Die vollkommene Hingabe an Maria


nach dem hl. Ludwig Maria Grignion von Monfort

Während meines Aufenthaltes im Seminar in den USA durfte ich immer wieder die tiefe Verehrung erleben, die die Menschen dort für Maria empfinden. So wurde ich bald Zeuge einer Zeremonie, die mir bis dahin unbekannt gewesen war. Gläubige aus der Gemeinde knieten sich vor den Marienaltar hin und lasen von einem Blatt Papier gemeinsam ein Formular, mit dem sie sich ganz Maria zum Eigentum hingaben. Dieses Weiheformular wurde dann unterschrieben und vom Priester, der in Rauchmantel gekleidet war, auf den Marienaltar gelegt. Es handelte sich dabei um die “Wahre Andacht zu Maria” oder auch die vollkommene Weihe und Hingabe an Maria nach dem hl. Ludwig Maria Grignion von Monfort. Als ich nach Deutschland zurückkehrte und meiner Mutter davon erzählte, erfuhr ich, dass auch sie seinerzeit diese Weihe abgelegt habe. Da diese Form der Verehrung Mariens aber in letzter Zeit etwas in Vergessenheit geraten zu sein scheint, soll sie Ihnen mit diesem Artikel kurz vorgestellt oder wieder ins Gedächtnis gerufen werden.

Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen, sei hier nur noch kurz erwähnt, dass die “wahre Andacht” nicht hauptsächlich für Nonnen, Mönche oder Priester gedacht ist. Jeder kann und soll sich Maria weihen, Maria ist der Weg zu Christus, nicht nur für Geistliche, sondern für alle Menschen.

Der hl. Ludwig Maria Grignion wurde 1673 in Monfort in der Bretagne geboren. Seit 1693 studierte er Theologie an der Sorbonne in Paris und trat zwei Jahre später in das Seminar St. Sulpice ein. Schon seit seiner Kindheit pflegte er eine ganz besondere Verehrung für Maria, die er seine “geliebte Mutter” nannte. Mit 27 Jahren empfing er dann die Priesterweihe. Nach sechsjähriger Tätigkeit in den Krankenhäusern von Poitiers und Paris - in Poitiers hatte er seine Kongregation der “Töchter der Weisheit” gegründet; sie bestand anfangs aus ein paar gebrechlichen Insassen des Krankenhauses, die der Leitung einer blinden Oberin unterstanden - konnte er endlich seinem sehnlichen Wunsch, Gott als Missionar zu dienen, nachgehen. Sein Missionsfeld lag praktisch direkt vor der Haustür, denn um Frankreich war es nicht gut gestellt. So durchzog er predigend und die Sakramente spendend durch Westfrankreich. Der Erfolg dieser Mission war unerwartet groß und die Menschen strömten von überall her zusammen, um ihn zu hören.

Neben dieser Tätigkeit als Missionar war der hl. Ludwig aber auch noch schriftstellerisch tätig. So entstand neben anderen Werken, die größtenteils zur Ehre Mariens geschrieben sind, auch die “Abhandlung über die vollkommene Andacht zu Maria”, ein Buch, das dem folgenden Text zugrunde liegt. Nachdem er 1713 seine zweite Kongregation, die der “Missionare von der Gesellschaft Mariens”, gegründet hatte, starb der Heilige 1716 im Alter von 43 Jahren. Seine Gebeine ruhen in der Kapelle der allerseligsten Jungfrau in der Kirche zu St. Laurent-sur-Sèvre. Sein Fest feiert die Kirche am 28. April.

Was ist nun die “wahre Andacht zu Maria”? “Andacht” bedeutet hier etwas mehr als wir heute normalerweise darunter verstehen. Wir sprechen davon, dass jemand “Andacht” beim Beten hat, oder dass wir eine “Andacht” zu Ehren Mariens halten. Hier bedeutet “Andacht” aber, dass jemand eine ganz besondere Liebe zu Maria hat, sie in ganz besonderer Weise verehrt und sich ihr in ganz besonderer Weise unterstellt.

Wir alle sollen vollkommen, sollen heilig werden. Denn Heiligkeit ist für jedermann und wird auch von allen von Gott erwartet. Das klingt vielleicht etwas ungewöhnlich, weil wir, wenn wir das Wort “heilig” hören, immer an die kanonisierten Heiligen denken, die oft durch ihre für andere scheinbar unerreichbaren Werke der Gottes- und Nächstenliebe oder der Askese auffielen. Aber vergessen wir nicht, dass erstens auch die kanonisierten Heiligen nicht als Heilige geboren wurden, dass sie Menschen waren wie wir, mit Fehlern und Schwächen, und dass zweitens nicht nur die kanonisierten Heiligen im Himmel sind. Es gibt darüber hinaus auch noch Heilige, von denen wir überhaupt nicht wissen, einfache Menschen, die als ihre ihnen von Gott gegebene Aufgabe betrachteten, nicht große Werke zu vollbringen, sondern im Kleinen, im Verborgenen zu wirken. Menschen, die ihr tägliches Kreuz mit Ergebenheit in Gottes Willen und aus Liebe zu Ihm getragen haben, ohne äußerlich in Erscheinung treten zu wollen. Und wenn wir auch nicht unbedingt zur ersten Kategorie von Heiligen gehören sollten, so doch auf jeden Fall zur zweiten.

Nun ist aber Vollkommenheit nichts anderes als Jesus gleichförmig, mit Ihm vereinigt, Ihm geweiht zu sein. Da Maria aber unter allen Geschöpfen Jesus am gleichförmigsten ist, werden wir, wenn wir uns ihr hingeben, Jesus am gleichförmigsten. Mit der Ganzhingabe an Maria, die der hl. Ludwig lehrt, schenken wir uns aber ganz Maria, um durch sie ganz Jesus anzugehören.

Daher ist auch die Weihe an Maria praktisch auch nur eine Erneuerung unserer Taufgelübde. Aber dadurch dass wir uns durch diese Hingabe ganz in die Hände der Muttergottes legen, gibt sie uns auch noch gleich die Mittel an die Hand, mit denen wir diese Gelübde treu erfüllen können.

Die Kirche empfiehlt uns, uns unsere Taufgelübde von Zeit zu Zeit wieder bewusst in Erinnerung zu rufen. (So erneuern wir sie ja auch jährlich in der Osternacht.) Warum sollten wir das dann nicht durch Maria tun?

Bei der Taufe haben wir ganz dem Teufel entsagt und Jesus Christus als unseren Herrn und Meister erwählt, um als Sklaven Seiner Liebe ganz von Ihm abhängig zu sein. Wir wollen letztendlich zu keinem anderen Zweck mehr leben als für Jesus. Alles wollen wir für Ihn tun, damit Er mehr verherrlicht werde. Dasselbe tun wir nun auch durch die Hingabe an Maria. Wir entsagen Satan, der Welt und der Sünde und übergeben uns voll und ganz Jesus Christus durch die Hände Mariens, indem wir uns ganz Maria als Sklaven der göttlichen Liebe hingeben.

Wenn wir “Sklave” hören, dann klingen bei uns in der Regel alle möglichen negativen Assoziationen mit. Wir denken an die Sklaven der Römer, die dazu gezwungen wurden, ihren Herren zu dienen, und durch tyrannische Grausamkeit in Zaum gehalten wurden.

Grignion denkt aber an etwas ganz anderes, wenn er von Sklaven spricht. Er unterscheidet zwischen Sklaven, die es aus Zwang und solchen, die es aus Freiheit geworden sind. Die Sklaven Mariens sind es aus Freiheit, sie sind es aus Liebe geworden, allein um der Ehre willen, die es für sie bedeutet, wenn sie Maria gehören dürfen. Dass Maria ihre Sklaven nicht behandelt wie die alten Römer, muss ja nicht extra erwähnt werden.

Warum verwendet der hl. Ludwig aber nicht Begriffe wie “Diener” oder ähnliches?

Der Grund dafür liegt darin, dass es praktisch keine vollkommenere Hingabe gibt als die des Sklaven. Der Diener zum Beispiel gibt nicht alles, was er ist, noch alles, was er besitzt oder erwerben kann - der Sklave dagegen schon. Der Diener verlangt in der Regel Lohn für seine Arbeit - der Sklave nicht. Der Diener kann seinen Herrn verlassen, wann er will, oder wenigstens, wenn die Dienstzeit abgelaufen ist - der Sklave nicht. Der Herr eines Dieners hat nicht das Recht über Leben und Tod - der des Sklaven schon. Und schließlich ist der Diener in der Regel nur eine bestimmte Zeit lang im Dienst - der Sklave aber für immer. Kurz: nichts macht uns mehr zum vollständigen Eigentum Jesu und Seiner Mutter als die freiwillige Sklavenschaft.

Wenn wir gesagt haben, dass ein Sklave Mariens nur deshalb ihr Sklave sein will, weil es für ihn eine so große Ehre ist, dann sehen wir daran eine der wichtigsten Eigenschaften dieser Sklavenschaft: die Uneigennützigkeit. So wie der gute Ritter sich seinem König ganz hingibt, und so wie er es nur tut, um dem König zu gehören, und weil es ihm eine solche Ehre ist, dem König dienen zu dürfen, und so wie er nur die Ehre des Königs sucht und verteidigt, ohne irgendetwas für sich selbst zu erwarten, so wird auch der Sklave Mariens nicht sich selber suchen, sondern Gott allein in und durch seine Herrin und Mutter. Er gibt sich ihr hin, weil er eine so hohe Meinung von ihr hat, weil er sie in so hoher Ehre hält, weil er sie lieb gewonnen hat.

So verankert in der Hingabe an Maria, wird ihr Sklave auch nicht mehr so leicht ein Opfer seiner Stimmungen und Launen sein. Die Weihe wird ihn befreien von aller Veränderlichkeit, Niedergeschlagenheit und Ängstlichkeit. In all seinen Anliegen und Sorgen wird er dann voll Vertrauen und Zuversicht Zuflucht nehmen zu seiner himmlischen Mutter.

Manch einer wird sich jetzt fragen, ob es denn wirklich so wichtig sei, sich Maria ganz hinzugeben. Um diese Frage zu beantworten, verweist der hl. Ludwig auf die Tatsache, dass Gott in Seiner Allmacht, Allwissenheit und Güte es so bestimmt hat, dass Maria notwendig war für die Menschwerdung, dass das Wort nicht anders Fleisch werden sollte als durch und aus Maria. Wenn Maria nun so notwendig war für Jesus, um zu uns zu kommen, so ist sie umso notwendiger für uns, um zu Gott zu gehen. Jesus hat Seine Mutter zur unzertrennlichen Gefährtin Seines Lebens und Sterbens gemacht und hat sie somit in gewisser Weise auch mitwirken lassen an unserer Erlösung. So darf sie auch jetzt noch mitwirken, dass Jesu Blut, das Er für uns vergossen hat, nicht umsonst vergossen war, indem sie uns hilft, unser Ziel, Gott und den Himmel, zu erreichen.

Der hl. Bernhard spricht in diesem Zusammenhang auch von Maria als der Mittlerin bei unserem Mittler. Wir wissen ja, Jesus ist unser Mittler bei Gott dem Vater und tritt für uns bei Seinem Vater im Himmel ein. Da wir aber unreine, sündhafte Geschöpfe sind, brauchen wir noch jemand, der für uns zu Jesus geht, welcher doch selber Gott ist, Seinem Vater wesensgleich, der Allerheiligste, ebenso der Ehrfurcht würdig wie Sein Vater. Dazu wenden wir uns an Maria, an der nichts Strenges ist, in der wir nur unserer eigenen Natur begegnen. Sie ist nicht die Sonne, deren helles Licht wir nicht ertragen können. Sie ist der Mond, der sein Licht von der Sonne empfängt und an uns weitergibt, nachdem er es an unsere Schwäche angepasst hat. Wenn wir zu Maria gehen, so können wir zuversichtlich sein, dass wir nicht abgewiesen werden, dass sie uns anhört, um dann unser Anliegen vor Christus zu tragen: “Gedenke, gütigste Jungfrau Maria, von Ewigkeit ist es unerhört, dass einer, der zu dir seine Zuflucht nahm, der zu dir um Hilfe rief, der um deine Fürsprache bat, von dir verlassen wurde.” (Memorare)

Es gibt aber noch andere Gründe, die dafür sprechen, sich Maria zu weihen. Wir wollen uns ja ganz Gott hingeben und jeden Augenblick unseres Lebens für Ihn leben. Leider vergessen wir das aber bisweilen, ganz besonders wenn wir gerade “nur” die kleinen ganz alltäglichen Dinge zu tun haben. Durch die Ganzhingabe an Maria schenken wir ihr aber rückhaltlos alle unsere Gedanken, Worte, Werke und Leiden und alle Augenblicke unseres Lebens - und durch sie schenken wir sie Jesus, denn Maria hält nichts für sich zurück, sondern bringt alles ihrem Sohn dar. Ob wir nun also wachen oder schlafen, essen oder trinken, die größten oder kleinsten Dinge verrichten, immer können wir sagen, wir haben es für Jesus getan, selbst wenn wir uns dessen gerade nicht ausdrücklich bewusst gewesen sind (solange wir nur die Hingabe an Maria nicht ausdrücklich widerrufen haben).

Ferner hilft uns Maria, uns frei zu machen von der Anhänglichkeit an uns und das Unsrige, die sich oft selbst in die besten Werke einschleicht und dadurch ihren Wert zerstört oder doch wenigstens mindert. Diese Gnade schenkt uns Jesus zum Lohn für die heldenmütige, uneigennützige Tat, die wir vollbrachten, als wir durch die Hände Mariens auf den Wert aller unserer Werke zu Gunsten Jesu verzichteten.

So gibt uns die Weihe auch eine Gelegenheit, Jesu Freigebigkeit zu erwidern, der sich doch auch ohne Vorbehalt uns geschenkt hat, Seinen Leib und Seine Seele, Seine Tugenden, Gnaden und Verdienste.
Und weil Maria der Weg ist, den Gott erwählt hat, zu uns zu kommen, ist die Hingabe an Maria auch ein leichter, kurzer, vollkommener und sicherer Weg für uns, zu Gott zu kommen - leicht, kurz, vollkommen und sicher wie kein anderer.

Wie eingangs ja schon erwähnt, ist die Weihe an Maria für Jedermann gedacht, und daher ist sie auch entsprechend einfach. Der hl. Ludwig von Monfort wünscht nur, dass man sich dreißig Tage darauf vorbereitet. Dazu ist im “Goldenen Buch” (so der deutsche Titel des Buches über die “vollkommene Andacht”) für jeden Tag ein kleiner Gedankenanstoß abgedruckt. Für den Tag der Weihe heißt es dann: “Heute feiere mit großer Andacht das heilige Messopfer mit dem Priester und empfange freudig die heilige Kommunion! Sogleich nach derselben bete das herrliche Weihegebet…” Wir senden Ihnen gerne Exemplare der Vorbereitung und des Weihegebetes zu. Bitte wenden Sie sich dazu an den Verfasser dieser Zeilen.

Die reguläre Weihe an Jesus durch die Hände Mariens ist an sich kein Gelübde. Es sind auch keine besonderen Verpflichtungen mit ihr verbunden. Der hl. Ludwig von Monfort erwähnt nur einige Übungen, durch die sich ein Sklave Mariens auszeichnet, so z.B. den Rosenkranz, das Tragen des Skapuliers und der wundertätigen Medaille, das Singen von Marienliedern, Stoßgebete zu Maria, ihr zu Ehren fasten und geistige oder körperliche Opfer darbringen, seine Handlungen in der Absicht verrichten, ihr zu gefallen, ihre Tugenden betrachten usw.

Abschließend möchte ich noch das Zeugnis unserer letzten großen Päpste sprechen lassen, an dem wir sehen, in welch hoher Ehre sie die “wahre Andacht zu Maria” gehalten und wie sehr sie sie uns allen empfohlen haben.

Pius XII. sagte, die Worte des hl. Ludwig haben viele Seelen bekehrt. Pius XI. hat die Andacht seit seiner Jugend selber praktiziert, und Benedikt XV. sprach von einem Buch von hoher Autorität. Pius X. empfahl die “wahre Andacht zu Maria” und gab jedem, der jenes Buch liest, seinen Apostolischen Segen. Leo XIII. gewährte jedem, der sich Maria geweiht hat, einen vollkommenen Ablass. Auf seinem Sterbebett erneuerte er die Weihe selber. Pius IX. sagte, die Weihe an Maria nach dem hl. Ludwig von Monfort sei die beste Form der Weihe an Maria.

Lassen wir die Barmherzigkeit Gottes nicht unbeachtet, nutzen wir diesen Weg zu Gott und nehmen wir Maria als unsere himmlische Mutter und Königin an. Geben wir uns ihr ganz und gar hin als ihr Gut und ihr Eigentum, damit sie uns unversehrt zu Jesus führt, denn “Servus Mariae nunquam peribit” („ein Sklave Mariens wird nie zugrundegehen“), wie es im Wappen der CMRI (der Marianischen Kongregation in den USA, deren Oberer Seine Exzellenz Bischof Pivarunas ist), heißt.

Vergessen wir in diesem Zusammenhang auch nie die Worte, die Jesus kurz vor Seinem Tod am Kreuz noch zu Seinem Lieblingsjünger, welcher ja als einziger der Apostel mit Maria bei Jesus ausgehalten hatte, gesprochen hat und mit denen Er Seine Mutter uns allen zur Mutter gab: “Siehe da deine Mutter!”

P. Johannes Heyne


 

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