Mariens Demut Der hl. Bernhard sagt: „Es ist nicht schwer, demütig zu sein in einem verborgenen Leben; eine wahrhaft schöne und seltene Tugend aber ist es, sich inmitten der Ehren so zu bewahren.“ Die Allerseligste Jungfrau Maria war sicher am allermeisten von Gott geehrt und über alle Geschöpfe erhoben; dennoch hat kein anderes Geschöpf sich so erniedrigt und gedemütigt wie sie. Es ist wie ein Wettstreit zwischen Maria und Gott: Je mehr er sie erhöht, um so mehr erniedrigt sie sich in ihrer Demut. Der Engel grüßt sie „Gnadenvolle“, und Maria „erschrickt“ darob (Luk. 1,28-29). Der hl. Alfons erklärt: „Sie erschrak, weil sie, in der Fülle ihrer Demut, vor jedem Lob zurückschreckte; sie wollte, dass einzig Gott gelobt werde.“ Der Engel enthüllt ihr die große Aufgabe, die der Allerhöchste ihr zugedacht hat, und Maria bekennt sich als „Magd des Herrn“. Ihr Blick bleibt nicht haften an der unermeßlichen Ehre, die ihr aus dieser Erwählung zur Mutter Gottes erwachsen wird; sie betrachtet voll Staunen das große Geheimnis der Menschwerdung Gottes im Schoß eines armen Geschöpfes. Erniedrigt Gott sich so tief, dass er sich ihr als Sohn schenken will, wie tief muß sich dann seine kleine Magd erniedrigen? Und je mehr sie die Größe des Geheimnisses, die Unermeßlichkeit der göttlichen Gabe begreift, um so mehr versinkt sie in ihr Nichts. Die gleiche Haltung zeigt sie, als Elisabeth sie grüßt: „Gebenedeit unter den Frauen“ (Luk. 1,42). Sie wundert sich nicht über diese Worte; denn nun ist sie schon Mutter Gottes; doch sie bleibt unentwegt auf dem Grunde ihrer Demut: Alles schreibt sie dem Herrn zu, dessen Barmherzigkeit sie besingt, da er sich herabließ, „anzusehen die Niedrigkeit seiner Magd“ (Luk. 1,48). Gott hat Großes in ihr gewirkt, sie weiß es, sie erkennt es; doch sie rühmt sich dessen nicht; vielmehr läßt sie alles zurückströmen zu seiner Verherrlichung. Mit Recht ruft der hl. Bernhard aus: „So wie kein Geschöpf, nach dem Sohne Gottes, an Würde und Gnade wie Maria erhoben ward, so ist keines wie sie in den Abgrund der Demut hinabgestiegen.“ Solche Wirkungen müssen die göttlichen Gnaden und Gunsterweise hervorbringen. Immer demütiger müssen sie uns machen, immer klarer unseres Nichts bewusst werden. Der hl. Bernhard sagt: „Ist es dir nicht möglich, die Reinheit Mariens nachzuahmen, so ahme wenigstens ihre Demut nach. Keuschheit ist eine herrliche Tugend; Demut aber ist notwendig. Zur ersten sind wir nur eingeladen: „Wer es fassen kann, der fasse es.“ Die zweite ist uns unbedingt geboten: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht ins Himmelreich eingehen. “Keuschheit wird belohnt; Demut wird gefordert. Auch ohne Jungfräulichkeit kann man das Heil finden; ohne Demut aber ist es unmöglich. Ohne Demut wäre nicht einmal die Jungfräulichkeit Mariens Gott angenehm gewesen. Gewiß, sie hat Gott gefallen durch ihre Jungfräulichkeit. Mutter aber wurde sie durch ihre Demut.“ Die schönsten Haltungen und Gnadengaben, wie etwa die Buße, die Armut, die Jungfräulichkeit, das Apostolat, das gottgeweihte Leben und sogar das Priestertum sind unfruchtbar, wenn sie nicht von wahrer Demut begleitet sind; ja ohne Demut können sie ihren Träger sogar in ernste Gefahr bringen. Luzifer war keuch, aber nicht demütig, und sein Stolz ward ihm zum Untergang. Je höher die Stellung, die wir im Weinberg des Herrn einnehmen, je erhabener das Leben der Vollkommenheit, zu dem Wir uns bekennen, je bedeutender die Sendung, die Gott uns anvertraut hat, um so nötiger haben wir es, bis auf den Grund der Demut hinabzusteigen. So wie die Mutterschaft Mariens Frucht ihrer Demut ist - humilitate concepit -, so hängt die Fruchtbarkeit unseres inneren Lebens, unseres Apostolates von unserer Demut ab; das Maß unserer Demut wird ihr Ausmaß bestimmen. Tatsächlich kann nur Gott Großes in uns und durch uns vollbringen; er wird es aber nicht tun, wenn er uns nicht ganz demütig findet. Nur die Demut ist fruchtbares Erdreich, geeignet, die Gaben des Herrn reifen zu lassen. Und es ist ja immer die Demut, die Gottes Gnade und Huld auf uns herabzieht. Die hl. Theresia von Jesus sagt, einzig die Demut habe den König des Himmels dazu gebracht, vom Himmel in den Schoß der Jungfrau herabzusteigen (Weg 16). |