Kurze Meßbetrachtung 


5. Teil


Introitus

Wenn sich der Papst in Rom seit etwa dem 5.Jahrhundert bei einer Meßfeier in feierlicher Prozession von der Sakristei zum Altar begab, hatte er nicht nur dem Allerheiligsten seine Verehrung erwiesen, sondern auch, oben am Altare angelangt, den Friedenskuß erteilt und gebetet. Während dieser Zeit, die doch eine kleine Weile gedauert hat, wurde in der Kirche ein (je verschiedener) Psalm gesungen, der mit einer Antiphon eingeleitet und abgeschlossen wurde. 

Dabei konnten offensichtlich nur jene Psalmen ganz gesungen werden, die kleineren Umfangs waren. Denn die ältesten römischen Ordines (=Gottesdienstanordnungen) berichten, daß der Papst dem Vorsteher der Schola bisweilen ein Zeichen gab, worauf dieser mit dem “Ehre sei dem Vater ...” begann und die Antiphon wiederholte, auch wenn der Psalm selbst nicht bis zu seinem Ende gesungen werden konnte. Da der Papst den Gottesdienst in Rom in verschiedenen Kirchen, den sogenannten Stationskirchen, abhielt, wickelte sich der Einzug in kleineren Kirchen rascher ab. Während man in größeren Kirchen die Möglichkeit besaß, entweder den ganzen Psalm oder wenigstens einen größeren Teil davon singen zu können, wird man sich in den kleineren Kirchen wohl von Anfang an nur auf den einen oder den anderen Psalmvers beschränkt haben. Daraus entwickelte sich der Introitus (=Einzug, Einzugslied) der Römischen Liturgie65, der aus einer Antiphon, einem Psalmvers, dem Lobpreis des Dreieinigen Gottes (“Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist. So wie es war im Anfang, so auch jetzt und alle Zeit. Amen.”) und der Wiederholung derselben Antiphon besteht. Der Priester betet den Introitus heute nach der Ankunft am Altar (und nach dessen eventueller Beweihräucherung) auf der Epistelseite, d.h. auf der vom Volk aus gesehen rechten Altarseite. Von der (geübten) Schola wird er beim Einzug des Priesters und der Altardiener bzw. zu Beginn des Stufengebetes angestimmt. 

Entnommen werden die Antiphonen des Introitus entweder dem Introituspsalm selbst oder den anderen Büchern des Neuen und Alten Testaments, manchmal auch einem kirchlichen Autor (vgl. die Antiphon “Salve sancta” von den Muttergottesmessen). Oder sie gehen auf freie kirchliche Komposition zurück. “Da der Introitus, weil gesungen, der nach außen hin am meisten hervortretende Anfang der Messe ist ..., so benennt man häufig einzelne Sonntage nach seinen Anfangsworten, wie Gaudete, Invocavit, Laetare usw., spricht von Rorate- und Requiemsmessen” (Eisenhofer, L., Handbuch der katholischen Liturgik. Band 2, Herder 1933, S.84.) 

Inhaltlich läßt der Introitus sofort erkennen, aus welchem Anlaß das Hl. Opfer dargebracht oder welche Gnaden erfleht werden, besonders wenn man den ganzen Psalm berücksichtigt, und nicht nur den einen Psalmvers, dem dieser entnommen ist. Er hilft den Gläubigen jene Grundhaltung einzunehmen, die sie während der Heiligen Messe begleiten soll, und leitet sie an, eine ganz besondere Opferfrucht aus dem Tagesgeheimnis oder aus der näheren Veranlassung der Meßfeier zu ziehen. So beginnt z.B. der Introitus der zweiten Weihnachtsmesse mit den Worten: “Ein Licht leuchtet heute über uns, denn geboren ist uns der Herr” (Is 9,2), und der der dritten Messe mit: “Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt” (Is 9,6). Sofort und ohne Umschweife wird man in das Festgeheimnis von Weihnachten eingeführt. Als Herrscher wird Christus von der Kirche im Introitus des Festes der Erscheinung des Herrn begrüßt: “Seht, der Gebieter, der Allherrscher ist da; in Seiner Hand ruht Königsmacht, Gewalt und Weltherrschaft” (Mal 3,1). 

Am Palmsonntag vernimmt die Gemeinde das Flehen des leidenden Heilandes in Seiner Gottverlassenheit am Kreuz: “O Herr, laß Deine Hilfe mir nicht fern sein, schau her auf mich zu meinem Schutz” (Ps 21,20), und am Ostersonntag die freudige Stimme des Auferstandenen: “Auferstanden bin Ich und bin nun immer bei Dir, alleluja. Du legtest Deine Hand auf Mich, alleluja. Gar wunderbar ist Deine Weisheit, alleluja, alleluja” (Ps 138,18.5-6). 

An die innere Herzensreinheit und die Gnadenfülle der Muttergottes erinnern uns die Eingangsworte der Liturgie am Fest ihrer Unbefleckten Empfängnis. Trefflicher kann man wohl kaum ihren geistigen Reichtum umschreiben: “Voll des Frohlockens bin ich im Herrn, und meine Seele jauchzt auf in meinem Gott; denn Er hat mich gekleidet in Gewänder des Heiles, hat mich umhüllt mit dem Mantel der Gerechtigkeit, wie eine Braut im Schmucke ihres Geschmeides (Is 61,10). Dich will ich preisen, Herr; denn Du hast mich in Schutz genommen und ließest meine Feinde nicht frohlocken über mich” (Ps 29,2). 

Der Introitus erklärt nicht nur das jeweilige Festgeheimnis, sondern dient, wie am letzten Beispiel zu sehen war, auch dem Zweck der Verehrung Gottes! Die Kirche preist Ihn wegen Seiner großen Barmherzigkeit und dankt Ihm dadurch für Seine zahlreichen Gnaden. Bezeichnenderweise wendet sich der Priester beim “Gloria Patri...” halblinks zum Altarkreuz und verneigt sein Haupt zum Zeichen der Anbetung. Auch wird in der Osterzeit der Antiphon bis zu vier festliche “Alleluja” angehängt, welches aus dem Hebräischen kommt und so viel wie “preiset, lobet Gott” bedeutet. So sollen auch wir den Introitus in unserer liturgischen Praxis unbedingt als einen Gesang der Verherrlichung Gottes betrachten, wollen wir seinen Stellenwert innerhalb der Meßfeier erkennen und schätzen lernen! 

“Das Kreuzzeichen, mit dem sich der Priester ... zu Beginn des Introitus bezeichnet, erinnert ihn, daß er im Begriffe steht, das Kreuzopfer unblutig zu erneuern, und mag mit dem Wunsch verknüpft sein, reichliche Früchte aus dem Opfer zu gewinnen. Aus letzterem Grund muß bei Requiemsmessen das Kreuzzeichen über dem (Meß-)Buch gemacht werden, um anzudeuten, daß die Opferfrüchte in erster Linie den Armen Seelen zugewendet werden sollen” (Eisenhofer, ebd., S.84.) 

 

Kyrie Eleison

Von der Epistelseite begibt sich nun der Priester in die Mitte des Altares und, vor dem Angesicht des Herrn stehend, richtet er an Ihn in Abwechslung mit den Altardienern einen flehentlichen Ruf um Verzeihung und Erbarmen: dreimal “Herr, erbarme Dich unser”, dreimal “Christus, erbarme Dich unser” und wieder dreimal “Herr, erbarme Dich unser”! Vor Gott wird einem Menschen, der den lebendigen Glauben besitzt, stets seine eigene Sündhaftigkeit und Hilfsbedürftigkeit bewußt. “Der Gedanke an die unzähligen Sünden und Sündenstrafen, in welchen das Elend dieser Welt vielfach wurzelt und sich täglich erneuert, soll zu Beginn der Messe die Seele des Priesters lebhaft durchdringen und ihn mit dem Wunsch erfüllen, durch das Opfer und sein mittlerisches Gebet stets aufs neue den Kampf gegen die Sünde, das einzig wahre Unglück in dieser Welt, wirkungsvoll zu führen” (Eisenhofer, ebd., S.86.) 

Dabei sind diese Rufe klar trinitarisch gegliedert. Da sich die drei mittleren Gebetsrufe an Christus wenden, sind die ersteren drei an den Vater und die letzteren drei an den Heiligen Geist gerichtet. Der Vater wird um Erbarmen angefleht, weil Er “der Vater der Erbarmungen und der Gott alles Trostes” ist (2 Kor 1,3). Der Sohn, weil Er “das Sühnopfer für unsere Sünden, und nicht bloß für unsere, sondern auch für die der ganzen Welt” ist (1 Joh 2,2), weswegen auch Sein Opfer(n) am Kreuz ständig im Meßopfer dem Vater zur Sühne dargebracht wird. Und der Heilige Geist, weil Er von Christus den Jüngern zur Nachlassung der Sünden verliehen wurde (vgl. Joh 20,22) und uns durch Seine Eingießung zu Kindern Gottes macht! 

Das Kyrie ist ein litaneiartiges Gebet - durch die (mehrfache) Wiederholung derselben Bitte soll auf diese Weise sowohl die Größe der eigenen Not und das Angewiesensein auf die Hilfe Gottes als auch die Allmacht und Güte des Herrn unterstrichen werden, der “auf das Niedere huldvoll schaut ..., der aus dem Staub den Geringen erhebt, aus dem Kehricht heraushebt den Armen” (Ps 112,6f.). Der tiefe Ernst der Melodie und die Langatmigkeit der gregorianischen Vertonungen unterstreichen den Bittgehalt der Kyrie Eleison-Rufe der Kirche! Um die Erhabenheit Gottes und die Inständigkeit des eigenen Gebetes zu unterstreichen, wurden im Mittelalter den einzelnen Eleison-Rufen häufig bestimmte Anrufungen, sogenannte Tropen, beigeordnet, was sich großer Beliebtheit erfreute. Aus einem damals weit verbreiteten Tropus “Cunctipotens” seien hier nur einige Auszügen angeführt: “Du Allmächtiger Urheber, Gott Allschöpfer, erbarme Dich unser - Herr, erbarme Dich unser; Du Quelle und Ursprung des Guten, gütiges ewiges Licht, erbarme Dich unser - Herr, erbarme Dich unser; ... Christus, Widerschein Gottes, Kraft und Weisheit des Vaters, erbarme Dich unser - Christus, erbarme Dich unser; ... Du Reiniger der Schuld, Spender der reichen Vergebung, vernichte die Beleidigungen, erfülle uns mit der heiligen Gabe, Du erhabener Geist, erbarme Dich unser - Herr, erbarme Dich unser”. 

Allegorisch hat man das Kyrie Eleison in der katholischen Kirche als der Altväter Ruf um Erbarmen Gottes an Seinem Volk aufgefaßt. Wie sie sich in ihrer Not nach der Ankunft des Messias und nach der Erlösung aus ihrem Elend sehnten, so erheben auch die Christgläubigen ihre Stimme zum Herrn, Er möge ihre flehentlichen Gebete um Befreiung aus allen ihren inneren und äußeren Nöten vernehmen, sie durch Sein Kommen (auch und besonders jetzt in der Liturgie!) bereichern und ihnen die überreichen Früchte der Erlösung, welche im Meßopfer sakramental erneuert und gegenwärtig gesetzt wird, zukommen lassen: “Herr, erbarme Dich unser. Christus, erbarme Dich unser. Herr, erbarme Dich unser”! 

 

P. Eugen Rissling



10Das grundsätzliche (willentliche) Verweigern des eigenen Mitopferns durch die Kirche hätte folgerichtig auch Auswirkungen auf die Frage der Gültigkeit der Messe.
11Es ist hier wie auch sonst die Rede von der katholischen Kirche und nicht von der in Irrtümer sich verstrickten „Amtskirche“.
12Die moderne Tendenz anzunehmen, daß jeder Mensch in den Himmel kommen werde, ob er nun will oder nicht, stellt - weil ein unausweichlicher Zwang - den gröbsten Mißbrauch der menschlichen Freiheit und schließlich auch den des Menschen selbst dar!
13 Wohl gehört aber zum Opfer auch das Opfermahl!

 

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