Die Unfehlbarkeit der katholischen Kirche

  (Pfingsten 1996) Liebe Brüder in Christus! Die Epistel des Pfingstfestes ist genommen aus der Apostelgeschichte und erzählt uns die wunderbare Veränderung, die der Hl. Geist in den Seelen der Apostel bewirkte, als Er in Form von Zungen wie von Feuer auf sie herabstieg. Wir lesen dort:
„Indes kam das Pfingstfest, und alle waren beisammen. Plötzlich erhob sich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein gewaltiger Sturm daherführe. Es erfüllte das ganze Haus, in dem sie weilten. Zungen wie von Feuer erschienen ihnen, verteilten sich und ließen sich auf einen jeden von ihnen nieder. Alle wurden mit Heiligem Geist erfüllt.“ (Apg. 2, 1-4)
Gott in Seiner ewigen Weisheit hatte es so eingerichtet, dass die Apostel den Heiligen Geist in Jerusalem zur selben Zeit empfingen, als die Juden eines der drei großen Feste des Alten Bundes feierten – das Wochenfest (das Fest der eingebrachten Ernte). Sobald der Beistand, der Geist der Wahrheit, auf die Apostel herabgekommen war, zogen sie mutig aus und lehrten alle Völker zu halten, was Christus ihnen aufgetragen hatte.
An diesem Pfingstfest wäre es sehr angebracht, dass wir uns Gedanken machen über die eine, wahre Kirche Jesu Christi, die Kirche, der Christus versprochen hat, mit ihr zu sein alle Tage bis an das Ende der Welt, die Kirche, die sich der ununterbrochenen Gegenwart des Geistes der Wahrheit erfreut – die Kirche, die die katholische Kirche genannt wird. Wie wichtig ist es für uns, das Wesen der katholischen Kirche klar zu verstehen. Ganz besonders in unserer heutigen Zeit, in der der Großteil der Menschheit „die gesunde Lehre unerträglich findet und sich nach eigenem Sinn Lehrer über Lehrer sucht, um sich einen Ohrenschmaus zu verschaffen“ (2 Tim.4,3). Wie wichtig ist das Verständnis der Kirche in unserer Zeit, wo so viel Verwirrung unter denen herrscht, die sich selbst Katholiken nennen. Eine eingehende Untersuchung einer der Eigenschaften der katholischen Kirche, ihrer Unfehlbarkeit, kann uns helfen zu erkennen, wo heute die katholische Kirche ist, und wo sie nicht ist.
Bevor wir das Attribut der Unfehlbarkeit betrachten, müssen wir verstehen, was ein Attribut ist. Ein Attribut oder eine Eigenschaft ist das, was zum Wesen einer Sache selber gehört und aus seinem Wesen fließt. Ein sehr gutes Beispiel hierfür ist das Wasser. Wasser hat die Eigenschaft der Nässe. Nässe gehört zum Wesen des Wassers; es ist unmöglich, Nässe vom Wasser zu trennen. Es gibt drei Attribute oder Eigenschaften der katholischen Kirche: Unfehlbarkeit, Indefektibilität (Unvergänglichkeit und Unveränderlichkeit) und Authorität. Diese gehören zum Wesen der katholischen Kirche und können von ihr nicht getrennt werden.
Das Attribut der Unfehlbarkeit meint die Unfähigkeit und Unmöglichkeit des Lehramtes zu irren, wenn es die gesamte Kirche in Dingen des Glaubens und der Moral lehrt. Das Vatikanum I sagt:
„Darüber hinaus muss kraft göttlichen und katholischen Glaubens alles geglaubt werden, was im geschriebenen Wort Gottes oder in der Tradition enthalten ist und was von der Kirche als göttlich offenbartes Glaubensgut entweder in einer feierlichen Erklärung oder durch ihr ordentliches allgemeines Lehramt vorgestellt wird.“
Wer besitzt die Unfehlbarkeit? a) der Papst (der Papst ist unfehlbar, wenn er ex cathedra spricht); b) der gesamte Episkopat (die Gesamtheit der Bischöfe ist unfehlbar, wenn sie, in einem allgemeinen Konzil versammelt oder über die Erde verstreut, eine Lehre des Glaubens oder der Moral als von allen Gläubigen anzunehmen vorstellen).
Viele sind mit der Unfehlbarkeit des Papstes in ex-cathedra-Erklärungen und der Dokumente eines ökumenischen Konzils vertraut. Nicht so bekannt ist dagegen die Unfehlbarkeit des „ordentlichen, allgemeinen Lehramtes der Kirche“.
Was ist das ordentliche, allgemeine Lehramt? In Grundriß der katholischen Dogmatik gibt Dr. Ludwig Ott eine klare Antwort: „Die Bischöfe üben ihre unfehlbare Lehrgewalt in ordentlicher Weise aus, wenn sie in ihrer Diözese, in moralischer Einheit mit dem Papst, einstimmig dieselben Lehren bezüglich Glauben und Moral verkünden. Das Vatikanische Konzil (Vatikanum I – Anm.) erklärte ausdrücklich, dass auch an den Offenbarungswahrheiten, die als solche vom ordentlichen allgemeinen Lehramt der Kirche vorgestellt werden, kraft 'göttlichen und katholischen Glaubens' (Denzinger 1792) festgehalten werden muss. Die Inhaber des ordentlichen und allgemeinen Lehramtes der Kirche aber sind die Glieder des gesamten über die ganze Welt verbreiteten Episkopates. Was die gemeinsame Lehre der Bischöfe ist, kann aus den von ihnen herausgegebenen Katechismen, aus den Hirtenbriefen, aus den von ihnen approbierten Gebetsbüchern und aus den Beschlüssen örtlicher Synoden ersehen werden. Moralische Allgemeinheit der Übereinstimmung genügt, aber die ausdrückliche oder stillschweigende Zustimmung des Papstes als Oberhaupt des Episkopates ist wesentlich.
Das Objekt der Unfehlbarkeit der Kirche ist ein zweifaches: a) das primäre Objekt sind die formell offenbarten Wahrheiten der christlichen Lehre bezüglich Glauben und Moral; b) das sekundäre Objekt sind die Wahrheiten der christlichen Lehre bezüglich Glauben und Moral, die nicht formell offenbart, aber doch eng mit der Lehre der Offenbarung verknüpft sind.
In diesem sekundären Objekt sind eingeschlossen: 1) theologische Folgerungen; 2) dogmatische Tatsachen; 3) die allgemeine Disziplin der Kirche; 4) Anerkennung von religiösen Orden; 5) Heiligsprechungen.
Warum müssen diese Dinge Objekte der kirchlichen Unfehlbarkeit sein? Eine gute Erklärung finden wir in Christ's Church (Die Kirche Christi) von Monsignore G. Van Noort, S.T.D.: „Die Unfehlbarkeit der Kirche reicht hinein in ihre allgemeine Disziplin. Dies ist theologisch sicher.  'Allgemeine Disziplin der Kirche' meint diejenigen kirchlichen Gesetze, die für die gesamte Kirche zur Regelung des christlichen Kultes und Lebens erlassen wurden.
Die Erlassung von Gesetzen gehört nicht direkt zum Lehramt als vielmehr zur Regierungsgewalt der Kirche; Disziplinargesetze sind nur indirekt ein Objekt der Unfehlbarkeit, d.h. nur auf Grund der Lehrentscheidungen, die ihnen zugrundeliegen. Wenn die Kirchenhäupter ein Gesetz sanktionieren, dann fällen sie damit ein zweifaches Urteil: 1. 'Dieses Gesetz ist in Einklang mit der kirchlichen Glaubens- und Morallehre'; d.h. es verlangt nichts, was im Gegensatz zum gesunden Glauben und der guten Moral steht. Das kommt einem Lehrsatz gleich.(...)
Dies kann aus zwei Gründen ersehen werden: 1. Aus dem Zweck der Unfehlbarkeit. Die Kirche wurde mit der Unfehlbarkeit ausgestattet, damit sie die Lehre Christi in ihrer Gesamtheit bewahre und allen Menschen eine vertrauenswürdige Lehrerin christlicher Lebensweise sei. Wenn aber der Kirche in der angenommenen Weise bei der Erlassung von Disziplinargesetzen ein Fehler unterlaufen könne, wäre sie weder eine Beschützerin der offenbarten Lehre noch eine vertrauenswürdige Lehrerin christlicher Lebensweise. Sie wäre keine Beschützerin der offenbarten Lehre, denn die Erlassung eines gottlosen Gesetzes wäre, in der praktischen Konsequenz, gleichbedeutend einer irrigen Lehrdefinition; jeder würde natürlicherweise den Schluss ziehen, dass, was die Kirche angeordnet hat, mit der gesunden Lehre übereinstimme. Sie wäre keine Lehrerin christlicher Lebensweise, weil sie durch ihre Gesetze die Praxis des religiösen Lebens verderben würde.
2. Aus der offiziellen Aussage der Kirche, in der sie die Annahme, die Kirche könne eine Disziplin aufstellen, die gefährlich und schädigend sei und zu Aberglaube und Materialismus führe, als 'wenigstens irrig' brandmarkte.
Das allgemein bekannte Axiom 'Lex orandi est lex credendi' (das Gesetz des Gebetes ist das Gesetz des Glaubens) ist eine spezielle Anwendung der Lehre der Unfehlbarkeit der Kirche in Disziplinarfragen. Es sagt im Grunde, dass Gebete, die für den öffentlichen Gebrauch in der Kirche allgemein zugelassen sind, keinen Irrtum in Glauben und Moral enthalten können.”
Der Grund, warum wir dieses etwas längere Zitat hier angeführt haben, ist, dass es das stärkste Argument gegen die Kirche des Zweiten Vatikanums ist.
Wie könnte nämlich die katholische Kirche 1900 Jahre lang treu, beständig und unfehlbar denselben  Glauben lehren und dann plötzlich auf dem Zweiten Vatikanum falsche, von früheren Päpsten und Konzilien verurteilte Lehren verkünden (Ökumenismus und Religionsfreiheit)? Wie könnte die katholische Kirche ununterbrochen das unblutige Opfer von Kalvaria in der Heiligen Messe erneuern und es dann plötzlich durch ein lutherisches bloßes “Gedächtnis des Letzten Abendmahles” ersetzen?
Wie könnte die katholische Kirche in ihren Gesetzen so streng gegen die Teilnahme von Katholiken an den Kulthandlungen und religiösen Versammlungen von Akatholiken und gegen die Spendung der hl. Kommunion an Häretiker und Schismatiker (vgl. §731,2 CIC) vorgehen, da dadurch religiöser Indifferentismus gefördert wird, und dann plötzlich diese Gesetze abschaffen und die entsprechenden Handlungen erlauben?
Sollen wir annehmen, dass der Heilige Geist, der Geist der Wahrheit, plötzlich Seine Meinung geändert hat und Widersprüche im Glauben, der Messe und den Gesetzen der Kirche erlaubt hat? Sollen wir annehmen, dass Christus Seine Kirche im Stich gelassen und sie in Irrtum und Häresie hat fallen lassen?
Dennoch – es ist primär diese Frage der Unfehlbarkeit, die Spaltung unter denen hervorruft, die sich Katholiken-Traditionalisten nennen. Einige Traditionalisten weisen die Irrtümer des  Ökumenismus und der Religionsfreiheit des Zweiten Vatikanischen Konzils, das neue protestantische Gedächtnismahl – den Novus Ordo – und die Häresien des neuen Kirchenrechts (von 1983) zurück, bestehen aber dennoch darauf, dass die Urheber dieser Irrtümer weiterhin Christi Stellvertreter hier auf Erden sind. Sie sagen damit praktisch, dass das lebendige Lehramt der Kirche geirrt und die Mehrheit der Katholiken in den Irrtum geführt hat bzw. weiterhin irrt. Ein solcher Schluss ist nichts weiter als eine Leugnung der Unfehlbarkeit der Kirche.
Es kann kein Zweifel bestehen, dass die Konzilskirche geirrt hat. Nicht nur 1965 beim Schluss des Zweiten Vatikanums, sondern auch während der vergangenen 30 Jahre in ihrem ordentlichen Lehramt. Wie kann es noch deutlicher sein - diese Konzilskirche ist nicht die katholische Kirche!
Papst Leo XIII. lehrte in Satis Cognitum: “Wenn das lebendige Lehramt in irgendeiner Weise irren würde, dann wäre die Folge ein evidenter Widerspruch, denn dann wäre Gott Urheber des Irrtums.”
Auch das Erste Vatikanische Konzil (1870) bestätigte in der dogmatischen Konstitution Pastor Aeternus die Lehre des Vierten Konzils von Konstantinopel und sagte: “Und ihre Wahrheit erwies sich im Laufe der Geschichte, denn im Apostolischen Stuhl wurde die katholische Religion immer unversehrt bewahrt und ihre Lehren heilig gehalten.”
Und noch einmal in derselben dogmatischen Konstiution: “In der Tat war es diese apostolische Lehre, die alle Väter gehalten haben und die die heiligen rechtgläubigen Kirchenlehrer ehrten und der sie folgten. Denn sie waren sich dessen voll bewusst, dass dieser Sitz Petri immer unversehrt von jeglichem Irrtum bleibt...”
Mögen die, die ihre Gradwanderung weiterführen – mit einem Fuß in der Traditionalistenbewegung  und mit dem anderen in der Konzils-Kirche, – der Realität ins Gesicht sehen: es sind heute zwei verschiedene Kirchen, die katholische Kirche und die Konzils-Kirche. Es gibt die katholische Kirche, die die Unfehlbarkeit besitzt und die Konzils-Kirche, die sie nicht besitzt.
Wollen wir an diesem Pfingsfest wieder den Heiligen Geist anrufen und Seine Gabe des Verstandes  erflehen, dass Er uns führe in diesen Zeiten, die der hl. Paulus in seiner Zweiten Epistel an die Thessaloniker verhergesagt hat: “Lasst euch in keiner Weise durch irgendjemand täuschen. Zuvor muss der Abfall kommen. Der Mensch der Gesetzlosigkeit muss offenbar werden, er, der Sohn des Verderbens (...). Er setzt sich sogar in den Tempel Gottes und gibt sich für Gott aus.” (2 Thess. 2,3f)

Bischof Mark A. Pivarunas, CMRI

(Übersetzt von P. Johannes Heyne)

 

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