Gedanken zum Fall Papst Liberius

Papst Liberius trat sein Amt 352 an. Damit wurde er mitten hineingeworfen in die Wirren des Glaubenskampfes gegen den Arianismus. Seine standhafte Verteidigung der katholischen Lehre hatte zur Folge, dass er 355 vom byzantinischen Kaiser ins Exil geschickt wurde. 358 durfte er wieder nach Rom zurückkehren, nachdem er eine Glaubensformel unterschrieben hatte, die das homousios nicht mehr enthielt, das Wort, um das sich der arianische Streit drehte und an dem der orthodoxe – d.h. der rechtgläubige –  Teil der Kirche bisher so eisern festgehalten hatte. Diese Unterschrift ermöglichte ihm zwar, aus dem Exil zurückzukehren, sie gab aber der Nachwelt bis heute Anlass zu der Frage, ob er nicht mit ihr den katholischen Glauben aufgegeben habe. Aktualität bekommt diese Problematik heute oft in Diskussionen um die Papstfrage. Bekanntlich werfen wir als glaubenstreue Katholiken den Päpsten seit Johannes XXIII. Häresie vor und ziehen daraus und aus der Tatsache, dass kein Häretiker Papst sein kann, den Schluss, dass auch die Päpste seit Johannes XXIII. keine Päpste sind, dass also der Stuhl Petri leer (vakant) ist – weswegen uns auch der Name „Sedisvakantisten“ beigelegt wird. Dagegen wird von modern katholischer Seite gelegentlich eingewendet, dass es schon zu früherer Zeit häretische Päpste gegeben habe, die aber trotzdem in der katholischen Kirche weiterhin als Päpste anerkannt worden seien. Als Beispiel wird dann das des Papstes Liberius angeführt. Der folgende Artikel kann keine entgültige Antwort auf die Problematik geben, ob Liberius in Häresie gefallen ist oder nicht. Er will lediglich Fakten und Gedanken erwähnen, die helfen können, eine Antwort zu finden.
Wie schon erwähnt befand sich die damalige katholische Welt im Glaubenskampf gegen den Arianismus. „Arius (260-336) kam aus einer Schule, die in Jesus nicht Gott, sondern ein mit göttlichen Kräften ausgestattetes Geschöpf sah. Und eben dies lehrt Arius; nur hob er Jesus so nahe als möglich an Gott heran. Christus ist ihm das erste Geschöpf Gottes aus dem Nichts. Aber so sehr hat er sich dem Willen Gottes innerlich angeglichen, dass er von Gott als Sohn angenommen wurde“ (Lortz, S. 70). Für Arius war Jesus also Gott nicht wesensgleich, sondern nur wesensähnlich. Unter Führung des hl. Athanasius erhob sich der katholische Klerus gegen diese Irrlehre und verkündete die wahre Gottheit Christi. Um die Einheit im Reich zu bewahren, berief Konstantin d. Gr. im Jahre 325 ein allgemeines Konzil nach Nizäa. Dort wurde feierlich die Gottheit Christi definiert: „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht erschaffen, gleicher Wesenheit (griechisch: „homousios“) mit dem Vater“. Das homousios, das die Wesensgleichheit von Gott Vater und Gott Sohn bezeichnet, wurde somit zum zentralen Streitpunkt zwischen Katholiken und Arianern.
Leider bedeutete das Konzil nicht das Ende des Streites. Im Gegenteil – als Konstantin 337 gestorben war und Konstantius II. (337-361) die Herrschaft antrat, wurde der Arianismus, der bisher hauptsächlich im Orient vertreten war, auch für das Abendland zur Gefahr, da der Kaiser selber dieser Irrlehre anhing und versuchte, sie auf das gesamte Reich auszudehnen.
Von neuem hatte Athanasius mit heftigen Angriffen seiner Gegner zu kämpfen. Davon erhielt sowohl der Kaiser als auch Papst Liberius Nachricht. Dieser sah daher die Einberufung einer Synode am Platz und erhielt dazu auch vom Kaiser die erbetene Zusage. Nach erneuter Erinnerung an sein Versprechen, rief der Kaiser eine Synode nach Arles zusammen (353). Dort wurde den Bischöfen ein schon im Voraus verfasstes Dekret gegen Athanasius vorgelegt. Nach anfänglicher Verweigerung leisteten die päpstlichen Gesandten und die anderen rechtgläubigen Bischöfe, durch Drohungen des Kaisers veranlasst, die Unterschrift. Der einzig Standhafte, Paulinus v. Trier, wurde verbannt.
Liberius reagierte mit einem Schreiben an den Kaiser, in dem er ihm klar die Gründe darlegte, warum er nicht mit den Arianern in Gemeinschaft treten und Athanasius nicht verurteilen könne. Er kritisiert das Vorgehen der arianischen Partei in Arles und bittet um die Abhaltung einer neuen Synode. Da auch die Arianer sich von einer solchen Synode Erfolg versprachen, nämlich die Verbreitung der Irrlehre im bisher ungebrochenen Abendland, ging Konstantius auf diesen Wunsch ein und berief  für das Jahr 355 eine Synode nach Mailand, an der 300 abendländische Bischöfe teilnahmen. Doch auch auf dieser Synode erreichte der Kaiser, dass der größte Teil der anwesenden Bischöfe sich der Gemeinschaft der Arianer anschloss und Athanasius verurteilte. Wer sich weigerte, wurde mit dem Exil bestraft. Unter diesen Exilierten waren auch die päpstlichen Gesandten. Der Papst versuchte, sie durch ein Schreiben in ihrer Not zu trösten.
Nun versuchten die Arianer, auch den Papst selber für sich zu gewinnen, denn mit ihm auf ihrer Seite würden sie bald überall zur Herrschaft gelangen. Konstantius schickte daher einen Gesandten an den Papst, um ihn durch Versprechungen und Drohungen dahin zu bringen, mit Athanasius zu brechen und Gemeinschaft mit den Arianern aufzunehmen. Liberius blieb Athanasius und dem wahren Glauben treu. Daher wurde er bei Nacht gefangen genommen und zum Kaiser nach Mailand geführt. Dort verteidigte er seinen Standpunkt, was zur Folge hatte, dass er gegen Ende 355 nach Beröa in Thracien ins Exil geschickt wurde. Drei Jahre später kehrte er zurück, nachdem er ein Glaubensbekenntnis unterschrieben hatte, das das homousios, an dem sich die Arianer so stießen, nicht mehr enthielt. Gerade um diese Unterschrift dreht sich die Debatte um Liberius. Bedeutete diese Unterschrift Häresie?
Zuerst noch eine kurze Vorbemerkung: das arianische Lager hatte sich in der Zwischenzeit in zwei Hauptlager gespalten, die strengen Arianer und die Semiarianer (Halbarianer). Letztere wichen hauptsächlich in der Verwendung der Begriffe von den Rechtgläubigen ab, weniger in der Lehre. Viele von ihnen hielten das homousios nur deshalb für verwerflich, weil sich in der Vergangenheit unter seinem Deckmantel antitrinitarische Irrlehren versteckt hatten – Irrlehren, die leugneten, dass in Gott drei Personen seien. Die Theologen hatten noch nicht so klar den Unterschied zwischen Wesen (griechisch: usia) und Person herausgearbeitet. Wenn man nun Wesen mit Person gleichsetze, ließ die Formel homo-usios (“desselben Wesens”) die Interpretation zu, der Sohn sei eigentlich dieselbe Person wie der Vater. So hatte Paulus von Samosata gelehrt, der Vater habe in dem Menschen Jesus wie in einem Tempel gewohnt. Sabellius hatte gesagt, es gebe in Gott nur eine Person. Diese trete in der Schöpfung als Vater, in der Erlösung als Sohn, im Werk der Heiligung als Heiliger Geist auf. So kam es, dass einige Bischöfe das homousios mit der Begründung verwarfen, man könne es als Leugnung der Dreifaltigkeit auffassen.
Verschiedene Zeugnisse sprechen zu Ungunsten des Liberius. Der hl. Athanasius schreibt: “Liberius wurde verbannt, hernach nach zwei Jahren wurde er schwach und unterschrieb aus Furcht vor dem Tod, den man ihm androhte” (historia Arianorum ad monachos). An anderer Stelle meint er: “wenn er (Liberius – Anm.) auch die Mühsale des Exils nicht bis zu Ende ertrug, so blieb er doch zwei Jahre in der Verbannung” (apologia contra Arianos). Der hl. Hilarius v. Poitiers sagt, er wisse nicht, ob der Kaiser den Liberius mit größerem Frevel exiliert oder wieder nach Rom zurückgeschickt habe. Das legt zumindest den Verdacht nahe, dass bei Liberius' Rückkehr etwas falsch gelaufen ist. Der spätantike Kirchenhistoriker Sozomenus berichtet, während seines Aufenthaltes in Sirmium habe der Kaiser den Liberius von Beröa her zu sich berufen, um ihn zu bewegen, dass er vom homousios ablasse. Zu diesem Ende habe Konstantius die vom Orient eingetroffenen Abgeordneten mit den ohnehin anwesenden Bischöfen vereinigt. Sie stellten nun all das, was gegen Paul von Samosata und gegen Photinus von Sirmium beschlossen worden war, samt dem Symbolum der antiochenischen Synode vom Jahre 341 in einem Buch zusammen, versicherten den Liberius, dass das homousios nur der Deckmantel für häretische Ansichten sei (wie dies in der Tat bei Photinus der Fall war), und brachten ihn so endlich dahin, dass er dieser Schrift – zusammen mit vier afrikanischen Bischöfen – beistimmte. Allerdings fügte Liberius seiner Unterschrift folgenden Zusatz bei: “wer nicht zugebe, dass der Sohn dem Wesen nach und in allem dem Vater ähnlich sei, solle aus der Kirche ausgeschlossen sein”.
Daraus ergibt sich folgendes Bild: Liberius wurde zu einer Synode nach Sirmium berufen. In Sirmium fanden zu dieser Zeit zwar drei Synoden statt, aus dem Zeugnis des Sozomenos ergibt sich aber, dass es sich hier um die dritte Synode gehandelt haben muss. Auf dieser siegte die semiarianische Partei über die streng arianische und das streng arianische Glaubensbekenntnis der vorhergehenden zweiten Synode von Sirmium wurde verworfen. Es wurde kein neues Glaubensbekenntnis aufgestellt, sondern es wurden nur die älteren semiarianischen Glaubensbekenntnisse erneuert und unterschrieben, auch von Liberius. Dieser gab damit zwar das homousios auf, aber nicht weil er vom rechten Glauben abgefallen wäre, sondern weil ihm glauben gemacht wurde, das homousios habe Sabellianus und Photinus als Deckmantel für ihre Irrlehre gedient. Sehr energisch fügte er daher seiner Unterschrift die Erklärung bei, dass der Sohn in allem, auch im Wesen, dem Vater ähnlich sei. Wenn er auch hier lediglich von „ähnlich“ sprach (anstatt „gleich“), so wollte er damit doch offensichtlich über den Inhalt des ihm vorgelegten Glaubensbekenntnises hinausgehen. Das „wesensgleich“ konnte er aber aus mindestens zwei Gründen nicht in seier Erklärung anbringen. Erstens hätte er damit genau den Ausdruck verwendet, der angeblich zuvor als Deckmantel der Häresie verwendet worden war. Zweitens wäre damit jegliche Hoffnung geschwunden, mit Hilfe einer Formulierung, die zwar nicht eindeutig war, aber auch katholisch interpretiert werden konnte, eine Einigung herzustellen – wenigstens zwischen den Rechtgläubigen und denen, die sich lediglich am Begriff homousios stießen – ohne die dahinterstehende katholische Lehre zu leugnen.
Der hl. Hieronymus spricht an einer Stelle von einer Häresie, die Liberius unterschrieben haben soll. Das darf uns nicht wundern. Wenn auch die Formel der dritten Synode von Sirmium nichts explizit Häretisches enthielt, so sollte sie doch dem Semiarianismus dienen, und war in einer Absicht verfasst worden, die gegen das Nizänum gerichtet war. Die Worte des hl. Hieronymus nötigen uns deshalb keineswegs, den Liberius eines härteren Vergehens, etwa der Zustimmung zur zweiten sirmischen Formel, die häretisch war, zu bezichtigen.
Zu Ungunsten des Liberius sprechen weiterhin drei Briefe, die angeblich von ihm selbst verfasst worden sind. Im ersten bricht Liberius mit Athanasius und nimmt Gemeinschaft mit den Arianern auf. Im zweiten behauptet er, er habe Athanasius verurteilt. Athanasius sei aber auch von der ganzen römischen Kirche verurteilt, wie der gesamte Priesterstand daselbst beweisen könne. Im dritten sagt er, er habe den Streit über Athanasius aufgegeben.
Die Echtheit dieser Briefe muss aber aus folgenden Gründen stark angezweifelt werden. Sie weisen in Sprache, Stil und Ausdrucksweise auffallende Ähnlichkeit mit einem anderen Brief auf, der auch Liberius zugeschrieben wird, aber eindeutig unecht ist. Die Sprache der Briefe ist unbeholfen und in schlechtem Latein, sodass sie kaum von jemand geschrieben sein können, dessen Muttersprache die lateinische war. Auch in den historischen Fakten stimmen die Briefe nicht mit dem überein, was wir aus anderen Quellen über Liberius wissen. Dazu kommt, dass schon Sozomenus sagt, dass auf Kosten Liberius' Lügen in Umlauf gesetzt worden seien, namentlich in der Richtung, dass er die streng arianische Lehre gebilligt habe.
Zusammenfassend kann man also sagen, “dass Liberius, der Gewalt weichend und durch mehrjährige Haft und Verbannung gebeugt, die sogenannte dritte sirmischen Formel, d.h. die auf der dritten sirmischen Synode im J. 358 akzeptierte Sammlung älterer Glaubensformulare unterzeichnet habe. Er tat dies nicht ohne Bedenken, denn der semiarianische Charakter und Ursprung dieser Formulare war ihm nicht unbekannt; da sie jedoch keine direkte und ausdrückliche Verwerfung des orthodoxen (rechtgläubigen – Anm.) Glaubens enthielten, und da ihm andererseits vorgestellt worden war, das nizänische homousios bilde den Deckmantel für Sabellianismus und Photinismus, so ließ er sich bereden, das dritte sirmische Symbolum anzunehmen. Damit hat er aber nur das nizänische Wort, nicht den orthodoxen Glauben aufgegeben, wie nicht nur sein ganzes früheres, sondern auch sein späteres Auftreten gegen die Irrlehre sowie der angeführte Zusatz beweist, den er bei seiner Unterschrift der sirmischen Formel beifügte, und dadurch diese selbst im orthodoxen Sinne auslegte” (Hefele, S. 696).
Liberius kehrte also nach Rom zurück. Den Römern scheint zumindest zu diesem Zeitpunkt von einer Glaubensverleugnung durch Liberius nichts bekannt gewesen zu sein, denn sie empfingen ihn mit Freuden und vertrieben den Felix, den Constantius an Stelle des Liberius als Papst eingesetzt hatte.
Trotz der Unterschrift des Papstes dauerte aber der arianische Streit weiter an und daher berief der Kaiser, der in einer semiarianischen Formel Arianer wie Katholiken vereinigen wollte, eine Synode nach Seleucia-Rimini. Auch hier brachte der Kaiser durch Zwang viele dazu, den rechten Glauben zu verleugnen. Papst Liberius, der auf dieser Synode nicht einmal durch Abgesandte vertreten war, erklärte sie für ungültig.
Da viele nur durch Zwang zum Glaubensabfall gebracht worden waren, bemühte sich Liberius um deren Versöhnung und stellte die Bedingungen für diese auf. Er verbot, dass die bekehrten Arianer wieder getauft würden.
366 verstarb Liberius. Noch nach seinem Tod erfreute er sich großer Beliebtheit. So nennt ihn der hl. Ambrosius nicht bloß beatus (selig), sondern bekundet ausdrücklich die allgemeine Hochschätzung seiner Heiligkeit. Auch der Orient pries und verehrte den Papst. Epiphanius und Basilius nennen ihn den seligsten und den heiligsten; die orientalische Kirche zollte ihm liturgischen Kultus, Griechen und Slaven rechneten ihn zu den Bekennern. Sein Andenken war gut und zwar nicht nur wegen seiner persönlichen Tugenden. Noch im 4. und 5. Jahrhundert wird er ausdrücklich als Vorkämpfer des Konzils von Nizäa gefeiert. Theodoret bezeichnet Liberius als „wunderbaren Athleten des nizänischen Glaubens“.
Nach dem Tod des Constantius (361) wandte sich das Blatt zu Gunsten des Katholizismus; nicht weil Constantius' Nachfolger Julian (361-363) diesen begünstigt hätte, sondern weil er zum heidnischen Götterkult zurückkehren wollte und damit rechnete, dass Arianismus und Katholizismus sich gegenseitig zerstören würden, wenn man ihnen nur freie Hand ließe. Der Untergang des Arianismus war besiegelt, als Theodosius den Thron bestieg. Er verbot den Arianern die Kirchen Konstantinopels und berief das zweite allgemeine Konzil nach Konstantinopel (381), das das Glaubensbekenntnis von Nizäa feierlich bestätigte.
Die Päpste seit Johannes XXIII. beweisen durch ihr Verhalten eindeutig, dass sie die modernen Irrtümer des Indifferentismus und des Ökumenismus und die Abschaffung der wahren apostolischen Messe zu Gunsten des Novus Ordo Missae, der in seinem Wesen einem protestantischen Mahl gleichkommt, gutheißen. Diese Irrtümer sind z.B. von Pius IX. in seinem Verzeichnis der Irrtümer (Syllabus Errorum - 1864) eindeutig verurteilt worden.
Dagegen zwingen uns, wie wir gesehen haben, die historischen Zeugnisse nicht zu der Annahme, Liberius sei in Häresie gefallen. Vielmehr besteht zumindest die Möglichkeit, dass er, wie oben dargelegt, durchaus seinen katholischen Glauben bewahrt hat. Somit lässt sich aus dem Fall Liberius das Argument, ein Papst könne Häresie vertreten und weiterhin gültiger Papst sein, nicht ableiten.

P. Johannes Heyne

Literatur:
Joseph Lortz, Geschichte der Kirche, Aschendorffsche Verlagsbuchhandlung, 1950
Wetzer und Welte's Kirchenlexikon, 7. Band, Herder, 1891, Liberius 1945-1959
Hefele, Conciliengeschichte, 1. Band, Herder, 1873, 647-745

 

 

 

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