Der Reichtum des Glaubens

  ■ Kürzlich hat mit mir eine mir bis dahin völlig unbekannte Frau mittleren Alters, die mir im Haus von Bekannten wirklich zufällig über den Weg gelaufen ist, ein Gespräch begonnen. Und sofort kamen wir auf ein religiöses Thema zu sprechen. Denn diese Frau stellte mir eine zugegeben doch etwas ungewöhnliche Frage, ob man denn auch im Liegen beten dürfte. Wir unterhielten uns dann etwas über das Gebet allgemein, und ich versuchte ihr ganz einfach und allgemein zu erklären, dass man zwar praktisch immer und überall beten könne (notfalls auch im Liegen, wenn es anders nicht geht), dass es aber auf der anderen Seite auch unbedingt Sinn macht, möglichst auch eine entsprechende körperliche Haltung beim Gebet einzunehmen.
Und so bemühte ich mich dann, ihr auseinander zu legen, weshalb es äußerst sinnvoll wäre, beim Gebet zum Beispiel die Hände zu falten (um auch sich selbst in Erinnerung zu rufen, dass wir mit Ihm vereint und auf Ihn konzentriert sein wollen) oder sich bisweilen auch niederzuknien oder eine Kniebeuge zu machen (um anzuzeigen, dass man selbst klein, Er aber groß ist, bzw. dass wir uns vor Seiner Größe ausdrücklich und bewusst beugen). Die Frau hörte aufmerksam und sehr interessiert zu, wobei ein gewisser Glanz in ihren Augen zu erkennen war, und machte dann zum Schluss die Bemerkung, dass sie eine Reformierte sei (wie sich die Protestanten bzw. Zwinglianer in der Schweiz selbst bezeichnen) und dass bei ihnen solche Sachen wie frommes Händefalten beim Gebet, Knien und Kniebeugen nicht bekannt seien, was ja auf der anderen Seite typisch für die Katholiken bzw. die katholische Kirche sei.
Bei diesen letzten Worten drückte ihre Stimme deutlich Wehmut aus! Sie war offenkundig betrübt, solche interessante Erläuterungen über das Gebet bisher noch nicht vernommen zu haben. Zugleich war sie aber auch erfreut, eine geistliche Person getroffen und sich mit ihr über einige Fragen ausgetauscht zu haben, die im Zusammenhang mit Glaube und Gebet stehen. Es lag eine gesunde und warme Atmosphäre im Raum, wobei dieses Gespräch beiden Teilnehmern Freude bereitete.
■ In den offiziellen Medien und in der Gesellschaft wird der Glaube als solcher heute viel zu oft als etwas dargestellt, was irrational und somit nicht unbedingt mit der menschlichen Vernunft und Logik zu erklären sei. Die christliche Glaubenshaltung wird in gewissem Sinn, was nämlich deren Rationalität angeht, unter anderem auch mit den Anschauungen der Esoterik, der Astrologie und der fernöstlichen Meditationszirkel in einen Topf geworfen: Nichts genaueres weißt man nicht, alles halt eine Frage des Gefühls und der persönlichen Vorliebe. Und so “glaubt” bzw. glaube dann halt jeder, wie es ihm beliebt, wie es ihm eben empfindungsmäßig-emotional mehr zusagt - reine Gefühlsduselei!
Oder, was heutzutage ebenfalls häufig der Fall ist, man macht (vor allem den authentischen christlich-katholischen!) Glauben wegen seiner angeblichen Unvernünftigkeit und vermeintlichen Menschenfeindlichkeit doch mehr oder weniger schlecht, indem man ihn zum Beispiel verdächtigt, gegen einige der grundlegenden “Bedürfnisse des Menschen” gerichtet zu sein. Und das färbt dann unter anderem auch insofern auf uns ab, dass man sich als gläubiger Mensch in die Defensive gedrängt fühlt.
Vor allem als ein glaubenstreuer Katholik wird man heute in der Gesellschaft wie auch immer gern mit allen Vergehen in Verbindung gebracht, welcher sich die katholische Kirche (bzw. deren Glieder) im Lauf der Geschichte angeblich (oder manchmal vielleicht auch tatsächlich) schuldig gemacht habe. Als ob man eben etwas persönlich verbrochen hätte und sich für dies und jenes immer nur entschuldigen müsste! So wird es dann besonders für die Jugend zunehmend schwierig, sowohl geistig die christlich-katholische Identität zu bewahren als auch sich praktisch in der Öffentlichkeit freimütig zu ihrem Glauben zu bekennen bzw. nach seinen sittlichen Werten und religiösen Inhalten zu leben!
Die Folge dieser gesamten Kritik bzw. “Kritik” am Glauben ist, dass man sich zunehmend von einer jeglichen Bindung an irgendeine Religion oder Spiritualität bzw. an moralische Werte distanziert ...und sich dann statt dessen umso hingebungsvoller auf die Jagd nach den materiellen Dingen des irdischen Daseins und dem Vergnügen begibt. Wozu halt Moral, allgemein bindende Werte und (gesunde) Religion, wenn man sich doch so richtig ausleben und sein Herz somit an (den praktischen) Materialismus und Hedonismus hängen kann?!
Und mag dieses Streben nach Reichtum, Eitelkeit, Macht, Besitztum, Vergnügen oder ähnlichem von der Werbung und den Medien noch so sehr als der Inbegriff des Glücks und der Seligkeit angepriesen werden, so merkt ein solchen “Werten” nachjagender und sich ihnen hingebender Mensch doch früher oder später (wenn er ehrlich ist!), dass ihm etwas Wesentliches fehlt. Denn der Mensch ist mehr als nur ein rein biologisches Wesen, das allein mit der Befriedigung solcher Bedürfnisse wie Essen, Schlafen, Sich-Fortpflanzen, Einfluss-Gewinnen, Macht-Ausüben usw. zufriedengestellt werden könnte und den letzten Sinn seiner Existenz erfahren würde.
Denn als denkendes Geistwesen und somit mit freiem Willen und dem Bezug auf die Moralität ausgestattet ist er auf eine höhere Welt ausgerichtet, welche weit über das physisch-biologische Dasein auf Erden hinausgeht und die so genannte Übernatur berührt! Die Seele des Menschen bzw. sein Geist verlangen nach wesentlich festerer Speise als der unbeständige Brei des Irdischen und Innerweltlichen ihnen in seiner gesamten bzw. höchsten Konzentration überhaupt bieten kann.
Wie oft sind vielleicht auch wir selbst in unserem Leben bereits auf die Nase gefallen? Haben wir uns nicht ebenfalls bisweilen auf die eine oder andere Weise irreführen lassen und haben dann nicht dort nach wahrer Freude und Erfüllung gesucht, wo wir sollten? Die Macht der Verführung übt auf uns eine starke Sogwirkung aus, gegen die wir uns nicht immer und an der richtigen Stelle genügend und hinreichend wappnen.
Und das Ergebnis danach? Wenn sich der Sturm der jeweiligen der verschiedenartigsten ungeordneten menschlichen Leidenschaften gelegt hat, bleiben unter dem Strich letztendlich doch eine geistige Leere und innere Unzufriedenheit zurück! Man merkt, dass das in falscher Bindung ans Irdische Erlebte wohl doch nicht schon alles sein kann, was des Menschen Herz begehrt, und somit auch keinesfalls den Sinn und den Inbegriff des menschlichen Lebens ausmachen kann! Es entsteht, bisweilen vielleicht nur unbewusst, die Sehnsucht nach Mehr und das Verlangen nach einer allumfassenden geistigen Erfüllung. Und hoffentlich entsteht dann daraus auch der bewusste Wunsch und somit eben ein höchst rationaler Wille nach einer Berührung mit dem Überirdischen und der Bindung des eigenen Lebens an das unmissverständlich Übernatürliche und ausdrücklich Göttliche!
■ An dieser Stelle ist dann wirklich (gewissermaßen) selig, wer weiß, wo, bei Wem und auf welche Weise er suchen kann und soll! Und in der Tat ändert sich - äußerst wohltuend - die bestehende Situation, wenn wir mit der enormen Macht und dem massiven Einfluss der diabolischen Verführung insofern brechen, dass wir innerlich wie äußerlich vom falschen Weg abkehren und uns ganzheitlich dem rechten Pfad sowohl der gesunden Moralität als auch des vernünftigen Glaubens zuwenden!
Ein solcher Mensch begegnet dann tatsächlich dem göttlichen Bereich und erkennt die Schönheit einer bewussten Glaubensbeziehung mit dem ewigen, heiligen und unveränderlichen göttlichen Wesen! Man erblickt dann auch, dass der (gesunde) Glaube etwas höchst Positives darstellt bzw. zweifelsohne vernunftmäßig die tiefsten Sehnsüchte des Menschen stillt. Man ist geneigt, die treffenden Worte des hl. Augustinus zu wiederholen, welcher sich nach manch einem Irrweg der ewigen Wahrheit Gottes zuwandte: “Unruhig ist unser Herz bis es ruht in Dir!”
Machen wir uns diese tiefen Zusammenhänge immer wieder bewusst bzw. rufen wir sie uns gerade in einer Konfliktsituation, hervorgerufen durch irgendwelche Versuchung, unbedingt in Erinnerung! Vergessen wir auch nicht unsere eigenen traurigen Erfahrungen mit der Sünde, die uns in der Vergangenheit doch immer ziemlich zusetzte, sollten wir sie (im nennenswerten Umfang) begangen haben. Und welch eine Freiheit und von Herzen kommende Freude umfasste uns, wenn wir uns (endlich) von der Fessel der Sünde, der Gottesferne oder der (übertriebenen) Anhänglichkeit an das Irdische losgerissen hatten!
So empfinden viele Menschen (und nicht nur jene Frau, von welcher eingangs die Rede war) die Erinnerung an das Überirdische bzw. die Besinnung auf das Übernatürliche und Göttliche als eine Art geistige Befreiung und Erleichterung und betrachten es als eine höchst wohltuende Art, endlich einmal dem Trott des Alltäglichen und Irdischen (wenn auch nur für eine kurze Weile) zu entkommen. Ja, der Mensch ohne Gott in seinem Leben ist arm und bedürftig - es kommt ja auch immer wieder vor, dass Menschen, die sich wie auch immer einem bewussten geistlichen Leben widmen, von jenen, die selbst Gott in ihrem Leben vernachlässigt haben, nicht nur mit ehrlicher Hochachtung und tiefem Respekt behandelt, sondern wegen ihrer (angenommenen oder tatsächlich vorgelebten) Gottesnähe sogar ausdrücklich beneidet werden! Man vergesse also als gläubiger Mensch dies alles nicht, sondern lebe umso bewusster und konsequenter die jeweilige eigene Berufung, Gott dienen und Ihn lieben zu dürfen!
Dabei ist unbedingt anzumerken, dass sich die christlich-katholische Glaubenshaltung wesentlich und markant von der Religiosität unterscheidet, wie sie in den anderen Religionen von ihren Anhängern erwartet und gefordert wird. Denn der wahre Gott ist nicht nur eine interessante theoretische Größe, der man sich sozusagen allgemein-mental nähern kann, sondern ein persönlicher Gott, der sich der Menschheit sowohl konkret offenbart hat als auch als der schlechthin sittliche Wille in das Leben des Menschen eingreift. Und den Höhepunkt und die Vollendung dieser, wie die katholische Theologie sagt, positiven Offenbarung Gottes stellt Sein Sprechen und die hingebungsvolle Zuwendung an die Menschheit in Seinem eingeborenen und wesensgleichen Sohn Jesus Christus dar, der als die zweite Person der allerheiligsten Dreifaltigkeit sogar richtig Mensch und somit einer von uns geworden ist!
Daher hat Er uns den göttlichen Willen nicht nur akustisch-verbal kundgetan, sondern darüber hinaus konkret vorgelebt und vollkommen erfüllt! Auf diese Weise haben wir auch eine anschaulich-praktische Richtschnur der Sittlichkeit erhalten. Dabei stellt die historische Tatsache, dass sich Jesus in Seinem stellvertretenden Sühneleiden und schmachvollen Sterben am Kreuz mit unserer Sünde identifiziert und sie auf diese Weise überwunden hat, den berühmten Kulminationspunkt der Offenbarung Gottes dar: “Er hat uns alle Fehltritte vergeben, hat die Schuldschrift, die uns mit ihrer Anklage belastete, ausgelöscht und vernichtet, da Er sie ans Kreuz heftete. Er hat die Mächte und Gewalten entwaffnet, offen an den Pranger gestellt und durch ihn über sie triumphiert” (Kol 2,14). So ist nun jedem, der ein treuer Jünger dieses menschgewordenen Gottes wird, der Weg ins Paradies und himmlische Vaterland wieder grundsätzlich zugänglich geworden...
■ Aber auch die jeweilige Zuwendung der heilbringenden Gnade Gottes erfolgt in der Regel höchst konkret und persönlich. Denn für diesen Zweck sind von Jesus Christus, dem göttlichen Erlöser, die heiligen Sakramente gestiftet worden. Mittels ihrer fließen nun im einzelnen die reichen Ströme der Erlösungsgnade Gottes auf die Menschheit herab! Sie stellen die Kanäle bzw. Lebensadern dar, durch welche sowohl der ganze Körper der Kirche Christi als auch deren einzelnen Glieder sowohl anfänglich belebt als auch vervollkommnend vollendet und geheiligt werden.
Wenn wir also an einem der sieben heiligen Sakramenten teilnehmen bzw. es empfangen, fließt das Erlöserblut Christi gewissermaßen auf uns bzw. über uns herab, und wir werden der erlösenden und heilbringenden Gnade Gottes teilhaftig - welch` ein Privileg und zugleich welche enorme Verantwortung! Besinnen wir uns darauf und erkennen wir die geistige Schönheit und den himmlischen Reichtum unseres heiligen, katholischen und apostolischen Glaubens ...und lernen wir auch die einzelnen Sakramente fortwährend zu schätzen!
Ja, der Glaube verlangt von uns auch einiges ab. Eine sittliche Umkehr, der wir uns ja sowohl generell als auch im Zusammenhang mit der Beichte unterziehen sollen, ist immer mit Mühe und Anstrengung verbunden. Aber nur wenn wir uns ihr (dauerhaft) unterziehen, finden wir (mit Seiner Gnadenhilfe) den Ausweg aus dem jeweiligen Schlamassel und gewinnen als eine Art Hauptpreis nichts Geringeres als den heiligen und sich-erbarmenden Gott selbst!
Auch verlangt es von uns nicht wenig Kraft, die Gebote Gottes getreu und gewissenhaft einzuhalten und ein gottwohlgefälliges Leben zu führen. Aber auch hier lohnt es sich sehr wohl, sich einzuschränken und sich bei Bedarf auch die so genannte “Gewalt anzutun”, um eben auf diese Weise den Blick auf das Wesentliche zu lenken und darauf zu behalten: “Seit den Tagen Johannes des Täufers bis jetzt erleidet das Himmelreich Gewalt, und (nur - Anm.) Gewalttätige reißen es an sich” (Mt 11,12).
So wollen wir uns immer wieder bewusst vornehmen, sowohl (zunächst) zu erkennen, “was die Heilsordnung ist”, als auch dann zusammen mit dem hl. Apostel Paulus “den unergründlichen Reichtum Christi zu verkünden. [...] Möge Er euch nach dem Reichtum Seiner Herrlichkeit verleihen, dass ihr durch Seinen Geist mit Kraft innerlich stark werdet, dass Christus durch den Glauben in eurem Herzen wohne und dass ihr in der Liebe festgewurzelt und festgegründet seid. So möget ihr mit allen Heiligen begreifen die Breite und Länge, die Höhe und Tiefe, und auch die Liebe Christi verstehen, die alles Erkennen übersteigt. So sollt ihr mit der ganzen Gottesfülle erfüllt werden” (Eph 3,8f.16-19).

P. Eugen Rissling

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