Kurze Messbetrachtung
30. Teil
(Fortsetzung)
19. Paternoster
„Vater unser, der Du bist im Himmel“. Jesus
Christus hat ja die Apostel dieses Gebet zu beten gelehrt (vgl. Mt 6,9). Und
indem Er nur an dessen Anfang die Ansprache Gottes (als unseres himmlischen
Vaters - siehe dazu „Beiträge“/50, S. 13) gestellt hat, sollte uns in
Erinnerung gerufen werden, dass letztendlich nur Er im Mittelpunkt eines
jeglichen Gebetes stehen kann, dass das Gebet eine Hinwendung der
menschlichen Seele zu Ihm darstellt. So richten sich auch die ersten drei
Bitten des „Vaterunsers“ ausdrücklich an Ihn und dienen ausschließlich
Seiner Verehrung.
„Geheiligt werde Dein Name“ - Und gleich das erste Wort dabei ist ein Wort
des Lobes und der Preisung seines herrlichen Namens! Der Beter schaut mit
den Augen seines Geistes Gott an und verweilt bei Ihm für eine Weile, ohne -
ob der geistigen Größe Gottes, Seiner Heiligkeit - ein anderes Bedürfnis zu
haben. Es rückt ihm die Herrlichkeit und übergroße sittliche Schönheit
Gottes, Seine Güte, in den Vordergrund und füllt ihn innerlich voll und ganz
aus. Gleich dem hl. Apostel Petrus, der bei der Verklärung Jesu auf dem Berg
Tabor sowohl sich selbst als auch seine Mitapostel Jakobus und Johannes
vergessen hat (vgl. Mt 17,1-4), übersehen gewissermaßen der zelebrierende
Priester und mit ihm das gläubige Volk sich selbst und konzentrieren sich
auf den, Der durch und durch heilig, Der über alles erhaben ist! Wie
wunderbar und tief sind denn die auf dem Berg Tabor gesprochenen Worte
Petri, des ersten Papstes: „Herr, es ist gut, dass wir hier bleiben“, wie
sehr sollten wir sie beherzigen und vom Grunde unserer Seele gebets- und
lebensmäßig nachvollziehen!
Der Name Gottes, das heißt Gott selbst, soll „geheiligt“ werden. Nicht als
ob Gott nicht heilig genug wäre und noch der Zunahme Seiner Heiligkeit durch
unsere Gebete bedürfe. Nein, Gott als Gott, als das höchste Wesen ist ganz
und gar vollkommen, Er ist in sich selig und letztendlich nicht auf unsere
Verherrlichung Seines Namens zum Zweck der Steigerung Seiner Glückseligkeit
angewiesen.
Aber es ist notwendig für uns, die sittlich gebrechlichen und sündigen
Menschen, Seinen Namen zu heiligen, Ihn zu ehren, zu verherrlichen und mit
der ganzen Hingabe unseres Herzens anzubeten, weil Er allein anbetungswürdig
ist, und weil es auf der anderen Seite kein Ende des „unergründlichen
Reichtums“ Gottes und der Erkenntnis der „Tiefe“ Seines Wesens gibt (vgl.
Eph 3,8.18)!
Der Mensch hat nie diese geistige Tiefe Gottes ausgeschöpft, Ihn voll und
ganz erfasst bzw. innerlich-inhaltlich „ausgemessen“! Daher fühlt sich eine
gottliebende Seele angesichts des vertraulichen Blickes auf unseren
himmlischen Vater geradezu dazu gedrängt, Ihm um der göttlichen Liebe willen
immer mehr, immer intensiver und immer aufrichtiger jene Ehre zu geben und
jenes Lob zu spenden, welche Ihm gebühren und zu welchen der Mensch
überhaupt in der Lage ist, „denn Du allein bist der Heilige, Du allein der
Allmächtige, Du allein der Höchste“ (Gloria der hl. Messe)! So beinhaltet
die erste Bitte des Vaterunser den aufrichtigen Wunsch eines
Christenmenschen, die Ehre Gottes möge zunehmen, die Verherrlichung Gottes
(auch und gerade seitens der Menschen!) solle wachsen.
Außerdem ist es auch um unseres ewigen Heiles und der Intensivierung unserer
Gottesbeziehung willen enorm wichtig, dass wir gerade durch den Lobpreis
Gottes Ihn als den anerkennen, der Er ist und der Er für uns sein will und
soll - der heilige Gott, die Richtschnur für unser Denken und Handeln, der
Inbegriff unseres Lebens! Wenn wir Gott in unserem Leben nicht voll bewusst
und willentlich jenen höchsten Stellenwert zubilligen, der Ihm (allein!)
zusteht, dann laufen wir nicht nur Gefahr, nachlässig und lau im Glauben zu
werden, sondern in der Folge sogar, diesen beseligenden Glauben mit der Zeit
praktisch ganz zu verlieren. So fördert das gottanbetende Gebet in uns unter
anderem auch die Gottesbeziehung und trägt somit zum Wachstum der drei
göttlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe bei!
Und diese „Heiligung“ Seines Namens soll gerade in der Opferhandlung der hl.
Messe vollbracht und realisiert werden, da ja das Vaterunser von der Kirche
bewusst während des Vollzugs des eucharistischen Opfers verrichtet wird.
Indem Christus hier sein heilbringendes Leiden und Sterben über Raum und
Zeit hindurch sakramental-verborgen gegenwärtig setzt, wird ja darin in der
jeweiligen ganz konkreten zeitlichen und räumlichen Gegenwart „das Werk
unserer Erlösung vollzogen“ (Sekret des 9. Sonntags nach Pfingsten). Und
gerade dadurch kommt ja die Güte, Liebe, Barmherzigkeit und Heiligkeit des
in Seinem Eingeborenen Sohn menschgewordenen Gottes zum Vorschein, wird
Seine göttliche Herrlichkeit offenbar. So betete Jesus vor Seinem Leiden auf
dem Kalvarienberg: „Vater, gekommen ist die Stunde: Verherrliche Deinen
Sohn, damit Dein Sohn Dich verherrliche. [...] Ich habe Dich auf Erden
verherrlicht, Ich habe das Werk vollbracht, das zu vollbringen Du Mir
aufgetragen hast. Und jetzt, Vater, verherrliche Du Mich bei Dir mit der
Herrlichkeit, die Ich bei Dir hatte, ehe die Welt war“ (Joh 17,1-5)!
Und was ist denn angesichts der erhabenen Tatsache des stellvertretenden
Liebesopfers Jesu, welches sich auf dem Altar vollzieht, noch naheliegender,
als dass der Priester mit der vollen Inbrunst seines Herzens und im Namen
der ganzen Kirche in jenen herrlichen Lobpreis Gottes ausbricht, den uns
unser göttliche Erlöser Jesus Christus selbst gelehrt und anempfohlen hat:
„Vater unser, der Du bist im Himmel, geheiligt werde Dein Name“!?
d) Und indem sich nun der Zelebrant diese göttliche Fülle und Erfülltheit,
Seine Herrlichkeit, vor die Augen seines Geistes führt und sie betrachtet,
wächst in ihm die Sehnsucht nach der Teilhabe an der alles überragenden
Liebe des dreieinen und dreifaltigen Gottes - er kann nicht kalt und
teilnahmslos an der Realität des liebevollen Gottes vorbeigehen. Aber es
wird ihm zugleich voll Schmerz auch die Gottesferne dieser irdischen Welt
bewusst: wie wenig sie dem göttlichen Gebot entspricht, wie weit sie sich
von Ihm durch ihre Sünde und Schlechtigkeit entfernt hat. Trotz des vielen
Großen und Schönen in der Schöpfung weiß ein Jünger Jesu, dass wahre
Glückseligkeit nur in Gott, sozusagen in der Sinnfülle Gottes zu finden ist.
Daher die sehnsuchtsvolle Bitte um die Realisation der Realität Gottes in
unserer gegenwärtigen Welt: „Zu uns komme Dein Reich“!
Diese Realität Gottes, die geistige Realität Seiner Liebe, Heiligkeit und
Herrlichkeit, soll sich nach dem auf der Anordnung Jesu beruhenden
Gebetswunsch eines Christen also ausdrücklich auch auf diese Welt ausdehnen
und erstrecken. Gottes „Reich“, wie Seine vorhin beschriebene Realität
Seiner Heiligkeit umschrieben wird, soll auch hier unbedingte Geltung haben
und als solches von den Menschen erkannt, anerkannt und bestätigt werden.
Und dazu trägt zweifelsohne auch und gerade das hl. Messopfer bei, da sich
ja darin das göttliche Mysterium der Erlösung vollzieht, und es daher eine
Gnadenquelle des Heiles und des ewigen Lebens ist! Durch ihren Charakter als
die unblutige Erneuerung des Kreuzesopfers ist die hl. Messe gewissermaßen
jener Ort, wo wir von unserem himmlischen Vater „der Gewalt der Finsternis
entrissen und in das Reich Seines geliebten Sohnes versetzt“ werden. „In Ihm
haben wir die Erlösung durch Sein Blut, die Vergebung der Sünden“ (Kol
1,13f.)! Somit wird das „Reich“ Gottes, um welches gebetet wird, auch und
gerade im und durch den Vollzug des hl. Opfers realisiert, somit darf mit
diesem Gebet auch die Bitte um die Verbreitung der überlieferten kirchlichen
Liturgie verbunden werden, in welcher sich der Himmel, das Himmelreich
gewissermaßen auf die Erden herab neigt!
P. Eugen Rissling
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