Wie und wo finde ich
das Paradies?
Kürzlich hat eine bekannte Schweizer Lebensmittelkette in ihrem eigenen
Magazin eine Umfrage veröffentlicht, in welcher die Kunden eines bestimmten
Einkaufs-Centers in der Innerschweiz ihre Auffassung zum Thema: „Wie stellen
Sie sich das Paradies vor? Zu Allerheiligen und Allerseelen: Die Frage nach
dem Glück im Jenseits“ mitteilen konnten. Insgesamt kamen dabei 36 Personen
beider Geschlechter und verschiedenen Alters zu Wort.
Schaut man sich die Antworten auf die gestellte Frage an, stellt man fest,
dass sich die Paradies-Vorstellung der allermeisten der Befragten rein
diesseitig orientiert. Ein (eher primitiverer) Teil der Antworten brachte
das Paradies mit angenehmen Urlaubserfahrungen irgendwo in der Südsee in
Verbindung: „Für mich sind die Malediven das Paradies. Ich war da mal zum
Tauchen und möchte unbedingt wieder hin“; „Friedlich, schön, mit Sonne, Meer
und Stränden. Etwa, wie man sich Hawaii im Allgemeinen vorstellt“; „Eine
Insel mit klarem Wasser, viel frischem Fisch und saftigen Früchten“; „Es
wächst alles an den Bäumen, was man sich zum Essen und Trinken wünscht, die
Sonne scheint immer. Es ist wie im Schlaraffenland“; „Australien mit seiner
unberührten Natur ist für mich das Paradies. Da ist nicht alles so überbaut
wie bei uns“ . Es scheint, dass die betreffenden Personen nicht so richtig
den Ernst der Frage begriffen haben!
Eine zweite Gruppe gab schon etwas seriösere Antworten und stellte das
Paradies mit harmonischen, krieg- und sorgenlosen zwischenmenschlichen und
zwischengesellschaftlichen Verhältnissen in Beziehung: „Unter Paradies
verstehe ich Frieden auf der ganzen Welt und Gesundheit für alle“; „Als
Zustand ohne Konflikte und ohne Armut. Die Menschen hätten ein starkes
Bewusstsein für Harmonie“; „Wenn es keine Kriege mehr gäbe, wären wir dem
Paradies ein großes Stück näher“; „Niemand mehr muss weinen, niemand mehr
muss Angst haben, weil die Menschen im Paradies alles Schlechte hinter sich
gelassen haben“; „Als Ort ohne Probleme, an dem alle zufrieden sind und
genügend zu Essen haben“.
Eine dritte Kategorie der Antworten ging dann eher in die so genannte
philosophische Richtung: „Das Paradies ist eine philosophische Idee und
kommt nach dem Leben. Aber man sollte aktiv darauf hinarbeiten, als
Lebenseinstellung“; „Das Paradies ist für mich mehr eine Idee als ein Ort
und kann überall sein. Wichtig sind Harmonie und Toleranz“; „Ich stelle mir
das Paradies vor wie auf Erden, aber alles ist vollkommen, zeitlos, und alle
Fragen sind beantwortet“.
Und nur drei der Antworten waren wenigstens irgendwie religiös angehaucht,
wobei letztendlich nur eine einzige davon wegen ihrer Klarheit und
Deutlichkeit von einem Christen voll und ganz unterschrieben werden könnte:
„Es muss wunderbar sein, weil wir dann mit Gott zusammen sein dürfen. Ich
glaube, es ist so schön, dass wir es uns gar nicht vorstellen können“!
Aber diese Tatsache, dass von den 33 erwachsenen Befragten (drei davon waren
Kinder) nur eine einzige Person (ein 18-jähriges Mädchen) die gestellte
Frage richtig aufgefasst und beantwortet hat, zeigt auch überdeutlich an, in
welcher großen Sinnkrise sich unsere Gesellschaft befindet. Wenn Gott und
das übernatürliche Leben heutzutage nicht mehr oder wenigstens nicht mehr so
richtig im „Paradies“ der Menschen vorkommen, dann muss der Materialismus
und die Diesseits-Orientierung traurige Fortschritte in der Mentalität der
Menschen gemacht, ja deren Geist in gewisser Hinsicht fast vollständig
okkupiert haben. Denn sicherlich reflektiert die besagte Umfrage die
Einstellung vieler in unserer heutigen Gesellschaft, offensichtlich bringt
sie auch wenigstens in etwa die vorherrschenden Mehrheitsverhältnisse in den
Fragen nach dem Jenseits zum Vorschein.
Wir, katholische Christen, glauben aber fest daran, dass der Himmel
wesentlich mit Gott zu tun hat, dass das Paradies letztendlich in nichts
anderem als im gemeinsamen Leben mit Ihm besteht! Es ist somit eindeutig
jenseitig orientiert und stellt weder einen Abklatsch vielleicht sogar einer
etwas gehobeneren irdischen Gesellschaft dar noch ist es als eine
Befriedigung diesseitiger individueller Interessen und Bedürfnisse des
Menschen sich vorzustellen. Niemand und nichts anderes als Gott und Sein
übernatürliches Leben, welches ja das größte Glück und die höchste Freude
des Menschen als eines Geistwesens darstellt, stehen da im Mittelpunkt und
machen das Wesen des Himmelreiches aus!
Aber wo ist denn dieses Paradies zu finden, welcher Weg führt zu ihm? Wie
ist also das Himmelreich im übertragenen Sinn zu erklimmen? Vielleicht
stellt man sich solche oder ähnliche Fragen nach dem Sinn des menschlichen
Leben, nach der Bestimmung der menschlichen Existenz gerade jetzt, am Ende
eines Kirchen- bzw. eines Kalenderjahres, umso intensiver.
Nun, wir dürfen als gesichert davon ausgehen, dass das Himmelreich, da es ja
eine geistige Realität ist, nicht etwa wie ein physikalischer Gegenstand mit
Händen zu greifen ist, nicht wie irgendeine mit äußeren Sinnen fassbare
Sache zu erwerben ist. Auch kann nicht angenommen werden, dass das Paradies,
wie es eben authentisch-christlich verstanden wird, wie auch immer
„außerhalb“ des Menschen als eines Geistwesens verläuft, dass die Teilnahme
des Menschen am Himmelreich „unabhängig“ von seiner Geistseele erfolgt. Denn
sonst würde es wieder „neben“ dem Menschen ablaufen bzw. an ihm
vorbeilaufen. Eine Antwort auf die Frage nach dem Zugang des Menschen zum
Himmelreich zu geben heißt somit, nach den gemeinsamen so genannten
„Schnittstellen“ bzw. geistigen „Berührungspunkten“ zwischen dem Herrgott
auf der einen und dem Menschen als Seiner vernunftbegabten Kreatur auf der
anderen Seite zu suchen.
Bei der Untersuchung dieses Fragekomplexes wollen wir hier ein Beispiel aus
der Radiotechnik heranziehen, welches zwar nicht vollkommen ist, aber uns
dennoch gute Ansatzpunkte liefert. Damit nämlich ein x-beliebiges
Radioprogramm empfangen werden kann, muss zunächst der betreffende Sender
sein Programm ausstrahlen. Und zwar erfolgt diese Ausstrahlung auf einer
jeweils ganz bestimmten und während der Sendung festen und unveränderlichen
Radiowellenfrequenz.
Und wenn wir dann diese Sendung empfangen wollen, müssen wir unser
Radioempfangsgerät auf die betreffende Frequenz des Radiosenders einstellen.
Anschaulicher wird dies am Beispiel der noch etwas älteren Geräte: wir
drehen da an einem bestimmten dafür vorgesehenen Regler und verändern
dadurch die (Empfangs)Frequenz unseres Radioempfängers. Und erst wenn bei
dieser Veränderung der Empfangsfrequenz die Sendefrequenz erreicht wird,
können wir das entsprechende Programm des Sender vernehmen und somit auch
etwa in dessen Genuss gelangen.
Dabei ist wichtig zu beachten, dass das Empfangsgerät keinen Einfluss auf
die Sendefrequenz des Senders hat. Nicht der Sender passt sich der Frequenz
des Empfängers an, sondern umgekehrt: der Empfänger muss in seinem Gerät die
Frequenz des betreffenden Senders finden und sich ihr durch die
entsprechende Einstellung gewissermaßen „anpassen“! Nur so funktioniert ein
jeglicher Radio- oder auch Fernsehempfang.
Nun ist in diesem Bild Gott gewissermaßen der Sender, der auf der Frequenz
des Geistes Seinen heiligen göttlichen Willen kundtut! Und bei der
Erschaffung des Menschen hat Er in dieses Sein vernunftbegabtes Geschöpf
eine Art Empfänger „eingebaut“, die menschliche Vernunft und den damit
verbundenen freien Willen! Und in der Tat ist der freie menschliche Wille
das wertvollste, womit der liebe Gott das menschliche Wesen bei dessen
Erschaffung ausgestattet hat. Dadurch unterscheidet sich ja auch der Mensch
hauptsächlich von der gesamten Tierwelt. Denn er ist prinzipiell in der
Lage, nicht nur zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, sondern vor allem
auch zu wählen - das kann kein noch so „intelligentes“ Tier. Der Mensch ist
grundsätzlich fähig, eine freie Entscheidung des eigenen Willens zwischen
den moralischen Kategorien von Richtig und Falsch zu treffen - dies
übersteigt bei weitem den Horizont z.B. eines Affen, Hundes, Pferdes,
Elefanten oder Delphins!
Und wenn nun ein Christ an der „Frequenz“ seines eigenen Willens arbeitet
und diesen oft rebellischen menschlichen Willen so ändert bzw. einstellt,
dass er dem Willen Gottes entspricht, dann kommt er auch in die Lage, in
ganz besonderer Weise die Stimme Gottes zu hören und ihr vor allem in
intensiv-geistiger Weise zu lauschen. Natürlich kann sogar ein jeder Mensch
kraft seines Geistes sowohl Gott selbst als auch Seine wichtigsten
sittlichen Forderungen erkennen (natürliche Gotteserkenntnis)
Aber dennoch nimmt sowohl die Intensität dieses Lauschens auf die Stimme
Gottes als auch das Maß Seiner mystischen Selbstmitteilung an die
menschliche Seele mit der Grad der Übereinstimmung der beiden Willen
schlagartig zu! Denn es entsteht dann eine ganz andere, viel tiefere Art der
gegenseitigen Kommunikation, der gemeinsamen geistigen Beziehung. Es wird ja
niemand leugnen wollen, dass es einen sehr großen Unterschied macht, ob nun
jemand nach Gottes Willen leben will bzw. lebt oder eben nicht.
Wenn also ein überzeugter katholischer Christ die „Frequenz“ seines eigenen
Willens auf die „Frequenz“ des Willens Gottes einstellt, das heißt wenn er
diesen göttlichen Willen bejaht und ihn in der Folge sowohl theoretisch als
auch vor allem praktisch zu seinem eigenen Willen macht, dann entsteht
zwischen den beiden Seiten eine Gemeinsamkeit des willensmäßigen Strebens,
eine Einheit des Wollens. Denn das betreffende Geschöpf will ja dann nicht
anders als bzw. genau so wie Gott selbst! Es kommt, damit inniglich
verbunden, zum lebendigen Kontakt, zu einer äußerst intensiven Verbindung
zwischen dem einzigen wahren Gott auf der einen und dem Menschen als
Geistseele auf der anderen Seite.
Da aber der Wille Gottes kein geistlos-trockener und somit rein formaler
Paragraph ist, welcher dem Menschen von Gott etwa willkürlich und mit Gewalt
aufgezwungen würde, sondern als inhaltsreicher Ausdruck der Heiligkeit
Gottes gewissermaßen Sein Leben in sich trägt (!), vermittelt er auch das
wahre ewige Leben, das Gott selbst ist, jedem, der denselben göttlichen
Willen zu seinem eigenen Willen macht. Somit erscheint diese Gemeinsamkeit
des Wollens als eine Art Brücke, auf welcher das ewige Leben bereits jetzt
in der Zeit (wenn auch hier auf Erden grundsätzlich verlierbar und somit
noch nicht endgültig) in das Herz des Menschen Einzug hält, in seine Seele
den Samen des Gottesreiches hineinsäht.
Damit finden wir aber auch eine Antwort auf die Frage, wo denn das Paradies
sei, wie es gefunden werden könne. Der Mensch muss da nicht etwa bis an das
Ende der Welt laufen oder ins Weltall fliegen; er ist nicht genötigt,
weltbewegende Taten zu vollbringen oder großes Aufsehen zu erregen. Er muss
lediglich in sich gehen und in seinem Herzen den Boden für das Kommen des
Reiches Gottes bereiten! Nicht zufällig lauten ja auch die ersten Worte der
Predigt Johannes` des Täufers: „Bekehret euch; denn das Himmelreich ist
nahe“ (Mt 3,2). Und auch von Jesus selbst heißt es gleich am Anfang Seiner
Predigttätigkeit, dass Er „begann zu predigen und zu rufen: `Bekehret euch;
denn das Himmelreich ist nahe`“ (Mt 4,17).
„Umkehr“ bedeutet ja: vom falschen, irrigen Weg, der Gott widerstreitet,
abkehren und sich zu Gott und Seinem heiligen Gebot zuwenden. Ruft ja der
Wegbereiter Christi besonders den Pharisäern und Sadduzäern zu: „So bringt
denn Frucht, die der Bekehrung würdig ist“ (Mt 3,8). Und dies setzt voraus,
dass der betreffende Mensch die sündhafte Gesinnung aufgibt, die vielleicht
bis dahin sein Herz und seine Seele beherrscht hatte, und statt dessen den
Willen Gottes zur entscheidenden Richtschnur seiner gesamten theoretischen
wie praktischen Haltung erwählt - in Gedanken, Worten und Werken!
Somit besteht das Himmelreich (hier auf Erden für uns Menschen) letztendlich
darin, den Willen des lebendigen und einzig wahren Gottes zu tun, der Sich
uns in Jesus Christus offenbart hat, und Sein heiliges Gebot zu erfüllen.
Wenn der Mensch den Willen Gottes, Sein moralisches Gebot, erfüllt, dann
zieht er ihn auch allen anderen Interessen und Vorlieben vor und zeigt
dadurch, dass er Gott wirklich liebt! Dies ist gewissermaßen der Schlüssel
zum Paradies, durch welchen sich dieses für uns öffnen kann bzw. auch
tatsächlich öffnet. Mittels dieser willentlichen Übereinstimmung mit den
sittlichen Forderungen Gottes, die ja das wahre göttliche Leben in sich
tragen, findet der Mensch auch zu jener Fülle des Lebens Gottes, von welcher
der hl. Apostel Paulus unter Berufung auf das Wort des Propheten Isaias so
treffend schreibt: „Was kein Auge geschaut, kein Ohr gehört hat, was kein
Menschenherz sich je gedacht, das hat Gott denen bereitet, die Ihn lieben“
(1 Kor 2,9)!
Und die Tragödie vieler unserer Zeitgenossen samt unserer westlichen,
materialistisch geprägten Gesellschaften besteht ja gerade darin, dass nicht
auf das moralische Gebot Gottes geschaut wird, dass nicht die sittlichen
Forderungen der christlichen Religion den Ausschlag geben. Statt dem
geheiligten Willen Gottes sowohl im persönlichen Leben als auch im
gesellschaftlichen Miteinander und in der staatlichen Gesetzgebung den
Vorrang zu geben, verachtet man viel zu oft das sittliche Gebot des
Christentums und macht sich bisweilen sogar in aggressiver Weise über die
entsprechenden Lehren der katholischen Kirche lustig.
Wenn sich aber der Mensch in seinem Leben nicht um den wahren katholischen
Glauben und den christlich offenbarten Willen des Dreieinigen Gottes
kümmert, dann darf es uns nicht wundern, wenn als erste Folge gewissermaßen
eine Störung des inneren geistigen Orientierungssinns bzw. die Blindheit des
religiösen Empfindens eintritt. Wie sind denn sonst die allermeisten der
eingangs erwähnten Antworten auf die Frage zu klassifizieren, wie man sich
denn das Paradies vorstelle?
Und fährt der Mensch fort, nicht sich nach dem heiligen Willen Gottes
umzuformen, sondern statt dessen so lange am moralischen Gebot Gottes
„herumzubasteln“, bis man sich einen „Gott“ und eine „Moral“ nach den
subjektiven Vorstellungen der eigenen menschlichen Willkür schafft („Der
Wahrheit verschließt man das Ohr und ergötzt sich an Fabeln“ - 2 Tim 4,4),
dann sind der Verlust eines gesunden Anstandes und ein immer weiteres
Herabsinken in den Morast des sittlichen Abgrundes nur die notwendige Folge
- bittere Konsequenzen eingeschlossen. Statt das Paradies zu findet, schafft
sich dann der Mensch letztendlich selbst die Hölle!
Nein, diesem moralischen Desaster entfliehen und Heilung von seinen
bisweilen sogar stark eiternden Wunden der Seele kann der Mensch nur durch
eine derartige Veränderung der lebensmäßigen „Frequenz“ des eigenen Wollens
und Strebens erfahren, dass er dabei die „Sendefrequenz“ Gottes sucht und
sich entgegen der heute gängigen egozentrisch-„selbstverwirklichenden“
Vorstellung unbedingt nach dem Willen Gottes ausrichtet. Denn der Mensch
findet letztendlich nur in Gott zu seiner wahren Bestimmung als
vernunftbegabtes Geschöpf, ausschließlich in der willensmäßigen Entsprechung
zu den an uns aus Liebe ergangenen sittlichen Forderungen Gottes kann das
menschliche Wesen durch das Dickicht der irdischen Spaßgesellschaft hindurch
zum wahren Paradies vorstoßen, welches ihm dann endlich den gesuchten
inneren Frieden, den Frieden in Gott verbürgt!
P. Eugen Rissling
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