Haben wir Zukunftsperspektiven?


Jeder Mensch hat während seines Lebens mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen und Hindernisse verschiedenster Art zu überwinden. Einmal da, einmal dort tauchen in regelmäßigen Zeitabständen Probleme auf, die unser Leben nicht gerade angenehm machen. Jeder weiß aus eigener Erfahrung, daß das Leben eben nicht leicht zu bewältigen ist. 

Nur überwindet der Mensch die Hindernisse leichter, wenn er eine Perspektive vor Augen hat. Wenn er genau weiß, wofür er seine Kräfte einsetzt, wächst bei ihm eher die Hoffnung auf den Erfolg des betreffenden Unternehmens. Und diese Hoffnung beflügelt ja bekannterweise. Solange dem Menschen der Sinn und die Bedeutung seiner Mühen deutlich bewußt sind, wird die Motivation gestärkt, die ihrerseits neue verborgene Kräfte weckt. 

Fehlt aber dem Menschen diese positive Perspektive, dann fehlt ihm in der Regel auch die Motivation zum Handeln, zum energischen Handeln. Man sieht keinen (großen) Sinn mehr in der eigenen Anstrengung. Diese Einstellung der Hoffnungslosigkeit hat aber fast zwangsweise das Ausbleiben des erhofften und erwünschten Erfolges zur Folge. Und der Mißerfolg demoralisiert den Menschen noch weiter. 

Wie sieht denn unsere Lage in der heutigen Zeit aus? Gibt sie uns viel Hoffnung für die Zukunft? Gesellschaftlich-politisch können wir, Christen, kaum etwas erreichen. Es wird immer deutlicher, daß nur bestimmte, relativ kleine Kreise den Ton in der Politik angeben und weitreichende Entscheidungen über die Köpfe der breiten Schicht der Bevölkerung hinweg treffen. Trotz der z.B. doch nicht unbeträchtlichen Anzahl von Unterschriften, die für das Lebensrecht der Ungeborenen gesammelt wurden, entschied sich der Deutsche Bundestag am 29.Juni 1995 dennoch für die Fristenlösung bei der Abtreibungsfrage. Und der Generalsekretär einer großen sogenannten „C“-Partei stellte nur einige Tage zuvor bei der 50-Jahr-Gründungsfeier das „C“ im Namen dieser Partei als den Garanten für den Erfolg deren Politik dar, obwohl seine Partei durch ihre mehrheitliche Haltung die Legalisierung der Tötung Ungeborener erst ermöglichte! Wie auf der nationalen Ebene so regieren die Wirtschafts- und Finanzimperien die heutige Welt auch international, da eigentlich noch stärker.

Hätten wir doch wenigstens einen starken Rückhalt in der (offiziellen) Kirche. Aber was da von deren amtlichen Stellen tagtäglich in Glaube und Moral als katholisch (d.h. christlich) ausgegeben wird, widerspricht oft in offenkundiger Weise den eindeutigen Lehren Jesu Christi! Infolgedessen ist das klare christliche Bewußtsein sogar in weiten Teilen des Kirchenvolkes selbst in erschreckendster Weise geschwunden. Man kann manchmal noch so viel reden und ermahnen (im besten Sinne des Wortes), die Menschen wollen nicht hören, was sie nicht hören wollen. Groß hoffen, daß aus dieser Richtung der Anstoß zur geistigen Erneuerung der Gesellschaft kommt, können wir somit leider nicht. Auch in den eigenen Reihen brodelt und bröselt es. Immer wieder - und jedes Mal einmal zu viel - ist das Fehlen eines ernsthaften Interesses an einer sachlichen und konstruktiven Zusammenarbeit festzustellen. Private Interessen nehmen überhand und werden über das allgemeine Wohl der Kirche gestellt. Der Wille zur (gesunden) Einheit wird oft durch menschliche Überheblichkeit und Sturheit zerstört. 

Auf diesem gesamten Hintergrund ist das Verhalten der sogenannten „Abspringler“ psychologisch zu erklären.5 Es habe doch alles keinen Sinn, weil man allein mit seinem Idealismus in der heutigen Zeit kaum etwas erreichen könne. Jeder noch so wohlgemeinte Versuch, die Welt zu verbessern, sei zum Scheitern verurteilt. Da könne Gott und der Glaube auch nichts bewirken. Man soll sich nicht täuschen lassen. Bei schwacher Glaubenshaltung können auf diese Weise Gott und die Kirche relativ schnell beiseite geschoben und dann ganz aufgegeben werden. 

Hat unser Kampf gegen die Gott- und Sittenlosigkeit angesichts dieser wenig Hoffnung versprechenden Sachlage noch einen Sinn? Sollen wir in unserer bisherigen Einstellung des Glaubens und der Moral weitermachen? Sollen wir fernerhin gegen den Strom schwimmen, obwohl wir trotz besten Willens und edelster Einstellung nicht viel erreichen können? Oder ist es nicht viel klüger, die Segel streichen zu lassen, sich allmählich an die Gegebenheiten der Zeit anzupassen, um nicht die Kräfte vergeblich verschwenden zu müssen? 

Um diese Fragen zu beantworten, ist es nicht unangebracht, eingangs eine andere ernsthafte Frage zu stellen. Warum haben wir denn diesen Kampf auf uns genommen? Was war letztendlich der Beweggrund für unsere Entscheidung, im Gegensatz zur großen Mehrheit unserer Zeitgenossen eine andere Position zu beziehen? Waren es vielleicht Rechthaberei und Arroganz, die uns den Anlaß dazu gegeben hatten? Oder das starke Interesse aufzufallen, die Aufmerksamkeit vieler auf sich lenken zu wollen? Etwa das Streben nach persönlicher Profilierung, die Absicht, Karriere im kirchlichen Bereich nach dem folgenden Prinzip machen zu wollen: lieber im kleineren Kreis höher aufsteigen und bekannt werden als im größeren Kreis den grauen Durchschnitt darstellen und für die meisten unbekannt bleiben? 

Wenn diese Motive für uns die ausschlaggebenden gewesen sein sollten, dann müssen wir in der heutigen Zeit notwendig scheitern! Ganz abgesehen davon, daß diese Beweggründe moralisch grundsätzlich niemals zu rechtfertigen sind, stellt sich außerdem nicht der erhoffte Erfolg ein. Zwar kann mancheiner in irgendeiner Weise die Aufmerksamkeit auf sich lenken und Karriere machen, dabei wird er aber von der Mehrheit ebenfalls belächelt und als rückständig hingestellt. Für einen Christen kann es nur einen einzigen Grund geben, die christliche Einstellung nicht nur selbst zu besitzen, sondern auch nach außen hin zu vertreten: Gott selbst! Nur Gott, nur Er allein kann und darf das entscheidendste Motiv für unser Handeln, die letztendliche Motivierung für unseren Kampf gegen die gewaltigen Verirrungen der modernen Welt sein! 

Der Mensch vernimmt in sich die Stimme Gottes, er vernimmt Seine absoluten Forderungen und Seinen Anspruch auf uns, auf unseren Willen - d.h. er erkennt Gott - und antwortet Ihm nicht nur mit verbalen Absichtserklärungen, sondern lebensmäßig, unter Einsatz seiner ganzen Existenz! Mit anderen Worten, der Mensch erkennt die Wahrheit und Liebe Gottes und beantwortet sie mit seiner eigenen Liebe, er liebt Gott! Und diese Antwort eines Christen, will er diesen Namen würdig tragen, muß allein mit Rücksicht auf Gott, seinen Herrn, gegeben werden. Keine anderen Interessen - auch wenn sie noch so im Spiele sein sollten - dürfen seine Antwort auf die selbstlose Liebe des Heiligen Gottes beeinflussen. Zwar berücksichtigt und erwägt auch der Christ alles, was berücksichtigt und erwogen werden sollte (denn wir leben noch in dieser Welt), die Entscheidungen fallen bei ihm aber allein angesichts Gottes! 

Wir sind oft durch verschiedene Ereignisse, die einen sittlich empfindenden Menschen bedrücken, durch das klare Bewußtsein, nach außen hin kaum etwas in positive Richtung bewegen zu können, niedergeschlagen. Der äußerliche Mißerfolg trägt schnell dazu bei, daß beim Menschen der Mut sinkt oder sogar gänzlich verloren geht. 

Und wenn wir (wieder) einmal ein Tief durchmachen sollten, erheben wir unsere Augen auf den Herrn, schauen wir auf Seine Heiligkeit und Liebe, auf Seine moralische Oberhoheit, betrachten wir Seine geistige Herrlichkeit und Schönheit! Durch diesen liebevollen Blick auf Gott sollen alle Wolken der Trübsal zerstreut werden. Dann wissen wir, für Wen wir kämpfen, wofür wir uns letztendlich einsetzen sollen. Dieses Wissen, dieses klare christliche Bewußtsein gibt unserem Herzen den inneren Frieden (zurück) und stärkt trotz aller Widerwärtigkeiten unsere Hoffnung! 

Die Welt möge noch so wie ein gewaltiger Sturmwind toben und die Wellen der Widerwärtigkeiten gegen uns aufpeitschen. Solange wir aber allein auf Christus schauen und uns durch nichts von Ihm ablenken lassen, werden wir (moralisch) nicht untergehen (vgl. Mt 14,28-31). Denn es gibt auf der Welt keine größere Hoffnung und Zuversicht als den Herrn selbst (vgl. Ps 71,5)! Gott trotz - und vielleicht gerade wegen - aller Widerwärtigkeiten zu dienen, ja dienen zu dürfen, öffnet uns die besten Perspektiven für die Zukunft. Nur in dieser Einstellung können wir die Worte des hl. Apostels Paulus verstehen und wiederholen: „Ich bin voll des Trostes, bin überreich an Freude bei all unserer Trübsal“ (2 Kor 7,4)! 

 

P. Eugen Rissling



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