Kurze Messbetrachtung


33. Teil


19. Paternoster (Fortsetzung)

h) Nachdem der Beter im Wissen um seine geistige wie körperliche Armut sowohl um die notwendige Nahrung für den Leib als auch um die Speise für die Seele gefleht hatte, wendet er sich nun sozusagen der Ursache für diese allgemeine Bedürftigkeit zu - der eigenen Sündhaftigkeit. Ist ja die menschliche Sünde in der Tat der Grund für das gesamte Elend des Menschengeschlechtes.

So brachte uns die Sünde Adams und Evas, ihr Hochmut und der Ungehorsam Gott gegenüber, als eine Art Begleiterscheinung dieser Ursünde (unserer Erbsünde) sowohl die Sterblichkeit und Leidensfähigkeit des Leibes als auch den Verlust der Anschauung Gottes und unsere Versuchbarkeit - die Neigung der menschlichen Natur zur Sünde. Und jeder weiß ja aus eigener Erfahrung, wie sehr wir alle unter diesen bitter schmerzhaften Folgen der Erbsünde ständig zu „knabbern“ haben!

Und auch sonst erleben wir praktisch tagtäglich, wie sich unsere eigenen Übertretungen der heiligen Gebote Gottes zu unserem großen Nachteil entwickeln. Sie fügen sowohl unserer so genannten Gottesbeziehung, der geistigen Verbindung und dem Leben mit Gott, einen immensen Schaden zu, als auch stören sie nachhaltig unser Zusammenleben mit unseren Mitmenschen. Eine jede Sünde zieht wie von selbst Konsequenzen nach sich, da ja jede Sünde eine Verletzung der unendlichen Liebe des Dreieinigen Gottes durch den betreffenden Menschen darstellt. Und dies bleibt eben nicht ohne entsprechende Folgen für uns. Somit bedeutet eine jegliche Sünde gewissermaßen einen wie auch immer beschaffenen Raubbau an der Gottesebenbildlichkeit unserer unsterblichen Seele!

Im Wissen um diese uns substanziell betreffenden Zusammenhänge bitten nun der Priester und die mit ihm die heilige Messe mitfeiernden Gläubigen den Herrgott gewissermaßen um die Beseitigung dieser Ursache für unser gesamtes Übel - um die Vergebung unserer Sünde: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. Der Mensch weiß ja aus eigener Erfahrung, dass nur in der Vergebung durch Gott die Chance zum Aufatmen der Seele, die Gelegenheit zum geistigen Neuanfang liegt. Deswegen bittet er auch den Herrgott um eben diese Nachlassung seiner Schuld.

Dabei hoffen wir, dass uns die Schuld gleichermaßen vergeben wird, wie auch dem Zöllner des Evangeliums (im Gleichnis Jesu), welcher im Tempel „von ferne stehen blieb und nicht einmal die Augen zum Himmel erheben mochte, sondern an seine Brust schlug und betete: Gott, sei mir Sünder gnädig!“ (Lk 18,13) Und Jesus bestätigt die Wirkung dieses aufrichtigen Gebetes, ja der gesamten Reuehaltung des Zöllners mit den Worten, dass „dieser (im Unterschied zum hochmütigen Pharisäer, der nur sich selbst beweihräucherte - Anm.) gerechfertigt nach Hause ging“ (Lk 18,14)!

Und auch die „stadtbekannte Sünderin“ hat die Vergebung ihrer schweren Schuld erlangt, da sie sich im Haus eines Pharisäers „weinend“ zu den Füßen Jesu „niederließ und anfing, Seine Füße mit ihren Tränen zu benetzen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen. Dann küsste sie Seine Füße und salbte sie mit dem Salböl“ (Lk 7,37f). Und nachdem Jesus an die Adresse des Gastgebers erläuterte, dass „ihre vielen Sünden vergeben sind, weil sie viel Liebe (hier wohl auch und gerade im Sinne einer aus Liebe zu Gott erweckten Reue - Anm.) gezeigt hat“, sprach Er sie direkt mit den Worten an: „Deine Sünden sind dir vergeben“ (Lk 7,47f).

So hat unser göttliche Heiland, Der ja gekommen ist, um „Sünder zur Umkehr zu rufen“ (vgl. Lk 5,31f), und Der „nicht den Tod des Sünders will, sondern dass er sich bekehre und lebe“, zum reuigen Schächer, welcher eingesehen hatte, dass er und der andere Missetäter im gänzlichen Unterschied zum unschuldigen Jesus „empfangen, was unseren Taten entspricht“, sogar gesagt: „Wahrlich, Ich sage dir: Heute noch wirst du bei Mir im Paradies sein“ (Lk 23,41f). Eine solche enorme und sofortige Wirkung besitzt also vor dem Herrgott die mit der innigen Bitte um Vergebung verbundene aufrichtige Erkenntnis und das ehrliche Bekenntnis der eigenen Schuld! So sagen nun auch wir voll Inbrunst der Seele: „Vergib uns unsere Schuld“.

Durch diese von Gott so erlangte Reinigung unserer Seele hoffen wir dann auch, würdig gemacht zu werden für den Empfang der heiligen Kommunion, des kostbaren Leibes unseres Herrn Jesus Christus. Wird ja diese Reinigung unseres Herzensinneren schon in der Heiligen Schrift als eine unerlässliche Bedingung für die sakramentale Gemeinschaft mit dem eucharistischen Jesus genannt: „Wer daher unwürdig das Brot isst oder den Kelch des Herrn trinkt, der versündigt sich am Leibe und Blute des Herrn. So prüfe sich denn der Mensch, und dann esse er von dem Brot und trinke aus dem Kelch. Denn wer unwürdig isst und trinkt [...], der isst und trinkt sich das Gericht“ (1 Kor 11,27-29).

So wollen wir nicht nur vor allem im Sakrament der heiligen Beichte die Vergebung unserer sämtlichen moralischen Verfehlungen erlangen (muss ja bei schweren Sünden nach der überlieferten Lehre der katholischen Kirche die Beichte unbedingt dem Kommunionempfang vorausgehen!), sondern auch innerhalb der heiligen Messe beim Vaterunser um diese innere Reinheit bitten. Und je aufrichtiger wir dem Herrgott sowohl unsere Sünden beichten als auch unsere Bitten um Verzeihung unserer Schuld vorbringen, desto größer wird dann auch sowohl der Umfang der erlangten Vergebung als auch das Maß der diese Vergebung „begleitenden“ Gnaden - je reiner das Herz umso größer und intensiver die Gottesliebe!

Und durch die zweite Hälfte dieser fünften Bitte des Herrengebetes werden wir daran erinnert, dass wir auch unsererseits bereit sein sollen, unseren Mitmenschen im Bedarfsfall hochherzig zu verzeihen: „...wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. Wenn man selbst auf die Barmherzigkeit eines anderen, auf die Verzeihungsbereitschaft Gottes, angewiesen ist, dann sollte man sich nicht den eigenen „Schuldigern“ gegenüber hartherzig und unversöhnlich erweisen. Zumal ja im Vaterunser die Bereitschaft, den anderen Menschen zu vergeben, nicht nur wie eine Bedingung für die Erlangung der Verzeihung durch Gott klingt („wie auch wir ... vergeben“), sondern auch ganz sicher eine solche ist - dies ist nur gerecht so!

Nicht dass wir dann am Ende an unsere eigene Adresse die eindringlichen und bittersten Worte Jesu Christi vernehmen müssen, welche der König im Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht an diesen letzteren richtete: „Du böser Knecht! Jene ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich gebeten hast. Hättest nicht auch du dich deines Mitknechtes erbarmen müssen, wie ich mich deiner erbarmt habe? Voll Zorn übergab ihn sein Herr den Folterknechten, bis er ihm die ganze Schuld bezahlt hätte“ (Mt 18,32-34)!

Erkennen wir somit sowohl die gesamte Schuldhaftigkeit des menschlichen Geschlechtes als auch solidarisieren wir uns in gewissem Maß mit der Schuld unserer Mitmenschen. Wir sitzen ja alle in demselben Boot, wir tragen ja alle sozusagen fleißig zu dieser Gesamtschuld bei, durch Provozierung bzw. durch Ärgernisgeben verursachen wir die Schuld anderer gelegentlich vielleicht sogar auch noch ganz konkret mit. Richten wir daher auch und gerade während des Vollzugs des heiligen Opfers die innige und reueerfüllte Bitte für uns und die anderen an den Herrgott: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“!


P. Eugen Rissling


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