„Noch eine kleine Weile…”

Es ist noch nicht lange her, da standen wir mit den Aposteln da und schauten zum Himmel, wo Christus in den Himmel auffuhr - bis eine Wolke Ihn unseren Blicken entrückte. Die Osterkerze, die jeden Tag nach der Auferstehung unseres Herrn bei der Hl. Messe angezündet wurde als Erinnerung daran, dass Er auch während dieser Zeit sichtbar unter seinen Aposteln weilte, wurde nach dem Evangelium des Himmelfahrtsfestes ausgelöscht und lässt uns einen Hauch der Einsamkeit und Verlassenheit empfinden, die die Herzen der Apostel ergriffen haben mag, als sie allein auf dem Berg zurückblieben.

Doch es kam uns auch wieder das tröstende Wort in den Sinn, das Jesus während des Letzten Abendmahles zu Seinen Aposteln gesprochen hatte, als Er von ihnen Abschied nahm:

“Noch eine kleine Weile und ihr seht Mich nicht mehr; und wiederum eine kleine Weile, und ihr seht Mich wieder, denn Ich gehe zum Vater” (Jo 16,16).

Die erste kleine Weile ist nun verstrichen, nun, da der Augenblick gekommen ist, da sie Ihn nicht mehr sehen sollten, weil Er zum Vater geht. Die zweite kleine Weile, nach der sie Ihn wieder sehen werden, wird verstrichen sein, wenn sie durch den Tod dorthin gelangen werden, wohin Er ihnen vorausgegangen ist, “ihnen eine Wohnung zu bereiten”.

In den Augen Jesu ist das Leben der Apostel also nur eine “kleine Weile”; und keiner von uns, der schon ein paar Jahre auf dieser Erde verbracht hat, wird Ihm da widersprechen, stellen wir alle doch immer wieder mit Erstaunen fest, wie schnell die Jahre verfliegen. 

Die Menschen ohne Gott, die keine Perspektive über den Tod hinaus haben, wird diese Erfahrung der Kürze des Lebens gewöhnlich mit Unbehagen, Niedergeschlagenheit und Trauer, vielleicht sogar mit Entsetzen und Aussichtslosigkeit erfüllen. Da müssen und dürfen wir Christen uns ganz grundsätzlich von ihnen unterscheiden. Der Christ kann zugeben, dass das Leben nur eine “kleine Weile” ist, ohne darüber in Traurigkeit zu verfallen. Er weiß, dass das Leben hier auf Erden nur eine Zeit der Prüfung und Bewährung ist. Es ist der Ort der Wanderschaft. Hier gilt nicht das Motto “der Weg ist das Ziel”. Nein, wir haben ein Ziel zu erreichen, von dem wir wissen, dass erst dieses Ziel die Freude bringen wird, die uns niemand nehmen wird. So sagte denn auch Jesus zu den Aposteln: “… und euer Herz wird sich freuen, und eure Freude wird euch niemand nehmen“ (Jo 16,22).

Jesus hat nichts umsonst gesagt. So will Er uns auch mit diesem Wort von der “kleinen Weile” eine Lehre erteilen. Besinnen wir uns einmal und hören wir genau hin, was alles mitschwingt, wenn Er sagt: “… und wiederum eine kleine Weile”.

Das Leben der Christen soll sich von dem der Menschen ohne Gott wesentlich unterscheiden. Wir dürfen nicht meinen, wir könnten auf der einen Seite am Leben der Kinder Gottes Anteil haben, ohne uns dessen auf der anderen Seite durch einen guten, einen übernatürlichen Lebenswandel würdig zu erweisen. Wir dürfen am übernatürlichen Leben Anteil haben, aber dann müssen wir auch wirklich ein übernatürliches Leben führen, das sich unterscheidet vom Leben des Menschen ohne Gott.

Was es in unserem Zusammenhang bedeutet, ein übernatürliches Leben zu führen, erfahren wir, wenn wir die Worte des Apostels Petrus hören, welche die Kirche bezeichnenderweise in der Lesung desselben Sonntags anführt, an dem sie uns auch das Evangelium von der “kleinen Weile” vor Augen stellt (3. Sonntag nach Ostern).


Der hl. Petrus adressiert die Empfänger seines ersten Briefes mit folgenden Worten: 

“Geliebte, ich ermahne euch: Enthaltet euch, die ihr Fremdlinge und Pilger seid…” (1 Petr 2,11).
Der Christ soll also immer dessen eingedenk sein, dass diese Welt nicht ein Ort ist, sich lange aufzuhalten und es sich schön einzurichten, oder ein Ort, an den man sein Herz hängen würde. Die Welt ist eine Brücke - du sollst hinübergehen und nicht dich darauf niederlassen.

Jesus wusste um diese Versuchung, die die Welt für uns darstellt, und deshalb ruft er uns jedes Jahr vor Christi Himmelfahrt von neuem ins Gedächtnis, dass wir unser Ziel, Ihn wieder zu sehen, nicht aus den Augen verlieren sollen, denn es ist bis dahin nur “eine kleine Weile”.

Wenn wir dann unser Leben im dem Bewusstsein führen, dass dieses Leben nur “eine kleine Weile” ist und wenn dieses Bewusstsein wirklich unsere Handlungen und unsere Denkweise bestimmt, dann können wir auch ein Licht für unsere Mitmenschen sein, wie Jesus es von uns verlangt. Täuschen wir uns nicht. Die Menschen beobachten uns - vor allem, wenn sie wissen, dass wir Katholiken sind, die ihre Sache ernst nehmen. Und das gilt nicht nur für die Menschen “draußen in der Welt”, sondern auch für unsere Mitgläubigen. Sie merken, ob wir wirklich dem entsprechen, was wir zu glauben vorgeben.

Wenn sie sehen, von welch tiefer Freude in Gott wir erfüllt sind, obwohl das Leben nur “eine kleine Weile” ist, dann stimmt das unsere Mitmenschen unter Umständen nachdenklich, ruft vielleicht sogar (wenn auch nur versteckt und im Geheimen) Anerkennung und Bewunderung hervor und leistet so einen kleinen Beitrag dazu, sie von der Wahrheit unseres Glaubens zu überzeugen. 

Daher sagt auch der Apostel Petrus in seinem oben erwähnten Brief weiter (1 Petr 2,11):

 “Führt einen ehrbaren Wandel unter den Heiden, damit die, welche euch als Übeltäter verleumden, eure guten Werke sehen und Gott preisen.” 

Das Wort von der “kleinen Weile” ruft uns also ins Gedächtnis, dass wir hier nur “Pilger und Fremdlinge” sind. Es führt uns aber auch vor Augen, dass diese Zeit der Pilgerschaft durchaus ihren Ernst und ihre Wichtigkeit hat. Wenn es auch nur eine kleine Weile ist, so hat das Leben doch eine Bedeutung, die in die Ewigkeit hinüberreicht, da es die Zeit der Entscheidung für oder gegen Gott ist. Es ist die Zeit der Bewährung, die Zeit, wo unsere Liebe zu Gott zuweilen schweren Prüfungen unterzogen wird und wo wir diese unsere Liebe unter Beweis stellen dürfen. Eine Zeit auch, wo es heißt, nicht von dem geraden Weg abzuweichen, sondern durchzuhalten bis zum Ende (“wer ausharrt bis zum Ende, wird gerettet werden”).

Diesen Ernst der “kleinen Weile” drückte Jesus mit den Worten aus: “Ihr werdet weinen und wehklagen … ihr werdet traurig sein” (Jo 16,20).

Es dauerte nicht lange, da spürten die Apostel, was Jesus gemeint hatte. Sie wurden verfolgt und als Sektierer hingestellt und am Ende mussten sie ihre Liebe zu Jesus mit dem Tod bezahlen. Auch wir dürfen nicht meinen, wir bildeten da eine Ausnahme, da wir ja bei der Taufe mit dem Siegel des Kreuzes, dem Zeichen Christi, bezeichnet worden sind.


Sagt Jesus doch an einer anderen Stelle: 

“Der Jünger steht nicht über dem Meister und der Knecht nicht über seinem Herrn. Der Jünger muss zufrieden sein, wenn es ihm geht wie seinem Meister, und der Knecht, wenn es ihm geht wie seinem Herrn. Hat man den Hausherrn Beelzebub geschmäht, um wie viel mehr seine Hausgenossen.” (Mt 10,24)

Waren die Apostel aber wirklich traurig während dieser Drangsal der “kleinen Weile”? Der hl. Paulus sagt einmal: “Ich bin voll des Trostes, bin überreich an Freude bei all unserer Trübsal” (2_Kor 7,4). Wenn die Apostel also auch Trübsal erleiden und (von außen betrachtet) weinen und wehklagen mussten, so drang diese Trauer doch nicht bis in ihr Innerstes vor. Dort waren sie “voll des Trostes”. 

Woher kommt dieser Trost und diese Freude des Christen? - Es ist das beruhigende Wissen darum , dass er den Willen Gottes tut, dass er daher ein Freund Gottes und in Gott verankert und geborgen ist.

Denn wenn er weiß, dass er den Willen Gottes tut, was kann ihm da noch schaden, was kann ihn da noch traurig stimmen, weiß er doch, dass er Gott gefällt und dass er in Freundschaft mit Gott lebt.


Dass es unsere Freude und unser Trost ist, den Willen Gottes zu tun, kommt auch in den Worten eines Heiligen zum Ausdruck, der betete:

“Herr, lehre mich großherzig zu sein, lehre mich, Dir zu dienen wie Du es verdienst, zu geben und nicht den Aufwand zu berechnen, zu kämpfen und die Wunden nicht zu beachten, mich abzumühen und nicht Ruhe zu suchen, zu arbeiten und keinen Verdienst zu verlangen als nur das Wissen, dass ich Deinen Willen tu‘.” 

Wollen wir also immer dessen eingedenk sein, dass das Leben nur “eine kleine Weile” ist, dass wir hier nur auf Pilgerfahrt sind. Wollen wir unser Leben dementsprechend leben, ein übernatürliches Leben, durch das wir Licht sind für die Welt. 

Hüten wir uns davor, zu trödeln, gehen wir ohne Hast, aber zügig auf unser Ziel zu. Lassen wir uns nicht von den Dingen, die am Wegrand locken, ablenken und uns erst recht nicht vorspielen, wir seien schon am Ziel und könnten es uns hier einrichten und uns endgültig niederlassen. Lassen wir uns vom Gedanken, dass es “(nur) eine kleine Weile” ist, bis wir Jesus wieder sehen, zu Mut und unzerbrechlicher Ausdauer anspornen, denn “(nur) wer ausharrt bis zum Ende, wird gerettet werden”. Wenn wir auch äußerlich Trübsal erleiden in dieser “kleinen Weile”, so bewahren wir uns doch immer in unserem Innersten den Frieden im und aus dem Wissen, dass wir den Willen Gottes tun. Machen wir es daher zu unserem ständigen Gebetsanliegen, dass Gott uns den richtigen Weg zeigt und dann die Kraft gibt, diesen Weg zu gehen. 

Vergessen wir auf unserer Wanderschaft, so trocken sie manchmal auch sein mag, auch nicht, dass Jesus zu Seinen Aposteln nicht gesagt hat: “Noch eine kleine Weile und Ich bin nicht mehr bei euch” oder “…und Ich verlasse euch”. Er sagte: “Noch eine kleine Weile und ihr seht Mich nicht mehr”. Wenn die Apostel Jesus auch nicht mehr so sehen durften, wie sie Ihn während Seines irdischen Lebens gesehen hatten, so war Er doch weiterhin bei ihnen und so ist Er auch weiterhin bei uns. Wollen wir also in diesem Wissen weit ausschreiten und unsere Wanderschaft in der ununterbrochenen lebendigen Gegenwart Jesu gehen. 


P. Johannes Heyne 

 

 

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