Der Kreuzweg eines Christen


In der heutigen Zeit sind wir Zeugen einer Entwicklung geworden, die uns alle mehr oder weniger etwas angeht: Zeugen des Prozesses der Vereinsamung der Menschen. So belegen es auch die statistischen Zahlen, daß in unserer Gesellschaft z.B. immer mehr Menschen einen Einzelhaushalt führen, und die Zahl der Eheschließungen prozentual gesehen zurückgegangen ist. 

Es gibt viele Ursachen für diese traurige Entwicklung. Einen nicht unerheblichen Anteil daran besitzen das egoistische Verhalten und das Karrieredenken mancher unserer Zeitgenossen. Wie soll man denn zur gegenseitigen Verständigung beitragen, wenn man nur an sich, an den eigenen Vorteil denkt? Wenn der Mitmensch nur als ein Mittel zum Zweck angesehen und in ihm nur ein potenzieller Gegner verdächtigt wird, dann kann man ja grundsätzlich keine freundschaftliche Beziehung mit ihm eingehen. 

Des weiteren trägt auch die Zerstörung der Familie zur Vereinsamung in unserer modernen Gesellschaft bei. Die Folgen und Begleiterscheinungen einer Ehescheidung: Verständnislosigkeit, gegenseitiges Auseinanderleben, Streit, massive Vorwürfe usw. lasten ja nicht nur auf den betroffenen Erwachsenen. Sie üben besonders auf ihre Kinder als die heranwachsende Generation einen üblen Einfluß aus und prägen sie auch zum Teil für deren Zukunft. Wenn aber der Mensch in seinen jungen Jahren statt dem gegenseitigen Vertrauen, der Eintracht und den anderen positiven Werten nur Mißtrauen, Schimpf und Streit erlebt, dann sinken seine Chancen, eine ihn in seinem Leben tragende Beziehung zu anderen Menschen eingehen zu können. Und so vereinsamen die Menschen und leiden auch zugleich darunter. Und von dieser Vereinsamung der Menschen in unserer hochtechnologisierten Gesellschaft sind wir alle - wenigstens indirekt - mitbetroffen. Allerdings kommt bei den Menschen, die aus Überzeugung gläubig sind, noch etwas anderes hinzu, was die (äußere) Vereinsamung weiter vorantreibt: die Säkularisierung, d.h. Verweltlichung unserer ehemals christlichen Gesellschaft. Heute ist vieles populär, nur keine religiöse Überzeugung! 

Besonders als ein treugläubiger Katholik, der an der kirchlichen Überlieferung und am unveränderlichen und unveränderbaren christlichen Glauben festhält, hat man es schwer. Müssen wir uns doch ständig gegen althergebrachte Vorurteile und Vorwürfe gegenüber der (vorkonziliaren) katholischen Kirche zu Wehr setzen. Auch in der Öffentlichkeit werden wir ja gern als rückständig und menschenfeindlich dargestellt. Und die Isolation, in die man uns somit treibt, ist bestens geeignet, sich alleingelassen und vereinsamt zu fühlen. Auch die relativ kleinen Zahl der Gläubigen kann einem zu schaffen machen. Und leicht können auch hier kompetenzüberschreitendes Streben nach Einfluß und menschlicher Ehre, wie rein privates Vorteilsdenken die Mühe vieler Jahre zunichte machen kann. Wie sollen wir nun all dies verkraften? Wie sollen wir diese schwierige Zeit überstehen, ohne Schaden an unserem lebendigen Glauben, an unserem erhofften Heil und am Vertrauen in die Vorsehung Gottes zu erleiden? 

Der erste und entscheidende Schritt, den wir dabei machen müßten, ist, unser Glaubensleben zu intensivieren! Da in der heutigen Zeit die Gefahren, die zum Glaubensverlust führen, zunehmen, muß auch unser Glaube stärker werden, wollen wir nicht diesen Gefahren erliegen. Mit dem Minimalchristentum, das sich nur auf das allernotwendigste beschränkt, kann man in der Auseinandersetzung mit den negativen Einflüssen der modernen Welt nicht bestehen. Wenn z.B. nur das gelegentliche Beten und der sporadische Gottesdienstbesuch unser ganzes Glaubensleben ausmachen, dann werden wir wohl kaum die Isolation ertragen können, die heute einem Gläubigen aus seiner Treue zu Christus erwächst. 

Da uns heute sowohl die Gesellschaft als auch eine größere Zahl Gleichgesinnter fehlen, um Rückhalt und Stütze zu geben, die ihrerseits vielleicht geeignet wären, auch eventuell einen schwächeren Christen mittragen zu können, ist das bewußte Leben aus Gott und für Gott ganz besonders das Gebot der Stunde! Nur wenn ein Christ im Glauben an, in der Hoffnung auf und in der Liebe zu Jesus Christus zunimmt, kann er den Belastungen gewachsen sein, die in der heutigen Zeit einem überzeugten Christen entstehen. 

Konkret bedeutet das für uns, den Glauben nicht als eine unbequeme Last zu betrachten, sondern ganz bewußt den Einsatz für den Glauben zu erbringen: sich mit religiösen Fragen auseinanderzusetzen, d.h. dem Glauben in der eigenen Gedankenwelt einen ihm gebührenden Raum gewähren, ihn z.B. durch passende Lektüre besser kennen zu lernen und zu vertiefen, das Beten als die praktische Glaubenshaltung nicht zu vernachlässigen, sich um einen entsprechenden Lebenswandel zu befleißigen, Werke der geistigen und leiblichen Barmherzigkeit zu üben usw. Der religiöse Bereich darf nicht bloß als ein Stiefkind behandelt, sondern soll zum Mittelpunkt des Lebens gemacht werden! 
Diese Vertiefung im christlichen Glauben bringt u.a. auch die Erkenntnis über den Sinn und die Bedeutung stellvertretenden Kreuztragens mit sich. Der Mensch vereinigt sich ganz bewußt mit der Gottverlassenheit Christi am Kreuz (vgl. Mt 27,46) und schöpft aus dieser lebendigen Verbindung mit Ihm zugleich Kraft und Zuversicht, auf dem eingeschlagenen richtigen Weg weiterzugehen. Ein gläubiger Christ, der aus Gott lebt, müßte eigentlich erkennen, daß er von unserem göttlichen Herrn niemals alleingelassen wird, sofern er sich nicht selbst von Ihm entfernt. Statt von Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung erfüllt zu werden - auch wenn menschlich gesprochen alles dafür sprechen sollte -, weiß ein Christ, daß er trotz allem nicht allein ist, und überläßt alles der weisen Vorsehung Gottes! 

An dieser Stelle sei noch auf etwas anderes hingewiesen. Wenn wir, die wir uns zum überlieferten Glauben der katholischen Kirche (samt Liturgie und anderer Sakramente) bekennen, schon nicht so zahlreich sind, wie wir es vielleicht erhoffen würden, dann sollten wir um so mehr bemüht sein, untereinander nach dem Maße des Möglichen zusammenzuhalten. Vergessen wir nicht, daß Christus Seiner Absicht nach für uns alle gestorben ist, daß keiner in Seinen Augen mehr oder weniger wert ist als der andere, und lassen wir nicht zu, daß Streitsucht oder persönliche Interessen über die der Kirche gestellt werden. Zwar gibt es auch unter uns verschiedene Naturen und Charaktere, jeder hat seine Eigenheiten - Stärken wie Schwächen. Solange nicht das Wesentliche des Glaubens betroffen ist, sollten wir aber um Christi und der Kirche willen über das, was uns an den anderen nicht gefällt, einfach hinwegsehen. Selbst muß man ja auch von den anderen ertragen werden. Wir stellen ja eine Gemeinschaft mit allen jenen dar, die an der Erlösung Christi teilhaben. Wir bilden eine Communio untereinander, die am stärksten durch die Partizipation an demselben eucharistischen Leibe Christi zum Vorschein kommt! 

Aber auch wenn manchmal berechtigt Kritik geübt werden müßte, dann soll es unbedingt in einer anständigen Weise geschehen. Der andere soll erkennen können, daß es einem nicht ums Schimpfen als solches geht, sondern um gemeinsame höhere Interessen. Der fehlende Anstand läßt in der Regel berechtigte Schlüsse auf die eigentlichen Absichten der betreffenden Person ziehen. 

Nein, versuchen wir, aufeinander zuzugehen, einander zuzuhören, um erst zu verstehen, was der andere eigentlich sagen will. Räumen wir unseren Mitmenschen das Recht ein, eine Antwort geben zu können. Wenn wir genügend an christlicher Geduld mitbringen, die Schwächen unserer Mitchristen zu ertragen, so machen wir uns nicht nur selbst das Leben etwas leichter, sondern helfen auch dem anderen mit, seine sonstige (äußere) Isolation zu ertragen, was zweifelsohne auch dem Wohl der Gesamtkirche zugute kommen wird! 

 

P. Eugen Rissling



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