Nachfolge Christi heute


Neben einigen anderen Bezeichnungen und Redewendungen, mit denen man das Wesen der christlichen Lebensführung stichwortartig umschreiben könnte, erfreut sich in der katholischen Kirche der Begriff der Nachfolge Christi eines relativ hohen Bekanntheitsgrades. Er ist sehr gut geeignet, einem Christen in Erinnerung zu rufen, worauf er sich in seinem Leben mit Gott hauptsächlich auszurichten habe, und Wer der Mittelpunkt seiner Glaubenshaltung werden und bleiben soll. 

Nachfolge Christi bedeutet sicherlich die Einhaltung sowohl der unter dem Alten Bund auf dem Berge Sinai geoffenbarten Zehn Gebote Gottes als auch der sittlichen Lehren des Evangeliums Jesu Christi. Wird ja uns hier der heilige Wille Gottes und Sein Vollkommenheitsideal kundgetan. Somit beinhaltet die Nachfolge Christi neben der grundsätzlichen gedanklich-intellektuellen Einstellung ebenfalls die Bereitschaft, diese Vollkommenheitsideale im Alltag praktisch-lebensmäßig umzusetzen. Nur so werden wir Christus in Gedanken, Worten und Werken nachfolgen, Ihn im besten Sinne des Wortes nachahmen können! 

In den Evangelien ist diese Nachfolge Christi in jenen Worten begründet, mit denen Jesus die Apostel in Seine Jüngerschaft und in ihr erhabenes Apostelamt berufen hat: “Folge(t) Mir” (Mt 4,19; 9,9; Joh 1,43). Und sie haben diesem Ruf entsprochen: “Auf der Stelle verließen sie (Petrus und Andreas - Anm.) ihre Netze und folgten Ihm” (Mt 4,20); “Auf der Stelle verließen sie (Jakobus und Johannes - Anm.) das Boot und ihren Vater und folgten Ihm” (Mt 4,22); “Der (Matthäus - Anm.) machte sich auf und folgte Ihm” (Mt 9,9). 

Aber nicht nur die Berufung zum Apostel-, Priester- oder Ordensstand darf als Nachfolge Christi bezeichnet werden. Jeder Christ, jeder Getaufte ist berufen, auf seine ganz spezifische Weise in die Fußstapfen des Heilandes zu treten. Der eine dient Ihm als Priester oder Ordensperson, der andere trägt zum Ruhm Gottes und zur Verbreitung Seines Reiches durch die Realisierung der Liebe Gottes in seiner Eigenschaft als Ehegatte und Familienvater bzw. -mutter bei usw. Jeder Stand und jeder Beruf bzw. jede Lebensaufgabe, die zum Nutzen für Zeit und Ewigkeit gereichen, ist geeignet, vom betreffenden Menschen als etwas betrachtet zu werden, was ihm der liebe Gott selbst als Aufgabe aufgetragen hat. Es gibt somit viele Weisen, wie Gott grundsätzlich gedient, wie Ihm nachgefolgt werden kann. 

Daneben ist noch ein Umstand zu berücksichtigen, der oft die Art der Nachfolge Christi mitbestimmt - der Faktor des jeweiligen Zeitalters! Es ist nicht so gemeint, dass man sich nach dem jeweiligen Zeitgeist zu richten habe. Die Wahrheit Gottes gilt absolut und ist somit unabhängig von der Zeit. Aber jede Zeitepoche besitzt unverkennbar ihre eigenen charakteristischen Eigenschaften, die leicht Einfluss ausüben können auf das gesamte Leben der Menschen, also auch darauf, wie und unter welchen Umständen zu dieser Zeit das gläubige "Ja“ zum lieben Gott gesprochen und gelebt werde. So erlebte die katholische Kirche in den ersten Jahrhunderten eine Zeit der äußeren Verfolgung. Jeder, der Christ geworden ist oder nach außen hin die Taufabsicht bekundet hat, musste unter Umständen damit rechnen, Verfolgungen seitens der staatlichen Gewalt ausgesetzt zu werden bzw. mit eigenem Leben für die Glaubenstreue zu bezahlen. Und niemand konnte diesen Begleitumständen entfliehen oder sie aus seinem Alltag verdrängen - man wurde durch die harten Realitäten schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. 

Offenkundig sollten also diese äußeren Widrigkeiten als eine Art Zulassung Gottes angesehen werden, um die eigene Glaubensfestigkeit zu prüfen und den Weizen von der Spreu zu scheiden (vgl. Mt 3,12). Offensichtlich sollte sich damals das Christsein nach dem unergründlichen Ratschluss Gottes speziell angesichts der brutalen Christenverfolgung bewähren. Und tatsächlich hat nur der die Treue zu Christus gehalten, der in sich diese entsprechende Bereitschaft erweckte! Wer während der großen theologischen Auseinandersetzungen der patristischen Zeit (4.-5. Jahrhundert) gelebt hat, musste lernen, dass das Christsein sich nicht nur auf die Befolgung des Willens Gottes und auf die äußere Bekenntnistreue beschränkt, sondern auch in der Abwehr von irrgläubigen theologischen Meinungen besteht, die gewissermaßen einen internen Angriff auf die rechtgläubige Christenheit darstellen. Es war sicherlich nicht einfach und noch weniger angenehm, sich mit den verschiedenen Irrlehren auseinanderzusetzen und sie zu bekämpfen. Aber das Gebot der Stunde bestand zur damaligen Zeit auch darin! Als katholischer Christ konnte man dieser Problematik letztendlich nicht ausweichen, sondern musste sich ihr um Gottes und des Glaubens willen unbedingt stellen. 

So hat auch jede weitere Epoche der Kirchengeschichte der Christenheit bestimmte Seiten der Nachfolge Christi offenbar gemacht, den Blick der Gläubigen auf wichtige Elemente des christlichen Daseins gelenkt. Das Positive daran ist, dass jede neue Situation in gewissem Sinn den Erfahrungsschatz der Kirche bereichert und nicht zuletzt auch zum Nutzen jeder der künftigen Generationen gereichen kann und soll. Wurde man ja zum Beispiel auch im Mittelalter durch die mehrschichtigen Auseinandersetzungen zwischen Papst und Kaiser, zwischen den verschiedenen weltlichen und kirchlichen Obrigkeiten veranlasst, sich Gedanken über die Rechte und Pflichten des jeweiligen Standes zu machen. Hat ja auch die protestantische "Reformation“ des 16. Jahrhunderts, die teilweise sogar die Grundlagen des Glaubens und der christlichen Lebensführung angriff, in der Folge eine katholische Gegenreformation hervorgerufen, die mit aller gebotener Ernsthaftigkeit und Gewissenhaftigkeit unter anderem auch wertvolle theologische Arbeit leistete und in prägnanter Weise die seit alters her überlieferte katholische Wahrheit zur Ehre Gottes und zum Heil der Seelen im neuen Glanz erscheinen ließ. Es sei hier nur an die herausragende Leistung des Tridentinischen Konzils (1545-1563) erinnert. 

Und wiederum konnte sich damals in Deutschen Landen kein Katholik der Auseinandersetzung mit der sogenannten "neuen Lehre“, wie die Lutherischen Ideen genannt wurden, entziehen. Sein christlicher Glaube, seine Liebe zum Herrgott und die Hingabe an Ihn mussten sich zum nicht geringen Teil ebenfalls darin bewähren, ob und in welchem Umfang er die Treue zur Glaubenslehre der Einen, Heiligen, Katholischen und Apostolischen Kirche hielt und die Neuerungen der "Reformation“ ablehnte! Diese Begleitumstände haben nämlich für die damaligen Zeitgenossen die Art und Weise ihrer Nachfolge Christi mitbestimmt. Wir heute leben ebenfalls in einer Zeit, die solche charakteristische Eigenschaften besitzt, mit welchen einem gläubigen Menschen die Realisierung seines Christseins wesentlich erschwert wird. War die europäische Gesellschaft in ihrer geschichtlichen Vergangenheit trotz gelegentlicher Entgleisungen doch noch mehr oder weniger christlich eingestellt, so erleben wir in der Gegenwart einen gewaltigen Prozess der Entchristlichung, der seit geraumer Zeit eingesetzt hat und inzwischen schon ziemlich weit fortgeschritten ist. Denn wertliberale Ideen feiern heute unter anderem auch deswegen große Erfolge, weil sich christliches Gedankengut schon lange nicht mehr prägend auf das gesellschaftliche Leben auswirkt. 

Und je mehr dieser Verlust der christlichen Mentalität in breiten Schichten der Gesellschaft vorangeschritten ist, umso mehr kommt er allen jenen überzeugten Christen wie ein schier unübertreffliches Hindernis gleich, die sich nicht anstecken lassen wollen von diesem modernen Geist der schleichenden Entchristlichung sämtlicher Lebensbereiche. Es wird alles andere als leichter, christliche Werte zu realisieren, wenn von vielen Seiten offen starke Opposition entgegengebracht wird. Aber wir können uns die Zeit, in der wir leben, nicht aussuchen. Da uns aber der Herrgott in kein anderes Zeitalter als momentan in die Gegenwart des Jahres 2000 hineinversetzt hat, kann Er von uns auch nur erwarten, dass wir uns zu keinem anderen als zum jetzigen Zeitpunkt als katholische Christen bewähren. 

n Und dies bedeutet - praktisch gesehen - für uns heute also eine umso intensivere Beschäftigung mit unserem katholischen Glauben und eingehendere Auseinandersetzung mit den Irrtümern der Gegenwart. Wir können uns nicht mehr darauf verlassen, oder auch nur hoffen - wenn das überhaupt jemals möglich gewesen wäre -, dass wir es schon irgendwie schaffen werden, den gesunden Glauben zu bewahren und uns nicht vom Geist des Modernismus und Wertliberalismus infizieren zu lassen, wenn wir diesbezüglich keine entsprechenden Anstrengungen unternehmen sollten. Denn nur der, der sich (unter Gebet und mit Gottes Hilfe) dagegen stemmt, kann in der heutigen wirren Zeit geistig überleben und sich nicht in den Abgrund des Zweifels und des Unglaubens ziehen lassen! Besondere Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang die gesunde Erziehung und religiöse Bildung der jungen Generation! Wenn auf die Gesellschaft und auf die Schule nicht nur kein Verlass mehr ist, sondern aus dieser Richtung sogar Gefahren erwachsen, dann müssen sich alle Erziehungsberechtigten (Eltern wie Priester) umso bewusster (!) um die Vermittlung von katholischem Glaubenswissen an ihnen letztendlich vom Herrgott anvertraute Kinder und Jugendliche kümmern. Denn nur so wird die junge Generation sowohl selbst gesunde Orientierung im Leben finden als auch den heiligen katholischen Glauben an ihre Kinder weitergeben können! 

Der für uns in diesem Zusammenhang zusätzlich unbequeme Umstand besteht darin, dass die moderne amtskatholische "Kirche“ versagt hat, und auch "Päpste“, die etwa "Paul VI.“ oder auch "Johannes Paul II.“ genannt werden, historisch belegbare und sich zentral gegen den katholischen Glauben richtende Irrlehren verbreiteten bzw. verbreiten. Diese "Kirche“, solche "Hirten“ sind für uns als gläubige Katholiken in vielen Bereichen keine Stütze im Kampf gegen den Wertliberalismus. Im Gegenteil, sie haben sich sogar selbst weitgehend dem Geist des verderblichen Modernismus und somit der prinzipiellen Ehrfurchtslosigkeit dem allmächtigen und barmherzigen Gott gegenüber verschrieben. 

Daher ist es heute ein notwendiges Gebot der Stunde, in aller Klarheit und Deutlichkeit die Irrtümer des modernen Rom und deren maßgebenden "Autoritäten“ beim Namen zu nennen und mit allem gebotenen Nachdruck die Menschen davor zu warnen! Anders kann der überlieferte katholische Glaube nicht bewahrt und das Heilswerk Christi, des göttlichen Erlösers, nicht fortgesetzt werden. Das sollte uns in erster Linie vor Augen stehen und nicht der Gedanke daran, wie man die eigenen Anhänger möglichst nicht "beunruhigt“ bzw. "ärgert“! 

Es wäre also nicht nur töricht und wahrheitswiderstrebend, sondern auch äußerst folgenschwer, die inzwischen letztendlich sogar antikatholisch gewordene Ausrichtung des heutigen Rom für nicht vorhanden erklären und diesem trotz allem die Treue halten zu wollen! Es ist nämlich verkehrt zu meinen, was nicht sein dürfe, könne nicht sein, obwohl die Realitäten eine andere Sprache sprechen. Wer an den historischen Gegebenheiten vorbeiredet, betrügt sich nur selbst und dient nicht der Wahrheit! Natürlich wäre es für uns alle leichter und angenehmer, in einer wenigstens etwas heileren Welt zu leben, wo wir uns nicht mit so gewaltigen Widerständen herumplagen müssten und mehr Hilfe und Unterstützung von anderen bekommen könnten. Jeder, dem die aktuelle geistige Wetterlage nicht gleichgültig ist, spürt den Widerstand der gottwidrigen Welt gewissermaßen am eigenen Leib und leidet auch unter der bestehenden Situation. Wer wäre da schon nicht abgeneigt, lieber in einer funktionierenden christlichen Gesellschaft zu leben? 

Ja, vieles wäre schöner und besser. Aber wir dürfen uns nicht zu lang und zu intensiv mit diesem Wunschdenken beschäftigen, weil es uns sonst - und das ist zentral! - von der Realität abbringen würde, und wir uns betrügen würden. 

Nein, das Gebot der Stunde besteht darin, den Ruf Christi "Folge Mir nach“ gerade angesichts der aktuellen Situation zu vernehmen und ihm auch tatsächlich Folge leisten zu lassen! Unser ganzheitliches "Ja“ zu Gott können und dürfen wir weder in die vermeintlich heile Vergangenheit hineinprojizieren, die nicht mehr herzuzaubern ist, noch in die hoffentlich ideale Zukunft hineinträumen, die sich uns noch entzieht. Nein, unsere Entscheidungen treffen und unseren Glauben leben können (und wohl auch sollen!) wir immer nur in der jeweiligen Gegenwart. 

Und an nichts anderem als daran werden wir gemessen! Der liebe Gott wird uns beim Jüngsten Gericht nicht nach unserem Wunschdenken oder nach unseren erträumten Vorstellungen fragen, sondern danach, ob wir Ihm gerade angesichts der gegebenen Umstände unserer Gegenwart, die ja sicherlich auch etwas mit Seiner Vorsehung bzw. Zulassung zu tun haben, mit festem Glaube, lebendiger Hoffnung und uneigennütziger Liebe begegnet sind. Ob wir bereit waren, Seinem Ruf und Seiner Stimme, wie sie sich uns in unserer Lebensgeschichte darboten, Folge zu leisten. Darin muss sich letztendlich auch unser Christsein bewähren! 

 

P. Eugen Rissling



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