Das heilbringende Kreuz Christi


Als vor ungefähr einem Jahr in der Fastenzeit 2004 in den deutschen Kinos der Film „Die Passion Christi“ von Mel Gibson anlief, gab es, wie wir uns ja noch gut erinnern, in den Medien und in der Öffentlichkeit viele Reaktionen und Wortmeldungen zu diesem Film, der ja die letzten 12 Stunden des irdischen Aufenthaltes Jesu Christi, also Sein bitteres Leiden, darstellt. Dabei gingen ja nicht wenige der offiziellen Amtsträger der so genannten „katholischen“ wie „evangelischen“ „Kirchen“ in Deutschland auf Distanz zu diesem Kinoprojekt, wobei einer der populärsten Einwände darin bestand, der Film sei zu brutal, zu blutig, er würde die Aufmerksamkeit der Zuschauen zu sehr und zu übertrieben auf das Leiden Christi lenken. Dagegen sei ja das Christentum eine Religion der Liebe, der Freude und der Hoffnung, stünde ja in deren Mittelpunkt das Verzeihen und die Nachsicht Gottes und eben nicht der Schmerz und das Leid.

Damit wurde nur einmal mehr der allgemeine Trend bestätigt, der sich seit einiger Zeit bei vielen der postkonziliaren Katholiken und der EKD-Protestanten feststellen lässt, dass nämlich das Christentum auf ein nicht weiter definierbares humanistisches Wischi-Waschi reduziert wird, in welchem weder klare und allgemeinverbindliche Prinzipien vorherrschen noch eine so genannte vertikale Dimension, vordergründig auf Gott bezogene Ausrichtung dominiert, und statt dessen fast alles nur dem primitiv-billigen Leitsatz unterworfen ist: Friede-Freude-Eierkuchen!

Und dass dann auf diesem Hintergrund ein solcher Film wie Mel Gibsons „Die Passion Christi“ störend wirkt und viel Anstoß erregt, liegt praktisch auf der Hand! Da ja darin das Augenmerk auf die brutale und somit unbequeme Realität des Kreuzes Christi, des göttlichen Erlösers, gelenkt wird, und der Zuschauer somit zur einer eindeutigen Entscheidung entweder für oder gegen diesen leidenden und sühnenden Christus aufgefordert wird, provoziert er die Gemüter so mancher der modernen nominellen Christen, die „die gesunde Lehre unerträglich finden, ... der Wahrheit das Ohr verschließen und sich an Fabeln ergötzen“ (vgl. 2 Tim 4,3f), und ruft dementsprechend deren Ablehnung hervor.

So lässt sich seitens der modernistischen Theologen gelegentlich die These vernehmen, das Kreuz würde nicht wesentlich zur Sendung Christi gehören, Jesus sei eher zufällig in die geschichtlichen Ereignisse verwickelt worden und somit ins Visier der damaligen jüdischen wie römischen Obrigkeit geraten. An sich habe Er selbst eigentlich nichts anderes gewollt als nur Seinen Zeitgenossen die privaten Auffassungen über Gott zu predigen und die eigenen Ansichten über so manche Dinge des täglichen zwischenmenschlichen Zusammenlebens mitzuteilen. Daher seien Er und Seine Mission keinesfalls vom Kreuz her zu definieren, von Seinem Leiden her zu verstehen - Sein Leiden und Sterben seien von Ihm ursprünglich überhaupt nicht intendiert worden, sie hätten sich erst nachträglich mehr oder weniger zufällig ergeben!

Auf diese Weise wird dann Jesus Christus und die christliche Religion innerlich-inhaltlich vom Kreuz „abgekoppelt“. Es entsteht ein „Christentum“, in welchem es lediglich um ein bisschen Humanismus gehe, in welchem Jesus Christus nur ein Lebensphilosoph und Religionsgründer unter vielen sei, in welchem Er sich, mal von einigen lokal- und zeitbedingten und somit relativ unbedeutenden Unterschieden abgesehen, praktisch durch nichts wesentlich von den anderen Religionen und Lebensphilosophien unterscheide, in welchem diesem „Christentum“ keine besondere und herausragende Stellung in der Welt- und Menschheitsgeschichte gebühre!

Nun, wenn wir aber auf die Evangelien blicken, in welchen von den Evangelisten unter anderem die historischen Worte Christi selbst schriftlich festgehalten wurden, ergibt sich ein ganz anderes Bild, eine deutlich abweichende Sicht der Dinge! Denn noch vor der Geburt Christi sprach „ein Engel des Herrn“ zu Josef, dass Jesus „Sein Volk erlösen wird von seinen Sünden“ (Mt 1,21). Bei der Beschneidung und Darstellung Jesu im Tempel zu Jerusalem hören wir aus dem Mund des gottesfürchtigen Simeon die folgenden Worte, die er im Hinblick auf den Knaben Jesus an die Adresse Seiner Mutter Maria richtete: „Siehe, dieser ist bestimmt zum Fall und zur Auferstehung vieler in Israel und zum Zeichen des Widerspruchs. - Auch deine Seele wird ein Schwert durchdringen“ (Lk 2,34).

Bezeichnenderweise gehörte neben Gold und Weihrauch, welche ja von der kirchlichen Tradition auf die Königswürde und die Gottheit Christi gedeutet werden, auch Myrrhe zu den Geschenken der drei Weisen aus dem Morgenland, als sie den weiten und beschwerlichen Weg kamen, um dem göttlichen Kind in der Krippe zu Bethlehem zu huldigen. Und diese Gabe der Myrrhe stellt eine klare Anspielung auf das spätere Leiden Jesu Christi dar! Somit lassen sich die ersten Hinweise und Andeutungen auf Sein späteres Kreuz bereits in Seiner allerfrühesten Kindheit finden.

Später, während Seines öffentlichen Auftretens, hat Jesus selbst unmissverständlich von Seinem bevorstehenden Kreuzweg gesprochen. Bekannt sind Seine drei Leidensvoraussagen: „Von da an begann Jesus Christus Seinen Jüngern klarzumachen, Er müsse nach Jerusalem gehen, vieles erleiden von seiten der Ältesten, Hohepriester und Schriftgelehrten, getötet werden und am dritten Tag auferstehen“ (Mt 16,21f); „Während sie in Galiläa umherzogen, sagte Jesus zu ihnen: ´Der Menschensohn wird in die Hände der Menschen überliefert werden. Sie werden Ihn töten; aber am dritten Tag wird Er auferstehen´“ (Mt 17,22f); „Jesus zog hinauf nach Jerusalem. Da nahm Er die zwölf Jünger beiseite und sagte unterwegs zu ihnen: ´Seht, wir ziehen hinauf nach Jerusalem. Da wird der Menschensohn den Hohenpriestern und Schriftgelehrten übergeben werden. Die werden Ihn zum Tode verurteilen und Ihn den Heiden ausliefern, auf dass Er verspottet, gegeißelt und gekreuzigt werde. Doch am dritten Tag wird Er auferweckt“ (Mt 20,17-19)!

Und als Ihn die Mutter der beiden „Söhne des Zebedäus“ bat, diese möchten in Seinem „Reich“ an Seiner Seite „sitzen“, fragte Er sie, ob denn ihre Söhne in der Lage seien, „den Kelch (zu) trinken, den Ich trinken werde“ (vgl. Mt 20,21f). Und beachtet man, dass unter diesem „Kelch“ der sprichwörtliche Leidenskelch zu verstehen ist, wird es glasklar, dass Jesus von Anfang an wusste, dass das Kreuz und Leiden, also Sein gewaltsamer Tod, ein wesentlicher, ja zentraler Bestandteil Seiner gesamten Sendung als Erlöser des armseligen Menschengeschlechtes ist! Daher ist es ein pures Märchen (apostasierender?) Theologen, Jesus sei, sinngemäß, ziemlich naiv gewesen und lediglich zufällig unter das Rad der Geschichte gekommen.

Dagegen sprechen auch die Ausführungen Jesu im Gleichnis von den bösen Winzern, in welchem die den Weinberg eines Hausherrn pachtenden Winzer den Ertrag der Weinlese nicht diesem Hausherrn übergeben wollten und statt dessen alle dessen zu ihnen gesandten Knechte „ergriffen“, „schlugen“, „töteten“ und „steinigten“. Und als zu ihnen zuletzt der Sohn gesandt wurde, meinten sie: „Auf, lasst uns ihn töten und sein Erbgut in Besitz nehmen! Sie ergriffen ihn also, warfen ihn aus dem Weinberg hinaus und töteten ihn“ (vgl. Mt 21,33-39). Und da es eindeutig ist, dass Jesus mit diesem Gleichnis niemand anderen als auf der einen Seite (neben den Propheten des Alten Bundes) letztendlich und hauptsächlich sich selbst sowie auf der anderen Seite die jüdischen Hohenpriester, Schriftgelehrten und Pharisäer meinte (so verstanden es ja übrigens auch diese erklärten Gegner Jesu - vgl. Mt 21,45f!), wird es ersichtlich, dass Jesus ganz genau (!) wusste, welches bittere Los Ihn am Ende in Jerusalem erwarten wird.

Und auch Seine Salbung mit kostbarem Salböl durch eine Frau im Hause Simons des Aussätzigen interpretierte Jesus unmissverständlich im Hinblick auf Sein „Begräbnis“ (vgl. Mt 26,6-12)! Nicht zu vergessen ist bei dieser Auflistung, dass auch jene Stiftung Christi, das heilige Messopfer, welches Er Seinen Aposteln zur liturgischen Nachfeier auftrug, in ihrem Kern die sakramentale Gegenwärtigsetzung Seines Leidens und Sterbens beinhaltet! Ist ja da ausdrücklich die Rede von Seinem „Blut des Neuen Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden“ (Mt 26,27f) - ein „Blut-Vergießen“ kann nur durch einen gewaltsamen Tod hervorgerufen werden!

Also kann man aufgrund dieser eindeutigen geschichtlichen Zeugnisse der Evangelien zusammenfassend feststellen, dass Jesus von Anfang an wusste, auf welches Ereignis in Jerusalem hin Seine Mission als Heiland und Messias zusteuert, worin Seine ganze Erlösertätigkeit sowohl enden als auch kulminieren wird! Bringt Er ja Sein Blutvergießen und somit Sein gesamtes Leiden und Sterben am Kreuz ausdrücklich mit Seiner Sendung als Erlöser des Menschengeschlechtes in (unzertrennliche!) Verbindung: „Blut ..., das ... vergossen wird zur Vergebung der Sünden“! Und schon Johannes der Täufer, der Vorläufer Christi, bezeichnete Ihn in Anspielung auf die alttestamentlichen Tieropfer als „das Lamm Gottes, das (nun endlich wirklich - Anm.) hinweg nimmt die Sünde der Welt“ (Joh 1,29)!

Also konnte es nach dem unergründlichen Ratschluss Gottes nicht anders sein, als dass Jesus Sein furchtbares Kreuz zur Sühne und Wiedergutmachung der von uns, Menschen, begangenen Sünden erleidet und „die Schuldschrift, die uns mit ihrer Anklage belastete, ausgelöscht und vernichtet, da Er sie ans Kreuz heftete“ (Kol 2,14). Und damit die allerletzten diesbezüglichen Zweifel verschwinden, seien hier die Worte angeführt, die Jesus Christus an die beiden Jünger von Emmaus richtete: „O ihr Unverständigen! Ihr seid so schwerfälligen Geistes, um auf all das hin zu glauben, was die Propheten verkündet haben (vgl. hier vor allem Is 53! - Anm.)! Musste denn der Messias nicht dies leiden und so in Seine Herrlichkeit eingehen?“ (Lk 24,25f)!

Denn die Erlösung wurde nicht durch irgendein Wort oder irgendeine Geste Christi bewirkt, sondern indem Er als der wahre Sohn Gottes freiwillig unsere menschliche Schuld auf Sich geladen und an unserer Statt „ausgelitten“ hatte! Somit stellt gerade das Leiden und Sterben Jesu den Höhepunkt Seines Wirkens auf Erden dar, ohne welche Seine Sendung unvollständig und letztendlich ungenügend bliebe! Die bewusste „Abkoppelung“ Jesu von Seinem Kreuz bzw. die absichtliche „Diskriminierung“ Seines Opferns würde die unzulässige Verkürzung sowohl Seiner Person und Sendung als auch des gesamten christlich-katholischen Glaubens bedeuten.

So führt auch der hl. Paulus aus: „Freilich gilt die Predigt vom Kreuz denen, die verlorengehen, als Torheit, uns aber, die gerettet werden, als Gottes Kraft. [...] Die Juden fordern Wunderzeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir aber predigen Christus, den Gekreuzigten: für die Juden ein Ärgernis, für die Heiden eine Torheit; für die aber, die berufen sind, ob Juden oder Heiden, Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit“ (1 Kor 1,18.22-24)!

(Fortsetzung folgt)

P. Eugen Rissling

 

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