Benedikt - Vater des Abendlandes
 


Am 21. März feiert die Kirche das Fest des hl. Benedikt von Nursia, der zu Recht den schönen Titel trägt: Patriarch des abendländischen Mönchtums. Die Ordensgemeinschaft, die er gegründet hatte, übte einen sehr großen Einfluß auf die abendländische Christenheit aus, ja sie prägte sie zu einem nicht unerheblichen Teil. Bis zum Entstehen neuerer Orden im 11. bis 13. Jahrhundert hat die Mehrzahl der Klöster in der westlichen Kirche nach der Regel des hl. Benedikt gelebt. 

Auch in den Jahrhunderten danach haben die Benediktiner eine wichtige Rolle in der westlichen christlichen Welt gespielt. In vielen Bereichen haben sie seit jeher maßgebend zur Verbreitung und Vertiefung des christlichen Glaubens beigetragen: Mission, christliche Erziehung und Bildung der Jugend, Unterrichtung des Volkes im Glauben. Auch auf vielen anderen Gebieten haben sich die sogenannten “schwarzen Mönche” hervorgetan: Landwirtschaft, Bauwesen, Kunst, Musik (Gregorianik), Naturheilkunde. Die Klöster haben in ihren Schriftstuben sowohl die Bibel als auch andere wertvolle Handschriften wie des christlichen so auch des klassischen Altertums für kommende Generationen erhalten und überliefert. Wenn wir uns nach dem Grund und der Ursache für dieses segensreiche Wirken des Benediktinerordens erkundigen wollen, dann müssen wir zunächst nach der überragenden Gestalt seines Gründers und nach der Gesinnung, die ihn erfüllte, fragen. 

Der hl. Benedikt wurde um 480 in Nursia (heute Norcia, Provinz Perugia) geboren. Aus einer landbesitzenden Adelsfamilie stammend, widmete er sich zunächst in Rom dem Studium der artes liberales, das die Fächer Philosophie, Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Musik, Astronomie umfaßte und über deren Kenntnis in der Spätantike jeder freie Bürger verfügen sollte. Allerdings entfloh er noch vor Abschluß des Studiums der lockeren Umgebung seiner Studiengenossen. In Affile (Enfide) schloß er sich für einige Zeit einer Asketengemeinschaft an. Von dort begab er sich in eine Höhle des Aniotales bei Subiaco und führte 3 Jahre lang in völliger Einsamkeit ein Leben der Buße und des Gebetes. Zum Vorsteher einer geistig heruntergekommenen Eremitengemeinschaft erwählt, kehrte er nach einem vereitelten Vergiftungsversuch der Mönche (weil er sie im Geiste des Evangeliums reformieren wollte) bald nach Subiaco zurück. 

Dort sammelte er Mönche um sich, die in 12 kleinen Klöstern unter seiner Leitung lebten. Durch Intrigen von dort vertrieben siedelte er mit wenigen Getreuen um 529 nach Montecassino über, wo er seine Klosterregel niederschrieb. Hier zogen seine geistlich-väterliche Persönlichkeit, die Weisheit seiner Lehre und die Heiligkeit seines Lebens viele Jünger an, besonders auch aus Rom: das Kloster wurde zu einer Hochburg des abendländischen Mönchtums und zur Wiege des Benediktinerordens. 

Der hl. Benedikt lebte in einer Zeit des Umbruchs und des Niedergangs aller Werte. Das Römische Reich war in Auflösung begriffen. Vom Goten Theoderich beherrscht, stellte es nur ein Zerrbild seiner früheren Herrlichkeit dar. Die Völkerwanderung hatte viel Unruhe in das politische und gesellschaftliche Leben seiner Zeitgenossen hineingebracht. In dieser Umbruchszeit wollte er mit seiner Ordensgründung einen Gegenpol zum Treiben der christusfernen Welt darstellen: er wollte ganz einfach die Werte des Evangeliums im gemeinsamen Leben einer klösterlichen Familie (vor)leben! Und von diesem Ziel ließ er sich auch nicht durch das zweifache Scheitern seiner Bemühungen abbringen. 

Die erste Botschaft, die Benedikt seinen Zeitgenossen vermitteln wollte, ist, daß Gott der Mittel- und einzige Orientierungspunkt der Religion ist! Wer das Benediktinertum etwas kennt, der weiß, daß es dem liturgischen Leben der Kirche große Aufmerksamkeit schenkt. Durch eigene bittere Erfahrung während des dreijährigen Einsiedlerdaseins belehrt, hat Benedikt die Pflege des gemeinsamen Gebetes und der Liturgie bewußt auf seine Fahnen geschrieben. Gott zu loben, Ihm zu dienen sollte die Hauptaufgabe seiner geistigen Söhne und Töchter sein. 

“Wer so bei Tag und Nacht keine Sekunde von dem Gedanken läßt, daß er in der nächsten Nähe Gottes atmet, für den gibt es kein lockeres Sichgehenlassen, keine Formlosigkeit des Denkens, Redens und Handelns. Die in sich ruhende ewige Harmonie des Göttlichen teilt sich ihm mit, und alles Geschöpfliche schrumpft zur Bedeutungslosigkeit zusammen. So verstehen wir auch, daß Benedikt nicht vor dem Besieger Roms, dem Gotenkönig Totila, erschrickt, sondern, daß umgekehrt dieser sich bewundernd vor der geistigen Überlegenheit St. Benedikts beugt.”21

Neben der geistigen Bemühung liegt ein weiterer Schwerpunkt der Tätigkeit des Ordens in der körperlichen Arbeit seiner Mitglieder. Wieviel Ödland wurde durch ihrer Hände Arbeit urbar gemacht? Wieviele Gegenden wurden durch den Fleiß ihrer Hände kultiviert? Mit dem Licht des Evangeliums haben die Mönche den Menschen nach Möglichkeit auch das tägliche Brot zu vermitteln versucht. 

Auch viele kirchliche Bauwerke zeugen heute noch von der schöpferischen Kraft der Mönche, die sie zur Ehre Gottes und zum Nutzen der Menschen einsetzten. Der hl. Benedikt erkannte nämlich, daß Müßiggang und sinnlose Langeweile sich nur zum Schaden des Menschen auswirken. So haben er und seine Mönche stets mit ihren eigenen Händen zugepackt und dem ihrer Obhut anvertrauten Volk u. a. auch durch ihr eigenes Beispiel über den Wert der christlichen Nächstenliebe und die Gottwohlgefälligkeit der Arbeit gepredigt. “Heiligung der Arbeit und Heiligung durch die Arbeit, das war die soziale Botschaft Montecassinos an eine Zeit, die nur das Schwert des Kriegers schätzte. Nur aus solch schweigender, hingebender Arbeit konnte über den Ruinen der Antike das neue Europa emporwachsen.”22 

Die Benediktusregel enthält noch einige andere Gedanken, die charakteristisch für diesen Orden sind. Da Benedikt aus eigener Erfahrung die geistige Not eines Mönchs ohne Disziplin, feste Normen und Bindungen lernen mußte, spielt der (vernünftige) Gehorsam dem Abt als dem geistigen Vater gegenüber eine große Rolle in seiner Gemeinschaft. Das traurige Phänomen der herumirrenden Mönche ohne feste Bleibe, was meistens als ein Zeichen der geistigen Orientierungslosigkeit gewertet werden konnte, veranlaßten ihn, die stabilitas loci, das lebenslange Verbleiben im Eintrittskloster, in seiner Regel zu verankern. 

Die Botschaft des hl. Benedikt läßt sich in den knappen Worten zusammenfassen: ora et labora, bete und arbeite! Und mit diesen einfachen Mitteln hat er das christliche Abendland geprägt. Seine aufrichtige Bemühung, das Evangelium Jesu Christi zu leben, wirkte sich bei den jungen germanischen und romanischen Völkern - wohl ohne von Benedikt ursprünglich beabsichtigt oder vorausgesehen worden zu sein - in gewissem Maß auch kulturschöpferisch aus. Und in dieser täglichen Öffnung auf Gott hin, in der Einfachheit seiner Lebensführung liegt das ganze Geheimnis des hl. Benedikt, der nicht zu Unrecht als ein Vaters des Abendlandes bezeichnet werden kann! In diesem Zusammenhang ist es auch bezeichnend, daß er nach einem Leben religiösen und kulturellen Aufbaus am 21.März 543 vor dem Altar stehend stirbt. 

In der Gegenwart bekommen wir alle viel von “Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit” zu hören, es wird viel vom “vereinten Europa” gesprochen und an der “neuen Weltordnung” herumgebastelt. Daß diese Bemühungen nicht vom christlichen Geist ihren Antrieb erhalten, ist nicht unbedingt schwer zu erkennen. Kein Europäisches Parlament, keine UNO, auch nicht die vielfachen und umfangreichen politischen Maßnahmen werden helfen, die Probleme dieser Welt an ihrer Wurzel zu lösen, wenn die Menschen nicht auf die Lehren und die Werte des Evangeliums hingewiesen werden! 

Der hl. Benedikt hat aber nicht nur vom Evangelium gesprochen, nein, er hat sich v. a. bemüht, es unter den gegebenen Umständen seiner Zeit auch gewissenhaft zu leben! Nur so konnte es ihm und seinen Ordenssöhnen gelingen, die Völker von der positiven Kraft des christlichen Glaubens zu überzeugen, was mit Worten allein sicher nicht gelungen wäre. 

Diese grundsätzliche Haltung hat auch unserer Zeit viel zu sagen. Wenn die Welt von Haß, Feindschaft und Zwietracht erfüllt ist, dann sollten wir umso mehr auf den Frieden und die gegenseitige Verständigung - sofern an uns liegt - bedacht sein. Wenn die Menschen in ihrer Herrschsucht und Machtbesessenheit äußerst rücksichtslos miteinander umgehen und oft auch vom gröbsten Mißbrauch des anderen nicht zurückschrecken, dann sollten wir uns nicht nur bewußt davon distanzieren, sondern uns in Entsprechung zur Gesinnung Christi im besonderen Maß nur von der Liebe leiten lassen. Wenn Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit bei den heutigen Menschen kleingeschrieben und die Lüge oft nicht mehr als ein bloßes Kavaliersdelikt zu sein scheint, dann sollten wir umso entschiedener in unserem Denken und Handeln den größten Wert auf die Wahrhaftigkeit und Redlichkeit legen! Und so werden wir uns als Jünger Jesu Christi erweisen können. 

Nur auf diese Weise werden wir die geistigen Krankheiten der heutigen Zeit zu überwinden und zu heilen vermögen. Der Gottlosigkeit der heutigen Zeit müssen wir die in uns ständig zunehmende Gottesliebe und die bewußt positiv praktizierte Religionsausübung entgegensetzen, dem traurigen Sittenverfall und dem ausschweifenden Lebensstil der Zeitgenossen mit Selbstdisziplin und moralischer Zucht begegnen. Nur die lebensmäßige Realisierung christlicher Werte durch die Jünger Christi kann der sich im moralischen Morast befindenden Menschheit ein Zeugnis von der Heiligkeit und Herrlichkeit Gottes ablegen! 

Die ganze innere Kraft des hl. Benedikt, die sich auch nach außen äußerst positiv auswirkte, lag in seiner Liebe zu Gott und in der gewissenhaften Praktizierung des christlichen Glaubens. Wenn wir als katholische Christen, seinem Beispiel folgend, bewußt den Weg der (ernsthaften) Nachfolge Christi wählen, dann werden wir auch - wenn auch nur im bescheidenen Rahmen - dazu beitragen können, daß der Name Gottes in unserer Umgebung geheiligt und Sein himmlisches Reich unter uns Wirklichkeit werde! 

P. Eugen Rissling


21 Hümmeler, Hans, Helden und Heilige. Bonn 1933/34, S.157
22 ebd., S.156

 

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