Die Torheit des Kreuzes


Die große Wahrheit der Offenbarungsgeschichte Gottes mit dem Menschengeschlecht, wie sie ihren Niederschlag neben der lebendigen Überlieferung auch in den Büchern des Alten und Neuen Testamentes gefunden hat, besteht darin, dass Er sich uns, den Menschen, gegenüber geöffnet, sich eben offenbart hat, „in dieser Endzeit durch Seinen Sohn zu uns gesprochen hat“ (Hebr 1,2). Da ja auch der Mensch von Ihm als Sein „Ebenbild“, Ihm „ähnlich“ (vgl. Gen 1,26) erschaffen worden ist, sind wir mittels unseres Geistes und der Vernunft grundsätzlich in der Lage, Ihn z.B. in Seiner Heiligkeit, Güte, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und (sittlichen) Vollkommenheit wahrzunehmen. Mit anderen Worten: wir können Gott erkennen, und zwar wirklich und unmittelbar! 

Dennoch darf von uns niemals vergessen werden, dass unser menschlicher Verstand trotz allem in gewisser Hinsicht doch begrenzt ist. Unsere Art zu denken ist nicht vollkommen, nicht mit der Denkweise Gottes identisch, weil eben nicht uneingeschränkt. Außerdem spielt hier auch die Tatsache eine Rolle, dass wir nicht sündenfrei sind und somit vieles nicht aus dem Blickwinkel Gottes sehen (wollen bzw. können). Das bedeutet aber nicht, dass wir immer, wenn wir uns Gedanken über Gott machen, nur von einem Phantom reden, nur eine Art Fata Morgana vor uns haben. Nein, z.B. der Vollzug der Erkenntnis über die positive und sich selbst rechtfertigende sittliche Qualität des Guten lässt uns ja bereits Gott mit den Augen unseres Geistes erblicken. 

Was wir nicht können, ist, Ihn voll und ganz zu begreifen, Ihn gewissermaßen auszuschöpfen, Ihn auf diese Weise uns gleich zu machen. Hier macht es sich eben bemerkbar, dass Gott im Unterschied zu uns, Menschen, das, was und Wer Er ist, in unendlicher Form ist! Und darin besteht ja unsere Unfähigkeit, Gott zu begreifen, weil wir wegen der Begrenztheit unseres Geistes nicht in der Lage sind, diese Art der göttlichen Unendlichkeit in adäquater Form zu besitzen und zu verarbeiten. So gesehen ist Gott immer mehr, als unsere Vorstellungskraft leisten kann. 

Weil wir als Menschen aber nur unsere menschlichen Denkmuster und Maßstäbe kennen, neigen wir fast wie selbstverständlich dazu, diese auch auf Ihn zu übertragen, Ihn in unserer Vorstellung den menschlichen Gesetzmäßigkeiten des Denkens und des Handelns zu unterwerfen. Darin spiegelt sich unter anderem auch unsere allzu menschliche Absicht wider, Gott nach bestimmten (menschlichen) Kategorien einzuordnen und zu klassifizieren, um Ihn gewissermaßen berechnen zu können. Daraus resultieren dann auch gewisse Vorstellungen, die wir in Bezug auf Sein Wirken und Handeln pflegen. Wir erwarten halt, dass Er sich nach unserer menschlichen Art verhalte, auch um für uns vermeintlich unangenehme Überraschungen zu vermeiden. Dabei vergessen wir geflissentlich - und das ist der entscheidende Punkt -, dass Er als Gott unseren Gesetzen der irdischen Logik nicht zu unterwerfen ist! 
Und wie oft hat Er sich in Seiner göttlichen Souveränität bereits über unsere Pläne hinweggesetzt, die wir gelegentlich bezüglich Seiner anstellten und anstellen. Besonders deutlich wurde dies im Leben Jesu Christi, des Eingeborenen Sohnes Gottes, sichtbar, der ja der „Abglanz Seiner Herrlichkeit und das Abbild Seines Wesens“ ist (Hebr 1,3). Darin hat sich eben gezeigt, dass die Gedanken der Menschen häufig nicht den Gedanken Gottes entsprechen, dass Seine Weisheit und Seine Vorsehung bei weitem unseren Sichtkreis übersteigen, dass wir einen verengten Blickwinkel besitzt. 

So konnte sich wohl kaum jemand zur Zeit des Königs Herodes vorstellen, dass der „neugeborene König der Juden“ (Mt 2,2) in einem Stall zu Bethlehem, in einer „Krippe“ (Lk 2,7), die ja zur Fütterung der Tiere bestimmt ist, geboren werde. Ein Messias, der nach der damals geläufigen Meinung das (irdische!) Reich Israel wieder aufrichten sollte (vgl. Apg 1,6), müsse ja im königlichen Palast, wenigstens aber in einem angesehenen Haus, das Licht dieser Welt erblicken. Nun war aber Jesus, für den sich bei der Geburt nicht einmal ein Platz in der Herberge fand (vgl. Lk 2,7), das Kind einfacher Leute, er wurde „für den Sohn Josefs“ (Lk 3,23), eines Zimmermanns, gehalten. Ebenfalls passte es nicht in das Vorstellungsvermögen der Zeitgenossen Jesu, der Messias „müsse nach Jerusalem gehen, vieles erleiden von Seiten der Ältesten, Hohenpriester und Schriftgelehrten, getötet werden“, was Er es eben selbst mehrmals versuchte, „Seinen Jüngern klarzumachen“ (Mt 16,21). Nicht wenige nahmen nämlich beim Vernehmen der Botschaft, Er sei der verheißene Messias und sogar Gottessohn, daran Anstoß, dass Er nicht wie auch immer dreingeschlagen hat mit Seiner Macht, nicht die verhasste Oberherrschaft des heidnischen Römischen Imperiums abgeschüttelt hat, nicht Israel zum militärischen Ruhm und politischen Glanz verholfen hat. Statt dessen hat Er zwar engagiert, aber dennoch friedlich gepredigt, und ist zu allerletzt auch noch zum Tode verurteilt worden und wie der letzte Kapitalverbrecher am Kreuz den qualvollen Tod gestorben. 

Einen solchen Messias hat man nicht erwartet, mit dieser Art göttlichen Wirkens hat man nicht gerechnet. Die Lästerung, der Spott und der Hohn, die Christus am Kreuz seitens der „Vorübergehenden“, seitens der „Hohenpriester samt den Schriftgelehrten und Ältesten“ entgegen geschleudert wurden (vgl. Mt 27,39ff.), sind wohl auch in diesem Lichte zu sehen und zu verstehen. Denn ein Messias, der das erleiden musste, was Jesus durchlitten hat, schien diesen Leuten nicht vereinbar zu sein mit ihrer eigenen Messiasvorstellung. Und der hl. Apostel Paulus kleidet diesen ganzen Sachverhalt folgendermaßen treffend in Worte: „Freilich gilt die Predigt vom Kreuze denen, die verloren gehen, als Torheit, uns aber, die gerettet werden, als Gottes Kraft. Es steht ja geschrieben: ´Der Weisen Weisheit mache ich zunichte, verwerfe der Verständigen Verstand´. Wo bleibt der Weise, wo der Schriftgelehrte, wo der Redekünstler dieser Welt? Hat Gott nicht die Weisheit dieser Welt als Torheit erwiesen? Weil nämlich die Welt mit ihrer Weisheit Gott in Seiner göttlichen Weisheit nicht erkannt hat, hat es Gott gefallen, durch eine Botschaft, die als töricht gilt, die zu retten, die daran glauben. 

Die Juden fordern Wunderzeichen, die Griechen (Heiden - Anm.) suchen Weisheit. Wir aber predigen Christus, den Gekreuzigten: für die Juden ein Ärgernis, für die Heiden eine Torheit; für die aber, die berufen sind, ob Juden oder Heiden, Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn Gottes ´Torheit´ ist weiser als die Menschen, und Gottes ´Schwachheit´ ist stärker als die Menschen“ (1 Kor 1,18-25). Das ist eben die sogenannte Torheit des Kreuzes, die die Menschen sehr häufig nicht realisieren, nicht in ihrer menschlichen Einseitigkeit und Beschränktheit verstehen (wollen). Und nur der, der sich auf Christus einlässt, der die geistige Erdanziehungskraft überwindet, „gewinnt“ die göttliche Sicht, versteht die göttliche Weisheit, erkennt schließlich in Jesus Christus den (einzigen) Heiland und Erlöser der Welt! 

Wenn wir als katholische Christen, die unbedingt an der geheiligten Glaubens- und liturgischen Tradition der katholischen Kirche festhalten wollen, heute Gespräche mit Menschen führen, die wenigstens nicht in allem unsere Auffassungen und Überzeugungen teilen, um sie auf die Irrtümer und Gefahren aufmerksam zu machen, die auf sie z.B. aus dem kirchlichen Modernismus und Liberalismus lauern, denen übrigens die heutige offizielle „Kirche“ verfallen ist, werden wir nicht selten mit „Argumenten“ konfrontiert, die eigentlich an der realen Wirklichkeit vorbeigehen und letztendlich nichts anderes als eine Art reines Wunschdenken der betreffenden Personen darstellen. 

So heißt es ja seitens der modernen Katholiken bisweilen, es könne nicht sein, dass z.B. die sogenannte moderne „Eucharistiefeier“ als solche in einem solchen Umfang gravierende und fundamentale Defekte enthalte, dass ihr die sakramentale Gültigkeit abgesprochen und sie somit für ungültig gehalten werden müsse. Man müsse halt schauen - wird häufig hinzugefügt -, ob man sie vielleicht nicht auch noch irgendwie im richtigen katholischen Sinn interpretieren könne, um möglichst nicht so weit in den Schlussfolgerungen gehen zu müssen, wie im vorigen Satz dargelegt. Wie schlimm wären denn die Auswirkungen beim gläubigen Volk, müsste man sie tatsächlich für ungültig erklären, da würde ja kein gültiges Messopfer und auch keine gültige Kommunionen vorliegen! Oder man wehrt sich mit allen Mitteln gegen das Eingeständnis, der „Papst“ Johannes Paul II. würde sich mit seinen wiederholten öffentlichen Behauptungen, auch im (nachchristlichen) Judentum und im Islam werde „der wahre Gott angebetet“, oder, „die feste Überzeugung der Bekenner nichtchristlicher Religionen“ gehe „aus dem Heiligen Geist hervor“ (Enzyklika Redemptor Hominis), schwerstens (!) gegen die unmissverständliche Lehre des Evangeliums versündigen, wonach nur der christliche Glaube und die christliche Taufe den Weg zum Heil öffnen (vgl. Mk 16,16), und würde dadurch in den offenkundigen und fundamentalen Widerspruch zu Jesus Christus, dem einzigen Erlöser, treten! 

Oder man behauptet, es sei für (die Gläubigen) unzumutbar und wenig „erfolg“versprechend, daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, diesem Johannes Paul II. das Papsttum und auch der „neuen Kirche“ insgesamt - wegen der verschiedenartigsten gewaltigen Vergehen gegen den katholischen Glauben - den Charakter des Katholisch-Seins, den Status der Kirche Jesu Christi abzusprechen. Da fragt man sich als glaubenstreuer Katholik schon nicht selten, wie kann man denn so blind sein und nicht den massiven und systematisch betriebenen Glaubensabfall bemerken, für welchen insgesamt das modernistische Neue Rom verantwortlich zeichnet, und der auf eine so vielfältige und zahlreiche Weise offenbar gemacht wird! Aber anscheinend schließt man nicht selten lieber die Augen vor den Realitäten, die übrigens bereits längst begonnen haben, ihre zerstörerische Wirkung zu entfalten, jongliert etwas mit der Wahrheit, indem man unzulässige Mutmaßungen in die Welt setzt oder faule Ausreden produziert, wendet eine Reihe sogenannter gedanklicher Tricks an, um möglichst doch noch das moderne Rom gegen allen objektiven Sachverhalt „gesundzubeten“ und sich dadurch schließlich auch nicht zu sehr aus der Ruhe bringen zu lassen. Was halt nach eigenem Ermessen nicht sein darf, das wird einfach weg „diskutiert“, weg „interpretiert“. 

Zwar mag dieses Wenden und Drehen gelegentlich sogar den Schein erwecken, es sei geistreich und intelligent. Die Realität aber ist, dass dies einem unter dem Strich trotzdem nichts bringt, dass man sich nichtsdestoweniger sowohl aus der katholischen Kirche als auch aus dem gültigen Sakramentenempfang ausschließt, der doch von einer so enormen Bedeutung für das Heil der unsterblichen Seelen ist! Besinnen wir uns also - auch aufgrund dieser traurigen Erfahrungen - um so mehr darauf, letztendlich einzig und allein die Wahrheit zu suchen, sich an ihr zu orientieren. Was würde es uns nutzen, wenn uns die ganze Welt Beifall klatscht, wir aber dabei Gott und das ewige Heil verspielen, weil wir schließlich nicht Ihn und Seine Gerechtigkeit suchen, sondern die Zustimmung und den Applaus der Mitmenschen! Vor den Augen der Ewigkeit, den Augen Gottes nämlich, könnten wir mit dieser Einstellung unter keinen Umständen bestehen. 

Wachsen wir also im Glauben an Christus, stärken wir die Hoffnung auf Ihn, intensivieren wir die Liebe zu Ihm, damit wir auch lernen, Ihm bei Bedarf auch in Not, bei Kreuz und in Schmach zu folgen. Wenn wir auf Ihn vertrauensvoll blicken und uns für Seinen Willen als der maßgebenden Richtschnur für unser Handeln entscheiden, werden wir - trotz des äußeren und bisweilen sogar heftigen Widerspruchs - auch den inneren Frieden, die Ruhe des Herzens in Gott, erfahren, die nur Er, und nicht die Welt, geben kann (vgl. Joh 14,27)! 

Seien wir also bereit, die heutige äußerst traurige kirchliche Situation ohne irgendwelche Scheuklappen zu analysieren, um dann auch die entsprechenden Konsequenzen daraus zu ziehen. Um den Glauben und die hl. Messe zu retten, müssten wir auch insofern innerlich gewachsen sein, dass wir uns von allem distanzieren, was im Widerspruch dazu steht, seien es unter Umständen auch die modernen „Hirten“ oder die „erneuerte“ Liturgie. Wenn es sein sollte, und wir keine bessere Alternative haben, sollten wir uns ebenfalls nicht scheuen, Gott im hl. Messopfer auch in einem Gasthof oder Hotel die Ehre, die Ihm allein gebührt, zu geben. Wir können nämlich niemals die Bedingungen für die Nachfolge Christi diktieren, sondern müssen uns als fromme Christen eigentlich Seiner Vorsehung beugen! 

Stehen wir unerschütterlich auch zu den Grundsätzen der christlichen Moral, auch wenn wir dabei mit allem anderen als mit der Zustimmung der sogenannten „moderne Gesellschaft“, die vieles davon für altmodisch und rückständig erklärt hat, rechnen müssen. Wer auch da sich zu Christus bekennt, zu dem wird auch Er sich vor Seinem himmlischen Vater bekennen (vgl. Mt 10,32). 

Denn nur wer dem leidenden Heiland die Nachfolge nicht versagt, lernt die göttliche Sicht der Dinge kennen, gewinnt erst den geistigen Durchblick. Nur wer bereit ist, sich der Torheit des Kreuzes zu unterwerfen, sie in richtiger christlicher Gesinnung zu tragen, kämpft sich gewissermaßen zu Gott durch und darf in der Folge auch an Seiner Herrlichkeit teilhaben. „Das ewige Leben besteht aber darin, dass sie Dich erkennen, den allein wahren Gott, und Den Du gesandt hast, Jesus Christus“ Joh 17,3)! 

 

P. Eugen Rissling

 

 

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