Für die Wahrheit Zeugnis ablegen


Es ist eine allgemeine Binsenweisheit, dass ein jeder Staat, will er seriös sein und auch und gerade von seinen eigenen Bürgern respektiert werden, unbedingt seine Gesetze durchsetzen muss. Und zwar gilt dies grundsätzlich und im Prinzip ganz unabhängig von der Frage, ob diese Gesetze gerecht sind oder nicht. Denn wenn der Staat nicht auf der Gesetzestreue seiner Bürger bestehen würde, würden in ihm Unordnung und Gesetzlosigkeit herrschen. Dann würde jeder machen, was ihm gerade beliebt - die staatliche Autorität und Ordnung würden zusammenbrechen. Erleben wir ja zur Zeit z.B. an den traurigen Beispielen von Afghanistan und Irak, wie sich dort immer mehr Willkür, Chaos und Anarchie ausbreiten - es geht uns hier bewusst nicht um die Frage, welche konkreten politischen Ursachen für die entstandene Situation verantwortlich sind.

Und zwar stützt sich eine jede staatliche Ordnung bei der Durchsetzung ihrer Gesetze auf die Polizei (und die Gerichte) als die exekutive Gewalt. (Im extremen Notfall muss ihr gegebenenfalls auch das Militär zu Hilfe kommen.) Daran wird ersichtlich, dass der irdische Staat als solcher nicht ohne Organe auskommt, welche gegebenenfalls auch äußere physische Gewalt anwenden und ihm gerade dadurch wesentlich seinen Bestand garantieren.

Als Pilatus dem Prozess Jesu vorstand, stellte er Ihm während des ersten Verhörs auch die Frage, ob Er denn ein König sei (Joh 18,33). Diese Frage beschäftigte ihn nicht nur deshalb, weil er über Jesus urteilen sollte (und von diesem Vorwurf hörte), sondern auch, weil er in Jesus gegebenenfalls auch einen weltlich-politischen Konkurrenten hätte sehen müssen. Letztendlich gab ihm dann Jesus zur Antwort, dass Er sehr wohl ein König sei (Joh 18,37). Somit wäre nicht nur die Frage berechtigt, wie denn Jesus Sein Königtum selbst definiert und von den Menschen verstanden wissen wollte, sondern auch, worauf Er sich denn hauptsächlich bei der Ausübung Seiner königlichen Autorität und Vollmacht stützt bzw. welches Element entscheidend für den Bestand Seines Königtums sei.

Nun, zunächst führt Jesus aus, dass Sein Königreich doch substantiell anderen Maßstäben unterliegt als sämtliche Staatsgewalten dieser Welt: “Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre Mein Reich von dieser Welt, so würden Meine Jünger dafür kämpfen, dass Ich den Juden nicht ausgeliefert würde. Nun ist aber Mein Reich nicht von hier” (Joh 18,36). Und gerade im zweiten Satz unterstreicht hier Jesus, dass sich Sein Königtum, wie Er es eben versteht, absichtlich nicht auf physische (Polizei- oder Militär) Gewalt stützt! Denn auch dem Apostel gegenüber, der mit dem Schwert in der Hand zu Seinem Schutz eingreifen wollte (Petrus), äußerte Jesus, bewusst auf die äußere Hilfe von “mehr als zwölf Legionen Engel” verzichtet zu haben (vgl. Mt 26,51-54).

Aber gleich danach führt Jesus beim Verhör vor Pilatus auch aus, worauf sich Sein Königtum letztendlich stützt, was dessen entscheidender Eckpfeiler ist: “Ja, Ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass Ich für die Wahrheit Zeugnis gebe. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf Meine Stimme” (Joh 18,37). Somit will Jesus zunächst sagen, dass Seine Sendung als Messias und Eingeborener Sohn Gottes hauptsächlich darin besteht, den Menschen hier auf Erden die unwandelbare und von ihnen nicht manipulierbare Wahrheit Gottes zu verkünden. (“Zeugnis-Ablegen” beschränkt sich hier natürlich nicht allein auf das akustische Reden Jesu, sondern beinhaltet auch Sein gesamtes Heilswirken, also neben den gesprochenen Worten sowohl die gewirkten Wunder als auch vor allem Seine aus Liebe zu uns, Menschen, auf sich genommenen Leiden und das Sterben am Kreuz!)

Wenn aber Jesus von Seinem Königreich spricht und praktisch in demselben Atemzug ausführt, unbedingt Zeugnis für die Wahrheit Gottes ablegen zu sollen und zu wollen, dann bedeuten diese Worte Jesu darüber hinaus auch - und darauf kommt es uns in diesem Artikel an -, dass Sein “Reich” nicht ohne diese “Wahrheit” zu denken wäre bzw. dass es mit dieser “Wahrheit” sogar gänzlich stehe und falle, für welche Er selbst mit Seinem ganzen Wesen einzutreten habe und auch eingetreten ist!

So hat sich ja auch Jesus nicht dem auf Ihn wiederholt ausgeübten Druck gebeugt, etwa Seine Lehre abzuändern, nur weil Er massiven Widerspruch seitens der Pharisäer, Schriftgelehrten und Hohenpriester erfahren hatte. Auch schwächte Er sie in ihrer Tragweite keinesfalls ab, nur weil die Menschen kein Verständnis dafür aufbrachten und meinten, Seine “Rede” sei “hart” (so z.B. Joh 6,60f). Ebenfalls weigerte Er sich, etwa ein ausschließlich irdischer Wohltäter oder auch ein weltlicher Machthaber zu werden und somit (rein) politisch zu wirken, nur weil Seine Zuhörer etwas falsch verstanden und sich für die gerade genannten Ziele eingesetzt hatten (vgl. Joh 6,15). Und wie uns allen hinlänglich bekannt, führte Ihn diese unbedingte Treue zur (göttlichen) “Wahrheit” soweit, dass Er bittere Leiden ertragen und den schmachvollen Tod am Kreuz erdulden musste!


Und wie sich Jesus (auch als Mensch, auch Seiner menschlichen Natur nach) allein der göttlichen Wahrheit verpflichtet fühlte - ein wie auch immer geartetes Abweichen von ihr wäre Ihm einem ganzheitlichen Verrat an Gott gleichgekommen -, wie es Ihm in Seinem Auftrag und in Seiner Sendung letztendlich und hauptsächlich darum ging, dass Er “für die Wahrheit Zeugnis gebe”, so müssen es auch wir, die wir doch Jünger Christi sein wollen, als unsere Hauptaufgabe ansehen, mit unserem Denken, Reden und Handeln ebenfalls Zeugnis für die Wahrheit abzulegen - sowohl für die Wahrheit generell als auch für die in Jesus Christus offenbarte Wahrheit Gottes speziell!

Denn eins muss uns klar sein: Kein Mensch kann im ungetrübten Verhältnis zu Gott leben, falls er wie und in welchem Umfang auch immer bewusst gegen die von ihm erkannte Wahrheit handelt oder sie durch welche Spitzfindigkeit auch immer verleugnet. Und auch keine religiös-christliche Gemeinschaft kann den Anspruch erheben, im Namen und im Auftrag Jesu Christi zu handeln, wenn sie sich nicht in ganzheitlicher Treue zu den offenbarten Glaubenswahrheiten unseres göttlichen Erlösers befindet, wie sie eben von Seiner Kirche all die Jahrhunderte hindurch unverkürzt verkündet worden sind!

Die berühmte Versuchung, mit der wir es in diesem Zusammenhang doch immer wieder zu tun bekommen, besteht darin, dass wir ernsthaft mit dem Gedanken spielen, vielleicht doch noch gottgewollt und gottwohlgefällig zu handeln, wenn wir nur “ein klein wenig” das moralische Recht brechen, um dadurch - so reden wir es uns ein - etwas “Gutes” zu erreichen. Man stellt sich die Frage, ob denn ein geringes Übertreten der Gebote Gottes nicht doch “genehmigt” sei, wenn man dadurch vermeintliche größere Übel verhindern könne.

Da wird hier wohl jedem gleich die berühmte Frage nach den so genannten Notlügen in den Sinn kommen. Ist es denn nicht so, dass wir oft genug meinen, vielleicht doch etwas Gutes zu bewirken, wenn wir mit unserer absichtlichen “Ungenauigkeit” im Reden und “Zeugnis-Ablegen” z.B. Ärger, Aufregung oder sonstige Unannehmlichkeit für uns oder auch für andere verhindern? Oder wir sind der (irrtümlichen) Auffassung, die eigenen angeblich hehren und lauteren Interessen oder auch das vermeintliche Gemeinwohl irgendeiner angeblich noch so edlen und anständigen Gemeinschaft rechtfertigen schon das eine oder das andere Verschweigen irgendeines Misstandes oder einer klaren Verletzung des legitimen weltlichen oder auch des göttlichen Gesetzes, obwohl man sich dessen selbst ganz klar ist, dass man sogar die ausdrückliche Pflicht habe, auf solche Rechtsbrüche hinzuweisen!

So habe einmal, um dafür ein konkretes Beispiel anzuführen, ein Mitglied der Priesterbruderschaft St. Pius X. während einer Pilgerfahrt die feste Meinung vertreten, wie mir mein verstorbener Weihebischof als Zeuge jener vor Jahren stattgefundenen Unterredung erzählte, man dürfe den Gläubigen nicht sagen, dass die “neue Messe” ungültig sei. Denn sie würden ja sowieso in diese “neue Messe” gehen! Und solange man sie nicht auf die Ungültigkeit der Messzelebrationen nach dem “Novus Ordo Missae” aufmerksam mache, würden sie ja nur eine so genannte materielle Sünde begehen (d.h. sie selbst würden nicht wissen, dass sie eigentlich sündigen.) Wenn man ihnen aber klar sagen würde, dass die “neue Messe” ungültig sei, würden sie eine formelle (d.h. voll bewusste) und somit wesentlich schwerere Sünde begehen. Dass diese fast schon krankhaft-spitzfindige Mentalität nichts mit dem Missionsauftrag Christi zu tun hat, wonach die Apostel “alle Völker” “alles” zu “halten” lehren sollen, “was Ich euch geboten habe” (Mt 28,20), braucht hier wohl nicht lang ausgeführt werden.

Und richtig gefährlich wird es sowohl für den betreffenden Menschen als auch für die betreffende Gemeinschaft, wenn es sich bei solchen Fehlverhalten nicht nur um einzelne “Ausrutscher” handelt, sondern wenn sie sogar zum System werden! So war bezeichnenderweise seitens der offiziellen Organe der genannten Priesterbruderschaft - um beim obigen Beispiel zu bleiben - bisher nicht die geringste Kritik an der skandalösen, gotteslästerlichen Äußerung Benedikts XVI. zu vernehmen, welcher Jesus Christus im August 2005 in der Kölner Synagoge in aller Öffentlichkeit zum Zeugen des modernen Judentums degradiert hatte (vgl. “Beiträge”/64, S. 2-9)! Aber dieses Verhalten der Oberen der besagten priesterlichen Gemeinschaft wird verständlich, wenn man berücksichtigt, dass sie seit der Wahl Joseph Ratzingers zum Leiter der modernistisch-postkonziliaren “Kirche” das größte Interesse an den Tag legen, das Gespräch mit dem heutigen Rom zu suchen, um von ihm - welch ein Widerspruch! - “anerkannt” zu werden. Da darf man halt nicht alles sagen bzw. sollte in mancherlei Hinsicht doch lieber schweigen...

Und so gehört es leider ebenfalls nicht zu den Aufgaben der Piusbruderschaft, die Gläubigen klar, konsequent und unmissverständlich vom Besuch der an sich ungültigen “neuen Messe” abzuhalten, auf die gegenwärtige Vakanz des Apostolischen Stuhles in Rom zu schließen oder auch die prinzipielle Ungültigkeit der “neuen Bischofsweihe” festzustellen (siehe dazu S.16-25).

Diese verschlagene Taktik mag zwar, legt man weltlich-politische Maßstäbe an, klug und raffiniert sein. Dadurch schreckt man nicht unbedingt jene “konservative” Katholiken ab, welche (wegen ihres falschen und somit unkatholischen Gehorsamsverständnisses) entweder noch zu sehr an den modernistischen “Päpsten” hängen und diese somit als rechtmäßige katholische Päpste anerkennen oder bei “Bedarf” auch in die “neue Messe” gehen. Dadurch hat man dann rein statistisch sicherlich auch mehr Zulauf und kann sich zahlenmäßig einer höheren Anhängerschaft erfreuen als jene, welche auch um des ewigen Heiles der Gläubigen willen ehrlich sagen, was Sache ist, und eben nicht die genannten Spielchen mit der Wahrheit veranstalten!

Aber was bei einem solchen unlauteren Taktieren vom christlich-katholischen Standpunkt aus gesehen auf der Strecke bleibt, ist der unverkürzte katholische Glaube und dadurch bedingt auch und gerade das geistige Wohlergehen nicht nur der Gläubigen insgesamt, sondern auch jener “konservativen” Gläubigen speziell, denen man aus falscher Rücksicht die volle Wahrheit verschweigt! Mit einem christlichen “Zeugnis-Ablegen” für die Wahrheit hat ein solches Jonglieren mit der Wahrheit nichts zu tun!

Ein weiser lateinischer Spruch lautet: “Corruptio optimi pessima”! Er besagt so viel, dass das wie auch immer geartete Versagen eines Menschen, welcher es eigentlich weiß, was das Wahre und Richtige ist (und somit unter anderem auch die kompromisslose Führung der seiner Verantwortung unterstellten Menschen auf dem erkannten richtigen Weg übernehmen sollte), sogar schlimmer sei, als der Verrat und die Wahrheitsleugnung derer, die sich selbst und von vorne herein zu den Gegnern dieser Wahrheit zählen!

Denn ein prinzipieller Gegner der überlieferten katholischen Glaubenswahrheit greift sie gewissermaßen frontal und ganzheitlich an. Dennoch kann hier jeder noch (leichter) erkennen, wo die so genannte Frontlinie verläuft, und sich noch halbwegs genügend orientieren. Wenn aber der, der sich zu den Bekennern der katholischen Wahrheit (zu den sprichwörtlichen “Guten”) zählt, subtil an der so genannten Wahrheitsschraube dreht und sie, die Wahrheit, dadurch verstellt (!), dann wird es für die Gläubigen umso schwieriger, die Wahrheit von der Lüge zu unterscheiden - sie fallen der Lüge schneller und leichter zum Opfer! Vor allem aber wird auch die Wahrheit selbst manipuliert - man versündigt sich umso schwerer gegen sie, und zwar deshalb, weil man es ja eigentlich wissen müsste, was man da tut!


Nein, besinnen wir uns immer und immer wieder auf die volle katholische Wahrheit. Lassen wir nicht zu, dass sich allzu menschliche oder auch überwiegend kirchlich-politische Interessen mit unserem positiven sittlichen Streben vermischen bzw. vermengen und uns dadurch in Beschlag nehmen bzw. geistig okkupieren.

Denn nur dann, wenn wir uns klar machen, dass nur die Wahrheit als solche zur entscheidenden Richtschnur unseres Denkens und Wirkens werden darf, wenn es uns gewissermaßen in Fleisch und Blut übergeht, dass wir letztendlich auch nur der christlich-offenbarten und von der katholischen Kirche überlieferten Glaubenswahrheit Folge leisten dürfen, um echte Jünger Christi zu sein (“Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf Meine Stimme”), nur dann werden wir, obwohl wir doch alle sittlich schwache und sündhafte Menschen sind, trotzdem durch die Gnade Gottes, der in unsere Herzen sieht, in die Lage versetzt, ebenfalls “Zeugnis für die Wahrheit (zu) geben”!

Und gerade das ist der größte Trost und die höchste Seligkeit aller gottsuchenden Menschen, dass sie (trotz ihrer doch immer wieder aus sittlicher Schwäche begangenen Übertretungen der Gebote Gottes) um ihre grundsätzliche ehrliche Absicht wissen ...und danach natürlich auch handeln. Denn wer auf andere Werte setzt als auf Gott, mögen das auch noch so sehr religiös erscheinende und katholisch gefärbte Interessen sein, “verfehlt” Ihn letztendlich. Wer aber bereit ist, um der Wahrheit willen notfalls unter anderem auch auf den äußeren “Erfolg” und die höhere Zahl der Anhänger zu verzichten, der darf darauf vertrauen, dass er tatsächlich dem Herrgott dient und zu Ihm eine echte Liebe hegt! “Ja, Ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass Ich für die Wahrheit Zeugnis gebe. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf Meine Stimme”!


P. Eugen Rissling


 

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