Katholische Kirche in Russland

(3. Teil - nach1990)
 

Bericht eines Historikers und Augenzeugen

Das Jahr 1990 brachte große Veränderungen in das Leben der katholischen Kirche in Russland. Deswegen wurde dieses Jahr (und nicht 1991 - das Jahr des Zerfalls der Sowjetunion) von mir zum Stichdatum gewählt, welches zwei historische Abschnitte im Leben der russischen Katholiken trennt.

Am 01. Dezember 1989 trafen sich im Vatikan „Papst“ Johannes Paul II. und der Architekt der „Perestrojka“, der Generalsekretär der kommunistischen Partei der Sowjetunion M.S. Gorbatschow, was für die Katholiken natürlich bemerkenswert war. Zwei Monate später, am 27. Januar 1990 veröffentlichte die größte kommunistische Zeitung „Prawda“ überraschenderweise einen Artikel, in welchem auf einer ganzen Seite Johannes Paul II. gelobt wurde. Für uns alle, die Angehörigen der einzigen Moskauer katholischen Pfarrei St. Ludwig, war dieses Ereignis ein Zeichen der Beendigung, oder wenigstens des Anhaltens der Repressionen gegen die Kirche. Leider wussten und befürchteten wir aber damals nicht, was uns in der allernächsten Zukunft erwartet. Nach wie vor gingen wir zur hl. Messe am Gebäude des KGB vorbei, welches an die unlängst stattgefundenen Repressionen erinnerte, jetzt aber allerdings ohne Angst um unser Leben.

Die Sowjetunion hat diplomatische Beziehungen mit dem Vatikan errichtet, und im Mai 1990 kam nach Moskau der „Apostolische“ Nuntius „Erzbischof“ Francesco Colasuonno. Er erschien bei uns in der Kirche, feierte die hl. Messe wie unser Seelsorger P. Stanislav Mazejka in Latein, zeigte sich aber dann nicht mehr bis zu jenem Moment, als uns P. Stanislav im Juli 1990 allen erklärte, dass er nach der direkten Anordnung aus dem Vatikan sein Amt als Pfarrer dieser Gemeinde aufgeben müsse. Später erfuhren wir, dass die litauischen Bischöfe bereits 1989 (als sie gerade die modernistischen Positionen übernahmen) versucht hatten, anstelle von P. Stanislav ihren eigenen Kandidaten durchzusetzen. Aber P. Stanislav weigerte sich, dem zu folgen, und führte als Begründung an, dass Moskau sich nicht im kanonischen Einflussbereich des litauischen Episkopates befindet. Nun aber erreichten die Modernisten ihr Ziel.

Wir bedauerten natürlich, dass ein neuer Pfarrer kommen würde. Dennoch sahen wir darin keine Tragödie, weil es ja in der Natur der Sache liegt, dass ein älterer Priester durch einen jüngeren ersetzt werde. Aber schon buchstäblich in den ersten Wochen nach der Absetzung von P. Stanislav als Pfarrer verstanden wir, dass etwas schreckliches geschah. Es schien, dass mit dem Priester auch der Glaube ausgewechselt wurde. Und diese (anfänglich schwachen) Vorahnungen im September 1990 wurden bei vielen zur festen Überzeugung, dass irgendein Bruch stattfand, ein radikaler Umsturz, welchen wir mit unserem Gewissen nicht vereinbaren können.

Das Kirchengebäude wurde vom Haus Gottes zum Jugendzentrum, in welchem Gitarren erklangen und Aktivitäten verschiedenster Art begannen, die nichts zu tun hatten mit unseren Vorstellungen vom Leben der Kirche. Und als anstelle des Altars ein Tischchen aufgestellt und anstatt des strengen Latein von angereisten jungen Priestern im gebrochenen Russisch „zelebriert“ wurde, wurde alles endgültig klar: hier wird irgendeine andere Kirche eingeführt.

Aus spärlichen Veröffentlichungen sowjetischer Presse wussten wir, dass es im Westen gewisse Traditionalisten gab, die sich gegen die Entscheidungen des Vatikanums II. aussprachen. Die Presse nannte sie Hasser des Fortschritts und berichtete, deren Haupt sei Erzbischof Marcel Lefebvre.

Bis zum Herbst 1990 haben uns keine Traditionalisten interessiert, da uns damals der Grund des Problems nicht klar war. Nun aber entstand die Frage, ob denn diese Traditionalisten nicht wahre Katholiken seien, die denselben Glauben haben wie wir. Im Herbst 1990 entstand in der Kirche St. Ludwig eine inoffizielle Gruppe von Katholiken, zu der auch zwei Mitglieder des Pfarrgemeinderates gehörten (u.a. auch der Autor dieses Berichtes). Wir versuchten, Kontakt mit Erzbischof Lefebvre herzustellen, was uns auch gelang. Ganz am Anfang 1991 schickte er uns eine Grußkarte, in welcher er uns seine moralische Unterstützung zusicherte. Allerdings erfuhren wir bald darauf von seinem Tod. Und im Sommer 1991 kam nach Moskau ein Priester der Priesterbruderschaft St. Pius X.

So setzte sich die 1990 begonnene Entfremdung der Katholiken untereinander fort. Im April 1991 errichtete der Vatikan in der Gestalt zweier „Apostolischer“ Administraturen neue „katholische“ Strukturen in Russland. Der Administratur in Moskau stand nun „Erzbischof“ Tadeusz Kondrusiewitsch und der in Nowosibirsk „Bischof“ Josef Werth vor. In demselben Jahr formierte sich auch die Gemeinde der Moskauer Katholiken-Traditionalisten, ohne allerdings irgendwo registriert worden zu sein.

Sicherlich hielten wir uns anfänglich nicht für jemand, der sich prinzipiell von den Modernisten unterscheiden würde. Wir gingen nach wie vor in die St. Ludwigs-Kirche, wo morgens noch P. Stanislav nach dem „alten“ Ritus zelebrierte. Die Priester der Priesterbruderschaft St. Pius X. besuchten Moskau von 1991 bis 1995 nur vier Mal, d.h. nur ungefähr einmal im Jahr.

Aber ab Januar 1992 erlaubten die modernistischen Amtsträger P. Stanislav, nur einmal in der Woche am Sonntag zu zelebrieren. Und ab 1993 durfte er überhaupt nicht mehr in der St. Ludwigs-Kirche die hl. Messe feiern. Er zelebrierte nun in einer Kapelle in seiner Wohnung, wohin wir auch gingen. Die Messen in jener Kirche dagegen hörten für uns auf, auch wenn wir immer noch dorthin gingen, um privat zu beten.

Die „alten“ und der Tradition der Kirche treugebliebenen Gläubigen wurden von P. Stanislav seelsorglich betreut, und nur selten kamen Priester der Priesterbruderschaft. Die Modernisten haben verstärkt versucht, irgendetwas eigenes zu errichten, allerdings erreichten sie nicht viel. Von den dreien vor der Revolution existierenden Kirchen war nur die des hl. Ludwig immer geöffnet. Die Kirche der Unbefleckten Empfängnis konnten sich die offiziellen Katholiken zurückholen vom Staat. Die Kirche der hll. Peter und Paul dagegen nicht.

Die Modernisten begannen mit der Praxis von „Titular“-Pfarreien, die nur auf dem Papier existierten. Für diese Pfarreien erhielten sie im Westen große finanzielle Mittel, welche in Immobilien und in die Wirtschaft investiert wurden und große Gewinne abwarfen. Um sich vor dem Westen rechtfertigen zu können, haben die modernistischen Hierarchen die Zahl der Katholiken künstlich um einige Zig mehr angegeben. So „verwandelten“ sich die zwei- bis dreitausend der Moskauer Katholiken (viele von ihnen ausländische Arbeiter) auf dem Papier in 65.000 Moskauer Katholiken. Und so in ganz Russland. So wuchs zum Beispiel nach offiziellen Angaben aus den 90-er Jahren die Zahl der „Bischof“ Werth unterstehenden Menschen um mehr als eine Million, wobei es in ganz Russland nur etliche Zig-Tausend Katholiken gibt. Dies alles ärgerte sehr die Russisch-Orthodoxe Kirche, zu der sich die Beziehungen endgültig verschlechterten, obwohl das in Zeiten des Ökumenismus ziemlich paradox erscheint.

Im Jahre 1995 kam es zu weiteren gewichtigen Veränderungen im Leben der traditionell-gesinnten Katholiken Moskaus. Im August dieses Jahres starb in seinem 91. Lebensjahr P. Stanislav Mazejka. In demselben Jahr wurde auch von der Priesterbruderschaft St. Pius X. P. Werner Bösiger als ständiger Priester für Moskau ernannt. Allerdings schien es, dass das katholische Leben in Moskau einfror. P. Bösiger kam nur zweimal im Jahr auf jeweils einen Tag nach Moskau und zelebrierte in einer Privatwohnung (weit von der U-Bahn-Station), in welcher es praktisch keine Voraussetzungen dafür gab. Die Zahl der Katholiken dieser Gruppe begann stark zu sinken. P. Stanislavs ältere Pfarrkinder gingen in die andere Welt, einige versuchten, für sich einen Platz in der Orthodoxie zu finden. So dauerte es vier Jahre, bis 1999.

In derselben Zeit verschlechterte sich die Lage der Katholiken auch im Hinblick auf die Beziehungen zum Staat. 1997 wurde vom Staat ein Gesetz verabschiedet, welches die Gleichheit aller Glaubensbekenntnisse deklarierend diese in traditionell russische und ausländische aufteilte. Die Katholiken Russlands fielen natürlich in die ausländische Kategorie, was deutlich ihren Rechtsstatus im Land verschlechterte.

Ende der 90-er Jahre gab es drei Ereignisse, welche das katholische Leben in Moskau aufwühlten, indem sie ihm einen neuen Impuls gaben. Zwei Ereignisse waren positiver und eins negativer Natur. So wurde auf Betreiben der Modernisten und unter der Leitung von „Pfarrer“ Bernard Le Leannec endgültig das Innere der St. Ludwigs-Kirche zerstört - einer Kirche aus dem 19. Jahrhundert, die zu Zeiten des Kommunisten erhalten werden konnte! Dies war nicht nur ein Verbrechen gegen den Katholizismus, sondern auch gegen die Kultur. Und dies regte einige der formal modernistischen Gläubigen dazu an, über die Situation nachzudenken, und sie schlossen sich der Gruppe der Traditionalisten an.

Im Juli 1999 konnte in der Gegend der U-Bahn-Station „Swiblowo“ eine Kapelle zu Ehren des hl. Pius V. errichtet werden. Und im Mai desselben Jahres begann ungefähr 3-4 Mal im Jahr die Zeitschrift „Pokrov“ (was soviel heißt wie „Schutzmantel“ [der Muttergottes] - Anm.) im Umfang von ca. 150 Seiten zu erscheinen. Dies gab Hoffnung den Moskauer Katholiken. Die Gemeinde des hl. Pius V., die dank dieses Periodikums weit über die Grenzen Moskaus hinaus bekannt wurde, begann zu wachsen. Die Zeitschrift wurde von mehreren Hundert Abonnenten aus ganz Russland bezogen. Und aus drei Städten - Sankt Petersburg, Irkutsk (Sibirien) und Perm (Nordrussland) - kamen Anfragen nach der Messzelebration der hl. Messe im überlieferten Ritus.

Im Januar 2000 erhielten die Moskauer Katholiken der St. Pius V.-Gemeinde endlich die offizielle Registrierung der staatlichen Behörden. Außerdem haben sich zu uns auch orthodoxe Kreise mit gewisser Sympathie verhalten, da sie in den traditionalistischen Katholiken echte Christen sahen, die ihren Glauben bekennen und nicht - wie es die modernistischen Amtsträger taten - unter dem Deckmantel der religiösen Terminologie lediglich Geschäfte treiben.

Allerdings entstanden in den Jahren 2001-2002 und begannen zu wachsen Differenzen zwischen den glaubenstreuen Katholiken Moskaus und dem Vertreter der Piusbruderschaft, P. Bösiger. Uns blieb seine Position unverständlich, wonach wir in seiner Abwesenheit die modernistischen „Gottesdienste“ besuchen sollten, weil nach seinen Worten alle von den Modernisten gespendeten „Sakramente“ zweifelsfrei gültig seien. Es ergab sich, dass der von uns bewahrte katholische Glaube lediglich eine Frage der liturgischen Ästhetik war und sonst nichts! Außerdem war uns bei P. Bösiger das gänzliche Fehlen einer Bestrebung zur Ausweitung unserer Tätigkeit unverständlich, seine entschiedene Weigerung, in jene Städte zu reisen, in welchen auf einen traditionellen Priester gewartet wurde. Allerdings erklärten wir dies alles mit fehlenden Qualitäten dieses Priesters und warteten auf bessere Tage.

In den Jahren 2001-2002 wurden die Moskauer postkonziliaren „Katholiken“ von drei ungeheuerlichen Skandalen erschüttert. Neben der Bischofskirche (Von der Unbefleckten Empfängnis - Anm.) errichtete man ein „Franziskaner“kloster, welches allerdings bald darauf von der Polizei geschlossen wurde. Denn in den von diesem Kloster an weltliche Personen vermieteten Räumlichkeiten wurde ein ganz gewöhnliches Bordell betrieben. Zwar wussten die „katholischen“ „Geistlichen“ zunächst noch nichts davon, steckten aber auch dann ganz brav finanzielle Gewinne ein, als ihnen der Verwendungszweck der betreffenden Räumlichkeiten bekannt wurde. Dieses Ereignis führte dazu, dass die weltliche Presse viel Schmutz über alle Katholiken verbreitete.

Und in den Räumen der Kirche von der Unbefleckten Empfängnis (!) wurden zwei Videoclips gedreht, in denen es um massive Verspottung der traditionell-katholischen Lehre von der christlichen Ehe bzw. um die „Eheschließung“ zwischen zwei Lesben ging!!! Die Leitung der Bischofskirche erhielt dafür großes Geld. Allein z.B. für die an die Darsteller ausgeliehene priesterliche Soutane wurden (nach den Worten eines hochgestellten Mitarbeiters der erzbischöflichen Kurie) 700,- US Dollar bezahlt. Das ist für Moskau ein sehr hoher Betrag.

Und als wir im „Pokrov“ eine klare Verurteilung dieser gewaltigen Missstände veröffentlichten, sind wir von der Reaktion P. Bösigers erschüttert worden. Er hat nicht nur unseren Schritt verurteilt, sondern entschuldigte sich auch noch vor den modernistischen Amtsträgern für die von seiten unserer Gemeinde geäußerte Kritik. Nach seinen Worten seien diese Modernisten legitime Hirten gewesen, an welchen wir kein Recht gehabt hätten, Kritik zu üben. Nun hörten wir ganz auf zu verstehen, was vor sich geht!

Wir begriffen die Situation erst im Jahre 2003, als wir Zeugen der äußerst unsauberen Finanzpolitik der Priesterbruderschaft wurden. Einige Priester sammelten im Westen hohe Geldsummen, die angeblich für die Moskauer Katholiken-Traditionalisten seien. Wir wussten nichts davon und erhielten natürlich auch kein Geld, das für andere uns unbekannte Zwecke verwendet wurde. (Die finanzielle Unterstützung der Priesterbruderschaft an unsere Gemeinde - zur Deckung einiger laufender Kosten - betrug lediglich einen winzigen Bruchteil im Vergleich zu jenen gesammelten Summen.) Es wurde klar, dass unsere Moskauer Gemeinde von der Priesterbruderschaft lediglich als ein Markenname missbraucht wurde, der Gewinn erbringt, wobei sie weder ein Interesse an der Verbreitung des traditionellen Katholizismus in Russland noch an der Unterstützung der Gläubigen besitzt. Jetzt verstanden wir, warum sie sich hartnäckig weigerte, außerhalb Moskau tätig zu werden.

Im Jahr 2003 trennten wir uns von P. Werner Bösiger, welcher allerdings nicht wollte, dass wir andere Priester einluden, und alles ihm Mögliche unternahm, damit unsere Kapelle geschlossen würde. Dies gelang ihm aber nicht.

Somit befanden wir uns 2003 im allerkritischsten Zustand unserer Geschichte. Aber der Herrgott ließ uns nicht im Stich. Im Laufe eines Jahres bemühten wir uns um Kontakte mit einigen Gruppen traditionalistischer Katholiken im Westen, die nicht mit der Priesterbruderschaft St. Pius X. verbunden sind. Im August 2004 antwortete Bischof Mark Pivarunas sehr willig auf unsere Anfragen. In den nächsten Monaten veränderte sich unsere Lage sehr stark. Die regelmäßigen pastoralen Besuche von P. Eugen Rissling, mit welchem alle Mitglieder unserer Gemeinde zu ihrer großen Freude eine gegenseitige Übereinstimmung in den kirchlichen Fragen erzielten, die aufrichtige Unterstützung der Gläubigen aus Deutschland, der Schweiz und den USA und die von Bischof M. Pivarunas ins Auge gefassten konkreten Perspektiven führten dazu, dass die Moskauer katholische Gemeinde einen Halt erhielt, welchen sie in den letzten 10 Jahren nicht hatte.

Anfang Juli 2005 feierten die Moskauer Katholiken das 100-jährige Datum seit der Geburt von P. Stanislav Mazejka. Wir, seine geistigen Kinder, schauen als Gemeinde nun wieder mit Hoffnung in die Zukunft, beflügelt durch die Unterstützung unserer Brüder im Glauben.


Alexander Kryssov

Übersetzt von P. Eugen Rissling
 

 

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