden, welches hoch “auf einem Leuchter” bzw. “auf einem Berg” steht und allen “leuchtet” (vgl. Mt 5,13-16). Somit konnte dann jeder, der wirklich den Willen Gottes sucht und aufrichtig erfüllen will, zu Ihm kommen und die göttliche Wahrheit finden! Denn hätte Jesus in der einen oder anderen Angelegenheit “nachgegeben” und somit faule Kompromisse geschlossen, gäbe es überhaupt kein “Licht” und somit keine geistige Orientierung mehr, könnte generell niemand mehr der rechte gottgewollte Weg gewiesen werden!
■ So müssen nun auch wir uns immer wieder entscheiden, was wir letztendlich suchen und wollen. Die Frage, auf die es eben ankommt, ist, ob wir tatsächlich bestrebt sind, die Erkenntnis und die praktische Umsetzung des Willens Gottes in unserem Leben über alle anderen, teilweise ebenfalls legitimen (aber zweitrangigen) Interessen zu stellen - auch und gerade, wenn es nicht populär ist und uns sogar als äußerer Misserfolg ausgelegt wird. Oder ob wir statt dessen in erster Linie doch möglichst gut vor den Vielen dastehen wollen und daher die an sich notwendigen Konflikte aus falscher Bequemlichkeit scheuen.
Denn gerade ein solches Verhalten begleitete ja seit wenigstens einem halben Jahrhundert den Prozess des moralischen wie dogmatischen Zerfalls innerhalb der offiziellen “katholischen” Kirche! Im Bestreben eines gehörigen Teils des Klerus, nicht anzustoßen und anzuecken, bestand man anfänglich nicht mehr unbedingt auf der Erfüllung des Gebotes Gottes und ließ somit nach einer Weile die Zügel so sehr schleifen, dass man heute im Volk oft nicht mehr richtig weiß, was in moralischer Hinsicht erlaubt und was unter keinen Umständen statthaft ist. Man denke hier nur z.B. an den Bereich des 6. Gebotes.
Und aus lauter Sorge, man würde bei den Mächtigen und Einflussreichen dieser Welt womöglich Anstoß erregen und die Meinungsmacher und Gazettenschreiber eventuell zu entsprechenden negativen Stellungnahmen gegen sich “provozieren”, fing man damit an, sogar fundamentale Lehraussagen unseres heiligen Glaubens in der Verkündigung so grobfahrlässig außer Acht zu lassen bzw. gänzlich zu “vernachlässigen”, bis man sie heute praktisch fast ganz “vergessen” hat. In der Zwischenzeit genügt es, nur die folgenden zwei Stichworte zur Sprache zu bringen: “Jesus Christus - einziger Erlöser” und “Heilsnotwendigkeit des christlich-katholischen Glaubens”, und viele der modernen Katholiken wissen nicht mehr, damit etwas anzufangen. Nein, ein jeder “anständige” Katholik habe heute von “Ökumenismus”, vom “interreligiösen Dialog” und der “Würde des Menschen” zu reden, wie es seit dem Vatikanum II. ständig in Verlautbarungen und von den Kanzeln auf das Volk “herunter regnet”! Man dürfe ja die “getrennten Brüder” und Andersdenkenden auf keinen Fall in ihren Ansichten verunsichern und somit wie auch immer “beleidigen” - das verbiete uns die christliche Nächstenliebe!
Und wenn wir bestrebt sind, den überlieferten katholischen Glauben unverfälscht zu bewahren und zu verkünden, dann muss uns klar sein, dass wir uns auch selbst auf keine Spielchen mit der Wahrheit einlassen dürfen, auch wenn uns unsere Wahrheitsliebe und Prinzipientreue einen äußeren Misserfolg - z.B. in der Gestalt eines niedrigen Zulaufs oder eines Wortes (ungerechter) Kritik in einer der verschiedensten Publikationen und Veröffentlichungen - bescheren sollte.
■ So kann ein Katholik z.B. nicht zum schicksalhaften Verrat am Glauben und an der Liturgie der katholischen Kirche durch die postkonziliare “Kirche” wie auch immer dauerhaft schweigen oder so tun, als ginge ihn dies alles nicht an, nur weil er sonst negative Folgen (finanzieller oder gesellschaftlicher Art) für sich zu befürchten habe. Man würde dadurch auch noch selbst zu diesem traurigen Prozess der Entchristlichung und Verkehrung gesunder Glaubenswerte beitragen!
Eine priesterliche Gemeinschaft kann nicht (gegen eigene bessere Erkenntnis oder gegen alle Vernunftgründe!) eine Institution als die wahre katholische Kirche und einen Häretiker als einen rechtmäßigen katholischen Papst anerkennen, nur weil man in dem Falle, wenn man ehrlich und freimütig die eigenen Einsichten bezeugen würde, wohl mit dem Verlust von einem gehörigen Teil der Anhängerschaft, des Geldes und des Ansehens rechnen müsste. Um was soll es denn einem Katholiken in erster Linie gehen - um die Wahrheit Gottes oder um menschliche Taktik und reine Kirchenpolitik? Man vergesse nicht, wie schnell man gegebenenfalls unglaubwürdig wird!
Eine Gemeinde und ein Priester können nicht ihre feste Überzeugung in Bezug auf die Sedisvakanz des Apostolischen Stuhles in Schrift und Wort gänzlich verschweigen, nur weil sonst vielleicht ein wichtiger finanzieller Wohltäter wegbliebe. Wo blieben denn sonst die Hinführung der Menschen zur Wahrheit und das vom Evangelium geforderte freimütige Bekenntnis dieser katholischen Wahrheit?
Ein Katholik kann nicht einen Kleriker, der z.B. mit den von früheren Päpsten rechtmäßig Exkommunizierten oder mit sonst irgendwie klar ausgewiesenen kirchlichen Abenteurern, Schwärmern und Sektierern in sakramentaler Gemeinschaft steht, als einen rechtmäßigen katholischen Priester oder Bischof anerkennen und bei diesen (im Normalfall) zur hl. Messe gehen oder mit ihnen sonstwie sakramentale Gemeinschaft pflegen (auch in der heutigen kirchlichen Notsituation). Denn wenn wir nicht selbst zu kirchlich-kanonischen Prinzipien stehen, werden wir selbst zur Sekte! Und je mehr wir solche fragwürdige Priester und Bischöfe moralisch wie finanziell unterstützen, desto mehr schwächen wir zugleich in derselben Hinsicht sowohl die kirchlichen Grundsätze als auch die eindeutig katholischen Diener Gottes!
Ein katholischer Christ geschweige denn ein Priester kann nicht zum groben, ja himmelschreienden Unrecht an einem seiner Mitchristen oder Anvertrauten entweder gänzlich schweigen oder darauf so schwach und harmlos reagieren, dass sein teilweise auch naiv anmutendes Verhalten vom Übeltäter praktisch als eine Zustimmung zu dessen eigenem verderblichen Kurs gewertet und vor den anderen als eine solche Gutheißung schonungslos ausgeschlachtet werde. Gibt es denn kein Recht, keinen Mut und keine Moral mehr?
Ein Katholik kann sich nicht auf Kosten seines Mitbruders als der große Retter der Kirche in der Not profilieren wollen (oder zulassen, dass er von einem anderen ungebührlich auf den Sockel gestellt wird), zumal wenn er weiß bzw. sieht, dass dabei vielleicht gerade jenem seiner Mitmenschen vielleicht sogar ein himmelschreiendes Unrecht widerfährt und es zugleich auch an objektiver Berichterstattung mangeln sollte.
“Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass Ich für die Wahrheit Zeugnis gebe.” Diesem zentralen Programm Seines ganzen Lebens und Wirkens fügt Jesus unmittelbar darauf noch einen Satz hinzu, der uns aufhorchen lassen muss: “Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf Meine Stimme” (Joh 18,37). Somit wird hier von Ihm deutlich ausgesagt, dass ein Christ nur dann Sein treuer Jünger sein kann, wenn er weder die Wahrheit und das Recht bricht noch aus falscher Rücksicht auf seine Umgebung oder seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse diese geoffenbarte Wahrheit Gottes wie auch immer umgehen möchte! Denn wenn wir entweder nicht dieselbe Wahrheit aussprechen, als Jesus Christus es tat, oder gewissermaßen nicht mit derselben Zunge sprechen, wie Jesus Christus es tat, sind wir nicht “aus der Wahrheit” bzw. hören wir nicht auf Seine “Stimme”.
So soll es auch unser Herzensanliegen sein bzw. zu einem solchen werden, in unserem Leben in erster Linie “für die Wahrheit Zeugnis geben”, um dadurch auch den Panzer der Gleichgültigkeit, der Minimalanstrengung und des Mitläufertums zu sprengen, der uns von der lenkenden gesellschaftlichen wie amtskirchlichen Schicht angelegt werden soll, um uns für ihre Pläne und “Reformen” wie auch immer gefügig zu machen! Selbstverständlich sollen wir dabei unbedingt auch das Prinzip der christlichen Klugheit anwenden und ein gesundes Augenmaß bewahren - es darf uns nicht einseitig und ausschließlich um den berühmten Buchstaben des Gesetzes gehen, der ja bekanntlich tötet.
Aber dennoch gibt es in jeder Angelegenheit eine gesunde Grenze, die man auf keinen Fall überschreiten darf, will man sittlich handeln. Wenn man sie aber dennoch überschreitet, dann entpuppt sich die von uns bisweilen vorgeschobene Klugheit schnell als fehlender Bekennermut und das vermeintliche gesunde Augenmaß leicht als Gleichgültigkeit und Prinzipienlosigkeit. Reden wir uns also nicht zu bereitwillig etwas ein, wobei uns doch die Stimme unseres eigenen Gewissens in solchen Fällen deutlich zu erkennen gibt, dass wir uns wie auch immer täuschen.
Und beachten wir die Folgen eines solchen Versagens, auch und gerade auf unser Umfeld! Wir sollen ja nach dem Ausspruch Jesu “das Licht der Welt” sein. “So leuchte euer Licht vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen” (Mt 5,14.16). So führt unsere Bereitschaft, den Willen bzw. das sittliche Gebot Gottes treu und großherzig “vor den Menschen” zu bekennen oft auch dazu, dass wir den Menschen in unserer Umgebung mit unserem guten Beispiel eine wichtige geistige Orientierung bieten und sie entweder zur Umkehr auf den rechten Weg motivieren oder sie veranlassen, mit dem Prozess eines ernsthaften Nachdenkens wenigstens zu beginnen.
Und was passiert (auch und gerade mit diesen Menschen), wenn eine solche konkrete geistige Orientierung nicht mehr gegeben wird? Wir sollen ja “das Salz der Erde” sein. “Wenn aber das Salz schal wird, womit soll man es salzig machen?” Alles fade und ohne Geschmack - wie viele Unterlassungssünden! So trägt der fehlende Bekennermut der Guten ebenfalls maßgeblich dazu bei, dass immer weniger an gesunder (Glaubens)Substanz im Gesamtorganismus eines Volkes oder einer Gesellschaft zurück bleibt. Und ein solches schales Salz taugt dann auch selbst “zu nichts mehr; man wirft es hinaus, und es wird von den Leuten zertreten” (Mt 5,13).
Somit sollen wir uns also nicht nur darauf beschränken, über die zu klagen, die böse Taten begangen oder schlimme Entwicklungen eingeleitet haben. Wir wollen erkennen, dass auch wir eine Art Mitverantwortung dafür tragen, vor allem wenn es uns daran fehlt, zu dem unerschütterlich zu stehen, was für uns heilig ist, wenn es uns mangelt, das konsequent im Leben umzusetzen, was wir als richtig und wahr erkannt haben. Bitten wir den Heiligen Geist um Seine Gaben des Mutes und der Stärke und flehen wir zum Himmel um die Gnade der Beharrlichkeit im Guten. So werden wir dann ebenfalls treue Jünger Jesu Christi sein können, der “dazu in die Welt gekommen, dass Ich für die Wahrheit Zeugnis gebe”!

P. Eugen Rissling

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