Die Glaubenskerze


Wenn wir bereits einen kurzen Blick auf die Riten der überlieferten heiligen Messe werfen, sind wir zur Feststellung berechtigt, dass die katholische Kirche in ihrer Liturgie gern auf symbolträchtige Handlungen und Zeremonien zurückgreift, um die darin enthaltenen Glaubenswahrheiten dem gläubigen Volk unter anderem auch sichtbar darzustellen und zu verdeutlichen. Und bisweilen ist diese liturgische Symbolik sogar noch ausdrucksstärker als manche gesprochene Worte der wohlgemeinten Erklärung, weil der Mensch seine Umwelt mit den Augen fast noch intensiver wahrnimmt als mit seinen Ohren.

So spielt in der katholischen Liturgie auch die geweihte Kerze eine nicht geringe Rolle. Bei jeder heiligen Messe müssen wenigstens zwei davon auf dem Altar brennen, auch bei der Spendung anderer Sakramente werden sie angezündet. Es ist ein schöner christlicher Brauch, dass die Kerze z.B. auch dann das Zimmer erleuchtet, wenn sich eine katholische Familie in frommer Gesinnung zum gemeinsamen Abendgebet versammelt. 

In jedem Fall stellt die aus Wachs gefertigte Kerze ein passendes Bild der Gott-Mensch-Beziehung dar. Zunächst muss ja eine Kerze immer (wie von oben) angezündet werden, damit sie überhaupt brennen kann. Sich selbst entflammen kann sie nicht. So erinnert sie uns daran, dass auch der Mensch sich nicht selbst erlösen, sich nicht selbst von der seine Seele am Leben hindernden Fessel der Sünde befreien kann! Wie die Kerze erst in Berührung mit Feuer von außen kommen muss, um selbst Feuer zu fangen, so bedarf der Mensch der sich ihm zuwendenden göttlichen Gnade, er bedarf des Erlösers, er bedarf Jesu Christi, um überhaupt zum Leben, zum eigentlichen Leben finden zu können! Der Mensch steht in tiefer Abhängigkeit zu Ihm, der allein seinem begrenzten Aufenthalt auf Erden einen geistigen Tiefengang geben, der allein die menschliche Endlichkeit und Sterblichkeit mit wahrem Sinn erfüllen kann. Ja der Mensch ist sogar substanziell angewiesen auf Gott und Sein Erlösungswerk, welches Er mittels der liebende Opferhingabe am Kreuz vollbracht hat. Wir sind, sofern wir auf uns allein gestellt und uns allein überlassen werden, wie die tote Kerze - kalt und hart. Und wie jegliches Lebewesen auf Erden nicht ohne die Luft und wie die Fische nicht ohne das Wasser leben können, so sind auch wir letztendlich nicht in der Lage, ohne Gott und Seine Barmherzigkeit wirklich zu leben bzw. geistig zu überleben! Erwecken wir also - mit Blick auf die Kerze - in uns die Sehnsucht und das tiefe Verlangen nach Gott, dem Erlöser, und nach den Dingen der Ewigkeit, die das Zeitliche und Vergängliche dieser Welt überdauern. Erinnern wir uns daran, Jesus Christus ist der einzige Erlöser, „es ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir das Heil erlangen sollen“ (Apg 4,12), erst Seine Liebe kann uns wie Feuer entflammen und in die Nähe Seiner göttlichen Glut bringen! 

Dabei ist auch zu vermerken, dass die bis dahin tote Kerze nur dann brennt, wird an sie das Feuer von außen herangeführt, wenn sie weich und dadurch gewissermaßen formbar wird! So muss sich in Analogie dazu auch der Mensch insofern vom Feuer der göttlichen Liebe „erwärmen“ und „erweichen“ lassen, wenn er halt mit Gott in Berührung kommt, dass er eben den göttlichen Willen als die unbedingte Richtschnur für sein Denken und Handeln anerkennt! Nicht an Gott ist nämlich die Erwartung zu richten, sich dem Willen und den Vorstellungen des Menschen anzupassen, sondern umgekehrt. Die Anerkennung der Heiligkeit und der moralischen Oberhoheit Gottes durch den Menschen soll gerade darin seinen Ausdruck finden, dass der Mensch bewusst seinen allzu störrischen Nacken vor dem Herrgott beugt und nicht seinen eigenen Willen zum Maß aller Dinge erklärt, sondern über sich - gemäß der Bitte des Vaterunser - ausdrücklich den Willen Gottes geschehen lässt - „wie im Himmel also auch auf Erden“. 

Wiederholen wir also nicht den gravierenden Fehler der modernistischen Irrlehre, der ja unter anderem auch darin besteht, dass man sich heute gewissermaßen einen „Gott“ nach eigenen Gelüsten schafft, der kaum ein moralisches Empfinden zu besitzen scheint, und der halt „alles versteht“, gutheißt und sanktioniert, was sich die irregeführte menschliche Freiheit als „modern“ und „fortschrittlich“ ausdenkt, ob es sich nun dabei konkret um schreckliche Blasphemien, moralische Dekadenz, Abtreibung, Forschung an Embryonen usw. handelt! Nein, für einen katholischen Christen muss es klar sein, dass er nur dann würdig den Namen Christi tragen kann, wenn für ihn der göttlich offenbarte Wille die oberste Priorität besitzt, wenn er bereit ist, diesem auch im Fall eines Konfliktes mit der eigenen Freiheit den Vorzug zu geben. Denn nur auf diesem Weg, wenn er nämlich willens ist, den eigenen verkehrten Neigungen und Bestrebungen abzusterben, kann er sich von der Glut der göttlichen Flamme in einen neuen Menschen, in einen Menschen, der nach Gott geschaffen ist, verwandeln lassen! 

Eine weitere, dritte Eigenschaft einer brennenden Kerze besteht darin, dass der Wachs gänzlich verbrennt und sich auflöst. Denn nur so, indem also der Wachs der Kerze im Feuer verglüht und sich gewissermaßen aufopfert, kann das Unterhalten der Flamme gewährleistet werden. 

Damit ist aber symbolhaft die liebende Hingabe eines gläubigen Christen an den Herrgott angesprochen. Und dies ist eine eindeutig positiv ausgerichtete Tätigkeit. Sie besteht darin, dass der Mensch zunächst alle Unannehmlichkeiten und Widerwärtigkeiten, die ihm im Laufe seines Leben in der Regel doch nicht zu selten begegnen, nicht zum Anlass nimmt, gegen Gott und Seine Vorsehung zu murren und aufzubegehren, sondern sie bewusst als von Gott für ihn zugelassene Prüfungen ansieht, die er zu bestehen habe, um Gott eben die Liebe seines Herzens unter Beweis zu stellen. Ein echter Christ, in dem das Feuer des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe nicht erloschen ist, wird es (mit Beistand von oben) fertig bringen, sogar zu Zeiten schwerer Prüfungen, die einem richtigen Lebenskreuz gleichkommen sollten, eine unerschütterliche Treue zum Herrgott, seinem Schöpfer und Erlöser, zu bewahren und seinen vertrauensvollen Blick nicht - etwa in Unzufriedenheit und innerem Groll - von Ihm abzuwenden. Jedenfalls ist dieses Ideal von uns allen anzustreben. Denn alles Große erwächst aus Opfern, das Opfer ist nämlich die Wurzel, die zu wahrer und beseligender Gottesfreundschaft führt! Denn erst durch die - christlich verstandene - Verleugnung seiner selbst schafft der Mensch in sich gewissermaßen Raum für Gott, lässt er Ihn in sich zum Zuge kommen. Sagte ja schon Jesus: „Wer sein Kreuz nicht auf sich nimmt und Mir nicht nachfolgt, ist Meiner nicht wert. Wer sein Leben gewinnt, wird es verlieren; und wer sein Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen“ (Mt 10,38f.). 

Wer sich also in einer, menschlich gesprochen, alles andere als zu beneidenswerter Situation befindet und dabei sein Kreuz ausdrücklich in Gemeinschaft mit dem leidenden Heiland trägt, der ja aus freien Stücken das ganze Kreuz der Welt auf Seine Schulter lud, der wird - auf welche Weise auch immer - auch der Frucht des Erlöserleidens Christi teilhaftig. Denn auch eine Kerze verglüht zwar im Feuer und löst sich gewissermaßen auf, aber sie wird dadurch, und zwar nur dadurch (!), ja auch selbst zum Licht! Und dieses Licht-werden vor und für Gott ist die höchste Erfüllung, zu der der Mensch als Geschöpf überhaupt fähig ist. 

Der liebe Gott lässt uns nämlich das Kreuz nicht deshalb zu, weil Er etwa eine Freude an unseren Leiden hätte, sondern weil Er will, dass wir durch die Läuterung unserer selbst Seiner Liebe und Gemeinschaft befähigt werden. Wachsen wir also über uns selbst hinaus, vollziehen, praktizieren wir tagtäglich die liebende Hingabe an den Herrgott, der ja aus lauter Liebe zu uns Sein eigenes Leben für uns geopfert hatte, und werden wir dadurch selbst zu einem Licht, das zu Ehren Gottes brennt. Daran mögen wir immer durch den Anblick einer geweihten Kerze erinnert werden! 

P. Eugen Rissling

 

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