Von der Antike ins Mittelalter

Im folgenden Artikel möchten wir kurz und in groben Zügen die Entwicklung und den Übergang der damaligen Welt von der Antike zum Mittelalter beschreiben, wie sich das römische Reich zu dem entwickelte, was wir dann im Mittelalter sehen: ein Reich, das geteilt ist in Ost und West, eine östliche und eine westliche Kirche, wobei die östliche Kirche in starke Abhängigkeit des östlichen Kaisertums gerät, während die Kirche des Abendlandes sich mit fremden, nicht romanischen Völkern auseinandersetzen muss und schließlich mit einem von ihnen, den Franken, ein Bündnis eingeht.

Dieser Übergang von der Antike zum Mittelalter wird von den Historikern etwa auf die Zeit um 500 n. Chr. festgelegt. Der Grund dafür ist, dass sich in dieser Zeit wichtige Ereignisse abspielten, die das Bild der damaligen Welt, d.h. des römischen Reiches, sowohl politisch als auch religiös und kulturell stark veränderten.

Besonders einschneidend wirkte es sich für die weitere Geschichte Europas aus, dass sich die zwei Teile des riesigen Römischen Imperiums, der Osten und der Westen, praktisch “auseinander-lebten”. Sie entwickelten jede ihre eigene Kultur und auch die Kirche war von dieser gegenseitigen Entfremdung betroffen. Ebenso das Kaisertum, das in den beiden Teilen des Reiches verschiedene Prozesse durchmachte. Im Osten hatte es großen Einfluss (auch und gerade auf die Kirche). Im Westen dagegen sank es zum Status eines Schattenkaisertums herab. 

Dazu kommt der Einfluss der Germanen, die in der Zeit von 375-568 Europa überfluteten. Sie spielten in dieser Zeit eine wichtige Rolle. Letzten Endes hatte die Invasion der Germanen zur Folge, dass die Kirche sich später mit dem einzigen germanischen Stamm, der nicht arianisch geworden war, den Franken, verbinden konnte, und schuf so die Voraussetzung für das Entstehen der Reichskirche Karls d. Gr. im 8./9. Jahrhundert. 

Wir befassen uns hier mit diesen Entwicklungen, weil sie den Hintergrund bilden, vor dem sich Ereignisse wie das Konzil von Chalcedon, die Auseinandersetzung der Kirche mit dem Arianismus, die Entwicklung des Mönchtums unter Benedikt v. Nursia und das Leben Augustinus’ abspielten. 


Schon seit der Zeit Caesar Augustus’ wurde das riesige Römische Reich nicht immer nur von einem einzigen Herrscher gelenkt. Viele Kaiser hatten Mitregenten, mit denen sie gemeinsam regierten.

So zum Beispiel Diocletian (284-305). Er wollte die zentrale Regierung des Reiches entlasten und setzte daher Maximian als seinen Mitregenten ein. Beide wiederum adoptierten ihre Gardepräfekten Galerius und Constantius und ernannten sie zu Cäsaren. So entstand eine Tetrarchie, eine Herrschaft von vier Männern, die sich das Reich untereinander in ihre jeweiligen Einflussgebiete aufteilten. Trotz dieser Vierteilung war aber zu dieser Zeit noch die Einheit des Reiches gewährt, da “Diocletian für sich die höchste Autorität in Anspruch nahm; wenn auch jeder der Regenten in seinem Bereiche selbständig regierte, so blieb er (Diocletian - Anm.) doch auch im ganzen Reiche anerkannt, unterzeichnete die Reichsgesetze mit und war an der Münzprägung beteiligt.“ (Franzen, Kleine Kirchengeschichte, Herder, 2000, S. 108)

Natürlich kam es dann immer wieder zu Rivalitäten und kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den gemeinsam regierenden Herrschern, die oft mit der Alleinherrschaft des Siegers endeten.

So besiegte z.B. Konstantin d. Gr. im Jahre 324 Licinius, der zum Augustus des Westens des Römischen Reiches ernannt worden war, und regierte dann als Alleinherrscher. (Konstantin war es auch, der Byzanz zur christlichen Reichshauptstadt - im bewussten Gegensatz zum heidnischen Rom - wählte und nach sich selber Konstantinopel nannte). 

Als später Valentinian I. zum Kaiser gewählt wurde, suchte sich dieser wieder einen Mitregenten für den Osten, seinen Bruder Valens. Das Reich wurde also wieder von zwei Kaisern regiert. So kam es, dass im Jahre 379 Theodosius, ein General spanischer Abkunft, von Gratian zum Mitkaiser im Osten ernannt wurde. Nach dem Tod Gratians blieb Theodosius I. schließlich als Alleinherrscher übrig.

Er teilte nun formell, d.h. ganz offiziell, das Reich in Ost und West - was ja, wie wir gesehen haben, in der Praxis schon vorher der Fall gewesen war.

Nach seinem Tod (395) wurden seine zwei Söhne Herrscher über die zwei nun selbständigen Reiche. 

Das Jahr 395 ist also von großer Tragweite für die Zukunft des Römischen Reiches, denn die offizielle Teilung des Reiches begünstigte die Tatsache, dass beide Teile nun zunehmend ihre eigenen Wege gehen konnten. 

So getrennt, haben die beiden Reiche das nun anbrechende Mittelalter verschieden erlebt. Das “Mittelalter” des Ostens gestaltete sich weit weniger schöpferisch als das des Westens. Ersterer “beschränkte sich weitgehend darauf, die Formen altchristlichen Lebens zu bewahren und weiterzugeben” (Lortz, Geschichte der Kirche, Westfalen 1950, S.91).

Auf der Basis dieser politischen Trennung der beiden Reiche konnte es auch leichter geschehen, dass sich die östliche Kirche bereits 484-519 von Rom trennte. Es kam zum ersten Schisma der Ostkirche, weil der Patriarch von Konstantinopel sich nicht eindeutig von der Irrlehre des Monophysitismus distanzieren wollte. Die Monophysiten behaupteten, Jesus habe nur eine Natur, im Gegensatz zur katholischen Lehre von der göttlichen und menschlichen Natur in Jesus. Kaiser Justin I. (518-527) gelang es zwar im Jahre 519, die Einheit in der Kirche wieder herzustellen, aber es blieb doch eine Spannung zwischen der Kirche des Ostens und der des Westens. “(D)er Spalt vergrößerte sich in den nächsten Jahrhunderten und führte schließlich zum endgültigen Bruch im Jahre 1054.“ (Franzen, S.109) 

Entsprechend der verschiedenen Entwicklung des Ostens und des Westens gestaltete sich auch der Weg des Kaisertums grundsätzlich verschieden. 

Im Osten blieb das Kaisertum weiterhin sehr stark und einflussreich. Der Kaiser bestimmte nicht nur die Politik des Reiches, sondern hatte auch immer ein Wort in den kirchlichen Angelegenheiten mitzureden, wobei im Osten Politik und Kirche ohnehin sehr eng miteinander verwoben waren. Kaiser Justinian (527-565) z.B. hatte ein “Sonderinteresse an kirchlichen und religiösen Dingen, und dieses Interesse mag teilweise echter Frömmigkeit entspringen (…). Dazu tritt ein besonderes theologisches Engagement des Kaisers, dessen Grundlagen freilich sehr verschieden beurteilt werden: für die einen ist er ein gewiegter Kenner der zeitgenössischen Theologie, für die anderen ein Amateur, ein unglücklich Liebender, der leider Kaiser ist und somit über die Macht verfügt, aus seinen Einfällen Gesetze zu machen.” (Beck, in: Jedin, Handbuch der Kirchengeschichte II/2, S. 16)

Anders im Westen. Dort verlor das Römische Kaisertum so sehr an Macht und Einfluss, dass die Geschichtsschreiber nur noch von Schattenkaisern sprechen. Sie stellten nur noch einen Schatten dar im Vergleich zu dem, was das Kaisertum einmal gewesen war, und verloren an Bedeutung gegenüber anderen Mächten. Nicht zufällig hieß der letzte westliche Kaiser Romulus “Augustulus“, was übersetzt soviel heißt wie “kleines Augustuslein”. So war es auch ein leichtes für Odowakar, Heerführer der eindringenden Germanen, im Jahre 476 diesen letzten römischen Kaiser zu verdrängen und somit das Ende des weströmischen Reiches herbeizuführen.

Seit 375 hatten germanische Stämme begonnen, ihre Gebiete östlich des Rheins und nördlich der Donau zu verlassen und in das Römische Reich einzudringen. Sie waren von den Hunnen aus ihren Stammgebieten vertrieben worden und suchten jetzt nach neuem Lebensraum. Ihre Wanderung verlief grob gesprochen von Nordosten nach Südwesten, über Gallien nach Spanien und Nordafrika und dann auch nach Italien. Nebenbei sei hier vermerkt, dass die Invasion der Vandalen in Nordafrika vom heiligen Augustinus, der in Hippo in Nordafrika lebte, in seinem Werk “De civitate Dei“ theologisch verarbeitet wurde. 

In diese Zeit der Völkerwanderung fällt auch die Regierung Papst Leo d. Gr. (440-461), der der Geschichte besonders durch seinen Mut in Erinnerung geblieben ist. Unbewaffnet trat er dem Hunnenkönig Attila entgegen und bewahrte so “Italien vor der Vernichtung seiner Kultur durch die Barbaren” (Schwaiger, Geschichte der Päpste, S.43).

Schon bevor die Germanen gewaltsam in das Reich eingedrungen waren, waren sie teilweise von den Römern selber in das Reich integriert worden. Sie dienten als Söldner, als Heerführer und Beamte und waren als solche sogar eine Stütze für das Reich. Manche der germanischen Truppenführer gewannen zusehends an Macht gegenüber den letzten römischen Schattenkaisern. Durch ihr gewaltsames Eindringen zerschlugen sie nun den Aufbau und die Verwaltung des Reiches. Das west-römische Kaisertum ging unter (476) und wurde ersetzt durch germanische Königreiche. Diese waren zwar zunächst noch von Ostrom abhängig, gewannen aber immer mehr an Selbständigkeit.

Die Germanen waren bereits zu Beginn des 4. Jahrhunderts zum Christentum bekehrt worden. Allerdings war ihnen dieses in Form des Arianismus gelehrt worden, der sagt, Jesus sei innertrinitarisch dem Vater nur wesensähnlich, nicht gleich. Das bedeutete für den Papst, dass er von den Germanen, zunächst den Goten, dann (568) den Langobarden, mit Ausnahme des Gotenkönigs Theoderich, keinerlei Rückendeckung erhielt und somit der Macht von Byzanz praktisch hilflos ausgeliefert war (Schwaiger, S.45).

Diese Situation des Papsttums änderte sich erst im achten Jahrhundert, als sich der Papst und die Kirche mit den Franken verbinden konnten, einem Germanenstamm, der von Byzanz unabhängig war und als einziger das Christentum in seiner katholischen Form angenommen hatte. Schon 496 hatte sich Chlodwig, der fränkische König, taufen lassen. Durch ihre Bekehrung zum Katholizismus war für die Franken die Voraussetzung gegeben, im Bund mit der Kirche das Mittelalter zu bestimmen, “während alle anderen germanischen Staaten mit ihren arianischen Nationalkirchen untergingen” (Lortz, S.88). 


Dies sind also die Ereignisse und Kräfte, auf denen das Mittelalter aufbaut: 

“1. die germanische Völkerwanderung, die (a) sowohl das weströmische Reich zerschlägt als neue germanische Staaten auf seinem Boden und im übrigen Europa entstehen lässt, und dadurch (b) die Kirche und die Völker in wesentlich vom Altertum verschiedene Lebensbedingungen hineinstellt; 2. die abendländische, also lateinische Kirche, so wie sie sich (a) in eigener Entwicklung und (b) als Erbin der antiken Kultur herangebildet hatte; 3. die neuen, noch jungen, entwicklungsfähigen germanischen Volksstämme; 4. deren Eintritt in die Kirche.

Zwei Größen stehen sich also gegenüber: Kirche und germanische Völker. Auf ihrem Bund ruht das ganze Mittelalter.” (Lortz, S.92)

In dieser Zeit des Umsturzes, der Kriege und auch der Barbarei, in der sich die Germanen zum Teil noch befanden, und die Sittenlosigkeit und Ordnungslosigkeit mit sich brachte, linderte die Kirche nicht nur die leibliche Not der Menschen, sondern rettete sozusagen auch die antike Kultur ins Mittelalter hinüber. Dies tat sie in besonderer Weise durch das Mönchtum und die Klöster. “Wie die antiken Errungenschaften der Landwirtschaft, so hütete man dort auch die antiken Geistesschätze durch Lesen und Abschreiben der kostbaren Bücher. Ohne diese Tätigkeit der katholischen Klöster wäre die Menschheit geistig bettelarm geworden” (Lortz, S.88). 

Damit war sie auch ein stabilisierender Faktor in der damaligen Zeit. Während Reiche, Stämme und politische Gebilde untergingen und sich gegenseitig ablösten, stand die Kirche als die Kraft da, die, unberührt vom weltlichen Werden und Vergehen, ihre zeitübergreifende Aufgabe darin sah, allen Menschen aller Zeiten das Reich Gottes zu verkünden.

Darin erscheint auch die Universalität der katholischen Kirche (“katholisch“ heißt ja “allumfassend“). Sie sah sich nicht als Kirche der Römer oder des kultivierten Römischen Reiches, sondern war sich dessen bewusst, dass sie für alle Menschen als Heilsinstitution eingesetzt war. Daher scheute sie sich auch nicht, die ungebildeten Germanen zu missionieren und sie ungeachtet ihrer Stammes- oder Völkerzugehörigkeit zu ihren Gliedern, zu Gliedern des mystischen Leibes Christi zu machen. So stellte die Kirche ein einigendes Element dar. Sie war sozusagen ein gemeinsamer Nenner, ein gemeinsames Element, das die Völker trotz ihrer verschiedenen Sitten und Bräuche auf eine gemeinsame Basis stellte.

Diese “Gemeinschaft im Glauben“ war auch die Grundlage, auf der dann Europa entstehen konnte. Dabei wurde nicht versucht, die Unterschiede der Völker zu nihilieren. Jedes Volk wurde als solches respektiert und durfte seine Eigenarten bewahren.

Worin besteht die Grundlage, auf der das heutige Europa aufgebaut ist? Als zur Debatte stand, ob in der EU-Verfassung der Gottesbezug aufgenommen werden solle, sprach sich z.B. die französische Regierung vehement dagegen aus und erreichte bezeichnenderweise ihr Ziel. Ein weiteres Indiz dafür, dass das Europa von heute seine ursprüngliche, einigende Basis, das Christentum, verloren hat. Es ist nur mehr eine Vereinigung von Ländern, die sich zusammengeschlossen haben, um dadurch ein Fundament für gemeinschaftliches wirtschaftliches Unternehmen zu schaffen. Gott und das ewige Leben als das übernatürliche Ziel des menschlichen Daseins fallen dagegen heute leider ganz aus dem Blickwinkel der Verantwortlichen. 


P. Johannes Heyne 

 

 

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