Kurze Messbetrachtung


13. Teil


Opferung (Fortsetzung) 

In der Geheimen Offenbarung des hl. Johannes, der sogenannten Apokalypse, lesen wir im 4. und 5. Kapitel, wie dieser Apostel eine Vision Gottes in geheimnisvoller Majestät hatte. Er sieht einen Thron im Himmel stehen, auf dem Gott sitzt, ringsum auf vierundzwanzig anderen Thronen „vierundzwanzig Älteste in weißen Gewändern, goldene Kronen auf ihrem Haupt“ (4,4). Diese „Ältesten“ fielen „vor Dem auf dem Thron Sitzenden nieder und beteten“ zusammen mit den anderen vier Wesen, die sich „vor dem Thron und um den Thron befanden“ (4,6), „Den an, Der da lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit“ (4,10). 

Ebenfalls vernahm der Seher „mitten vor dem Thron ... ein Lamm dastehen, wie geschlachtet“. Dieses nahm ein geheimnisvolles Buch mit sieben Siegeln „aus der Rechten Dessen, der auf dem Thron saß“, entgegen. Sobald dies geschah, „warfen sich die vier Wesen und die vierundzwanzig Ältesten vor dem Lamm nieder. Jeder hatte eine Harfe und goldene Schalen voll Weihrauch: das sind die Gebete der Heiligen. Sie sangen ein neues Lied: ´Würdig bist Du, Herr, das Buch zu nehmen und seine Siegel zu öffnen. Denn Du bist geschlachtet worden und hast uns durch Dein Blut losgekauft für Gott aus allen Stämmen und Sprachen, Völkern und Nationen. Du hast sie für unseren Gott zu Königen und Priestern gemacht... ´“ (5,6-10)! Bemerkenswert ist, dass das „Lamm“, unter welchem eindeutig Jesus Christus zu identifizieren ist, vor dem himmlischen Thron dasteht „wie geschlachtet“! Da aber unser göttlicher Erlöser das ganze Leid, das über Ihn in Jerusalem vor beinahe 2000 Jahren einbrach, seelisch nicht rein passiv über sich hat ergehen lassen - Sein Kreuz war ja eine bewusste und willentliche Hingabe des eigenen Lebens für die Sünden der Menschen -, beschreibt die Wendung der Apokalypse „wie geschlachtet“ nichts anderes als eben diesen Zustand des höchst aktiven Sich-Opferns Christi. Demnach befindet Er sich (auch) im Himmel überzeitlich in der willentlichen Haltung und seelischen Verfassung der Eigenhingabe zum Zweck der Erlösung der Menschen. 

Auch im Hebräerbrief wird erklärt, dass „wir einen Hohenpriester haben, Der sich zur Rechten des Thrones der Majestät im Himmel niederließ“, und dass „Er den Dienst im Heiligtum, im wahren Zelt, das der Herr erbaut hat und nicht ein Mensch, verrichtet“ (Hebr 8,1f.). Wenn Christus als „Hohenpriester“ (!) einen „Dienst im Heiligtum (des Himmels)... verrichtet“, dann kann das nichts anderes bedeuten, als dass Er Sich dort als eben dieses Lamm „wie geschlachtet“ darbietet und präsentiert, weswegen Ihm vom ganzen himmlischen Chor auch „Lob, Ehre, Ruhm und Macht“ dargebracht werden (Offb 5,13)! Das ist der Grund, warum die katholische Kirche ihre Liturgie des (end-gültigen und vollkommenen) Neuen Bundes schon immer als das Abbild des Urbildes, als das Abbild der himmlischen Liturgie aufgefasst und verstanden hat: im unblutigen und sakramentalen Opfergeschehen des irdischen kirchlichen Altares spiegelt sich die Präsentation des Lammes „wie geschlachtet“ vor dem göttlichen Thron wider (also im Opfer-, im Sich opfernden Zustand!), und die liturgische Anbetung und Verherrlichung Christi auf Erden stellt die Tätigkeit des Gott lobenden himmlischen Chores dar! 

In Anlehnung an diese prophetische Schau des hl. Apostels Johannes ahmt die Kirche die himmlische Liturgie ebenfalls insofern nach, dass sie (bei feierlichen Hochämtern) auch und gerade während des Opfervollzugs auf ihren Altären Weihrauch verwendet. Wie in der Apokalypse berichtet, versinnbildet dieser „die Gebete der Heiligen“ (vgl. dazu auch „Beiträge“/20, S. 19f.), worunter neben den normalen Bitten in verschiedensten Anliegen auch generell die sich mit dem Opfer Christi vereinigende Hingabe des Herzens des einzelnen Gläubigen zu erblicken ist. Möglicherweise wurde die Verwendung des Weihrauchs in der Heiligen Messe auch durch die Anordnung des Alten Bundes im Hinblick auf die Speiseopfer von den Erstlingsfrüchten begünstigt, auf diese Öl zu gießen und Weihrauch zu streuen. Dabei sollte der ganze Weihrauch „als Feueropfer für den Herrn in Rauch aufgehen“ (vgl. Lv 2,14ff.). 

Beim Einlegen ins Rauchfass wird der Weihrauch zunächst vom Priester unter der Assistenz der Altardiener mit den Worten gesegnet: „Auf die Fürsprache des hl. Erzengels Michael, der zur Rechten des Rauchopferaltares steht, und all Seiner Auserwählten möge der Herr würdigen, diesen Weihrauch zu X segnen und als lieblichen Wohlgeruch anzunehmen. Durch Christus, unseren Herrn. Amen.“ Wie Michael, der große Streiter für das Reich Gottes, schon beim Kampf gegen den „Engelfürsten“ des Perserreiches und des ebenfalls heidnischen Griechenland half (vgl. Dan 10,13.21), wie er („und seine Engel“) die Gott widerstrebenden Geister aus dem Himmel drängte(n) (vgl. Offb 12,7-9), so möge sich das gläubige Volk auch in der Gegenwart seiner Hilfe erfreuen, indem sowohl seine eigene Fürsprache am himmlischen Throne als auch die der anderen „Auserwählten“ zur Gottwohlgefälligkeit des eucharistischen Opfers der Kirche beitrage. 

Außerdem lässt „die Verwendung gesegneten Weihrauchs [...] die Inzensation als eine besondere Segnung erscheinen, die den zur Konsekration bestimmten Opfergaben zugewendet wird“3. Dies kommt dadurch zum Vorschein, dass der Priester daraufhin diese Opfergaben mit dem Rauchfass in der Form dreier über sie gezeichneten Kreuze und dreier Kreise beweihräuchert und dabei betet: „Dieser Weihrauch, von Dir gesegnet, steige zu Dir, Herr, empor; und es komme auf uns Deine Barmherzigkeit herab“. Danach wird nach einer Kniebeuge dreimal das Kreuz, d.h. Christus, mit je drei Schwenkzügen des Rauchfasses verehrt. Gleichzeitig betet er mit den Worten des Psalmisten (Ps 140,2): „Herr, lass mein Gebet wie Weihrauch vor Dein Antlitz dringen. Das Erheben meiner Hände sei wie ein Abendopfer vor Dir“. Wie der Rauch des verglühten Weihrauchs nach oben steigt, so mögen nicht nur unsere Gebete und unsere Opferhingabe, sondern auch unsere aufrichtige Verehrung des göttlichen Erlösers bis vor den Thron Gottes gelangen. 

Bei der sich daran anschließenden Beweihräucherung des Altares wird die ganze Opferstätte gewissermaßen gereinigt und für den heiligen Dienst würdig erhalten. Dabei fährt der Priester mit dem Gebet des Psalmisten weiter fort und drückt dadurch seine Besorgnis wegen der Unbeständigkeit der menschlichen Natur aus: „Gib eine Wache, Herr, meinem Mund, eine schützende Tür meinen Lippen, damit mein Herz sich nicht zu bösen Worten neige und niemals einen Vorwand suche, sündigen zu können“ (Ps 140,3f.). Bei der Rückgabe des Rauchfasses an Altardiener betet der Zelebrant hoffnungsvoll noch: „Der Herr entzünde in uns das Feuer Seiner Liebe und die Flamme ewiger Hingabe“. Der Segen des Weihrauchs als eines Sakramentale soll nicht nur auf den Altar als der neutestamentlichen Opferstätte überfließen, sondern auch auf den Zelebranten, die Altardiener und die anwesenden Gläubigen, die alle ebenfalls noch inzensiert werden. Denn alle sollen in das Opfer Christi auf dem Altar einbezogen werden und an dessen Früchten teilnehmen dürfen. 
Beim Priester und den Altardienern dient der Weihrauch darüber hinaus als ein Ehrenerweis, der ihnen als liturgischen Personen gebührt. 

Nach der erfolgten Inzensation erfolgt die Händewaschung, das sogenannte Lavabo - die Ministranten gießen am rechten Altarrand etwas Wasser auf die Hände des Zelebranten. Ursprünglich diente diese Zeremonie wohl dem rein praktischen Zweck der physischen Reinigung der Hände nach der Berührung mit dem Rauchfass. Darüber hinaus gibt diese Händewaschung aber auch religiös-symbolisch dem Verlangen nach der inneren Reinigung der Seele Ausdruck, die äußere Handlung soll Ausdruck der inneren Haltung sein. Von dieser Sehnsucht nach der sittlichen Reinheit spricht auch der Text jenes Psalms, der gleichzeitig vom Zelebranten rezitiert wird (Ps 25,6-12): „In Unschuld will ich meine Hände waschen und den Altar umschreiten, Herr. Da will ich Deinen Lobgesängen lauschen, will preisen alle Deine Wundertaten. Ich liebe, Herr, die Zierde Deines Hauses, die hehre Wohnung Deiner Herrlichkeit. Gott, lass mich nicht zugrunde gehen mit den Sündern, mein Leben nicht verlieren mit den Menschen voll von Blutschuld. An ihrer Hand klebt Frevel, und voll ist ihre Rechte von Geschenken. In Unschuld komme ich zu Dir, erlöse mich und sei mir gnädig. Mein Fuß steht auf rechtem Pfad, so darf ich mit dem ganzen Volk Dich preisen, Herr“. Welche Ehrfurcht vor Gott und dem gottesdienstlichen Raum geht aus diesem Text hervor! Abgeschlossen wird dieses Lavabo, das seinen Namen vom Anfangswort des lateinischen Textes hat, mit dem kurzen Lobpreis des Dreifaltigen und Dreieinigen Gottes: „Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist. Wie es war im Anfang, so auch jetzt und allezeit und in alle Ewigkeit. Amen“. Dabei verneigt sich der Priester von der rechten Altarseite etwas in Richtung Mitte, in Richtung des Altarkreuzes. 

Zur Mitte des Altares zurückgekehrt verrichtet er das Aufopferungsgebet zur allerheiligsten Dreifaltigkeit, das Suscipe, mit welchem die eigentliche Opferdarbringung fortgesetzt wird: „Nimm, Heilige Dreifaltigkeit, diese Opfergabe an, die wir Dir darbringen zum Andenken an das Leiden, die Auferstehung und die Himmelfahrt unseres Herrn Jesus Christus...“. Dies erfolgt wiederum unter der Verneigung des Oberkörpers, um sowohl die Dringlichkeit der Bitte als auch die eigene demütige Haltung zu unterstreichen. Zwar ist nur Gott allein der Adressat der Opferdarbringung, nur Ihm kann etwas geopfert werden. Nichtsdestoweniger kann aber das Messopfer auch dargebracht werden „...zu Ehren der seligen, allzeit reinen Jungfrau Maria, des hl. Johannes des Täufers, der hl. Apostel Petrus und Paulus, dieser (d.h. deren Reliquien im Altar ruhen - Anm.) und aller Heiligen...“. Wie dies gemeint ist, erläutert der nächste Satz: „...Lass sie ihnen zur Ehre, uns aber zum Heil gereichen. Und lass die im Himmel unsere Fürbitter sein, deren Gedächtnis wir auf Erden feiern. Durch Christus, unseren Herrn. Amen“. Zwar kann dadurch nicht das Maß der himmlischen Herrlichkeit der Heiligen vermehrt werden. Wohl aber ist es möglich, dass durch unsere Verehrung ihre Fürbittkraft bei Gott für uns gesteigert werde. Wie schon beim Confiteor und bei der Oratio bekundet die Kirche hier ihren Glauben an die Gemeinschaft der Heiligen! 

Nach einem Altarkuss wendet sich nun der Priester zum Volk um, breitet seine Hände aus und fordert es zum Gebet um eine wohlgefällige Annahme des gesamten Opfers auf: „Betet, Brüder, dass mein und euer Opfer wohlgefällig werde bei Gott, dem allmächtigen Vater“. Zugleich erinnert dieser Aufruf sowohl an den Opfercharakter der Heiligen Messe als auch an die Notwendigkeit des eigenen Mitopferns der Gläubigen. Das Volk erwidert dieses Orate, fratres durch die Altardiener mit den Worten: „Der Herr nehme das Opfer an aus deiner Hand, zum Lob und Ruhm Seines Namens, zum Segen für uns und Seine ganze heilige Kirche“, und beschreibt kurz die Zwecke der liturgischen Opferhandlung. Dieses fromme Gebet bestätigt der Zelebrant nach der Rückwendung zum Altar mit einem leisen „Amen - so sei es“. 

Abgeschlossen wird die Opferung mit der Sekret, die in der Regel aus einer eher kurzen gebetförmigen Bitte besteht und je von einem Fest oder Anlass geprägt wird. Inhaltlich kehren in ihr im Allgemeinen dieselben Gedanken wieder, die auch in den vorangegangenen Opferungsgebeten und im Kanon, der noch folgt, zur Sprache kommen. In der Regel enthält sie ganz eindeutig Hinweise auf die eucharistische Opferhandlung und ihre heilbringenden Wirkungen für das geistige Wohlergehen der Menschen. So heißt es z.B. in der Sekret des Festes der Erscheinung des Herrn: „Wir bitten Dich, o Herr, schau gnädig auf die Gaben Deiner Kirche. Sie bringt Dir in ihnen nicht mehr Gold, Weihrauch und Myrrhe dar, sondern Ihn selbst, den diese Geschenke versinnbilden, Der jetzt unser Opfer und unsere Speise wird, Jesus Christus, unseren Herrn, Der mit Dir lebt...“. Am 8. Sonntag nach Pfingsten lautet sie: „Wir bitten Dich, o Herr, nimm auf die Gaben, die wir Dir darbringen, nachdem Deine Freigebigkeit sie uns geschenkt hat. Mögen diese hochheiligen Geheimnisse durch das kraftvolle Wirken Deiner Gnade unseren gegenwärtigen Lebenswandel heiligen und zu den ewigen Freuden führen. Durch unseren Herrn...“. Und die Messe vom 8. Dezember enthält die folgende Sekret: „Nimm auf, Herr, die Opfergabe des Heiles, die wir am Fest der unbefleckten Empfängnis der seligen Jungfrau Maria Dir darbringen und gewähre, dass wir so durch ihre Fürbitte von aller Schuld befreit werden, wie wir bekennen, dass sie durch Deine zuvorkommende Gnade von jeder Makel unberührt blieb. Durch unseren Herrn...“. 

Der Name „Secreta“ (im Altertum gebrauchte man dafür teilweise auch die Bezeichnung „Super oblata - über die Opfergaben“) wird wohl von der Tatsache her abgeleitet, dass dieses Gebet im Unterschied zur Oratio und Postcommunio vom Priester leise verrichtet wird. Ursprünglich, d.h. noch bevor sich die Opferungsgebete in gesunder glaubensmäßiger Kontinuität zur kirchlichen Tradition (!) entwickelt haben, stellte sie - abgesehen vom Kanon - das eigentliche Opfergebet des Priesters dar. 

 

P. Eugen Rissling



3 Eisenhofer, L., Handbuch der katholischen Liturgik. Band II, Freiburg 1933, S. 147.

 

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