Das Ärgernis des Kreuzes - „Die Passion Christi“
 

Seit wenigstens einigen Monaten war zu vernehmen, dass der bekannte amerikanische Filmschauspieler Mel Gibson, der ein überzeugter und praktizierender Katholik ist, einen Film über das Leiden Jesu Christi gedreht hat, womit er endlich seinen lang gehegten Plan in die Tat umsetzen konnte. Und spätestens seitdem dieser Film am Aschermittwoch dieses Jahres in den USA und in einigen anderen Ländern in die Kinos kam, wird auch hier zulande viel darüber debattiert. Schließlich lief er am 18. März auch in Deutschland an.

Als erstes fällt einem aufmerksamen Beobachter auf, dass entgegen der sonst üblichen Praxis in Deutschland kaum Werbeflächen zu finden sind, auf welchen auf diesen Film aufmerksam gemacht und für ihn geworben wird! Dann muss festgestellt werden, dass die in den Massenmedien veröffentlichen Berichte über diesen Film von den entsprechenden Kommentatoren durchaus einheitlich ausfallen, und zwar negativ. Man wendet gegen ihn ein, er sei blutrünstig, zu gewalttätig, antisemitisch und entbehre in seiner Gesamtaussage des positiven christlichen Moments der Vergebung und der Verzeihung.

Zur gleichen Zeit erreichten mich auch Berichte von befreundeten Gläubigen aus den USA, die diesen Film ja früher als wir in Deutschland sehen konnten und von ihm äußerst tief beeindruckt waren. In einem Brief hieß es, dieser Film sei der beste Weg gewesen, wie man die Fastenzeit beginnen könne.

Im Wissen um diese gegensätzlichen Einschätzungen - auf der einen Seite der offiziellen Presse, die ja auch schon gewisse Rückschlüsse ziehen lassen, und auf der anderen Seite der gläubigen Menschen, die ihre christliche Glaubensüberzeugung leben - bin ich nun gleich in die erste Vorstellung dieses Films gegangen, der in Deutsch den offiziellen Titel „Die Passion Christi“ trägt, und in welchem nur Aramäisch und Latein gesprochen wird, wobei der gesprochene Text mittels Untertiteln in den jeweiligen Nationalsprachen eingeblendet wird.

Wenn man die Ereignisse um das Leiden und Sterben Jesu Christi aus den Evangelien kennt, dann präsentiert einem dieser Film keine neuen Inhalte. Mel Gibson, der die Produktionskosten dieses Films aus seinem eigenen Vermögen bestritt (ca. 25 Millionen USD), wollte ja auch nichts anderes als nur die letzten zwölf Stunden Jesu in Jerusalem auf die Leinwand bringen, um den Menschen die furchtbaren Schmerzen und den bitteren Tod unseres göttlichen Heilandes in Erinnerung zu rufen.

Dabei scheute er nicht zurück, dieses Leiden teilweise in seiner ganzen Brutalität zu zeigen und auch viel Blut fließen zu lassen. Jemand, der schwache Nerven hat, wird vielleicht schon seine Probleme damit bekommen. Aber auf der anderen Seite liegt der Grund für den Vorwurf, der Film sei zu blutrünstig und zu gewalttätig, vielleicht auch gerade darin, dass sich unter anderem auch die moderne Christenheit kein realistisches Bild mehr über die brutale Realität des Leidens und des Kreuzes Christi macht! Wir treffen hier viel zu oft Vorstellungen über das Kreuz Christi an, die viel zu oberflächlich und somit verharmlosend sind und nicht viel mit der furchtbaren Realität einer Kreuzigung zu tun haben. Oder, wie Gibson sagte, wir haben uns zu sehr an die schönen Kruzifixe an der Wand gewöhnt!

Daher ist es gerade ein Verdienst Mel Gibsons, dass er versucht zu zeigen, was das schreckliche Leiden und Sterben für Christus im einzelnen an Schmerzen bedeutete, was der teure Preis unserer Erlösung war! Bezeichnenderweise hat er auch eingangs jene Stelle aus Isaias 53,5 einblenden lassen, in welcher es darum geht, dass Jesus „ob unserer Sünden verwundet wurde, ob unserer Missetaten zerschlagen“. Dadurch soll ja gerade die Grundaussage der christlichen Offenbarungsreligion unterstrichen werden, dass hier Gott stellvertretend für die sündige Menschheit freiwillig die menschliche Schuld auf Sich genommen, diese durch Sein Leiden und Sterben am Kreuz gewissermaßen „ausgelitten“, die Wiedergutmachung geleistet und auf diese Weise für die Menschen die Erlösung von der Sünde und der Macht des Teufels gewirkt hat!

Und das im Film immer wieder anzutreffende gütige und geduldige Antlitz Jesu lässt darin für einen Christus liebenden Christen in aller Deutlichkeit jene alles überragende Liebe Jesu Christi, unseres göttlichen Erlösers, erblicken, die alles menschliche Erkennen übersteigt! Denn Gott hat ja nicht das Kreuz auf Sich genommen, weil Er etwa eine Freude am Leiden hätte. Nein, nichts anderes als die Liebe Gottes zu den armseligen Menschen war das eigentliche Motiv Christi für das von Ihm übernommene und erduldete Leidenskreuz! Und ohne diese Liebe ist Sein Leiden und Sterben auch nicht zu verstehen.

Daher ist der oben bereits kurz angedeutete Einwand völlig absurd, es würde in diesem Film einseitig und übertrieben um das Leiden Christi in allen seinen Facetten gehen und nicht (auch) um Vergebung und Verzeihung. Betet ja auch Jesus wiederholt für seine Feinde statt ihnen etwa mit Groll oder Verbitterung zu begegnen. Sogar der mit Jesus mitgekreuzigte gute Schächer ruft im Film dem Hohepriester Kaiphas, nachdem dieser Jesus verspottet hat, mit einer emotionalen Regung zu, dass Er ja (sogar) für ihn bete!

 Umso erstaunlicher, ja erschreckender sind dann die Reaktionen so mancher „Kirchenvertreter“, die zu diesem Film scharfe Kritik äußerten, indem sie ihn entweder als „Schmarrn“ bezeichneten oder als „ohne jeden Tiefgang“ charakterisierten (vgl. Nürnberger Nachrichten vom 17.03.04). Oder wie es in derselben Zeitung als Wiedergabe der Äußerung des „Leiters der Pressestelle der katholischen Stadtkirche Nürnberg“ weiter heißt: „Wer die Passion aber nur derart spektakulär in Szene setze, habe von der Heilsbotschaft, der Solidarität des Gottessohnes mit den Ausgestoßenen und Verfolgten, wenig begriffen“.

Da fragt man sich schon, durch welche Brille die betreffenden Herrschaften sich diesen Film anschauten bzw. welche Vorstellungen vom christlichen Glauben in ihren Köpfen herumschwirren. Ist denn nicht gerade das stellvertretende Leiden Christi unter dem Fluch der menschlichen Sünde die Ursache unserer Erlösung? Ist denn nicht gerade dieser historische Fakt Ausdruck tiefster „Solidarität“ mit der sündigen Menschheit? Findet denn diese gesamte Wahrheit nicht auch und gerade in den Evangelien ihren Niederschlag? Wird denn dort nicht ausführlich über die einzelnen Stationen des Leidensweges Christi berichtet (vgl. Mt 26,1-27,66)?

Aber es muss ja nach allen Gesetzen der Logik auch einen Grund geben für solche negative Reaktionen, für solche Äußerungen unsachlicher Kritik. Der hl. Apostel Paulus schreibt: „Freilich gilt die Predigt vom Kreuze denen, die verlorengehen, als Torheit, uns aber, die gerettet werden, als Gottes Kraft. Es steht ja geschrieben: ´Der Weisen Weisheit mache ich zunichte, verwerfe der Verständigen Verstand.´ Wo bleibt der Weise, wo der Schriftgelehrte, wo der Redekünstler dieser Welt? Hat Gott nicht die Weisheit dieser Welt als Torheit erwiesen? Weil nämlich die Welt mit ihrer Weisheit Gott in Seiner göttlichen Weisheit nicht erkannt hat, hat es Gott gefallen, durch eine Botschaft, die als töricht gilt, die zu retten, die daran glauben. Die Juden fordern Wunderzeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir aber predigen Christus, den Gekreuzigten: Für die Juden ein Ärgernis, für die Heiden eine Torheit; Für die aber, die berufen sind, ob Juden oder Heiden, Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn Gottes ´Torheit´ ist weiser als die Menschen, und Gottes ´Schwachheit´ ist stärker als die Menschen“ (1 Kor 1,18-25)!

Auf der Grundlage dieser scharf beobachteten paulinischen Analyse müssen nun auch wir darauf schließen, dass diese so genannte „Predigt vom Kreuze“ heute offensichtlich auch im christlichen Bereich nicht mehr genügend bekannt ist, dass sie wohl auch von so manchem „Kirchenvertreter“ nicht mehr verstanden wird, dass das klare Bewusstsein um die enorme Bedeutung und den zentralen Stellenwert des Leidens und Sterbens Jesu im christlich-katholischen Glauben auch ganz allgemein nicht mehr richtig vorhanden ist!

Und aus der folgenden Äußerung eines dieser „Kirchenvertreter“ wird ersichtlich, welche Tricks heute gelegentlich angewandt werden, um die genuin-christliche Glaubensbotschaft verzerrt darzustellen: „Der Grund der Erlösung liege für Christen nicht im Ausmaß des Leidens, sondern in der Auferstehung“ („Nürnberger Nachrichten“ vom 19.03.04). Natürlich hat Christus durch Seine glorreiche Auferstehung für alle sichtbar den Sieg über Teufel, Sünde und die Macht des Bösen unterstrichen. Aber der eigentliche so genannte „Vernichtungsschlag“ gegen die diabolische Unterwelt wurde von Ihm ja gerade durch Sein Sühneleiden und Sterben ausgeführt! Da stellt sich schon berechtigt die Frage, was denn der betreffende „Kirchenvertreter“ vom Heilswirken Jesu überhaupt begriffen hat!

Auf der anderen Seite darf es uns auch nicht wundern, dass die von Paulus so bezeichnete „Predigt vom Kreuze“ der modernen katholischen wie evangelischen Christenheit nicht mehr so richtig bekannt ist, dass dafür kein entsprechendes Verständnis mehr aufgebracht wird. Wenn man beachtet, was seit ungefähr der 60-er Jahren von den Kanzeln so alles herunter gepredigt worden ist, welche Themen die konfessionellen, interkonfessionellen und interreligiösen Treffen von „Kirchenvertretern“ hauptsächlich beschäftigt haben, wie sehr man darauf aus war, bisweilen sogar fundamentale theologische „Übereinstimmungen“ mit den entsprechenden Aussagen von nichtchristlichen (!) Religionen zu suchen und zu finden, dann ist es verständlich, dass und warum die christliche „Predigt vom Kreuze“ heute sowohl dem christlichen Volk wie auch dem offiziellen Klerus, den „Kirchenvertretern“, als etwas teilweise sogar gänzlich Fremdes vorkommen muss, als etwas, was sie noch nie in aller Deutlichkeit vernommen haben!

Und das ist gerade der wunde Punkt, dass diese zentrale und fundamentale Aussage der christlichen Offenbarungsreligion in den letzten Jahrzehnten nicht selten sogar bewusst zurückgedrängt worden ist, oft genug willentlich unter den Tisch ist gefallen lassen worden! Dann kann man die „Predigt vom Kreuze“ auch nicht richtig in das eigene sich zurecht gebogene theologische System einordnen, dann nimmt man fast zwangsweise nicht zuletzt auch an der schonungslosen Darstellung des bitteren Leiden und des äußerst schmerzhaften Sterbens Jesu Christi Anstoß, wie es im Falle des Films von Mel Gibson geschieht.

 Aber auch einige andere auf der Grundlage der Evangelien gemachte Aussagen dieses Films müssen geradezu wie eine Provokation auf die Gemüter seiner Kritiker (der liberalen Zeitgenossen wie modernistischen „Geistlichkeit“!) gewirkt haben.

Zunächst wird in „Die Passion Christi“ klar und eindeutig ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen dem Leiden und Sterben Christi am Kreuz und dem hl. Messopfer, dem Opfergeschehen der hl. Messe, hergestellt! Denn es wird während der im Film dargestellten Kreuzigungsszenen nach der Art eines Rückblicks sowohl die Konsekration des heiligen Leibes wie die des kostbaren Blutes unseres Heilandes bei der Einsetzung der hl. Messe durch Christus eingeblendet. Somit will Mel Gibson, der übrigens die postkonziliaren „Reformen“ ablehnt und nur dem überlieferten Messopfer beiwohnt, offenkundig sagen, dass das heilbringende Erlösungsopfer Christi am Kreuz im Opfer der hl. Messe gewissermaßen fortlebt, hier sakramental erneuert und unblutig gegenwärtiggesetzt wird: „...Leib, der für euch hingegeben wird“ (Lk 22,19); „...Blut des Neuen Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden“ Mt 26,28)! (Wer übrigens das Opfer der hl. Messe seit über drei Jahrzehnten nicht mehr hat, der wird wohl auch kaum Verständnis für das überlieferte hl. Messopfer bzw. für die genuin-katholische Messopfertheologie aufbringen!)

Ferner wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass Jesus Christus der einzige Erlöser und „Mittler zwischen Gott und den Menschen“ (vgl. 1 Tim 2,5) ist, und dass es letztendlich darauf ankommt, an Ihn zu glauben, will man das ewige Heil erlangen! Denn Mel Gibson lässt Jesus in seinem Film den unmissverständlichen Satz sagen, auf welchen sich die katholische Kirche schon immer berufen hat, um den alleinseligmachenden Charakter des christlichen Glaubensbekenntnisses zu unterstreichen: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als durch Mich“ (Joh 14,6)! Es ist doch klar, dass sich auch hier ein jeder der heutigen „Ökumeniker“ „empören“ muss.

Auch wie die Person Mariens und ihre Rolle im Leben und Leiden Jesu dargestellt wurde, welche persönliche und emotionale Wärme nämlich Jesus und Maria verbanden, offenbart, dass dieser Film von einem gläubigen Katholiken gemacht worden ist. Die hl. Jungfrau wurde gerade als die Schmerzhafte dargestellt, die bei der Begleitung ihres Sohnes auf Seinem Leidensweg viel seelischen Schmerz ertragen hat. Zudem wurde vieles auch als mit den Augen Mariens betrachtet gezeigt. Außerdem hat sie im Film (wie in der Realität!) neben Jesus keine anderen Kinder mehr gehabt - sie ist dort jemand, als welche sie auch von der Kirche unentwegt verehrt wird: die hl. Jungfrau! Wie soll da ein erklärtermaßen wertliberal bzw. modernistisch eingestellter Mensch angesichts aller dieser Aussagen seine Zustimmung zu diesem Film bekunden?

 Zum häufig erhobenen Vorwurf des Antisemitismus ist zu sagen, dass er absurd ist! Erstens triff es laut Evangelien historisch zu, dass Jesus vom Hohen Rat verhöhnt und zum Tode verurteilt wurde (vgl. Mt 26,57-68), dass der anwesende Pöbel ebenfalls Seine Kreuzigung verlangte (vgl. Mt 27,20-25). Und zweitens vermeidet dieser Film, etwa pauschalisierend irgend eine der Volksgruppen entweder als ausnahmslos gut oder als ausnahmslos böse darzustellen. Schlechte wie anständige bzw. mitfühlende Menschen werden sowohl unter den Juden (Hoher Rat, Volksmassen - Maria, Maria Magdalena, Johannes, Veronika, Simon von Cyrene, weinende Frauen) als auch unter den römischen Soldaten und Offizieren gezeigt. Denn gerade Simon von Cyrene, der anfänglich nichts mit den Ereignissen zu tun haben wollte und sich dagegen sträubte, Jesus beim Kreuztragen zu helfen, empörte sich dann später sogar ganz mutig gegen die exzessive Gewalt, die die römischen Soldaten Jesus zufügten, weshalb er ja auch von einem der Soldaten mit der verächtlichen Bezeichnung „Iudaeus“ bedacht wurde.

Wie Mel Gibson in Interviews gesagt hat, dass er weder antisemitisch noch sonst anti-irgendetwas sei, so zeigt er auch in seinem Film, dass es letztendlich darauf ankommt, sein Herz für die Botschaft Jesu Christi zu öffnen und Ihm Gehör zu schenken. Wenn jemand, egal welcher Nationalität er angehören mag, sich wie z.B. die Hohepriester und die Schriftgelehrten vor Ihm verschließt und auf stur schaltet, dann begreift er auch nichts von dem, wer Jesus Christus ist bzw. was Er lehrt. Wer dagegen, „ob Juden oder Heiden“, seinen sündhaften menschlichen Eigensinn überwindet und sich für Ihn uneingeschränkt öffnet, der findet in Jesus auch die Quelle des Lebens, des wahren Lebens, den göttlichen Erlöser: „Das Leben ist sichtbar erschienen. Wir haben es gesehen. Wir bezeugen und verkünden euch das ewige Leben, das beim Vater war und uns sichtbar erschienen ist“ (1 Joh 1,2)!

So wollen auch wir in den diesjährig verbleibenden Tagen der Fastenzeit und Karwoche uns die heilbringenden leiblichen Schmerzen wie seelischen Leiden Jesu Christi verstärkt vor die Augen unseres Geistes führen, um sowohl den hohen persönlichen Preis zu beherzigen, welchen Er zum Zweck unserer aller Erlösung bezahlt hat, als auch die unendliche göttliche Liebe zu erkennen, die trotz oder gerade wegen allen Blutes und aller Brutalität der Kreuzigung aus diesem Seinem Sühneleiden gewissermaßen durchleuchtet. Lassen wir uns dies alles bewusst zu Herzen gehen, damit auch wir von einer großen Liebe zu unserem göttlichen Heiland entflammt würden und Ihm wie durch unser Glaubensleben so auch durch unsere praktische Lebensgestaltung aufrichtig danken können: „Wir beten Dich an, Herr Jesus Christ, und preisen Dich! Denn durch Dein heiliges Kreuz hast Du die ganze Welt erlöst!“

P. Eugen Rissling

 

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