Das Dilemma der modernen
Katholiken
Die modernistischen „Reformen“ in Lehre, Liturgie und Disziplin, die seit der
60-er Jahren des 20. Jahrhunderts den Bereich der katholischen Kirche
erschüttern, haben sehr viele Menschen, die sich zum katholischen Glauben
bekennen, verunsichert und teilweise sogar äußerst erschüttert. Das, was bis
dahin zum überlieferten Glaubensgut der Kirche gehörte, was von der katholischen
Kirche feierlich verkündet, verbreitet und verteidigt worden war, was für die
katholischen Gläubigen heilig und erhaben war, wurde nun im Gefolge des so
genannten Zweiten Vatikanischen Konzils plötzlich angezweifelt, destruktiv in
Frage gestellt, bisweilen sogar der Lächerlichkeit preisgegeben.
In der Folge wurde dann später einiges sogar öffentlich und höchst offiziell
verworfen bzw. praktisch über Bord geworfen, bis man heute in der
postkonziliaren „Kirche“ nun an einem Stadium angelangt ist, in welchem sich in
nicht wenigen, ja vielen Bereichen dogmatisch-doktrinär, liturgisch oder auch
disziplinär nicht die geringsten Ähnlichkeit bzw. Übereinstimmung mit dem
„alten“ katholischen Glauben finden lässt. Der jüngst stattgefundene sogenannte
Erste Ökumenische Kirchentag in Berlin belegt dies zur Genüge. Was da alles für
„katholisch“ ausgegeben wurde...
Wie soll man sich angesichts dieser traurigen Entwicklung als Katholik nun
verhalten? - Das ist die entscheidende Frage, die viele Gemüter bewegt. Neben
der aus unserer Sicht einzig möglichen Antwort auf diese Frage, nämlich sowohl
die Irrtümer als auch die dafür Verantwortlichen um des katholischen Glaubens
und der katholischen Kirche willen klar und unmissverständlich beim Namen zu
nennen, woraus sich dann unter anderem auch die Schlussfolgerung der Sedisvakanz
des Apostolischen Stuhles in Rom und der Diözesanbischofsstühle ergibt, gibt es
noch eine Reihe anderer davon abweichender Antworten, die von verschiedenen der
so genannten konservativen Gruppierungen innerhalb der Amtskirche auf die obige
Frage gegeben werden.
Diese in diesen Gruppierungen versammelten Gläubigen leiden in der Regel
ebenfalls stark unter dem seit Jahrzehnten fortschreitenden Prozess der
Aushöhlung und Nivellierung des überlieferten katholischen Glaubens - der
grundsätzlich gute Wille ist ihnen nicht ohne weiteres abzusprechen. Dennoch
leiden die von dieser Seite gemachten Lösungsvorschläge für die „Sanierung“,
„Gesundung“ des Glaubens und der Kirche insofern stark an Widersprüchlichkeiten
und teilweise sogar faulen Kompromissen, dass sie nicht selten deren eigene
Grundanliegen um den katholischen Glauben wiederum in Frage stellen bzw. sogar
ad absurdum führen.
Als ein Beispiel hierfür seien hier kritische Ausführungen von Prof. Leo
Scheffczyk zur Situation des Glaubens in Deutschland angeführt, die in der
„Katholischen Wochenzeitung“ aus Baden, Schweiz mit dem Datum vom 28.03.2003
unter der Überschrift: „Kardinal Scheffczyk korrigiert scharf die pastorale
Praxis in Deutschland“ erschienen sind.
Zunächst wird erwähnt, dass Prof. Scheffczyk vor zwei Jahren „Kardinal“ wurde
und somit zu den „acht höchstrangigen deutschen Kirchenmännern“ gehöre. Als
solcher lege er nun „eine umfassende kritische und korrigierende Stellungnahme
zur Lage der katholischen Kirche in Deutschland vor“. Dann heißt es weiter:
„Schon lange ist erkennbar, dass viele päpstliche Vorgaben in Deutschland
grundsätzlich erst einmal ignoriert werden, wie nicht nur die von 1995-2000
praktizierte Verzögerungstaktik in der Frage der Schwangerenberatung gezeigt
hat, sondern auch an der anhaltenden Weigerung der deutschen Bischöfe deutlich
wird, die ´Instruktion zu einigen Fragen der Mitarbeit der Laien am Dienst der
Priester´ (1997) in der Praxis zu realisieren.
Zum ersten Mal setzt sich nun einer der höchsten Vertreter des deutschen
Katholizismus über die allgemeine kirchliche Schweigespirale hinweg, die die
Kluft zwischen der katholischen Lehre und der kirchlichen Praxis zu vertuschen
versucht.
Scheffczyk erinnert an den Brief aus dem Jahr 2001 an die deutschen Kardinäle,
in dem der Papst auf den desolaten Zustand in den deutschen Diözesen hinweist,
und greift die dringende Bitte des Papstes auf, endlich die ´Laieninstruktion´
umzusetzen. Der Papstbrief, der hierzulande natürlich völlig ignoriert wurde,
enthält klare päpstliche Weisungen, die der Kardinal im vorliegenden Buch
erläutert.
Bei diesen Analysen und Lösungsansätzen werden wohl beim katholischen
Establishment die Alarmglocken schrillen, denn die Ausführungen schreien
geradezu nach einer radikalen Umkehr der kirchlichen Pastoral und der Besinnung
auf das katholische Proprium.“
Nun, was ist davon zu halten? Es ist natürlich völlig richtig, dass sich in den
letzten Jahrzehnten eine riesengroße „Kluft“ aufgetan hat zwischen dem, was
eigentlich katholisch ist, was zu den überlieferten katholischen Prinzipien in
Lehre und Praxis gehört, und der so genannten „kirchlichen Praxis“, wie sie in
der Amtskirche neben Deutschland noch in vielen anderen Ländern dieser Welt
anzutreffen ist. Und wenn bei Scheffczyk die Rede vom „desolaten Zustand in den
deutschen Diözesen“ ist, davon, dass eine „radikale Umkehr der kirchlichen
Pastoral“ stattfinden müsste, und zwar unter „der Besinnung auf das katholische
Proprium“, dann umschreiben diese Worte eher andeutungsweise und schattenhaft
die ganze Tragödie, die sich zur Zeit in der offiziellen Amtskirche abspielt.
Und wenn es denn wirklich so schlimm bestellt ist um die angesprochene
„kirchliche Praxis“ in Deutschland (und anderswo!), wenn der „Zustand in den
deutschen Diözesen“ (und anderswo!) tatsächlich so „desolat“ ist, wie hier
erwähnt wird - und das ist er zweifelsohne (!) -, so dass vor allem anderen
zunächst einmal „eine radikale Umkehr der kirchlichen Pastoral“ bzw. eine
„Besinnung auf das katholische Proprium“ (d.h. auf das eigentlich Katholische)
erfolgen müsste, welches auch nach den Worten von Prof. Scheffczyk verloren
gegangen zu sein scheint, dann erscheint es auf diesem Hintergrund als geradezu
lächerlich, wenn Johannes Paul II. lediglich um die Umsetzung der
„Laieninstruktion“ bittet, auch wenn diese Bitte als „dringend“ definiert wird.
Vielleicht ist der „desolate Zustand“ in der Amtskirche unter anderem auch
gerade deshalb zu erklären, weil man seitens Roms lediglich um die Umsetzung von
(wesentlichen!) Gesetzen und Prinzipien bittet! Denn bittet man die Untergebenen
nur darum, dann macht man nicht nur sich selbst lächerlich und unglaubwürdig,
sondern höhlt darüber hinaus grundsätzlich auch das kirchliche
Autoritätsverständnis aus, untergräbt nachhaltig jegliches Amt in der Kirche und
fördert somit die Anarchie. Wo würde denn ein Staat ankommen, wenn er lediglich
bitten würde um die Umsetzung seiner Gesetze?
Außerdem wurden in der nachkonziliaren Zeit immer mehr Kompetenzen den einzelnen
nationalen Bischofskonferenzen übertragen, wobei diese dann in ihren
Entscheidungen, was z.B. gerade die Frage nach der liturgischen Praxis angeht,
nicht selten eindeutig über das hinausgingen, was in Rom noch (pro forma - der
Form nach) gesagt und praktiziert wurde. Und oft genug geschahen diese Vorstöße
der nationalen Bischofskonferenzen sogar mit ausdrücklichen Zustimmung,
wenigstens aber unter stillschweigender Hinnahme Roms.
Zumal sich auch und gerade der von Scheffczyk so hoch gelobte und angeblich
rechtgläubige Johannes Paul II. selbst diesen Entscheidungen gebeugt und danach
gehandelt hatte. So sei z.B. an die Frage nach der Zulassung von Mädchen zum
Ministrantendienst und an das Problem der Handkommunion erinnert. Denn bereits
seit geraumer Zeit hat die Deutsche Bischofskonferenz sowohl die Mädchen als
Ministrantinnen als auch die Handkommunion zugelassen. Warum blieb denn der
Protest, das Aufbegehren, die Zurechtweisung Roms aus?
Aber nicht nur das. Während seiner Deutschlandbesuche hat Joh. Paul II. bei
seinen „Eucharistiefeiern“ höchstpersönlich sowohl Mädchen als Messdienerinnen
geduldet als auch die Handkommunion ausgeteilt (!), obwohl beides in Italien
zunächst noch nicht gebräuchlich war. Und das bedeutet stillschweigende
Akzeptanz, Gutheißung von Entscheidungen der deutschen Bischofskonferenz, welche
ja ebenfalls klar gegen die überlieferte „kirchliche Lehre“ verstoßen.
Später hat dann ja auch die Italienische Bischofskonferenz in beiden Punkten die
deutsche Praxis übernommen und somit indirekt die entsprechenden Entscheidungen
der Deutschen Bischofskonferenz nachträglich als geradezu vorbildlichen Gehorsam
im voraus (und zwar Joh. Paul II. gegenüber) eingestuft. Zugleich müssten sich
aber alle jene noch etwas konservative Priester und Gläubige als gerügt
vorkommen, die sich anfänglich bei ihrer Ablehnung der liturgischen Praxis in
Deutschland noch auf Johannes Paul II. als ihren „Papst“ stützten. Zum Schluss
sind sie von ihm verraten worden!
Ferner bemängelt Scheffczyk, dass auch „die Bedeutung sakramentaler
Gnadenvermittlung aus dem kirchlichen Bewusstsein weithin verschwunden ist, was
der fast völlige Verlust des Bussakramentes und die allgemeine Annahme einer
´Erlösung aller Menschen´ belegen. Der weitgehende Ausfall der eucharistischen
Anbetung und der Verlust der priesterlichen Identität sind weitere Mosaiksteine
im desolaten Zustandsbild der Kirche in Deutschland, wo Katholiken lieber sitzen
als knien. [...] Auch im Bereich des interreligiösen Dialoges setzt der Kardinal
Marksteine. Er verweist darauf, dass Christen und Muslime nicht denselben Gott
anbeten, und rückt damit eine missverständliche Konzilsaussage zurecht. [...]
Der Kardinal legt den Finger auch auf problematische Aussagen in der
´Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre´ (1999) (mit den Protestanten -
Anm.) und verweist auf weiterhin bestehende fundamentale Unterschiede in der
Gnadenlehre. Ökumenische Illusionen kämen wohl überhaupt nicht auf, wenn man
sich allein schon die katholische Lehre über das Messopfer, das
Weihepriestertum, die selige Jungfrau und Gottesmutter Maria oder den Primat und
die Unfehlbarkeit des Papstes ins Gewissen rufen würde.“
Zwar stimmt hier das Aufweisen von Problemfeldern ganz genau. Aber Prof.
Scheffczyk erweist dennoch weder der göttlichen Wahrheit noch der katholischen
Kirche einen Dienst, weil er - wenigstens an dieser Stelle - nur die halbe
Wahrheit sagt und die andere Hälfte aus welchen Gründen auch immer
geflissentlich verschweigt!
Denn keinesfalls ist die betreffende „Konzilsaussage“ „missverständlich“! Dort
heißt es nämlich unmissverständlich: „Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch
die Muslim, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich
seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde,
der zu den Menschen gesprochen hat“ (LthK, 13. Band, Herder 1967, Sonderausgabe
1986, S. 491).
Handelt es sich denn außerdem nicht um Joh. Paul II., der im Laufe seines
„Pontifikates“ immer und immer wieder mit Nachdruck behauptete, die Christen,
Juden und Moslems würden „an denselben Gott“ glauben, Ihn anbeten und verehren?
Ist es denn nicht Joh. Paul II. höchstpersönlich gewesen, der 1986 das
interreligiöse Gebetstreffen in Assisi initiierte, bei welchem jeglicher Hinweis
auf die Notwendigkeit des Bekenntnisses zum christlichen Glauben um des ewigen
Heiles willen tunlichst vermieden wurde, und statt dessen von Mgr. Wojtyla
betont wurde, die Angehörigen verschiedenster (auch Natur-)Religionen mögen nach
ihren eigenen Traditionen zu Gott beten, wodurch diese als dem Christentum
gleichwertig in Erscheinung traten?
Es ist nämlich ein riesengroßer Unterschied, ob gesagt wird, die Moslems und die
Juden würden denselben Gott anbeten wie die Christen, oder ob objektiv bloß
festgestellt wird, dass das Judentum und der Islam ein Gottesbild zeichneten,
welches dem christlichen Gottesbild - (lediglich) in einigen Punkten (!) -
ähnlich erscheint. Das sind nämlich zwei ganz verschiedene Welten!
Man lese die im Sitta Verlag Senden/Westfalen erschienene Buchreihe: „Der
theologische Weg Johannes Pauls II. zum Weltgebetstag der Religionen in Assisi“
von Johannes Dörmann und stelle anhang dieser fundierten theologischen Arbeit
fest, dass der „Papst“ ebenfalls von der „Annahme einer ´Erlösung aller
Menschen´“ ausgeht. Und hat denn die ´Gemeinsamen Erklärung zur
Rechtfertigungslehre´ (1999), in welcher unter anderem auch die zwischen den
Katholiken und Protestanten „bestehenden fundamentalen Unterschiede in der
Gnadenlehre“ heruntergespielt bis negiert werden, nicht die Zustimmung Roms
gefunden?
Und trägt er durch verschiedenste sogenannte ökumenische Aktivitäten bzw. mit
seinen Äußerungen zu Luther und dem Protestantismus nicht zu deren Aufwertung
und somit - wenigstens indirekt - unter anderem auch zum Verschwinden der
„Bedeutung sakramentaler Gnadenvermittlung aus dem kirchlichen Bewusstsein“ bzw.
zum „fast völlige Verlust des Bussakramentes“ bei, welche sich ja geradezu
automatisch mit der maßlosen Anbiederung an den Protestantismus einstellen
müssen? Man betrachte in diesem Zusammenhang nur die traurigen Ergebnisse der
„Liturgiereform“, an der sich ja auch protestantische Theologen maßgebend
beteiligt hatten!
Es ist traurig und eigentlich auch mitleiderregend mit anzuschauen, wie
Menschen, die eigentlich ja sowohl selbst katholisch bleiben als auch den
katholischen Glauben retten und bewahren wollten, an innerer Zerrissenheit
leiden, weil sie offensichtlich nicht bereit sind, die ganze Wahrheit zu sagen,
da sie sich höchstwahrscheinlich vor den sich daraus ergebenden Konsequenzen
fürchten. Das ist wirklich ein Dilemma für diese der postkonziliaren „Kirche“
angehörenden konservativen Gläubigen: stellt man mich voll und ganz den
Realitäten, muss man in der Folge auch das fromme Märchen vom „guten Papst und
den bösen Bischöfen und Kardinälen“ aufgeben; will man aber um jeden Preis an
Joh. Paul II. als einem rechtmäßigen Papst festhalten, bleib einem halt nichts
anderes „übrig“, als die Sachlage um diesen „polnischen Papst“ als nicht ganz so
schlimm und dramatisch darzustellen.
Nein, nur dann, wenn man in allem der Wahrheit den Vorrang gibt, sei es, dass
man dabei auch die berühmt-berüchtigten „Wölfe im Schafspelz“ entlavt, wird
einen auch erst „die Wahrheit frei machen“ (vgl. Joh 8,32). Der Weg zu dieser
Wahrheit ist oft mühsam und beschwerlich. Aber wenn man sie unvoreingenommen und
ohne private menschliche Vorlieben akzeptiert, wird man auch angesichts einer
schweren und belastenden äußeren Sachlage dennoch innerlich den Frieden mit Gott
erfahren dürfen! Lassen wir uns also weder durch übertriebene Menschenfurcht
noch durch die Unsicherheit, was für uns die Zukunft mit sich bringt,
irreführen. Denn Christus kann nur dann jemand leiten, führen und beschützen,
wenn er sich Ihm auch tatsächlich vorbehaltlos überlässt und anvertraut!
P. Eugen Rissling