Sind wir immer nur gegen alles?

Am Ende eines jeden Kirchen- und Kalenderjahres machen wir uns fast automatisch verstärkt Gedanken über das kommende Jahr, über die Zukunft. Das liegt ja in der Natur der Sache. Und wenn man von der Warte eines christgläubigen Menschen die gegenwärtige geistige Situation analysiert bzw. die Aussichten, die sich für die authentische christliche Religion und für die katholische Kirche im Hinblick auf die Zukunft ergeben, überblickt, so findet man in diesen Überlegungen kaum Anlass für einen großen Optimismus, um es mal ganz zurückhaltend zu formulieren.

Erleben wir ja seit einer geraumen Zeit einen stets voranschreitenden Prozess des Zerfalls der christlichen Moral und der guten Sitten, eine äußerst traurige Entwicklung der Verspottung Gottes und der Profanierung des Heiligen. Nicht zuletzt spielt in diesem Zusammenhang auch der Verrat der modernistischen „Kirche“ am Glauben und der Liturgie der katholischen Kirche aller Jahrhunderte eine entscheidende Rolle! Jeder, der wachen Geistes die zutiefst ernste Situation betrachtet, in der wir uns gegenwärtig befinden, weiß selbst, wovon hier die Rede ist, so dass sich an dieser Stelle eine weitere detaillierte Auflistung der Ereignisse erübrigt, die diesen Glaubensabfalls beinhalten.

So verwendet auch die katholische Kirche am 24. Sonntag nach Pfingsten, dem letzten Sonntag im Kirchenjahr, im Evangelium der hl. Messe jenen Abschnitt aus dem Matthäusevangelium (Mt 24,15-35), der von der Drangsal der Zeit nach der Himmelfahrt Jesu handeln. Zusammenfassend und stellvertretend für diese Ausführungen kann hier angeführt werden: „Es wird alsdann eine so große Bedrängnis sein, wie sie von Anfang der Welt bis jetzt nicht war, auch fernerhin nicht mehr sein wird. Ja, würden diese Tage nicht abgekürzt, so würde kein Mensch gerettet werden“ (24,21f.) Weiter heißt es, dass „falsche Christus und falsche Propheten aufstehen und große Zeichen und (Schein-)Wunder wirken“ werden, „so dass selbst die Auserwählten, wenn es möglich wäre, in Irrtum geführt würden“ (24,24).

Und das allertraurigste an diesen Ausführungen Jesu ist, dass Er uns hier „den Greuel der Verwüstung am heiligen Ort“ vorhersagt, „der von dem Propheten Daniel vorausgesagt wurde“ (24,15)! Zwar ist es oft nicht leicht, prophetische Aussagen der Heiligen Schrift ganz konkret auf historische Ereignisse zu deuten. Aber dennoch entbehrt es nicht einer berechtigten Grundlage, die Aufgabe der überlieferten apostolischen Messliturgie durch die postkonziliare „katholische“ Hierarchie und Priesterschaft als gerade jenen „Greuel der Verwüstung am heiligen Ort“ zu interpretieren, wovon im Evangelium die Rede ist. Und diese Worte des Evangeliums stellen ja nichts anderes als die Worte Jesu Christi selbst dar, weshalb sie nicht übergangen oder missachtet werden dürfen!

Und das ist ja mitunter auch das Problem der gegenwärtigen Zeit, dass man im offiziellen kirchlichen Bereich den Ernst der Lage, in der sich die Christenheit befindet, entweder nicht wahrnimmt oder nicht genügend berücksichtigt oder sogar nicht berücksichtigen will. So fielen die am Ende des diesjährigen ersten ökumenischen Kirchentages in Berlin abgegebenen Statements über die Lage des Glaubens in Deutschland durch die entsprechenden Verantwortlichen im „katholischen“ wie „evangelischen“ Lager durchwegs positiv aus. Zwar wird gelegentlich der Rückgang der Religiosität und der Mitgliederzahlen in den jeweiligen „Kirchen“ bemängelt. Aber wenn etwa 200 000 Menschen zu diesem Kirchentag kämen, dann könne ja die Lage des christlichen Glaubens in unseren Landen nicht so düster aussehen, wie sie von einigen - wie es polemisch heißt - „Unglückspropheten“ beschrieben werde. Die entscheidende Frage aber, woran denn diese Menschen mitunter so alles „glauben“, wenn man eben danach fragen wollte bzw. sollte, wird leider nicht gestellt!

Nein, wir können, wollen und dürfen die Worte des Evangeliums, die ja die Worte unseres göttlichen Erlösers selbst sind, weder ignorieren noch der Vergesslichkeit noch sogar der Lächerlichkeit preisgeben! Sie stellen auch einen Teil Seiner Glaubensverkündigung dar, weshalb sie zum festen Bestandteil des Evangeliums gehören und von dort nicht wegzudenken sind. Nehmen wir daher die gegenwärtige Situation ernst, erkennen wir den Ernst der Lage, in welcher sich die Christenheit und die Menschen in unserer konkreten historischen Gegenwart befinden und verwerten wir auch diese Erkenntnisse bitte unbedingt bei der von uns in mancherlei Hinsicht zu treffenden persönlichen Entscheidungen, die Gott, Glaube und Kirche betreffen.

Aber begehen wir trotz alledem nicht den Fehler, den Kopf in den Sand zu stecken und nur durch aus lauter Enttäuschung über die gegenwärtige Situation herunterhängende Köpfe aufzufallen. An der dem obigen Evangeliumsausschnitt aus dem Matthäusevangelium parallelen Stelle aus dem Lukasevangelium (vom 1. Adventsonntag) wird das Wort Christi überliefert: „Wenn nun das alles eintritt, dann schauet auf und erhebet eure Häupter; denn es naht eure Erlösung“ (Lk 21,31).
Zwar stimmt der gegenwärtige Zustand der Welt und der Kirche jede gottliebende Seele traurig, man leidet mit Christus über den Sittenverfall und die Gottlosigkeit vieler. Aber dennoch dürfen wir unsere grundsätzliche Glaubenshaltung nicht hauptsächlich durch diese negativen Entwicklungen definieren, sie nicht in erster Linie von diesem traurigen Zustand der Welt und der Kirche abhängig machen!
Gelegentlich begegnet man der Einstellung, dass alles nur bemängelt, dass - ohne überhaupt ein positives Wort über irgend etwas zu äußern - nur an allem Schlechten herumkritisiert wird. Zwar möge diese Kritik objektiv auch stimmen, aber dennoch besteht die Glaubenshaltung eines Christen nicht nur darin, lediglich alles Gottwidrige zu sehen (und voller Berechtigung auch abzulehnen), sondern doch in erster Linie darin, Gott mit dem Auge seines Geistes zu erblicken und Ihn von ganzem Herzen zu lieben!
Wenn ein Mensch nur noch bloß das Negative an der Gesamtrealität sieht und das allein zum Inhalt seiner Glaubenshaltung macht, dann kann er sich leicht in diese Sachen ungesund hineinsteigern und wird sich trotz der teilweisen Berechtigung seiner Kritik bisweilen nicht gegen den Vorwurf der Einseitigkeit seiner Betrachtungsweise erwehren können. Wen soll es dann noch wundern, wenn sich bei dieser einseitigen und gelegentlich auch übertriebenen Haltung in der Folge vielleicht auch noch seelische Probleme in der Gestalt von Depressionen einstellen?

Natürlich muss ein katholischer Christ heute wie auch immer sowohl anti-modernistisch wie anti-liberal, anti-zionistisch wie anti-faschistisch, anti-kommunistisch wie anti-freimaurerisch, anti-geldliebend wie anti-hedonistisch, anti-geschichtsverdrehend wie anti-nationalistisch usw. sein, wenn man es mal so formulieren dürfte. Dennoch sind wir kein „Anti“- oder „Contra“-Verein, der seine Daseinberechtigung nur darin erblickt, immer nur gegen irgend etwas, auch wenn gegen das Schlechte, Böse und Gottlose, zu sein!
Natürlich sind wir gegen das Schlechte, Böse und Gottlose, und könnten anders auch gar nicht sein. Aber in erster Linie sind wir für Gott, gottliebend, Ihn bejahend! Denn neben dem Schlechten, Bösen und Gottlosen in der Welt gibt es auch noch den Herrgott, wobei die Beschäftigung mit Ihm den ersten und wichtigsten Grund des Christseins bildet und bilden kann. Wir sind Christen, nicht um zunächst einmal nur alles Gottwidrige zu sehen und abzulehnen, sondern um zunächst Gott zu lieben, und zwar von ganzem Herzen, von ganzer Seele, mit allen unseren Kräften!

Der Glaube ist vordergründig eine durch und durch positive Haltung! Hier soll Gott mit dem Auge des Geistes erkannt und willensmäßig bejaht, d.h. mit anderen Worten: von der menschlichen Seele geliebt werden. Parallel dazu ergibt sich daraus natürlich auch die in dieser Liebe zu Gott begründete Notwendigkeit der Ablehnung alles Negativen: der Gottlosigkeit wie der Sünde. Aber dennoch ist es wichtig festzustellen, dass wir alles Gottwidrige ablehnen, weil wir Gott lieben. An erster Stelle im Hinblick auf die grundsätzliche Glaubenshaltung kann und darf somit nur die positive Zuwendung des Menschen zu Gott stehen und sonst nichts!

Lassen wir uns also auch und gerade angesichts des oben beschriebenen Ernstes der gegenwärtigen Lage und der enormen Gefahren, die auf uns lauern, nicht davon abbringen, sich zunächst einmal so zu sagen hauptamtlich und hauptberuflich mit dem Herrgott zu beschäftigen, eine intensive Gottesbeziehung zu pflegen. Dann (erst) werden wir in die Lage versetzt zu erkennen, wie gut, heilig und liebenswert der Er ist: „So kostet und seht, wie gütig der Herr“ (Ps 33,9)! Dies ist die beste und effektivste

Vorbeugemaßnahme gegen den zur Zeit so massiv stattfindenden Prozess der Entchristlichung unserer Gesellschaft und, so seltsam es auch klingen mag, der offiziellen „Kirche“. Dann werden wir aber auch vermögen, die Lügen der gegen diesen heiligen Glauben unserer Vorfahren gerichteten und letztendlich als antichristlichen einzustufenden Propaganda zu durchschauen, von wem auch immer sie betrieben werden soll.

P. Eugen Rissling
 

Zurück Hoch Startseite