Der sittliche Wille


Wenn wir einen Blick auf die Anfänge des Christentums und der Kirche werfen, dann ist es leicht festzustellen, daß diese Anfänge sehr bescheiden, ja äußerst bescheiden waren. Der Stifter dieser Religion, Jesus von Nazareth, gehörte zwar Seiner leiblichen Abstammung nach dem davidschen Geschlecht an, konnte sich aber keinesfalls zu den Mächtigen, Wohlhabenden und Einflußreichen Seiner Zeit rechnen. Als Sohn eines einfachen Zimmermanns und ohne in den Genuß einer höheren Ausbildung gekommen zu sein, ragte Er kaum aus der überwiegenden Mehrheit Seiner Zeitgenossen heraus. 

Auch jene Männer, die Er zu Seinen ganz speziellen Gehilfen, den Aposteln, auswählte, konnten im Hinblick auf Abstammung, Reichtum und Ausbildung ebenfalls nichts Besonderes oder Außergewöhnliches vorweisen. Nach rein menschlichem Ermessen gehörten sie auch zur großen Masse des Volkes. Die Brüderpaare Petrus-Andreas und Jakobus-Johannes waren Fischer. Der Zöllner Matthäus gehörte einem Berufszweig an, der beim Volk nicht nur nicht angesehen, sondern sogar verpönt war. Bei der Verkündigung ihrer Lehren verzichteten Jesus und die junge Kirche auch noch auf jede Art von unsauberer und unlauterer Beeinflussung ihrer Zuhörer. Statt sich raffinierter rhetorischer Mittel, statt sich ausgeklügelter Überredungskünste zu bedienen, bauten sie auf einfache und für jedermann leicht verständliche Worte. Ihnen ging es um die Sache und nicht um die äußere Verkleidung. 

Der Inhalt ihrer Lehren ließ, menschlich gesprochen, ebenfalls keine große Hoffnung auf durchgreifenden Erfolg aufkommen. Wenn man einem starken, ja übermächtigen Gegner gegenübersteht und dabei auf jede Art äußerer Hilfe bewußt verzichtet (vgl. Mt 26,51f.), dann muß man mit einem Ergebnis rechnen, das in den Augen der Menschen normalerweise als eine Niederlage, als ein Scheitern der eigenen Sendung aussieht. In der Ellenbogengesellschaft “erreicht” nur der etwas, wer sich entsprechend benimmt. Menschlich gesprochen besaß also das Christentum keine günstigen Voraussetzungen, um zahlreiche Anhängerschaft und großen Einfluß auf die Gesellschaft zu gewinnen. Die äußeren Bedingungen, unter welchen diese Religion ihre Anfänge nahm, waren nicht gerade erfolgversprechend. Und trotzdem gelang es dieser christlichen Religion, nicht nur ihre Zeit zu beeinflussen, sondern auch, die ganze Weltgeschichte tiefgreifend und nachhaltig zu verändern! 

Die Auswirkungen, die sie trotz der gepredigten und praktizierten Gewaltlosigkeit erzielte, waren gewaltig. Das übermächtige Römische Imperium, das die damalige antike Welt beherrschte und jeden Aufstand blutig niederschlug, konnte im Endeffekt nichts gegen die junge Kirche ausrichten. Ja das Heidentum, das diesem Imperium zugrunde lag, wurde in seinen Grundfesten erschüttert, geschwächt und schließlich auch überwunden. Das Christentum erwies sich in seiner äußeren Schlichtheit stärker als seine Gegner, die sich für berechtigt hielten, auf viele äußere “Hilfen” zurückgreifen zu dürfen! Worin liegt also das Geheimnis des christlichen Glaubens? Welcher Umstand hat es befähigt, die tiefgreifende Veränderung der Weltgeschichte bewerkstelligen zu können? Es muß doch etwas geben, das seinem Siegeszug durch die Herzen der Menschen verhalf. 

Wie wir weiter oben gesehen haben (S.4 ff.), war es die enorme sittliche Kraft Jesu Christi (und der jungen Kirche), die all dies vollbrachte. Ihre Zuhörer merkten, daß es mehr als bloß menschliche Weisheit war, die aus ihren Worten sprach. Personen wie Hitler und Stalin konnten ebenfalls viele in ihren Bann ziehen. Nur war bei ihnen kein sittlicher Wille im Spiel - man kann den Menschen relativ leicht manipulieren, wenn man ihm geschickt etwas einredet. Wie aber in diesen Fällen die Ernüchterung aussah, ist allseits bekannt. 

Was aber Jesus und Seine Jünger auszeichnete, war ihre Entschiedenheit im Guten! Es war die Kraft der Wahrheit, die sie lehrten und vor allem konsequent lebten, die den Menschen die innere und unerschütterliche Überzeugung von der Wahrheit ihrer Worte vermittelte, weil sie darin niemand anders als Gott in aller Deutlichkeit erblickten. Und jeder, der guten Willens war, konnte sich diesem Anspruch nicht entziehen. Deswegen konnten sich Jesus und die junge Kirche “erlauben”, auf andere Hilfsmittel zu verzichten - wer auf die Wahrheit baut und sie allein sucht, braucht keine anderen “Überredungskünste” zur Hilfe zu ziehen. Die Wahrheit, die aus Gott kommt, ist seine einzige und wirksamste Waffe! 

Wir, katholische Christen, die die Treue zum überlieferten Glaubensgut der Kirche bewahren wollen, stehen heute auch vor so manchen Sorgen und Problemen. Vieles, auch und gerade innerhalb unserer Kreise, liegt im argen, so daß es unseres Einschreitens, unseres Ausbesserns, unserer Korrektur bedarf. Die Sicherung der sonntäglichen Meßfeier mit allen sich daraus ergebenden Fragen, der fehlende Nachwuchs in unseren Gemeinden und in der Priesterschaft, die Aufrechterhaltung und Vertiefung der Glaubenssubstanz bei den Gläubigen, besonders bei der Jugend, die Klärung und Abgrenzung unserer Position gegenüber dem modernistischen Irrglauben und dem Sektenwesen sind nur einige Punkte, die hier erwähnt seien. 

Auch nach außen hin stehen wir oft vor Problemen, die menschlich gesprochen unsere schwachen Kräfte übersteigen. Die moderne gottlose Welt läßt nicht mit sich spaßen. Mit denen, die dagegen ankämpfen, die sich dagegen auflehnen, geht sie nicht gerade zimperlich um. Der angeblich wertneutrale Liberalismus, an dem unsere Gesellschaft erkrankt ist, der sich selbst als besonders menschenfreundlich brüstet und sonst jeden Unfug und fast jede moralische Perversion hinnimmt, verhält sich aber jenen gegenüber nicht gerade “verständnisvoll”, die sich aus Überzeugung gegen dieses gefährliche System des Liberalismus aussprechen. 

Ja, wo es geboten ist, wo wir einschreiten und vielleicht doch etwas, wenn auch noch so geringes, in positive Richtung bewegen können, da müssen wir um Gottes, der Kirche Christi und des ewigen Heiles der Menschen willen die Mühe und den Kampf auf uns nehmen. Der erste Schritt bei alldem muß aber sein, sich auf das Gebot Gottes nach der Heiligung des eigenen Lebens ernsthaft zu besinnen. Wenn wir erreichen, Ihn immer mehr zu lieben, d.h. von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit allen unseren Kräften, dann wird Er uns auch umso mehr Seinen Segen geben für unsere sonstige Bemühung um die gute Sache. 

Wer sich kaum um einen sittenreinen Lebenswandel kümmert oder vielleicht sogar bewußt falsche Kompromisse mit Unrecht und Bosheit eingeht (um angeblich für die Sache Christi zu streiten), der erscheint unglaubwürdig und bringt sogar diese Sache Christi in Verruf! Wer es aber im eigenen Leben ernst nimmt mit der Forderung Gottes: “Seid heilig, weil Ich heilig bin!” (Lv 11,44) und sich in allen Lebensbereichen um Entsprechung zum heiligen Willen Gottes bemüht, der wird grundsätzlich auch fruchtbringend für die Kirche und das Wohl der Menschen wirken können, weil er ganz einfach glaubwürdig erscheint! Und je mehr der Mensch an sittlicher Energie aufbringt, desto mehr bringt er auch an positiver geistiger Ausstrahlung mit. Umso leichter wird es ihm dann auch fallen, bei Menschen guten Willens Überzeugungsarbeit leisten zu können. 

Wenn wir also das heilvermittelnde selbstlose Wirken der Apostel und der ganzen jungen Kirche für die Sache Christi fortsetzen wollen, dann müssen wir uns unbedingt auch darum befleißigen, ihre Entschiedenheit im Streben nach Heiligkeit und nach einem ganzheitlich sittlichen Willen uns anzueignen. Dazu mögen sie uns durch ihre Fürsprache helfen! 

 

P. Eugen Rissling


 


10Das grundsätzliche (willentliche) Verweigern des eigenen Mitopferns durch die Kirche hätte folgerichtig auch Auswirkungen auf die Frage der Gültigkeit der Messe.
11Es ist hier wie auch sonst die Rede von der katholischen Kirche und nicht von der in Irrtümer sich verstrickten „Amtskirche“.
12Die moderne Tendenz anzunehmen, daß jeder Mensch in den Himmel kommen werde, ob er nun will oder nicht, stellt - weil ein unausweichlicher Zwang - den gröbsten Mißbrauch der menschlichen Freiheit und schließlich auch den des Menschen selbst dar!
13 Wohl gehört aber zum Opfer auch das Opfermahl!

 

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