Die dunkle Zeit des Papsttums

Das Reformpapsttum 1046 bis 1122/23: Von Eintracht und Streit im Abendland - Der lange Atem von Sutri nach Worms

I. Der Weg des Papsttums aus der Bedeutungslosigkeit
Das Papsttum hat in der Epoche zwischen der Synode von Sutri (1046) und dem Wormser Konkordat (1122/23) eine erhebliche Wandlung durchlebt, die im Bestreben nach der „ecclesia liberta“ („freien Kirche“) vollzogen wurde. Diese Reform löste die Kirche letzten Endes aus dem Herrschaftsbereich des Kaisers und machte sie selbstständiger. Obwohl nicht bzw. nicht direkt beabsichtigt erfolgte im Zuge der Reform eine Art Teilsäkularisierung. Vor allem der Streit der Investitur wurde mit der Empfehlung Jesu gelöst: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist“.
Mit dem Wort „Reform“ sollte hier keineswegs angedeutet werden, als wollte man etwas Neues bringen, sondern man wollte sich auf Altbewährtes stützen. Es sollten lediglich Missstände, wie die Simonie und der Nikolaitismus (Priesterehe), behoben als auch später dann die Investiturfrage - also die Frage danach, ob nun der König die Bischöfe im Reich einsetzen dürfe oder nicht - geklärt werden. Der Ämterkauf und die Priesterehe waren zu damaliger Zeit zwei zentrale Aspekte, die den moralischen Zerfall des Episkopats und des gesamten Klerus verdeutlichten.
Daher war hartes Vorgehen gegen diese Verletzungen des Kirchenrechts und des Keuschheitsgelübdes von zentraler Bedeutung. Die Epoche war geprägt von einem Kampf zwischen den weltlichen und kirchlichen Autoritäten um die Vorherrschaft bzw. um bestimmte Entscheidungsvollmachten in der Kirche, aber auch auf dem ganzen Kontinent. Es sollte verhindert werden, dass sich weltliche Autoritäten, wie der Kaiser oder die Fürsten, in die Vergabe von Kirchenämtern einmischten, um die Entwicklung der Kirche zu ihren Gunsten zu beeinflussen.
Um die fundamentale Wandlung zu begreifen, die das Papsttum und die Kirche ab der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts bis Anfang des 12. Jahrhunderts erlebte, muss man erst einen Blick auf das Papsttum vor der großen Reform werfen.
Im sechsten bis achten Jahrhundert befand sich das Papsttum unter verhältnismäßig großem Einfluss des oströmischen/byzantinischen Kaisers, der sich in der Nachfolge des hl. Kaisers Konstantin sah. Jeder neue Papstkandidat musste sich nach seiner Wahl durch Klerus und Volk die Einwilligung des Kaisers holen. Ab dem neunten Jahrhundert, mit dem Amtsantritt Karls des Großen als erstem Kaiser des Frankenreiches war das Verhältnis zwischen Papst und Kaiser auf wechselseitigem Einfluss ausgelegt. Der Kaiser hatte ein Zustimmungsrecht bei der Papstwahl. Der Papst durfte dafür den König zum Kaiser krönen.
Das zehnte und elfte Jahrhundert war eine dunkle Zeit für das Papsttum. Der römische Stadtadel hatte das Recht, den Papst einzusetzen, an sich gebracht. Es entbrannte ein regelrechter Wettstreit unter den betreffenden Adelsfamilien, aus wessen Reihen der neue Papst stammen sollte. Diese Praxis der Vergabe des Amtes des Papstes hatte zur Folge, dass die allgemeine Autorität des Papsttums stark litt und die meisten Päpste dieser Zeit eher unfähig für dieses Amt waren. Auch hatten einige von ihnen vor ihrer Wahl nicht einmal die Weihe des Priesters, waren also Laien und ließen sich, wie Papst Johannes XIX. an einem Tage alle nötigen Weihen spenden, entgegen der kanonischen Bestimmungen. Es kursierte die Tradition der Designation. Der Papst schlug seinen Nachfolger verbindlich vor. Die beliebige Austauschbarkeit des Papstes tat ihr Übriges dazu. (Näheres dazu auf http://www.arbeitskreis-katholischer-glaube.com→ Aus der Kirchengeschichte → Die dunkle Zeit des Papsttums).
Nur im Hinblick auf diese missliche Lage, in der das Papsttum sich in der ersten Hälfte des elften Jahrhunderts noch befunden hatte, kann man die Kehrtwende, die das Papsttum in den kommenden einhundert Jahren gemacht hat, verstehen. Daher sind die oben geschilderten Verhältnisse im Hinterkopf zu behalten, wenn man sich die Zeit des Reformpapsttums betrachtet, wie im folgenden dargelegt wird.
Ab 1046 änderte sich die Lage für das Papsttum. König Heinrich III. war im Jahre 1046 auf dem Weg nach Italien, um sich vom Papst zum Kaiser krönen zu lassen. Auf seiner Reise hörte er von dem großen Unrecht, das in Rom stattfand. Dort gab es nämlich um das Jahr 1045/46 großen Streit um den Stuhl Petri. Benedikt IX. Ist mit weit unter 30 Jahren (man geht davon aus, dass er 18 Jahre alt war) ins Amt gekommen, aber 1045 von dem Gegenpapst Silvester III. vertrieben worden. Jedoch kurze Zeit später wieder ins Amt gelangen, wurde aber anschließend durch eine hohe Bestechungszahlung seitens des Archipresbyters Johannes Gratianus zum Abdanken bewogen. Der neue Papst nannte sich Gregor VI., der nun durch Simonie in sein Amt gelangt war. Man muss hier aber anmerken, dass Gregor VI. wohl aus edlen Motiven gehandelt hatte. Er war ein rechtgläubiger Mensch, der in Rom wieder Ordnung herstellen wollte, dies aber nur mit Hilfe simonistische Mittel zu erreichen versucht hatte.
Heinrich III. war ein sehr frommer Mann, der zudem noch einen Schwur zu erfüllen hatte, der von seinem Vater stammte, Konrad II. Dieser hatte geschworen, keine Geld- oder Vermögenszahlungen mehr bei der Einsetzung der Bischöfe anzunehmen, hatte sich aber nicht daran gehalten.
Heinrich III. hatte es sich zum Ziel gemacht, Missstände in der Kirche zu bekämpfen, vor allem die Simonie. Er nahm kein Geld von Geistlichen und Adeligen an, damit er ihren Wunschkandidaten auf einen Bischofsstuhl setzte. Das hatte zur Folge, dass das Niveau der Reichsbischöfe deutlich stieg unter der Herrschaft Heinrichs. Denn zu der Zeit war es noch üblich, dass der König die Bischöfe im Reich investierte, ins Amt einsetzte.
Als er nun von den Missständen hörte, berief er eine Synode in Sutri ein, die er mit einer Strafpredigt über die Simonie einleitete, um die Missstände zu benennen. Dabei dürfte, auch wenn nur untergeordnet, der Gedanke an eine rechtmäßige Kaiserkrönung eine Rolle gespielt haben. Papst Gregor VI. nahm ebenfalls teil. Heinrich und Gregor verstanden sich gut und sahen in dem jeweils anderen einen frommen Bruder im Geiste. Als der König jedoch von der Art und Weise erfuhr, durch die der Papst in sein Amt gelangte, setzte er ihn kurzentschlossen ab, erklärte alle drei Päpste für ungültig und schickte Gregor VI. nach Köln. Der Mönch Hildebrand, der spätere Papst Gregor VII., begleitete ihn.
Auf der Synode wurde Bischof Suidger von Bamberg als Clemens II. zum Papst erhoben. Er war der erste in einer Reihe von Reichsbischöfen, die vom Kaiser nominiert, quasi eingesetzt wurden. Heinrich setzte alle Päpste von Clemens II. bis Viktor II. ein. Der Kaiser fühlte sich als weltlicher Beschützer der Kirche und sah es als seine von Gott gegebene Aufgabe, wieder Ordnung in die Kirche zu bringen. Seine starke Stellung bei der Papstwahl war aufgrund seiner großen Frömmigkeit auch für niemanden ein Grund zum Anstoß. Unter Heinrich III. arbeiteten das sacerdotium und regnum noch Hand in Hand. Der Kaiser wollte auch nicht das Papsttum zu seinem Handlanger degradieren, sondern man kann davon ausgehen, dass er das Ziel hatte, dem Papsttum wieder zur alten Größe und Einfluss zu verhelfen. Damit war die Reform angestoßen.
1047 wurde Heinrich III. mit seiner Frau Agnes von Papst Clemens II. zu Kaiser und Kaiserin des Heiligen Römischen Reiches gekrönt.
Clemens II. sowie sein Nachfolger Damasus II. lassen sich eindeutig zu den Reformpäpsten zählen, obwohl sie viel zu kurz im Amt waren, um wirklich etwas Ausschlaggebendes zu erreichen. Beide verurteilten die Simonie und ebenfalls den Nikolaitismus.
Erst unter Papst Leo IX. (1049-1054) erfuhr die Reform einen Aufschwung. Er reiste als erster Papst unter Anlehnung an die bischöflichen Visitationen viel herum. Wie der Bischof die Pflicht hat, in seiner Diözese nach dem Rechten zu schauen, so interpretierte der Papst sein Amt nunmehr in Anlehnung an diese Bischofspflicht und visitierte daher auch ausgedehnte Gebiete. Man kann fast schon von einer Regentschaft im Sattel, wie die des Königs, sprechen. Er war einige Male in Frankreich und dem Reich und hielt dort einige Synoden ab, die Simonie und die Priesterehe scharf verurteilten. So tat er dies zum Beispiel in der Synode von Mainz (1049), wo er zusammen mit dem Kaiser den Vorsitz innehatte. Man sieht hier also ganz deutlich die enge Zusammenarbeit der Krone mit dem Papsttum in Sachen Reform. Auf der Synode von Reims, ein paar Wochen zuvor, wird die Stellung des Papstes als Primus, also als der oberste Führer der gesamten Christenheit bekräftigt, sowie seine apostolische Funktion hervorgehoben. Der Papst hat als Oberhaupt der Kirche eine konkrete Verantwortung für die ganze Kirche. Daraus resultierte die aktive Politik Leos IX. – das Durchsetzen von Reformen und Beschlüssen auf Synoden im Reich und Frankreich. Damit versucht er auch ein Bewusstsein für die Missstände zu entfachen.
Außerdem wird das Papsttum durch seine vielen Reisen nun zu einer konkreten Institution im Bewusstsein der Menschen. Bis dahin war der Papst immer eher etwas Abstraktes, da sehr weit entfernt. Neuzeitliche technische Mittel der Kommunikation und der Massenverbreitung von Nachrichten gab es bekanntermaßen damals noch nicht. Das Reisen oder die Vertretung durch Legaten, päpstliche Gesandte, waren die einzigen Mittel des Papstes, vor Ort Präsenz zu zeigen.
Nach Süden hin fungierte der Papst als Botschafter des Kaisers und Kriegsherr gegen die Normannen. Er fiel aber 1053 in Gefangenschaft und starb nach einer schweren Erkrankung 1054 in Rom.
Obwohl Leo IX. und Kaiser Heinrich III. eng zusammenarbeiteten, zeigte sich schon bei der Wahl Leos das neue Selbstbewusstsein des Papsttums. So bestand Leo IX. darauf, dass er nach der Ernennung zum Papst durch Heinrich III. noch von Klerus und Volk Roms nach kanonischem Recht gewählt werde, um seiner Wahl die nötige kirchenrechtliche Legitimität zu verleihen. Ihm reichte es nicht, nur vom Kaiser eingesetzt zu werden.
Möglichkeiten der Einflussnahme des Papstes waren unter anderem seine Legaten. Dieses Legatensystem wurde unter Leos Nachfolgern ausgebaut. Die Synode als Mittel der Erarbeitung und Verkündung neuer Beschlüsse war ebenfalls wichtig. Da die Kirche keine Blutgerichtsbarkeit hatte, wurde die weltliche Macht miteinbezogen, um Strafen durchsetzen zu können.
Der Nachfolger Leos IX. war Viktor II. (1055-1057), ebenfalls ein Reichsbischof und der letzte Papst, der von Heinrich III. ernannt wurde. Dieser setzte die Reformen seines Vorgängers in enger Zusammenarbeit mit dem Kaiser fort. In Viktor II. vereinigte sich zugleich der Höhe- als auch Endpunkt der Symbiose zwischen Krone und Hirtenstab. Er markiert auch das Ende des deutschen Reformpapsttums.
Damit endet die erste Phase der Reformen. Im Vordergrund stand die Bekämpfung moralischer Unsitten, die Einzug in die Kirche gehalten hatten, vor allem die Simonie und den Nikolaitismus. Dabei arbeitete der Papst eng mit dem Kaiser zusammen, um seine Wirkkraft zu maximieren. Die Vorstellung, dass der Papst die Kirche mit der Hilfe des Kaisers regiert, war allgemein anerkannt. Erst mit dem Tod Heinrichs III. setzten sich auf lange Sicht die Kräfte durch, die den Anspruch des Kaisers auf ein Mitspracherecht in kirchlichen Angelegenheiten, das auf seiner Position als oberster Schutzherr der Kirche in der Welt fußt, zurückzudrängen suchten. Denn der Kaiser blieb, allen Salbungen zum Trotz, trotzdem nur ein Laie und habe sonach keinen, zumindest nur einen stark verminderten Anspruch auf ein Mitspracherecht in kirchlichen Angelegenheiten.
Daher kann es nicht verwundern, wenn in den nächsten Phasen der Ton zwischen Papst und König/Kaiser an Schärfe gewann und der Einfluss des Königs/Kaisers Stück für Stück zurückgedrängt wurde.

(Fortsetzung folgt...)

Christian Schumacher

Quellen:

- Léon IX et son temps: Der Zustand der westlichen Kirche zu Beginn des Pontifikats Papst Leos IX. (um 1048/49), Thomas ZOTZ.

- Die frühen Reisender Reformpäpste – Ihre Ursachen und Funktionen (Jochen Johrendt). Aus:Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte, Band 96, Rom/Freiburg/Wien 2001, Hrsg. Erwin Gatz/Klaus Ganzer/Theofried Baumeister.

- Der salische Herrscher als Patricius Romanorum – Zur Einflussnahme Heinrichs III. und Heinrichs IV. auf die Besetzung der Cathedra Petri (Guido Martin), Aus: Frühmittelalterliche Studien – Jahrbuch des Instituts für Frühmittelalterforschung der Universität Münster, Berlin/NewYork 1994, Band 28, Hrg. Hagen Keller/Joachim Wollasch.

- Papstgeschichte – Das Petrusamt in seiner Idee und in seiner geschichtlichen Verwirklichung in der Kirche, August Franzen/Remigius Bäumer, Herderbücherei Band 424, Freiburg i.Br. 1974

 

 

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