Grenze der Mission?


Zu unserer Kritik an den Aussagen von Kard. Lehmann zum Verzicht auf „judenmissionarische“ Aktivitäten (vgl. Beiträge 65 und 67: „Keine Umkehr und keine Taufe mehr notwendig?“) erhielten wir unter manch anderen auch Stellungnahmen vom „zuständigen Referenten im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz“ Hans Gasper sowie vom „apostolischen Nuntius in Deutschland“ Erwin Josef Ender.

Nuntius Erwin Josef Ender geht davon aus, dass die Juden „schon an den einen wahren Gott glauben“ und „dass das Verhältnis der Juden zum Christentum eben ein anderes ist als das der Heiden, die sich zuerst noch ‚vom Götzendienst‘ abwenden müssen.“

Gleichzeitig räumt er ein, dass „auch die Juden ... eingeladen“ sind, „von ihrem Ein-Gott-Glauben zum vollen Glauben an den dreifaltigen Gott Jesu Christi zu gelangen... Auch sie sollen zur ‚Fülle der Erlösung gelangen‘“. Und er schließt mit den Worten: „Für manche erscheint das Wort ‚Missionierung‘ aus der Geschichte durch einige weniger glückliche Nebenerscheinungen belastet, die heute zu Missverständnissen führen können. Sie dürfen jedoch sicher sein, dass in der Sache auch Kardinal Lehmann, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, mit Ihnen vollkommen übereinstimmt und wie Sie die Lehre der Kirche vertritt“.

Wir wären natürlich überaus glücklich, wenn sich so unsere Bedenken als unbegründet erwiesen hätten, und halten immerhin fest, dass der Nuntius einräumt, dass wir in der Äußerung unserer Bedenken die (traditionelle) Lehre der Kirche vertreten.

Jedoch, geht es - bei vorurteilsfreier Betrachtung - in den Ausführungen von Kard. Lehmann zum „Konzilsdokument“ „Nostra Aetate“ wirklich nur um eine bloße Diskussion zur Zweckmäßigkeit des Wortes „Mission“? Werden nicht vielmehr ausdrücklich die Notwendigkeit der Taufe der Juden und die „judenmissionarischen“ Aktivitäten der Kirche als solche in Frage gestellt? Es wird doch hier gesagt, die Kirche habe „über ihre lange vertretene Überzeugung selbstkritisch nachgedacht, Juden müssten, um das Heil erlangen zu können, getauft werden. Es wurde zunehmend bewusst, dass Mission als Ruf zur Umkehr vom Götzendienst zum lebendigen und wahren Gott (1 Thess 1,9) nicht auf Juden angewandt werden kann. Hierin gründet das Faktum, dass es heute keine "judenmissionarischen" Aktivitäten der katholischen Kirche mehr gibt. Zwischen der Kirche und dem jüdischen Volk geht es um die Begegnung "auf der Ebene ihrer je eigenen religiösen Identität" (Papst Johannes Paul II., 12. März 1979). Einzelne Konversionen, die auf Grund einer sehr persönlichen Entscheidung erfolgen, sind darum nicht ausgeschlossen“.

Ein Verzicht auf die Taufe und auf missionarische Aktivitäten der Kirche entsprechen jedenfalls nicht dem Auftrag Jesu Christi und der überlieferten Lehre der Kirche!

Zur Wortwahl selbst: „Mission“ heißt nichts anderes als „Sendung“. Jesus hebt ausdrücklich hervor, dass Er zunächst „zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel“ gesandt ist (Mt. 15,24), und Er sendet auch Seine Apostel zunächst „nicht ... zu den Heiden“, sondern nur „zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel“ (Mt.10,5f.).

Und als Er seine Jünger nach Seiner Auferstehung zu allen Völkern sendet, da sagt er wieder, dass in Seinem Namen „bei allen Völkern, angefangen von Jerusalem, Buße und Vergebung der Sünden gepredigt werden" soll (Lk.24,46f.).

Selbst wenn es also nur um das Wort ginge: Wieso sollte man das Wort „Mission“ oder „Sendung“ heute nur noch auf die Heidenwelt beschränken und die Sendung der Kirche zu den Juden damit verdunkeln?

Die Apostel und mit ihnen die ganze katholische Kirche betonten jedenfalls immer ausdrücklich und klar ihre Sendung zu den Juden: „Euch musste zuerst das Wort Gottes gepredigt werden. Weil ihr es jedoch abweist und euch selbst des ewigen Lebnes nicht wert erachtet, so wenden wir uns an die Heiden“ (Apg.13,46). Warum sollte diese Mission, diese Sendung zu den Juden, jetzt plötzlich unschicklich oder überflüssig geworden sein?

Kurz noch ein paar Worte zur Frage nach der Verehrung des „wahren Gottes“: Es kann natürlich trotz Unkenntnis der übernatürlichen Offenbarung Gottes immer im Menschen die Bereitschaft zur Verehrung des wahren Gottes vorhanden sein. Was Jesus der Samariterin gegenüber einräumt (Joh.4,22), gilt in analogem Sinn heute natürlich auch für alle jene, welche Jesus und damit die volle Offenbarung Gottes nicht kennen: „Ihr betet an, was ihr nicht kennt; wir beten an, was wir kennen“. Und wenn Jesus hinzufügt: „Denn das Heil kommt von den Juden“ (Joh. 4,22), so hat dieses Wort in Christus seine wahre und endgültige Erfüllung und dieses Heil in Ihm nun seine wahre Vollendung gefunden.

Dieses Heil des Vaters, das der Sohn uns im Heiligen Geist schenken will, kann aber nicht unabhängig vom Heiligen Geist und von der Wahrheit kommen! Wer sich bewusst und willentlich gegen den „Geist und die Wahrheit“ stellt, kann nicht „wahrer“ Anbeter des Vaters sein (vgl. Joh. 4,23). Auch diese Aussage des Evangeliums gilt es zu bedenken! Denn bei der wahren Gottesverehrung kommt es, wie Jesus betont, entscheidend darauf an, Gott „in Geist und Wahrheit“ anzubeten (vgl. Joh.4,23f.). Nicht jeder, der „Herr, Herr“ sagt (vgl. Mt.7,21), ist allein dadurch schon automatisch ein wahrer Anbeter des Vaters. Das gilt für jeden einzelnen Menschen, das gilt es aber auch im Hinblick auf die reche Einschätzung eines „Gottesdienstes“, der ohne oder gar gegen den Heiligen Geist und die Offenbarung in Jesus Christus vollzogen wird, zu bedenken! Wahrer Gottesdienst braucht die Liebe zur Wahrheit und zum Heiligen Geist! Insofern wir deshalb durch die Gnade Gottes mit dieser übernatürlichen und endgültigen Offenbarung Gottes in unserer Vernunft konfrontiert werden, ist von unserer Seite eine klare Stellungnahme zu Christus gefordert! Das gilt für Christen, aber auch für Juden und Heiden!

Hans Gasper, Referent im „Sekretariat der deutschen Bischofskonferenz“, suchte die Aussagen von Kard. Lehmann gleichfalls mit dem Hinweis zu begründen, dass „der Begriff Mission für die sog. ... ‚Heidenmission‘“ reserviert sei, was aber, wie wir sahen, vom Evangelium her nicht zutreffend ist.
Und auch Gasper gibt zu, dass „das Christuszeugnis ... im Dialog auch nicht verschwiegen werden darf“. Für Gasper „scheint“ allerdings „Paulus in seinem Römerbrief vor allem in den Kapiteln 9 - 11 ... im Blick auf das jüdische Volk einen Weg zu Christus anzunehmen, der nicht einfach mit dem der Christen zusammenfällt“.

Das ist merkwürdig formuliert. Müssen Juden keine Christen werden, um zum Heil zu gelangen? Worauf Gasper möglicherweise hinweisen will, ist, was der heilige Paulus sagt: „Die Verstocktheit ist über einen Teil von Israel gekommen, bis die Vollzahl der Heiden eingetreten ist. Auf diese Weise wird ganz Israel gerettet“(Röm. 11,25f.). Doch hier geht es für Paulus keineswegs um einen „Sonderweg“, bei dem sich die Juden nicht zu Christus bekehren bräuchten, sondern nur um die Feststellung ihrer vorläufigen Verblendung und um die Betonung der Hoffnung auf ihre endzeitliche Bekehrung! Paulus verzichtet nirgends auf die Betonung der Mission, der Sendung, zu den Juden. Vielmehr begibt er sich zunächst auf seinen Missionsreisen immer zuerst zu den Juden. Paulus verheimlicht nicht die Unvollkommenheit des Alten Bundes: „Wovon ihr durch das Gesetz des Moses nicht gerechtfertigt werden konntet, wird durch diesen (Jesus Christus) ein jeder gerechtfertigt, der da glaubt“ (Apg.13,38). Ja, Paulus betont ausdrücklich, dass der Alte Bund „in Christus sein Ende gefunden hat" (2.Kor. 3,14).

Paulus lehrt also für Israel keinen Sonderweg ohne eigene Freiheitsentscheidung! Vielmehr weist er uns darauf hin, dass in Wahrheit nur „jene Kinder Abrahams sind, die da glauben“ (Gal. 3,7). Entsprechend betont er, dass zwar Israel der „edle Ölbaum“ (Röm.11,17) ist, dass aber „einige Zweige ... infolge ihres Unglaubens ... ausgebrochen wurden“ (Röm.11,17.20), wohingegen die Gläubigen aus den Heiden „eingesetzt“ (vgl. Röm. 11,24) werden konnten.

Für Paulus ist also nicht jeder einfach ein „Gläubiger“, der der fleischlichen Abstammung nach zum Volk Israel zählt. Vielmehr zeigt er, dass schon im Alten Testament immer nur der Rest, der Gott in Wahrheit die Treue hält, die Verheißungen Gottes erlangt hat (vgl. Röm.9,27ff.;11,3ff.7ff.). So ist auch im Hinblick auf die Offenbarung in Jesus Christus nur ein Rest aus Israel wirklich Gott in Offenheit und Treue ergeben. Weil Paulus das schmerzhaft wahrnimmt, setzt er sich mit so viel Nachdruck für die Bekehrung seiner restlichen Volksgenossen ein.

Die Israeliten sind ja „der Auserwählung nach ... um der Väter willen Lieblinge“ Gottes (Röm. 11,28), selbst wenn sie „wegen des Evangeliums ... Seine Feinde“ (ebd.) geworden sein sollten. Gott sucht auch sie zu retten. Trotz ihres bisherigen Unglaubens sollen und können sie sich zum Glauben an Jesus Christus bekehren: „Aber auch jene werden wieder eingesetzt, wenn sie nicht im Unglauben verharren; denn Gott vermag, sie wieder einzusetzen. Wenn du ... wider die Natur in den edlen Ölbaum eingesetzt wurdest, um wieviel leichter werden dann die natürlichen Zweige in den eigenen Ölbaum wieder eingesetzt werden“ (Röm.11,23f.)!

Das neue, erlöste, auserwählte Volk umfasst nach Paulus, aber auch schon nach vielen Aussagen des Alten Testaments, auch die gläubigen Heiden. Wenn Paulus davon spricht, dass „ganz Israel gerettet werden“ (Röm.11,26) wird, so meint er das wahre, christusgläubige, endzeitliche, neue und vollendete Israel, in das auch „die Vollzahl der (gläubigen) Heiden eingetreten ist“ (Röm.11,25), nicht ein ungläubiges Israel, das nur auf die Abstammung dem Fleische nach pocht!

Diese Sicht, die auch die katholische Kirche durch alle Jahrhunderte beibehalten hat, beinhaltet eine Mahnung für Israel wie für die Heiden. Für Israel, das nicht nur auf die fleischliche Abstammung seine Hoffnung setzen soll. Für die Gläubigen aus den Heiden aber, dass sie sich „nicht über die anderen Zweige“ (Röm. 11,18ff.) erheben sollen, sondern sich gleichfalls vor einem möglichen Fall hüten sollen (vgl. Röm. 11,22)!

Es geht also darum, diese biblische Sichtweise, die auf Jesus selbst zurückgeht, gegen eine modische Verfälschung zu verteidigen, die uns weismachen will, Israel habe ja schon den Bund mit Gott und brauche deshalb weder Taufe noch Bekehrung!

Auch wenn die Juden, wie Gasper betont, „im Kontext des jüdischen Glaubens“ den Schritt des neutestamentlichen Verständnisses der Heiligen Schriften „nicht nachvollziehen“ werden, so können wir doch nicht einfach im Angesicht des Heiligen Geistes und der Wahrheit behaupten, dies sei „für sich berechtigt“. Denn auch dem gläubigen Juden zeigt doch das Alte Testament auf all seinen Seiten, dass noch etwas fehlt, worauf das Judentum mehr oder weniger bewusst immer noch wartet, was es aber nur in der Annahme seines Messias Jesus Christus erlangen kann!

Wie sehr dem Menschen ohne Christus etwas Wesentliches fehlt und wie sehr die Gnade Gottes selbst in den scheinbar kleinen Dinge und Gesten des Alltags hindurch durch die Jünger Christi wirksam werden kann und auch wirksam werden will, zeigen beispielsweise einige Worte des ehemaligen Oberrabbiners von Rom, Israel Zolli, der unter Pius XII. konvertierte und dessen Taufnamen „Eugenio“ annahm:

„Stanislaw und seine Mutter wohnten im Erdgeschoss eines Hauses außerhalb der Stadtmitte. Ein- oder zweimal die Woche verbrachte ich dort mit Stanislaw den Nachmittag. Manchmal kam noch ein anderer Klassenkamerad mit. Die Wohnung war bescheiden, hatte aber etwas Fesselndes für mich. Es gefiel mir dort sehr.

Ein geräumiges quadratisches Zimmer, durch das man in eine kleine Küche gelangte, das war alles. Weiße Wände. Ein grobes, aber sauberes Leintuch bedeckte den langen Tisch... In einer Ecke befand sich eine Truhe aus weißem Holz. In der Mitte der einen Wand war eine bescheidene Uhr angebracht und ein wenig weiter oben hing ein Kruzifix aus einfachem Holz mit einem Olivenzweig...
Wir machten unsere Hausaufgaben. In den Pausen kam Stanislaws Mutter und wechselte ein paar Worte mit uns Jungen. Sie war seit vielen Jahren verwitwet ... und sie trug immer Schwarz. ‚Gut, jetzt habt ihr euch ausgeruht‘, sagte sie nach einer Weile, ‚und wollt nun sicher weiterlernen. Und ich gehe wieder zurück an meine Näharbeit.‘ Daraufhin ging sie leise wieder in die Küche, aber nicht, bevor sie und ihr Sohn einen liebevollen Blick getauscht hatten... beide mussten nicht viel miteinander reden. Sie verstanden sich ohne Worte...

Sie wirkten weder bedrückt noch bekümmert oder besonders traurig. Allerdings hing eine gewisse Wehmut in der Luft, ... eine Art heiterer Resignation, ganz so, als schienen sie nach dem Tod des Vaters nicht mehr viel vom Leben zu erwarten. Für alles Lebensnotwendige sorgte die Mutter mit ihrem olivfarbenen Gesicht und den großen, schwarzen Augen, die einen friedlichen Ausdruck hatten...

Irgendwie schien man in diesem weißen Zimmer und im Angesicht des Kruzifixes nur heiter, freundlich und gut sein zu können.

Manchmal, ich weiß auch nicht warum, hob ich meine Augen zum Kruzifix hoch und betrachtete es lange... jedenfalls ließ mich diese Betrachtung weder geistig noch seelisch unbewegt.

Warum war dieser Mensch da gekreuzigt worden? War er etwa böse gewesen? Was wäre, wenn man alle bösen Menschen kreuzigen würde? Aber wenn er noch böser war als andere Menschen, also wirklich richtig böse war, wieso folgten ihm dann so viele Menschen bis auf den heutigen Tag nach? Und warum waren die ‚Damen meiner Mutter‘ (diese sonderbare Bezeichnung werde ich in Kürze erklären), die ebenfalls diesem Gekreuzigten nachfolgten, dann so gut? ... Warum waren auch Stanislaw und seine Mutter, obwohl sie Anhänger und Anbeter von dem da waren, so gut? Und warum verhielten wir Jungen uns im Angesicht von dem da und in dem Umfeld von Stanislaw und seiner Mutter so völlig anders? ...

Dieser Gekreuzigte erregte in mir ein starkes Mitgefühl. Ich spürte, dass er ebenso unschuldig wie traurig war. Er rang mit dem Tod ... dieser Mann da am Kreuz starb nicht an einer Krankheit. Er war jung ... Auch war auf seinem Gesicht kein Ausdruck von Hass oder Groll zu finden. Der Olivenzweig neben seinem Kopf sah so aus, als stimme er leise einen Friedensgesang an.

Nein und abermals nein. Er (damals begann Jesus von dem Mann da für mich ein Er mit großem E zu werden) war nicht böse. Er konnte nicht böse gewesen sein.

Vielleicht war er der Knecht Gottes, dessen Gesänge wir in der Schule durchgenommen hatten... Vielleicht war Er dieser Schmerzensvolle .... Ich wusste es nicht, aber über eines war ich mir schon damals sicher: Er war gut, aber ... Warum haben sie ihn dann ans Kreuz genagelt?“ (Eugenio Zolli, Der Rabbi von Rom, München 2005, S. 53ff.).

Beten und ringen wir weiter wie der heilige Paulus und alle anderen Apostel um die Bekehrung des Volkes, in dem Gott Seinen Bund mit den Menschen begonnen und in Jesus Christus auch vollendet hat! Lassen wir uns nicht verwirren, beten wir für alle, welche die Sendung, die Christus Seiner Kirche gab, verleugnen oder verraten, beten wir für diejenigen, die heute große Verantwortung tragen, kehren wir auch selbst um, dort, wo es notwendig ist, und beten wir für alle Katholiken, dass sie in der Liebe Christi und im wahren überlieferten Glauben sich das wahre Bild der Kirche nicht rauben lassen, die ja die Stadt auf dem Berge sein soll, von der schon das Alte Testament spricht und von der Jesus will, dass sie von allen gesehen werden kann (vgl. Mt.5,14), so dass alle, Juden wie Heiden, in ihr Gottes Liebe und Heiligkeit finden können!


Thomas Ehrenberger


 

Zurück Hoch Startseite