„Seht, ich verkünde euch eine große Freude!“
Hirten auf freiem Feld in kalter Nacht bei ihrer Herde auf Wacht – das Leben dieser einfachen Menschen früherer Zeiten können wir uns heute wahrscheinlich kaum mehr richtig ausmalen. Den Stress unserer Tage konnten sie sich damals zwar vielleicht noch nicht vorstellen, und dennoch war ihr Leben, den rauen Gegebenheiten der Natur mit all ihren Wechselfällen ausgeliefert, sicher nicht einfach. Wahrscheinlich hatten sie sich nachts ein Feuer angezündet, das etwas Wärme spendet und wilde Tiere vertreibt. Ansonsten lebten sie draußen, außerhalb der Mauern einer Stadt und besonders in Winternächten sicher nicht besonders komfortabel, ein Alltag, der für viele von uns höchstens noch als Abenteuerurlaub für wenige Tage zumutbar wäre.
In einem tieferen, geistlichen Sinn, können uns die armen Hirten aber durchaus ein Vorbild sein und wir sollten uns ihnen gerne zugesellen: Wer Gott sucht, der findet Ihn auch heute eher in der Stille und im Abstand irdischer Lichter. Sind nicht auch wir heute von vielen Gefahren und „wilden Tieren“ umgeben, müssen nicht auch wir heute wieder neu lernen, in unseren Herzen das Feuer der Liebe des Heiligen Geistes zu entzünden und gegen alle Bedrohungen der Finsternis und der Kälte wach zu halten? Wer den Himmel wirklich in seiner stillen Schönheit und Erhabenheit wahrnehmen will, muss auch heute in gewissem Sinn die Komfortzonen der irdischen Annehmlichkeiten verlassen. Wer den Boten von Gottes Heil begegnen will, muss sich auch heute geistig dorthin begeben, wo er vordergründig den Gefahren und der ruhigen Kühle der Nacht begegnet. In Wirklichkeit lässt aber erst die Stille und die Entfernung von menschlicher „Beleuchtung“ die lichtvolle Erscheinung und den Gesang der Engel, aber auch das Glitzern der himmlischen Sterne, die Gottes Größe und Vollkommenheit offenbaren, wahrnehmen und bewundern!
Wir dürfen die Zulassung Gottes also durchaus auch als Gnade empfinden, dass wir nämlich heute ebenfalls vor den Toren der Stadt und der schönen Kirchen gleichsam auf armem Feld, aber doch mit dem unvergleichlich frommen Gesang der Engel Liturgie feiern und in ihre himmlischen Melodien einstimmen dürfen, obwohl es andererseits auch schmerzhaft ist, wenn der überlieferte Gottesdienst der Kirche dort, wo er eigentlich hingehört und seine Heimat hat, nämlich in den schönen Kirchengebäuden, von menschlichen und – Gott sei es geklagt: leider so genannten „kirchlichen“ - Autoritäten nicht mehr erwünscht, ja ausgesperrt ist!
Seit dem Sündenfall hat es die Liebe Gottes auf sich genommen, von den Menschen oft missachtet und aus ihren Herzen, ihrem Denken und ihrem Leben hinausgedrängt zu werden! Sie verschließen ihr Herz der Liebe, weil die Liebe immer Platz beansprucht - für Gott und für den Mitmenschen.
Und so war auch damals kein Platz in der Herberge für die heilige Familie. Das kann – rein formal - durchaus gestimmt haben, besonders wenn man bedenkt, dass es wohl schwierig war, einer Frau kurz vor der Geburt etwas Passendes anzubieten. Zudem war gerade Volkszählung, die wahrscheinlich auch so manch andere Menschen in die Stadt geführt hatte. Auch galt eine Frau nach der Geburt nach damaliger Vorstellung und auch nach dem alttestamentlichen Gesetz für eine bestimmte Zeit als unrein (so dass auch Maria erst nach der Zeit ihrer Reinigung wieder zum Tempel hinauf gehen konnte, um die Reinigungsopfer darzubringen, vgl. Lk. 2,22ff.; Lv. 12,6ff.), was für das Finden einer passenden Unterkunft sicher auch kein Vorteil war.
Auf der anderen Seite hätte wohl kein frommer Jude der heiligen Familie die Tür verschlossen, wenn er gewusst hätte, dass hier sein Messias um Aufnahme gebeten hat, und dass hier in dieser Nacht sein Erlöser geboren werden wollte. Für eine arme Familie aber fand offenbar niemand Platz, obwohl sichtbar war, dass Maria kurz vor der Geburt stand und Unterkunft und Hilfe nötig war. Hätten die Menschen auf die Anfrage der Liebe Gottes gehört, hätten sie dann nicht ganz anders gehandelt und vielleicht so dann auch ihren Erlöser erkannt?
Die heilige Familie zog also wieder hinaus vor die Stadt in einen Stall, wo Maria in dieser heiligen Nacht Jesus, unseren Erlöser, gebar, und ihn in eine Krippe legte, wie uns der heilige Lukas, der wohl Maria selbst noch kannte und es von ihr so auch noch selbst gehört haben konnte, überliefert (Lk. 2,7). Vielleicht war es für arme Frauen zur damaligen Zeit auch nicht ganz ungewöhnlich, in einem Stall, außerhalb der gewöhnlichen menschlichen Behausungen, zu entbinden.
Dennoch war diese Zulassung der Geburt des Gottessohnes in einem armen Stall wohl ein besonderes Zeichen seiner Liebe, die nicht in einem herrlichen und prunkvollen Palast hier auf Erden erscheinen will, wo sie nur einigen Bevorzugten nahe sein könnte, die sich oft der Liebe verschließen, sondern weil sie allen Menschen Güte erweisen wollte, besonders den armen, die keine menschliche Hilfe oder Hoffnung mehr haben.
Mitten in der Finsternis umstrahlt die Hirten in dieser heiligen Nacht so nun unverhofft „die Herrlichkeit des Herrn“ (Lk. 2,9)! Und ein Engel des Herrn tritt zu ihnen und spricht: „Fürchtet euch nicht! Denn seht, ich verkünde euch eine große Freude, die allem Volk zuteil werden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, der Messias und Herr!“ (Lk.2,9ff.).
Die Freude, welchen den Hirten verkündet wird, gilt nicht nur ihnen, sondern sie soll „allem Volk zuteil werden“! Alle Menschen leiden unter den Folgen der Sünde, welche die Erde von einem Paradies in einen Ort der Verbannung und der Not verwandelt hatten und der nur noch einen schwachen Hauch dessen, was Gott eigentlich mit Seiner Schöpfung gewollt hat, erahnen und ersehnen lässt!
Ohne Jesus Christus bleibt dieses Paradies fern und unerreichbar. Nun aber tritt Er selbst als armer und kleiner Mensch in unsere Mitte, um uns wieder in dieses Reich der Liebe und der Herrlichkeit Gottes heimzuholen!
Die Hirten damals haben uns eines voraus: Sie durften Jesus als kleines Kind leibhaftig schauen und vor ihm niederfallen! Sie konnten die Botschaft der Engel hören und ihren Jubelgesang mit den eigenen Ohren vernehmen. Sie konnten die heilige Familie in ihrer Armut und Bescheidenheit, in der sie aber dennoch den Adel und die Vollkommenheit der Liebe Gottes widerspiegelte, kennenlernen und begrüßen!
Aber dennoch haben sie in dieser Nacht erst den Anfang der Erfüllung der Verheißung Gottes gesehen: Das Kommen des so lange ersehnten Messias, ganz anders, als sie vielleicht gedacht, aber viel vollkommener, als sie es sich je hätten ausdenken können!
Sie haben zwar den Anfang des Heils geschaut, der sie schon mit so großer Freude umgab! Uns aber wurde die Vollendung geschenkt, in der Taufe das Heil, das uns Jesus in Seinem Leben und Sterben erworben hat, in seiner ganzen und beglückenden Fülle! Wir sind nicht mehr Kinder des Zornes, sondern in der Gemeinschaft mit Jesus Christus Kinder der Gnade, Kinder Gottes geworden! Keine Religion ohne Christus kann die Menschen in diese wahre Gemeinschaft mit Gott zurückholen, kein Mensch kann ohne Jesus den Sieg über Sünde und Tod und somit allein aus eigener Kraft erlangen!
Uns ist beim Hören der Weihnachtsbotschaft insofern immer auch schon die Osterfreude mitgeschenkt: Wir wissen, was das Kommen des Erlösers wirklich so groß und wertvoll macht: Seine Hingabe für uns am Kreuz und Sein Sieg über Sünde und Tod in Seiner Auferstehung!
So gibt es für uns eigentlich nicht mehr die wirkliche Finsternis und Kälte der Nacht, in der die Menschen ohne Jesus Christus leben mussten. Der Heilige Geist erleuchtet und erwärmt unsere Herzen, wenn wir sie der Gnade Christi öffnen! Und dieses Sein Licht und Seine Freude soll durch uns auch die Welt hell und klar machen, indem der Heilige Geist uns alle zur wahren Erkenntnis der Liebe Gottes führen will!
Die meisten Menschen schliefen wohl in der heiligen Nacht, ohne zu ahnen, welch große Dinge sich in ihrer allernächsten Nähe ereignet haben! Nur wenige, die eher abseits vom großen Getriebe der Welt lebten, waren in dieser Nacht auf Wache. Im Lärm der Stadt, im Reichtum dieser Welt, in den blendenden Lichtern irdischer Behaglichkeit und irdischen Vergnügens hätten auch wir vielleicht die Stimmen, den Gesang der Engel überhört und die Herrlichkeit des Herrn übersehen, die sie umstrahlte – wie wir vielleicht auch die Not der heiligen Familie nicht erkannt hätten und uns ihrer vielleicht auch nicht angenommen hätten!
Jesus sucht uns, aber Er will auch, dass wir wachsam sind, dass wir unsere Herzen nicht zu sehr mit irdischen Sorgen beschweren, die unseren Blick ablenken von der Schönheit des Himmels. Vor den Toren der Stadt leben zu müssen wie die armen Hirten damals, kann so auch eine Gnade sein, die wir erkennen und nützen sollen und dürfen: Dort, wo das irdische, menschengemachte Licht weniger hin dringt, leuchten um so schöner und heller die Sterne des Himmels, die auch wir leicht sehen und erkennen, wenn wir nur bereit sind, unseren Blick, vor allem aber unsere Herzen, zu erheben! Und nur dort, wo wir uns auch achtsam und wach der Stille hingeben, zeigt sich uns die Herrlichkeit des Herrn, in der wir auch heute die Worte der Engel vernehmen dürfen, die ja nicht nur für die Hirten, sondern für die ganze Welt bestimmt sind: „Seht, ich verkünde euch eine große Freude!“ (Lk. 2,10).
Jesus ruft, aber er zwingt nicht. Er schenkt sich uns, aber Er will, dass auch wir unser Herz für die Liebe öffnen, ohne welche wir Ihn nicht finden! Die Engel verkündeten den Hirten eine große Freude. Doch auf den Weg mussten sie sich dann selber begeben!
Das ist das Geheimnis der liebenden Zurückhaltung Gottes, die viele beklagen, ohne zu erkennen, dass sie ein Zeichen Seiner großen Zuneigung zu uns ist: Gott vermindert damit die Anrechenbarkeit von Schuld, weil selbst die Verletzung der Liebe dann nicht so groß ist als wenn sie direkt ins Angesicht Gottes hinein begangen würde, Seine Gnade und Sein Erbarmen ist jedoch überreich, wenn wir uns von der Liebe führen lassen!
Wir sind von der Finsternis und der Kälte der Welt zwar immer auch umgeben, aber wir sollen unser Herz nicht ihr überlassen. Wenn wir nur klagen und lärmen, werden wir die Stimmen der Engel wahrscheinlich überhören, die uns doch immerfort zur Krippe unseres Erlösers rufen! Wie wenig sind wir oft bereit, die Einladung der Liebe zu hören und die Herrlichkeit des Herrn zu sehen, die uns doch umgibt und die Welt erleuchtet, seit Er zu unserem Heil vom Himmel her niedergestiegen ist!
Er offenbarte sich damals als kleines Kind, „in Windeln gewickelt und in einer Krippe“ (Lk. 2,12) liegend. Und trotzdem ist die Botschaft überwältigend: „Seht, ich verkünde euch eine große Freude, die allem Volk zuteil werden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, der Messias und Herr!“ (Lk. 2,11).
Wenn das „Zeichen“, das der Engel angibt, nur „ein Kind … in Windeln gewickelt und in einer Krippe“ liegend sein soll, wären manche von uns heute vielleicht gar nicht hingegangen. Gibt es nicht viele kleine Kinder?
Und doch liegt hier neben der Erscheinung der Engel ein ganz bedeutsames Zeichen: Gott sucht und braucht nicht die irdische Macht, sie ist für Sein Reich eher hinderlich. Hätte Er sich als irdischer König mit aller Gewalt und allem Prunk offenbart, wie es viele Juden damals erwartet haben, so wäre Er uns doch letztlich fremd geblieben. Und so offenbart Er sich uns als armes, kleines, der Not der Welt ausgeliefertes Kind!
Er wollte nicht fern von uns sein, sondern unser Elend mit uns teilen, ja auf sich nehmen, obwohl wir erst durch die Sünde in dieses Elend geraten sind! Und so finden dieses Kind auch nur diejenigen, die sich ihr Elend eingestehen, die wirklich auf die Erlösung von allem Bösen und damit auf ihren Heiland, Messias und Herrn warten: Ihnen wird in dieser heiligen Nacht die Freude verkündet und zuteil!
Die „Menschen Seiner Huld“ (Lk. 2,14), denen die Engel Frieden verkünden, sind „die Menschen, die guten Willens sind“! Beide Lesarten und Übersetzungsmöglichkeiten haben so ihre Berechtigung.
So wollen wir für diese Huld und Gnade, die uns durch Jesus Christus durch Seine Menschwerdung geschenkt wurde, danken und unser Leben zum Lob Gottes werden lassen, indem wir nicht nur am Heiligen Abend, sondern ununterbrochen uns dem Gesang der Engel verbinden, der uns ruft und zu unserer Antwort auf die Liebe Gottes herausfordert:
„Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden den Menschen auf Erden, die guten Willens sind!“ (Lk. 2,14).
Thomas Ehrenberger
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