"Katholische Kirche in Russland"

(1. Teil - bis 1917)

Durch das tataro-mongolische Joch ist Russland gewissermaßen aus der gesamteuropäischen Geschichte herausgerissen worden. Denn wenn die Kiever Rus noch zum christlichen Europa gehörte, so stellte die Moskauer Rus auch nach der Befreiung von den Mongolen ein politisches Gebilde dar, welches abgetrennt war von der christlichen Zivilisation des Westens. Denn dadurch dass die Moskauer Rus von der Kiever Rus das Christentum des Östlichen Ritus, Orthodoxie genannt, erbte, war es auf dem religiösen Gebiet praktisch ganz unabhängig, obwohl es weiterhin zu einer Kirchenprovinz des Patriarchats von Konstantinopel zählte. Aber dennoch war die Verbindung mit Konstantinopel ziemlich lose, zumal dieses mit dem Vormarsch der Moslems zunehmend seinen Einfluss verlor.
Nichtsdestoweniger erreichte im Patriarchat von Konstantinopel die Unionsbewegung des 15. Jahrhunderts auch Moskau. Zu einem der Initiatoren dieser Union mit Rom wurde Metropolit Isidor (gest. 1463), welcher die Russisch-Orthodoxe Kirche seit 1436 leitete. Dieser Metropolit nahm teil am Allgemeinen Konzil von Florenz, wo er auch im Namen seiner Kirche die Union mit dem Heiligen Stuhl unterschrieb. Von Papst Eugen IV. wurde er dann als das Haupt der Russischen Kirche bestätigt und zum Rang eines Kardinals erhoben. In dieser Eigenschaft kehrte er auch nach Moskau zurück und wirkte im Kreml, wobei dies dann auch als das erste pastorale Wirken des Katholizismus in der Moskauer Rus bezeichnet werden kann.
Allerdings hatte dieser Unionsversuch keinen langen Bestand, denn der Fürst von Moskau ließ Kardinal Isidor mit aktiver Unterstützung des örtlichen Episkopates ins Gefängnis setzen (aus welchem er dann in den Westen fliehen und noch zwei Jahrzehnte in Rom wirken konnte). 1448 erklärte sich die Russisch-Orthodoxe Kirche unabhängig und trennte sich, indem es sich abkapselte, für einige Jahrhunderte vom christlichen Westen. Im 15.-17. Jahrhundert gab es nur vereinzelte diplomatische Kontakte Russlands mit dem katholischen Westen, mal abgesehen von der nicht lang andauernden Besetzung Moskaus durch die Polen-Katholiken am Anfang des 17. Jahrhunderts, was seinerseits nur noch weiter zur Absonderung Russlands von der katholischen Welt führte.
Der Anschluss der Länder der östlichen Ukraine in der Mitte des 17. Jahrhunderts zu Russland, welche früher dem katholischen Polen gehörten, und die Ausweitung der Handels- und kulturellen Verbindungen mit Westeuropa zu dieser Zeit führte zum Erscheinen der Ausländer in Moskau - der Katholiken und Protestanten, welche natürlich der Seelsorge bedurften. So erschienen in Moskau im Jahre 1684 Priester-Jesuiten in ihrer Eigenschaft als Seelsorger der Wiener diplomatischer Mission. Und im Jahre 1686 gab es in der Deutschen Sloboda, in einer Moskauer Vorstadt (heute innerhalb der Stadt), in welcher alle Ausländer lebten, die erste katholische Kirche der hll. Petrus und Paulus.
Zur Zeit Peters I. ging Russland aus der politischen wie religiösen Abkapselung heraus und nahm aktiv am politischen, kaufmännischen und kulturellen Leben Europas teil. Als Folge davon erhöhte sich die Zahl der in Russland lebenden Ausländer stark. Und dies führte seinerseits zum Entstehen neuer katholischer wie protestantischer Gemeinden. Weil Anfang des 18. Jahrhunderts die Hauptstadt von Moskau nach St. Petersburg verlegt wurde, so lebte dort auch der größte Teil der Ausländer, wobei für diese in dieser neuen russischen Hauptstadt auch katholische Pfarreien errichtet wurden.
In Moskau gab es weiterhin die Gemeinde der hll. Petrus und Paulus, deren Mitglieder überwiegend Deutsche waren. Denn Russland pflegte damals besonders mit den einzelnen deutschen Fürstentümern enge Verbindungen.
Der Bruch im Leben der Katholischen Kirche in Russland erfolgte zur Zeit der Herrschaft von Katharina II. In der Folge der Aufteilung Polens gingen in ihren Herrschaftsbereich Gebiete über, in welchen überwiegend Katholiken lebten (Polen und Litauer). Und somit entstand auch die Frage nach der kanonischen Regelung des religiösen Status dieser Länder. Infolge schwieriger Verhandlungen mit Rom im Jahre 1783 entstand die Mogilever Erzdiözese, deren formaler Sitz die Stadt Mogilev auf dem Gebiet des heutigen Weißrussland war. Faktisch aber lebte der Erzbischof samt des ganzen administrativen Apparats der neuen Metropolie in der neuen Hauptstadt des Reiches - St. Petersburg. Der erste katholische Metropolit in Russland war Stanislav Sestrenzevitsch-Bogusch (gest. 1826), er leitete die Mogilever Erzdiözese fast ein halbes Jahrhundert lang.
Zur Zeit der Regentschaft Katharinas II. wurden im Wolga-Gebiet viele deutsche Kolonien gegründet, zu denen nicht wenige Katholiken zählten. Selbstverständlich entstanden dort katholische Pfarreien, und diese unterstanden der Mogilever Metropolie. Zur selben Zeit emigrierten auch viele Franzosen nach Russland, die vor den Ereignissen der Revolution in ihrer Heimat flohen und in Russland einen warmen Empfang fanden. Ihnen wurde gestattet, eigene Kirchen zu bauen. So entstand gerade damals die zweite katholische Kirche in Moskau - die Pfarrei St. Ludwig.
Im Jahre 1847 wurde zwischen Russland und dem Heiligen Stuhl ein Konkordat geschlossen, in welchem unter anderem die Errichtung einer neuen Diözese vorgesehen wurde. Diese erhielt zwar im Jahre 1848 die Bezeichnung „Tiraspoler“, wobei sich deren administratives Zentrum allerdings in der Stadt Saratov an der Wolga befand. Der erste Bischof wurde Ferdinand Kahn (gest. 1864).
Somit gab es auf dem Gebiet Russlands (in seinen gegenwärtigen Grenzen) in der Mitte des 19. Jahrhunderts zwei katholische Diözesen, die man bedingt die polnische und die deutsche bezeichnen kann. Die Mogilever Erzdiözese schloss außer der südlichen Provinzen fast das ganze Territorium Russlands ein. Somit gab es praktisch in allen Provinzhauptstädten katholische Kirchen, weil sich die polnische Bevölkerung sowohl wegen der Arbeitssuche als auch wegen der zwangsweisen Aussiedlung der Polen in den Osten (besonders nach den beiden polnischen Aufständen im 19. Jahrhundert) ziemlich weit im Zarenreich ausdehnte.
Natürlich gab es in der Mogilever Erzdiözese nicht nur polnische Gemeinden, sondern auch Pfarreien mit Ausländern anderer Nationalitäten. So war in Moskau von den zwei Pfarreien eine französisch (St. Ludwig) und die andere deutsch-polnisch (St. Petrus und Paulus). Dennoch stellten Katholiken polnischer Abstammung den größten Teil der Herde der Mogilever Erzdiözese. Und was die Tiraspoler Diözese angeht, so war hier die Mehrheit der Gemeinden deutsch, obwohl es natürlich auch polnische gab.
Zu erwähnen ist die Tatsache, dass der Katholizismus von der russischen Regierung immer als ein ausländisches Glaubensbekenntnis betrachtet wurde, welches den Reichsuntertaten nur in dem Fall gestattet wurde, wenn sie den entsprechenden Familien entstammten und den entsprechenden Nationalitäten angehörten. An einen offiziellen russischen Katholizismus konnte man nicht einmal denken. Der Übertritt von der Orthodoxie zum Katholizismus (aber nicht umgekehrt!) wurde als eine kriminelle Tat angesehen und nach dem Gesetz bestraft.
Allerdings entstand schon im 19. Jahrhundert in der Mitte des russischen gebildeten Adels eine katholische Bewegung, ähnlich der katholischen Bewegung in England. Einer der Initiatoren dieser Bewegung war der herausragende russische Philosoph P.J. Tschaadaev (gest. 1856). Offen hat er seinen Übertritt zum Katholizismus zwar nicht erklärt, aber seine Werke ließen auf die Annahme des katholischen Glaubens schließen. Die Regierung hatte nichts in der Hand, ihn nach dem Strafgesetzbuch zu verfolgen, dennoch erklärte sie ihn für verrückt, was übrigens seinem Einfluss keinen Abbruch tat.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts beginnt die Reihe offener Bekehrungen zum Katholizismus seitens markanter Vertreter des gebildeten Adels. Aber alle diese Konvertiten waren gezwungen, nach ihrer Konversion ins Ausland zu ziehen. So wurde in Paris der Salon der Madam Swetschina (gest. 1857) zu einem der geistigen Zentren, in welchen sich oft bekannte französische katholische Denker und Schriftsteller jener Zeit trafen. In Paris trat zum Katholizismus der Fürst Ivan Sergeevitsch Gagarin (gest. 1882) über, der daraufhin Jesuitenpater wurde, zahlreiche apologetische Aufsätze zur Verteidigung des Katholizismus verfasste und die Pariser Slawische Bibliothek gründete. Namentlich Fürst Gagarin gehören die prophetischen Worte aus der Mitte des 19. Jahrhunderts: „Russland wird entweder katholisch oder kommunistisch“.
Ungeachtet der relativen Minderheit der Katholiken in Russland war ihr Einfluss auf das gesellschaftliche Leben des Landes überproportional. Führen wir nur ein herausragendes Beispiel an. In der Mitte des 19. Jahrhunderts gab es in Moskau keinen Menschen, der nicht Fedor Petrovitsch Haas (gest. 1853) gekannt hätte - den „heiligen Arzt“, wie ihn die einfachen Moskauer nannten. Dieser Deutsche, Friedrich Haas, kam am Anfang des 19. Jahrhunderts nach Russland, nahm dann die russische Staatsbürgerschaft an und verband sein ganzes Leben mit Russland und Moskau. Er wurde Gefängnisarzt und setzte seine Kräfte und sein ganzes Vermögen ein, um den einfachen russischen Gefangenen zu dienen - er sorgte sich nicht nur um deren leibliches, sondern auch um deren geistiges Wohl. Obwohl er einer der bekanntesten Ärzte Moskaus war und somit große Einkünfte aus seiner Praxis besass, fand man bei ihm nach seinem Tod nicht einmal Geld zu seiner eigenen Beerdigung, weil er seine ganzen Mittel eben für die Bedürftigen einsetzte. So wurde er auf Kosten des Staates bestattet, wobei an dieser Beerdigung über 20.000 Menschen teilnahmen.
Er war ein eifriger Katholik und Mitglied der Gemeinde der hll. Petrus und Paulus. Ungeachtet des strengsten Antikatholizismus des orthodoxen Klerus erschien an Haas` Totenbett, ihn segnend, der Moskauer Metropolit Filaret, der bekannt war für seine strengen orthodoxen Ansichten. Für Haas - einen Deutschen und Katholiken - wurde im orthodoxen Moskau von dankbaren Bürgern ein Denkmal errichtet.
Die Revolutionsereignisse vom Anfang des 20. Jahrhunderts führten zum Toleranzedikt von Nikolaus II. vom 17.01.1905. Nach 1905 wurde der Übertritt Orthodoxer zum Katholizismus staatlicherseits nicht mehr verfolgt. Und dies führte seinerseits zur Konversion einiger Russen zum Katholizismus, auch wenn diese Übertritte vergleichsweise nicht zahlreich waren. Die meisten russischen Konvertiten wählten den Lateinischen Ritus, weil sie darin die Möglichkeit sahen, eine nachhaltige Einheit mit der Weltkirche zu erreichen. Und nur vereinzelte Russen vereinigten sich in einigen äußerst wenigen Gemeinden des Östlichen (Byzantinischen - Anm.) Ritus, die in Moskau und St. Petersburg existierten.
Zwischen der Februar- und der Oktoberrevolution 1917 wurde der, der Zahl nach kleine russische katholische Klerus des Östlichen Ritus, in einem Exarchat vereinigt, welches Rom 1921 offiziell bestätigte. Zu dieser Zeit war dieses Exarchat infolge kommunistischer Verfolgung schon fast ganz dem Verschwinden nahe.
Die katholische Kirche war, wie vor so auch nach 1905, nicht getrennt vom Russischen Reich, so dass auch alle offiziellen katholischen Priester ein Gehalt vom Staat erhielten. Die Tätigkeit der katholischen Kirche wurde streng von staatlichen Organen reglementiert, die auch alle kirchliche Ernennungen kontrollierten. Dies führte gelegentlich zu diplomatischen Irritationen zwischen Rom und St. Petersburg.
Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht die Geschichte des Jesuitenordens. Als Papst Klemens XIV. 1783 diesen Orden auflöste, verbot Katharina II. die offizielle Veröffentlichung der päpstlichen Bulle im russischen Reich, und die Tätigkeit des Ordens wurde in Russland fortgesetzt. Dies gestattete dem Jesuitenorden, die Zeitspanne der Ungnade zu überstehen und jenen Tag zu erleben, an welchem Papst Pius VII. den Orden offiziell wiedererrichtete - zunächst nur innerhalb der Grenzen Russlands (1800) und dann auf der ganzen Welt (1814).
Somit kann man, wenn man von den Katholiken in Russland vor 1917 spricht, vier Hauptepochen hervorheben: 1 - die Zeit bis Ende des 17. Jahrhunderts, als in Russland eigentlich keine Katholiken lebten, als es nur sehr schwache Kontakte mit Rom gab und Russland äußerst selten von Vertretern der katholischen Kirche besucht wurde; 2 - ab Ende des 17. Jahrhunderts bis Ende des 18. Jahrhunderts, als die ersten katholischen Gemeinden entstanden, die sich pastoral um die Ausländer kümmerten, welche aus verschiedenen Gründen nach Russland kamen; 3 - ab Ende des 18. Jahrhunderts bis Anfang des 20. Jahrhunderts, als im russischen Zarenreich viele Katholiken lebten, die russische Staatsbürger waren, als eine katholische Hierarchie errichtet wurde, und als infolge der Aussiedlung von Menschen verschiedener Nationen, welche zum Zarenreich gehörten und traditionell den katholischen Glauben bekannten (Polen, Litauer, Deutsche-Kolonisten), in ganz Russland katholische Gemeinden entstanden; 4 - Anfang des 20. Jahrhunderts, als die russischen Katholiken die Möglichkeit zum freien Bekenntnis des katholischen Glauben erhielten, überwiegend im Lateinischen Ritus, auf welchen hin sie vorbereitet wurden durch die unter den Gebildeten des 19. Jahrhunderts entstandene Bewegung zugunsten des katholischen Glaubens.
 

Alexander Kryssov
 

Übersetzt von P. Eugen Rissling

Zurück Hoch Startseite