Die Heilige Messe als Opfer der Kirche
Erst Martin Luther startete in frontaler Weise einen Angriff gegen die Liturgie. Indem er den Opfercharakter der Heiligen Messe (und auch die Realpräsenz Christi in den Gestalten von Brot und Wein) leugnete, hat er sie als solche in Frage gestellt. Denn die gesamte Tradition der Kirche (wozu auch die Hl. Schrift gehört!) legt ein eindeutiges Zeugnis davon ab, daß die Liturgie wesentlich ein Opfer ist. Im Gefolge des Protestantismus griff und greift auch die modernistische Bewegung die Liturgie an. Gehört ja die sogenannte „Liturgiereform“ zu ihren zentralen Forderungen, wobei die Hervorhebung des Mahlcharakters (!) der hl. Messe im Vordergrund steht. Abgesehen von der theologischen Falschheit dieser Forderung ist nach dem Empfinden der alten Kirche schon allein der Versuch, an der Liturgie „herumzubasteln“ und sie „umzuinterpretieren“, ein Ausdruck der Ehrfurchtslosigkeit vor Gott! Zu Beginn seiner Reformationsbewegung empfahl Luther seinen Gesinnungsgenossen, bei der Feier des „Abendmahles“ unauffällig alle jene Teile der Römischen Liturgie (die er bis dahin als katholischer Priester ja selbst feierte) auszulassen, die auf das Opfer der Heiligen Messe hinweisen. Es sollte beim Volk der Eindruck erweckt werden, als habe sich - was die Messe betrifft - nichts geändert. Auf diese Weise ist das Volk getäuscht worden, es durfte nicht sofort die Absichten der „Reformatoren“ durchschauen. Auch der „Novus Ordo Missae“ von Paul VI., der entstanden ist, nachdem der Modernismus in der Amtskirche obsiegt hatte, weist im äußeren Aufbau keine zu großen Abweichungen von der Römischen Messe auf. Es ist nicht unsere Absicht, diese „Neue Messe“ hier einzeln einer kritischen Untersuchung zu unterziehen. Insgesamt kann aber gesagt werden, daß in ihr - in Entsprechung zur modernen Theologie - der Opfercharakter der Liturgie stark zurückgedrängt bis eliminiert wird. Um die Grundidee des Novus Ordo besser zu erkennen, sei auf die ursprüngliche Fassung des §7 der Instructio generalis, wo sich eine “Definition” der “Neuen Messe” findet, verwiesen. Hier ist nur die Rede vom „Herrenmahl“ ohne Erwähnung des Opfers der Messe, der Realpräsenz Christi, des sakramentalen Charakters des Priesters! Und diese Betrachtungsweise der Liturgie bildete bei entsprechenden Verantwortlichen den Hintergrund für die vielgepriesene Liturgiereform. Danach ist man bei der „Erneuerung“ der Liturgie auch vorgegangen! (Diese eindeutig häretische Definition ist auf Druck des Volkes hin zwar (in Richtung der Zweideutigkeit) revidiert worden, dieselben Leute blieben aber an den Schalthebeln sitzen!) Dementsprechend wird die moderne „Eucharistiefeier“ als ein Gedächtnismahl aufgefaßt: Indem die Gemeinde das Tun Christi im Abendmahlssaal wiederholt - das Wort „Abendmahl“ hat sich in einer nicht zutreffenden Weise als Begriff für die “Heilige Messe” leider eingebürgert -, gedenkt sie Seines Todes und Seiner Auferstehung. Dieses Gedenken vollzieht sich rein mental, gedanklich. Die im Kirchenraum versammelte Gemeinde erinnert sich des Erlösertodes Jesu Christi und Seiner dadurch zum Vorschein kommenden Liebe zu den Menschen. Die eucharistischen Gestalten Brot und Wein sind (nur) Zeichen der Liebe des Gekreuzigten. Durch ihren Genuß wird diese Liebe dem einzelnen Menschen kundgetan. Die ganze Aktivität der Teilnehmer besteht somit bloß im gedanklichen Erinnern an die Heilstaten Christi. Die Liturgie hat (nur) symbolischen Charakter. Es stellt sich allerdings die Frage, ob bei dieser Sicht der Dinge der Gang in die Kirche überhaupt noch notwendig und zu rechtfertigen ist. Denn erinnern kann ich mich der Liebe Christi auch unabhängig von der „Eucharistiefeier“. Würde nicht schon Betrachtung oder einfaches Lesen entsprechender Stellen in der Bibel genügen? So gesehen verliert die Liturgie ihren zentralen Stellenwert im Leben der Kirche und des einzelnen Gläubigen. (Die heute vorherrschenden Realitäten dienen als Beweis dafür.) Diese kurze Analyse des Novus Ordo kann uns nur helfen, die katholische Meßtheologie besser zu verstehen. Die Heilige Messe hat ihre Quelle im Abendmahlsgeschehen. Denn Christus „nahm Brot, segnete es und gab es den Jüngern mit den Worten: `Nehmt hin und esset, das ist Mein Leib`“. Und über den Kelch mit Wein sprach Er: „Trinkt alle daraus; denn dies ist Mein Blut des (Neuen) Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden“ (Mt 26,26-28). Das Brot ist danach der Leib und der Wein das Blut Christi geworden. Der hochheilige Leib und das hochheilige Blut des Herrn sind aber während der Heiligen Messe nicht als bloße Sachen oder tote Gegenstände anwesend. Nein, Christus selbst ist in Seinem Leib und Blut gegenwärtig. Allerdings ist hier die Rede vom „Leib, der ... hingegeben wird“ (Lk 22,19) und vom „Blut ..., das vergossen wird“ (Mt 26,27f.)! Das weist darauf hin, daß Christus im geopferten Zustand gegenwärtig ist, indem Er das Opfer Seiner selbst vollzieht! Die Gegenwart Christi unter den eucharistischen Gestalten und Sein Sich-Opfern, Sein (willentlicher) Opferakt, sind in der Liturgie nicht voneinander zu trennen! Obwohl das eigentliche Erlösungsopfer (am Kreuz) von Ihm zeitlich gesehen erst nachher vollbracht wurde, hat Er bei der Feier dieser ersten Heiligen Messe Sein Opfern (damals noch im voraus) vergegenwärtigt! Und ihre Berechtigung hat die Heilige Messe im Befehl Christi: „Tut dies zu Meinem Andenken“ (Lk 22,19; 1 Kor 11,24). Die Kirche soll nicht irgend etwas, sondern dasselbe tun, was auch Er im Abendmahlsaal getan hat. Und Er hat „in der Nacht, da Er verraten wurde“ (1 Kor 11,23) eben nicht in fröhlicher Gesinnung eine Mahlzeit mit Seinen Jüngern gehalten, sondern in realitätsgefüllter Symbolik Sein Erlöserleiden vorweggenommen. Die Kirche soll in ihrer Kulthandlung nichts anderes als das Opfer, das Opfern Jesu Christi begehen - und zwar in aktiver Weise(!) - und nicht in (reiner) Passivität die Gnaden der Erlösung nur empfangen. “Denn sooft ihr dieses Brot eßt und den Kelch trinkt (d.h. sooft wir Sein Tun im Abendmahlssaal wiederholen), feiert ihr den Tod des Herrn” (1 Kor 11,26). Des Todes des Herrn erinnern wir uns nicht rein gedanklich; er wird nicht dadurch verkündet, daß darüber mit Worten gesprochen wird. Indem die Kirche das Tun Christi wiederholt, wird der Tod des Herrn in diesem Wirken der Kirche gegenwärtig! Sie gedenkt des Herrn nicht rein erinnerungsmäßig. Der Befehl Christi zu tun, was er getan hatte, hat nur dann einen Sinn, wenn sich Sein Tun im Tun der Kirche widerspiegelt und (für uns) aktuell wird. So haben wir erst in diesem Tun der Kirche Zugang zum Tun Christi im Abendmahlssaal und somit erst im Opfer der Heiligen Messe Zugang zum und Anteil am Kreuzesopfer und an dessen Früchten! Das ist der entscheidende Punkt, der im Protestantismus und in der modernen Theologie und Liturgie verkannt wird, und der für das katholische Verständnis der Liturgie von zentraler Bedeutung ist! Dementsprechend setzt die Kirche diesen Gedankengang in ihrer Liturgie um. Im ersten Gebet nach der Wandlung spricht Sie: “Daher sind wir denn eingedenk, Herr, wir Deine Diener, aber auch Dein heiliges Volk, des heilbringenden Leidens, der Auferstehung von den Toten und der glorreichen Himmelfahrt Deines Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus, und bringen so Deiner erhabenen Majestät von Deinen Geschenken und Gaben ein reines Opfer dar, ein heiliges Opfer, ein makelloses Opfer: das heilige Brot des ewigen Lebens und den Kelch des immerwährenden Heiles.” Eingedenk des Auftrages ihres Hohepriesters (“Tut dies”) bringt Sie ein Opfer dar. Ihr Gedächtnis des Todes Christi besteht im Opfern! Es ist ein Tatgedächtnis, ein aktives Gedenken der Heilstaten Christi. Dabei - und das ist sehr wichtig - opfert Sie den Leib und das Blut des Herrn nicht als eine Sache, nein, sie opfert Sein Opfer, das in Seinem Sich-Opfern besteht, sie opfert den sich opfernden Christus! Er opfert sich Seinem himmlischen Vater, und dieses Opfern wird zugleich auch von der Kirche dargebracht. Neben der Verschiedenheit in der Art der Darbringung zwischen dem Kreuzes- und Meßopfer (blutig bzw. unblutig) kommt beim letzteren im Vergleich zum ersteren noch dieses Opfern des Opferns Christi durch die Kirche hinzu. Die Kirche weiß, daß wir Gott letztendlich nichts darbringen können, was eine Wiedergutmachung unserer begangenen Verfehlungen bewirken könnte. Jede Art von Opfern, ob es tote Gegenstände, Tiere oder - was leider auch vorgekommen ist - Menschen sind, reichen nicht aus, um Ihn mit uns zu versöhnen. Es gibt nur ein Ereignis in der Weltgeschichte, das diese Aufgabe erfüllen kann - das Opfer des Gottmenschen am Kreuz! Auf seine sühnende Kraft bauend, hält es die Kirche im Meßopfer dem himmlischen Vater vor, um die Erhörung ihrer eigenen Bitten zu erlangen: „Heiliger Vater, allmächtiger ewiger Gott, nimm diese makellose Opfergabe gnädig an. Dir, meinem lebendigen, wahren Gott, bringe ich, Dein unwürdiger Diener, sie dar für meine unzähligen Sünden, Fehler und Nachlässigkeiten. Ich opfere sie auf für alle Umstehenden und alle Christgläubigen, für die Lebenden und Verstorbenen. Gib, daß sie mir und ihnen zum Heile gereichen für das ewige Leben. Amen“ (Opferungsgebet). Somit ist die Heilige Messe das wirksamste Bittopfer und unser bester „Fürsprecher“ vor Gott. Sie ist nicht getrennt von unserem sonstigen Gebetsleben zu betrachten. Wir können und sollen alle unsere Anliegen und Gebete, die wir z.B. unter der Woche verrichten, in die sonntägliche Messe „hineinnehmen“. Weil in der Heiligen Messe jegliches sonstige Gebet gipfelt, ist sie als das intensivste Gebet zu betrachten! Das ist einer der Gründe, warum das Heilige Meßopfer den zentralen Platz im Leben der katholischen Kirche einnimmt!
P. Eugen Rissling |