Warum wurde ich katholisch?

(Teil 2) 

Wenn ich fast jeden Tag ins Stadtzentrum Moskaus hineinkam, bemühte ich mich auch dann, an der Kirche vorbeizugehen, wenn ich nicht an der hl. Messe teilnehmen konnte, welche an Werktagen nur einmal morgens um 8.00 Uhr zelebriert wurde (es gab ja nur einen Priester). Das brachte eine ungewöhnliche Sicherheit in den Alltag hinein, und erstaunlicherweise gelang alles im Leben. Fast alles, denn das, was einem nicht gelang, erschien mit der Zeit, wiederum erstaunlich, offenkundig als etwas, was weniger nützlich war. Eben: “Dein Wille geschehe...” 

Besonders muss man hier den Priester erwähnen, P. Stanislaw Mazejka, der taufte und firmte 1. Vor zwei Jahren jährte sich zum 100. Mal sein Geburtstag. Der Pater erschien streng, aber es gab in der Gemeinde keinen anderen Menschen, der sein Leben so für die Herde eingesetzt hätte, wie er. Er beschützte uns vor der Sowjetmacht (darüber zu berichten kamen wir noch nicht dazu) und vor dem Eindringen des “reform-katholischen” Geistes. Und er litt für uns. Er litt unter verschiedensten Behörden; und mit Beginn der Veränderungen seit Gorbatschow litt er unter dem Schmutz, welchen jene über ihn ausschütteten, die in die Kirche kamen wegen der Bequemlichkeiten des “Reformkatholizismus” (indem sie sich von der aus ihrer Sicht unbequemen Rechtgläubigkeit entfernten). 

Es ist geradezu unterhaltsam, dass die wichtigsten Schreiberlinge des Jahres 1990, die so genannten Kämpfer gegen die Starrheit und den Stillstand, jetzt entweder Jünger des “extrem-reformierten Katholizismus” ...oder der “alten Messe” sind; und wiederum verfassen sie Schmähschriften, aber über andere. Einem schlechten Christen reicht die Bequemlichkeit immer nicht aus. 

Am allerwenigsten suchte ich in der Kirche diese Bequemlichkeit oder, ihr gegenüber meine Forderungen zu erheben: sie möge mir eine verständliche Sprache, einen kurzen Gottesdienst usw. bieten. Denn in die Kirche geht man nicht, damit es uns da “gut” gehe (einem Christen geht es da übrigens immer gut), damit jemand - ob nun der Priester, Bischof, Papst oder das Vatikanische Konzil - alles “gut” versorgte. In die Kirche geht man, damit es einem später gut gehe. “Damit es einem später gut gehe”, ist kein Egoismus. Denn gut kann es einem Christen gehen, wenn es auch seinem Nächsten gut geht. Und was kann besser sein, als dazu beizutragen, dass der Nächste das Geschenk des Glaubens annehme und danach auch bewahre? Soll man sich deshalb für die Bekehrung der Menschen zum Katholizismus um ihres eigenen Heiles willen einsetzen? Ja! Dies ist in der Satzung meiner Kirche niedergeschrieben, welches Evangelium heißt. 

Es ist modisch, sich über die Reinheit der Ziele zu unterhalten. Aber man muss dabei den Akzent immer auch auf die Reinheit der Mittel legen. Dies bewahrt uns vor allen (berechtigten) Anschuldigungen. Der Ökumenismus der letzten Jahrzehnte verkündete den Respekt zu anderen Religionen (möge doch der Herr die Augen derer Jünger öffnen), aber er führte dazu, dass die Welt an den Rand eines religiös begründeten Krieges kam. Und paradoxerweise hat der “reformierte Katholizismus” mehr Probleme mit den Orthodoxen bekommen als die Bewegung der Tradition. 

So blieb ich auch nach 1990 katholisch (denn ab diesem Jahr wurde in Russland massiv der Modernismus eingeführt - Anm. der Red.) und ein “Traditionalist”, aber nur deswegen, weil ich mir kein Recht zusprechen darf, etwas anzunehmen, was nicht von der Kirche überliefert wurde, das heißt, was nicht der Tradition entspricht. Und ich habe kein Recht, nicht weiterzugeben, was von der Kirche überliefert wurde. 

Ich werde mich jetzt nicht vertiefen in die liturgischen Einzelheiten, insbesondere in jene liturgischen Missbräuche, für welche sich durch Reformen der Jahre 1967-1969 ein breites Feld öffnete. Vor mehreren Jahren schrieb ich bereits einen Artikel, in welchem ich den überlieferten Messritus verteidigte. Aber im letzten Augenblick wurde dessen Druck durch den kirchlichen Berater (der Zeitung “Свет Евангелия” [„Licht des Evangeliums“ - des offiziellen Presseorgans der Moskauer Diözese], in welcher der aktuelle Aufsatz im August 2006 veröffentlicht wurde - Anm. der Red.) verhindert. Und er ließ nur den Artikel eines Herrn zur Verteidigung der Reformmesse zu. Dieses Spiel war unehrlich, nur in eine Richtung. 

Man könnte fragen: Was wäre geschehen, wenn ich zuerst nicht den überlieferten Katholizismus kennen gelernt hätte, sondern den “Reformkatholizismus”? Nun, erstens weiß ich nicht, was geschehen wäre, wenn es so geschehen wäre. Denn letztendlich führte mich ja Gott! Und zweitens hätte ich zwar nicht sofort natürlich, aber dennoch verstanden, dass ich einem Fehler unterlag. Denn man hätte mir ja angeboten, das zu tun, was für mich “angenehm” und nicht, was heilsam wäre. 

Ich kenne viele Beispiele von jungen Menschen, die nicht die Epoche der Sowjetunion kennen und auch nicht die Zeit, zu welcher in den Kirchen auf deren Gebiet der überlieferte und eben nicht der “reformierte” Katholizismus anzutreffen war. Und nicht ich habe das moderne Sprichwort erfunden, welches im Westen verbreitet ist: “Wir wollen Gott, aber die Kirche gibt Ihn uns nicht”. Meine jahrelangen Beobachtungen sagen, dass Menschen, die in die Kirche wegen der von ihnen gewünschten Bequemlichkeiten (welcher Art auch immer - der geistlichen, seelischen usw.) kommen, sie auch wieder schnell verlassen, wenn sie keinen finanziellen Vorteil davon haben. Dieser Bequemlichkeiten wird man überdrüssig, man will mehr davon, und der “Reformkatholizismus” kommt nicht den Ansprüchen nach. Daher rührt auch der extrem-liberale “Katholizismus” westlicher Länder, welcher sogar die sich im Anfangsstadium befindenden Parteigänger des “Reformkatholizismus” bei uns (in Russland - Anm. der Red.) in Schrecken versetzen. 

Das Wesen des “Reformkatholizismus” durchschaute ich ziemlich bald. Als es mir Ende der 80-er Jahre gelang, nach Polen zu kommen, so versetzte mich der Unterschied zwischen dem in Erstaunen, zu was wir in Moskau gewohnt waren, und dem, was man dort sah. Und auch in Polen selbst gab es einen inneren Widerspruch - zwischen den einzelnen Kirchen und Gottesdiensten dort. Leute, die so (modernistisch) Messen feierten, hätten nicht solche herrlichen Kirchen bauen können. Das hat nicht zusammengepasst. 

Dann kam Tschechien, wo alles noch schlimmer war, und die Konturen des “Reformkatholizismus” kamen noch viel deutlicher zum Vorschein. Dann wurde einem die rechte katholische Literatur zugänglich, in welcher in streng-logischer Weise erklärt wurde, was und warum in der Kirche sein soll. Und als die “Reform” um das Jahr 1990 herum nach Moskau kam, war alles ziemlich klar. Deshalb habe ich mich bei meiner ersten Reise nach Frankreich über nichts mehr gewundert und ging zur hl. Messe am Sonntag in Saint Nicolas zu den so genannten “Lefebvristen”. 

Als ich dann fünf Jahre lang in Frankreich gelebt und studiert hatte, ging ich nicht mehr zu den “Lefebvristen”. Überwiegend wegen ihrer äußerst zweideutigen Position im Hinblick zum Heiligen Stuhl. Hauptsächlich aber, weil ich die fand, die der ganzen Tradition der Kirche folgten, ohne etwas um des eigenen Vorteils willen oder wegen der Forderungen der gegenwärtigen Welt zu verändern. Danach, anfänglich nicht ohne Hilfe der “Lefebvristen” (Gott gebe ihnen alles Gute), gelang es, das Leben des überlieferten Katholizismus in Moskau fortzusetzen. Und ich kann dafür bürgen, dass niemand von uns, den “Traditionalisten”, von “Nostalgie zur Schönheit der lateinischen Liturgie vor der Reform” erfüllt ist, wie jemand mal schrieb. Mit dieser Schönheit ist es bei uns etwas schwierig - die Jugend hat sie praktisch nie gesehen -, wir haben es eher mit Sorgen zu tun. Aber wenn wir schon Katholiken wurden, so liegt es nicht an uns zu entscheiden (ob es uns nun gefällt oder nicht), was gut ist in der Kirche und wie man leben soll. 

In die Kirche geht man nicht um der Nostalgie oder der Schönheit willen, und noch weniger wegen des Lateins. Gleichermaßen geht man hierher nicht wegen der Vorliebe für den Papst, für die Romantik der unterhaltsamen Jugend-Wallfahrten, für die Einheit zwischen den Christen untereinander und mit den Nicht-Christen, für die weltweite Dimension usw. 

In die Kirche geht man um der Wahrheit und des Heiles willen! In die Kirche geht man zuerst mit dem Herzen und dann mit den Füßen. Mit den Füßen (allein) kann man zwar in die Kirche gehen, aber dabei dennoch von der Kirche weggehen... 

Was bedeutet, katholisch im heutigen Russland zu sein? Ich denke, wie man sowohl im eigentlichen als auch im weniger zutreffenden Sinne des Wortes ein “Modernist” sein kann, so übrigens auch ein “Traditionalist”. Erstens bedeutet (“Traditionalist” im eigentlichen Sinnes des Wortes zu sein), den katholischen Glauben, der auch im liturgischen Ritus zum Ausdruck gebracht wird (das Gebet entspricht offenkundig dem Glauben), unantastbar zu belassen; und auch nicht der Versuchung nachzugeben, die Kirche den jeweiligen Forderungen der “sich verändernden Welt” anzupassen. Und zweitens (bedeutet dies), dass man sich verabschieden soll von der Versuchung und dem Wunsch, ein Katholik des 19., 18. oder irgend eines anderen Jahrhunderts zu werden, indem man sich (einseitig) nur mit dem liturgischen Ritus beschäftigt. 

Denn gegenwärtig kann man entweder ein Katholik des 21. Jahrhunderts sein oder als eine modernistisch-traditionalistische Witzfigur in Erscheinung treten! Wenn man den Modernismus als das Gespräch mit der Welt in der Sprache der Welt definiert, indem man ihr die ewige Wahrheit predigt und verkündet (und nicht wie ein Dialog gleichwertiger Gesprächspartner), so bin ich ein Modernist. Wenn man aber den Modernismus so auffassen soll, dass die Kirche sich den Forderungen der heutigen Welt unterwerfen soll, dann ist er tatsächlich “Sammelbecken aller Irrlehren”, wie es der hl. Pius X. formulierte. 

Was aber die Spielchen mit der Ästhetik in traditionalistischen Kreisen angeht, so scheint hier sowieso allen alles klar zu sein. Die traditionalistische Ästhetik um jeden Preis stellt seinem Wesen nach kaum etwas anderes dar als der auf die linke Seite gekehrte Modernismus. Eine bestimmte “strenge” Priesterbruderschaft hält sich für den Mittelpunkt der Tradition, als ob es “außerhalb dieser Priesterbruderschaft kein Heil” gäbe. Eine andere Priesterbruderschaft, welche von gewissen “reformkatholischen” Kreisen als ein Gegengewicht zur ersten ins Leben gerufen wurde, ist bereit, sich von der Tradition loszusagen, nur um die seltene Erlaubnis zu erhalten, die “alte Messe” feiern zu dürfen. In allen diesen Gemeinschaften gibt es hochanständige Leute, ich weiß es aus eigener Erfahrung. Ich kenne, wie mir überhaupt möglich, ihren aufrichtigen und tiefen Glauben. Dennoch scheint mir die Richtung, in welche sich diese Gemeinschaften entwickeln, verfault zu sein. 

Generell ist das Prinzip: “Ich bin für die alte Messe” oder: “Und ich bin für die neue Messe”, unzulänglich. Ich bin nicht für die alte Messe (welche alte: nach den Rubriken der Jahre 1962, 1954, 1570 usw.?) - ich bin für die Heilige Messe! Wenn während der hl. Messe Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi verwandelt und als Opfer dargebracht werden, geht es letztendlich nicht um Rubriken. Wenn die Messe nur ein gültig geweihter Priester feiert! Hier folge ich voll und ganz dem, was Kardinal Alfredo Ottaviani und Bischof Guérard des Lauriers verteidigt haben. Denn sie wiesen im Jahre 1969 den Katholiken den Weg - gerade während (der ganz heißen Phase) unserer üblen Jahre. Der erste war Präfekt der Glaubenskongregation und der zweite - Mönch und gelehrter Dominikaner - sogar einer der wichtigsten theologischen Berater unter Pius XII.. So arbeitete er bei der Verfassung des vorläufig letzten vom Papst verkündeten Dogma mit, dem Dogma von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel. Der erste starb im Jahre 1979 und der zweite 1988. Somit kannten sie die Problematik der “Reformen” der Jahre 1967-1969 zur Genüge und zeigten den Katholiken den Weg auf, den sie beschreiten sollten. 
Somit bedeutet für mich, heute katholisch zu sein, zu leben, indem man weder vergisst, welches Jahrhundert wir gerade haben, noch, ohne Abweichungen der lebendigen Tradition der Kirche anzugehören. Im Gegenteil, wir sollten sie verteidigen und an die uns folgenden Generationen weitergeben. Christus brachte das Schwert in diese Welt (vgl. Mt 10,34), und sogar wir, die Katholiken in Russland, gehören zur Streitenden Kirche! Und wir sind ebenfalls verpflichtet, für das Seelenheil der nächsten Generation zu kämpfen, wie unsere Väter im Glauben für uns unter dem Visier der KGB-Kameras für uns kämpften! 


Alexander Kryssov

(übersetzt von P. Eugen Rissling)

1 Unter bestimmten historischen Umständen (äußere Verfolgung, kein Bischof verfügbar) kann ein Priester des    
   Römischen Ritus ebenfalls eine kirchliche Genehmigung erhalten, gültig Firmungen zu spenden. 

 

 

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