Maria - Gottes „niedrige Magd“
 

Seit frühester christlicher Zeiten erfreute sich die allerseligste Jungfrau Maria der aufrichtigsten Verehrung seitens der katholischen Kirche. Dabei berief man sich zunächst hauptsächlich auf jene zwei ihrer Vorzüge oder Auszeichnungen, die sich nicht nur aus der lebendigen Tradition der Kirche, sondern auch aus der Heiligen Schrift begründen lassen: ihre jungfräuliche Geburt und ihre Mutterschaft des Gottessohnes Jesus Christus! Sowohl der Umstand, dass sie vor, während und nach der Geburt Christi Jungfrau war und blieb, erfüllt die Herzen der katholischen Christen mit Freude, als auch die Tatsache, dass sie die wahre Mutter des Gottmenschen wurde, weswegen ihr der erhabene Ehrentitel der „Gottesmutter“, der „Gottesgebärerin“ zuerkannt wurde. 

Und wie sehr diese Gottesmutterschaft Marias die Gemüter der Gläubigen bewegt, ersehen wir schon aus der Reaktion ihrer Base Elisabeth, als Maria sie nach der Verkündigung der Geburt Jesu Christi durch den Erzengel Gabriel besuchte. Nicht nur nahm Elisabeth nach der Begrüßung durch Maria das Frohlocken ihres eigenen Kindes (Johannes der Täufer) im Schoße wahr. Sie rief auch noch „mit lauter Stimme aus: ´Du bist die Gebenedeite unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes! Woher wird mir die Gnade, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt?´“ (Lk 1,42f.) 

Schon Elisabeths Stimmlage (ein Ausrufen „mit lauter Stimme“) offenbart die Feierlichkeit ihres Ausspruches. Sie erkennt in Maria die Mutter Dessen, Der ihr „Herr“, ihr Gott ist. Deshalb ist es für sie unbegreiflich („Woher wird mir die Gnade?“), dass diese Mutter ihres Herrn sie überhaupt besuchen kommt. Diese Auszeichnung ist in ihren Augen sogar ausdrücklich eine „Gnade“, die sie nicht verdient habe! Den besonderen Vorzug und die außergewöhnliche Würde Marias mit ihrer Gottesmutterschaft begründend verehrt Elisabeth mit dem Ausdruck „gebenedeit“ nicht nur ihr Kind („die Frucht deines Leibes“), sondern auch Maria selbst, und fährt fort: „Selig bist du, da du geglaubt hast, dass in Erfüllung gehen wird, was dir vom Herrn verkündet worden ist“ (Lk 1,45)! Wie können z.B. die Protestanten angesichts dieser herrlichen und ausdrucksstarken Worte behaupten, die Verehrung Marias sei unbiblisch? 

Und wie reagiert die heilige Jungfrau auf diesen offenkundigen Ehrenerweis? Sie antwortet: „Hoch preist meine Seele den Herrn, und mein Geist frohlockt in Gott, meinem Heiland. Denn herabgesehen hat Er in Gnaden auf Seine niedrige Magd. Seht, von nun an werden mich selig preisen alle Geschlechter. Großes hat an mir getan der Mächtige. Heilig ist Sein Name. Sein Erbarmen währt von Geschlecht zu Geschlecht für alle, die Ihn fürchten“ (Lk 1,46-50). Maria verkennt nicht ihre herausragende Auszeichnung vor allen anderen Frauen und ihre besondere Stelle im Heilsplan Gottes. Sie weiß ganz genau, dass das, was ihr widerfahren ist, wirklich etwas „Großes“ ist! Sie scheut sich nicht, darüber objektiv zu reden. In prophetischer Sicht spricht sie von der Verehrung, die ihr wegen ihrer Gottesmutterschaft seitens „aller Geschlechter“ entgegengebracht werden wird. 

Aber dennoch bildet sie sich nicht persönlich etwas darauf ein. Der Umstand, dass sie von Elisabeth in höchsten Tönen gelobt wird, verleitet sie nicht dazu, die eigene Privatperson (!) als etwas Besonderes anzusehen und in verkehrter Selbstsucht die menschliche Ehre zu suchen. 

Nein, ihr ist es klar, dass das, womit sie der Herrgott vor allen anderen Frauen und Menschen auszeichnete, sie niemand anders als Seiner Gnade, Seinem Handeln an ihr, der sich erbarmenden Herablassung Gottes zu verdanken hat: „Denn herabgesehen hat Er in Gnaden auf Seine niedrige Magd“! Sie weiß, was sie ja auch freimütig bekennt, dass der Herrgott allein der Urheber des Heils ist, dass niemand in der Lage ist, ohne die Hilfe und Gnade Gottes etwas zu vollbringen, was vor dem Angesicht Gottes bestehen kann. Zwar ist „Großes“ an ihr getan worden, aber der, der dies tat, war nicht sie selbst, sondern der Herrgott, „der Mächtige“! 

Maria ist nicht daran interessiert, sich etwas zuzuschreiben, was ihr nicht gebührt, sich persönlich auf Gottes Kosten zu profilieren, den eigenen Ruhm zu suchen. Sie mißbraucht den Umstand ihrer besonderen und außergewöhnlichen Begnadigung durch Gott nicht zum Zwecke der Selbstanbetung. Das, worum es ihr geht, ist, auf Den hinzuweisen, Der dies alles an ihr getan hat. Ihm gebührt die eigentliche Ehre, der eigentliche Dank, weil ja Er allein ihr diese große Gnade der Gottesmutterschaft zum Zweck der Erlösung des Menschengeschlechtes geschenkt hat! Und um keinen Zweifel an der eigenen Einstellung aufkommen zu lassen, lenkt sie gleich zu Beginn ihrer Antwort auf das Lob Elisabeths die ganze Aufmerksamkeit auf diesen gnädigen Gott: Ihn preise doch hoch ihre Seele, in Ihm, ihrem „Heiland“, frohlocke doch ihr Geist! Man beachte und betrachte die Ausdrucksstärke ihrer Worte und die Intensität ihrer Liebe und Verherrlichung Gottes! 

Sich selbst bezeichnet Maria nicht anders als Gottes „niedrige Magd“, derer sich Gott halt erbarmt hat. Trotz ihrer einzigartigen Stellung im Heilsplan Gottes und ihrer Nähe zu Christus, dem Erlöser, sieht sie ihre Aufgabe nicht darin, die eigene Person groß der Öffentlichkeit zu präsentieren, sondern, Gott in aller persönlichen Schlichtheit nach Kräften zu dienen! Und diese Demut vor Gott und den Menschen (!) ist ein wesentlicher und integraler Bestandteil ihrer Grundhaltung, ihrer gesamten Lebenseinstellung. Und dabei hat die heilige Jungfrau hier niemand etwas vorgespielt, sie hat sich nicht etwa künstlich als demütig hingestellt, um in den Augen der Menschen als besonders fromm zu gelten. Nein, das Verhalten, das sie hier an den Tag legte, beruht auf edelsten Motiven, entspringt aufrichtigster Überzeugung. Die Worte, die sie sprach, waren wirklich so gemeint, wie sie klingen. Maria war nicht (nur) dem Schein nach, sondern vom Grunde ihres Herzens demütig! Die Muttergottes spricht hier ein ehernes Gesetz des geistlichen Lebens an, dass das Maß der Gnade nämlich, das ein Mensch von Gott geschenkt bekommt, auch davon abhängt, wie sehr sich der Mensch für diese Gnade vorbereitet und geöffnet hat. Je weniger man also seine eigene Privatperson in den Mittelpunkt des Geschehens stellt und sich von der irdischen Sucht nach Lob und Ehre leiten lässt, um so mehr wird man bei sich auch Gott wirken lassen. Und je größer die Bereitschaft, aufrichtigst dem eigenen Ich zu entsagen und Gottes Ehre zu suchen, um so mehr wird man dann auch vom unerschaffenen Leben und der beseligenden Gnade des lebendigen und lebenspendenden Gottes erfüllt sein können! 

Wenn man sich aber verkehrterweise zu sehr auf seine Person einbildet, dann verhindert man, dass Gott einen leitet und führt. Denn je weniger man sich im eigenen Herzen - bildlich gesprochen - seiner selbst entleert, um so geringer kann darin auch Raum für Gott geschaffen werden. Damit ist auch eine Antwort auf die Frage gegeben, warum ausgerechnet Maria mit der großen Gnade der Gottesmutterschaft beschenkt wurde, zumal sie ja offensichtlich das Gelübde der Jungfräulichkeit abgelegt hatte („Wie wird das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ - Lk 1,34), und andere Frauen gern dem verheißenen Messias das Leben geschenkt hätten. 

Natürlich ist es zunächst klar, dass Gott Seine Gnade gibt, wann, wem und wie Er will (vgl. Röm 11,33-36). Aber auf der anderen Seite hat die heilige Jungfrau wie kein anderer nicht sich selbst, sondern in aller Aufrichtigkeit Gott gesucht. Sie war nicht von sich voreingenommen, sie wollte aus der Gnade Gottes keinen persönlichen Profit herausschlagen, sondern Gott lediglich als Seine „niedrige Magd“ dienen: „Machtvoll waltet Sein Arm. Er verwirft die Herzen voll Hochmut, Gewalthaber stürzt Er vom Thron, Niedrige hebt er empor, Hungrige erfüllt Er mit Gütern, Reiche lässt Er leer ausgehen“ (Lk 1,51-53)! 

Und in ähnlicher Weise hängt wohl auch in unserem Leben das Maß der uns geschenkten Gnade vom Grad unserer Demut und Bescheidenheit vor Gott und den Mitmenschen ab. Entsagen wir in ehrlicher Weise jeglicher Selbsteinbildung, erkennen und, sofern notwendig, bekennen wir unser eigenes sittliches Unvermögen, werden wir um so mehr den „Reichtum Seiner Herrlichkeit“ erkennen, „durch Seinen Geist mit Kraft innerlich stark werden“, in der göttlichen „Liebe festgewurzelt und festgegründet“ sein können! Dann wird uns auch die Gnade geschenkt werden, „mit allen Heiligen die Breite und Länge, die Höhe und Tiefe zu erfassen und die Liebe Christi zu erkennen, die die (rein menschliche - Anm.) Erkenntnis übersteigt“ (vgl. Eph 3,16f.)! 

Bilden wir uns aber auf uns selbst zu viel ein, ist unser Geist von den vermeintlichen eigenen Leistungen voreingenommen, schieben wir dem Wirken und der Gnade Gottes eindeutig einen Riegel vor! Und je mehr noch im Herzen eines Menschen vom eigenen „Ich“ enthalten ist, um so weniger lässt sich darin Raum für Gott und Seine Liebe finden. Und da wir wissen, wie schnell sich die gebrechliche menschliche Natur - etwa bei Lob und Anerkennung - mit der Versuchung konfrontiert sieht, sich über seine Umgebung zu erheben, sich als solche für besser als andere Menschen zu halten, bedarf es einer um so größeren sittlichen Anstrengung, dagegen zu arbeiten, diese teuflische Anfechtung im Keim zu ersticken. Machen wir nie den Fehler, zu vergessen, dass wir, wenn wir bisweilen etwas Vernünftiges zustande bringen, dies letztendlich der Gnade Gottes zu verdanken haben, die uns bei unseren Bemühungen eben entscheidend geholfen hat. Oder sind wir nicht schwache Menschen, die an vielen anderen Stellen genügend sittliche Blöße zeigen? 

Die Kirchenväter erklären einhellig, dass Gott zunächst geistigerweise im Herzen Mariens geboren wurde, bevor sie die einmalige Gnade der leiblichen Gottesmutterschaft erhielt (und am Ende ihres irdischen Daseins auch in den Himmel aufgenommen wurde). So wollen auch wir in die Fußstapfen der heiligen Jungfrau treten, ihrer Demut und Bescheidenheit ehrlichen Herzens nacheifern, ihre Liebe zu Gott nachahmen, damit auch in uns Christus, ihr göttlicher Sohn und unser aller Erlöser, möglichst in zunehmendem Maß Gestalt annehmen kann! 

 

P. Eugen Rissling


 

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