Gebet wirksam?


Wir alle kennen ja die Worte Jesu aus dem Evangelium, mit denen Er Seinen Zuhörern den Sinn des flehentlichen Gebetes einschärft: „Bittet, und es wird euch gegeben; sucht, und ihr werdet finden; klopft an, und es wird euch aufgetan. Denn jeder, der bittet, empfängt; wer sucht, der findet; wer anklopft, dem wird aufgetan. Oder wer von euch wird seinem Sohn einen Stein geben, wenn er ihn um Brot bittet? Oder wer wird ihm eine Schlange geben, wenn er um einen Fisch bittet? Wenn nun ihr, obwohl ihr böse seid, euren Kindern gute Gabe zu geben wisst, wieviel mehr wird euer Vater im Himmel denen Gutes geben, die Ihn bitten!“ (Mt 7,7-11) Gott wird hier eindrucksvoll als der gütige Vater präsentiert, der bereitwillig die Gebete der Gläubigen erhört. 

Von solchen Worten angeregt, fühlen auch wir uns angespornt, den „Vater des Lichts“ inständig um jede „gute Gabe“, um jedes „vollkommene Geschenk“ zu bitten (vgl. Jak 1,17). Denn wer von uns, Menschen, ist nicht auf die Hilfe des Dreieinigen Gottes angewiesen, wer kann auf Sein vielschichtiges Gnadengeschenk verzichten, ohne dadurch Schaden an seiner Seele zu nehmen? 

Und besonders dann nehmen wir unsere Zuflucht zum Gebet, wenn wir uns in einer Not, in einer großen Bedrängnis befinden und von keinem Menschen mehr Hilfe erwarten - wenn wir mit jeder Faser unseres Wesens unsere eigene Schwäche erfahren, unser sittliches Unvermögen erleben. Hier bewahrheitet sich, was das Sprichwort sagt: „Die Not lehrt beten“! Aber trotzdem hat man manchmal den Eindruck, als würde das Gebet unerhört bleiben, als würde es nichts bringen und nichts nützten. Wenn man vielleicht sogar viel betet, aber (scheinbar) keine Gebetserhörung zu erfahren glaubt, dann ist es kein langer Weg mehr zu Zweifeln an der Wirksamkeit des christlichen Gebetes. Wem von uns sind solche Gedanken nicht auch schon einmal gekommen, wer musste sich nicht damit - wenigstens bisweilen - auseinander setzen? Ist denn das Gebet wirklich so effektiv, wie es uns im hl. Evangelium dargestellt wird? 

Nun, wenn wir uns diese Frage vorlegen, dann darf zunächst nicht vergessen werden, dass wir trotz allen Bittens keinen Anspruch auf die Gewährung der von Gott erbetenen Gaben haben. Wir können an Ihn keine Forderungen stellen, als sei Er unter allen Umständen verpflichtet, uns das Erbetene zu geben, wie z.B. ein Arbeitgeber verpflichtet ist, den Arbeitnehmer für die geleistete Arbeit entsprechend zu entlohnen. Nein, dieser Art Rechtsanspruch besitzen wir beim Herrgott nicht. Natürlich ist das Gebet notwendig und äußerst wichtig, die eingangs zitierten Worte Christi von der Dringlichkeit des Gebetes unterstreichen dies eindrucksvoll. Aber wenn wir Gott eine Bitte vortragen, dann bedeutet dies trotzdem nicht, dass Er dadurch bei uns etwa in der Pflicht stehen, dass Er uns dafür etwas schulden würde, dass wir Seine Hilfe mit Gebet etwa kaufen könnten. 

Nein, das Gebet ist und bleibt nichts anderes als eine Gott im Vertrauen auf Seine Hilfsbereitschaft vorgetragene Bitte, die Gebetserhörung stellt immer und in jedem Fall eine Gnade, ein freies Geschenk des sich mitteilenden Gottes dar! Zwar erkennen und anerkennen wir mit dem Gebet vor Gott unsere Hilfsbedürftigkeit und unser Angewiesensein auf Seinen Beistand, zwar appellieren wir dadurch an Seine unendliche göttliche Barmherzigkeit, uns zur Hilfe zu eilen, zwar signalisieren wir Ihm auf diese Weise, wie sehr wir uns über Sein Eingreifen zu unseren Gunsten freuen würden und wie sehr wir Ihm dafür dankbar wären. Weil wir aber nicht über Gott stehen und Ihn nicht befehligen können, können wir es nicht mit Gewalt erzwingen (und dürfen es auch nicht wollen) - wir bitten eben darum, und zwar in aller Demut und Bescheidenheit! 

Daher muss es uns auch klar sein, dass Er allein entscheidet (!), ob Er uns (auf unser Gebet hin) überhaupt hilft. Denn Gott allein ist allwissend, Er allein weiß, was wir tatsächlich brauchen, was uns zum Nutzen gereicht und ob uns die erbetene Gabe wirklich voranbringen oder vielleicht sogar noch schaden würde. Und wenn unser Gebet scheinbar unerhört bleibt, dann dürfen wir nicht vergessen, dass es unter Umständen der ausdrückliche Wille Gottes sein könnte, dass das Kreuz auf unseren Schultern liegen bleibt. Denn Benachteiligung, Opfer und Leid haben schon so manchem die Augen für die Vergänglichkeit der Welt und ihrer „Ideale“ geöffnet, den Weg zur inneren Umkehr und zur bewussten Hinwendung an Gott geebnet! 

Auch Jesus hat (Seiner menschlichen Natur nach) angesichts der bevorstehenden leiblichen und seelischen Qualen darum gebeten, der bittere Leidenskelch möge an Ihm vorübergehen. Aber Er vergaß nicht, die sowohl für Ihn als auch für uns alle höchst folgenschweren Worte hinzuzufügen: „Doch nicht wie Ich will, sondern wie Du willst“ (Mt 26,39). Und die praktische Realisierung dieser Gebetsworte bedeuteten unsere Erlösung! 

Eigentlich bleibt das Gebet auch in solchen Fällen nicht unerhört, denn Er gibt auch die nötige Kraft - wenn wir das nur erkennen würden (!) -, das betreffende Kreuz im Geiste und in der Gesinnung Jesu Christi, der stellvertretend für uns am Kreuz litt, zu tragen. Wer als „mühseliger“ und „beladener“ zu Ihm kommt, der wird von Ihm sicherlich auch „Erquickung“ erfahren, der wird „Ruhe finden“ für seine Seele (vgl. Mt 11,28f.). Und dieser durch christliche Bußübungen geschärfte Blick für die Realität Gottes trägt bei jedem treuen Diener Christi ohne Zweifel zur Intensivierung und Bereicherung seines Lebens mit Gott bei! Somit ist es nicht abwegig anzunehmen, dass es für uns unter Umständen sogar heilsam sein könnte, wenn der liebe Gott unsere Bitte bisweilen nicht in Erfüllung gehen lässt. Und wenn Gott unserer Bitte entsprechen sollte, dann ist es durchaus vorstellbar, dass Er auf eine andere Weise eingreift, als wir, sündige und sterbliche Menschen, erbeten und es uns vorgestellt haben. Vergessen wir nicht, trotz unserer Intelligenzbegabung wissen wir bei weitem nicht alles und können somit auch nicht alle Zusammenhänge ergründen und immer hundertprozentig richtig bewerten. Daher kann es auch sein, dass Gott in Seiner Allwissenheit es für richtig hält, unsere Bitte nicht im wortwörtlichen Sinn, d.h. nach ihrem Buchstaben, in Erfüllung gehen zu lassen, sondern auf eine Weise, wie uns nämlich mehr geistigen Nutzen und inneren Fortschritt geschenkt werden könnten. Denn es geht ja schließlich nicht darum, was wir uns in den Kopf gesetzt haben, sondern, was besser und sinnvoller ist! 

Ebenfalls müssen wir dem Herrgott die Entscheidung darüber überlassen, wann Er helfend eingreift. Wenn wir um eine bestimmte Gnade oder Gabe bitten, dann verbinden wir damit in der Regel auch die Erwartung, die erbetene Hilfe baldmöglichst (!) zu erfahren. Und wenn wir bisweilen sogar bereit sein sollten, auf die Gebetserhörung zu warten, dann meistens nur eine relativ kurze Weile. Und bleibt das göttliche Eingreifen immer noch aus, sind wir leicht geneigt, dies der Nutzlosigkeit des Gebetes zuzuschreiben. Aber vielleicht haben wir noch nicht genug oder mit zu wenig Hingabe gebetet. Vielleicht sollten wir daher entweder unsere Gebetsintensität oder unser Gottvertrauen steigern. Vielleicht ist auch der richtige Zeitpunkt für das Eingreifen Gottes noch nicht gekommen, so dass es nach göttlicher Vorsehung besser ist, wir üben uns inzwischen in christlicher Geduld, da wir zur Zeit ganz einfach noch nicht reif sind für die erbetene Gnade. Auch sonst muss so manches im Leben heranreifen und den richtigen bzw. optimalen Zeitpunkt abwarten, um unter gegebenen Umständen die höchstmögliche Effektivität zu erzielen. 

Oder unser Gebet ist schlicht und einfach bereits erhört worden, und wir haben es wegen unserer sittlichen Unzulänglichkeit oder der geistigen Trägheit nicht bemerkt, wie wir es versäumt hatten, die dargebotene Gnade Gottes aufzugreifen und mit ihr zu unserem eigenen Nutzen mitzuwirken! Statt gegen Gott leichtfertig Vorwürfe zu erheben, würde es uns nicht schlecht stehen, mehr an der eigenen sittlichen Vervollkommnung zu arbeiten. 

Auch die Freiheit des jeweiligen Menschen, die göttliche Gnade anzunehmen, spielt hier eine große Rolle. Zweifelsfrei kann diese dargebotene Gnade ja auch ausgeschlagen werden. Und wenn wir z.B. Fürbitten für einen bestimmten Menschen einlegen, damit er sich etwa bekehre und sich (erneut) dem seligmachenden katholischen Glauben zuwende, dann wollen wir nicht vergessen, dass wir nicht unbedingt persönlich erleben müssen, wie er diese Umkehr zu Gott vollzieht. Zwar würde die Kunde von der Bekehrung der Sünder jeden überzeugten Christen aufrichtig freuen, aber letztendlich geht es nicht darum, dass dies unbedingt zu unseren Lebzeiten geschieht. Hauptsache ist, diese Bekehrung erfolgt, wenn auch nur beim letzten Atemzug eines Sünders vor dem Übergang in die Ewigkeit! 
Nicht auszuschließen ist ebenfalls, dass der liebe Gott es für angebracht hält, die durch das fürbittende Gebet erflehten Gnaden statt dem einen einem ganz anderen Menschen zukommen zu lassen! Vielleicht hat es der andere nötiger als der, für den wir ausdrücklich beten. Oder bei ihm fruchten diese Gnaden eben mehr. 

Daraus wird ersichtlich, dass kein aufrichtiges Gebet beim Herrgott unerhört und keine Bitte ohne Wirkung bleibt. „Alles, was ihr im Gebet gläubig erbittet, werdet ihr erhalten“ (Mt 21,22). Nicht umsonst ist die Mühe und der Kraftaufwand, mit denen sich gottliebende Seelen, die am miserablen Zustand der gegenwärtigen gottverneinenden Welt leiden, an Ihn wenden! Auch wenn sie wissen, dass Er allein entscheidet, wem, wann und wie Er aus diesem Gebetsschatz wirksame Hilfe und überreiche Gnade zukommen lässt. Alle unsere schwachen und bescheidenen Gebete kommen gewissermaßen wie in ein großes Gefäß, das vor allem mit dem stellvertretenden Leiden unseres göttlichen Erlösers Jesus Christus und den wirksamen Fürbitten Seiner gebenedeiten Mutter, der allerseligsten Jungfrau Maria, gefüllt wird. Aber auch mit Gebeten aller anderen Heiligen und frommen Christgläubigen. Freuen wir uns, dass wir uns mit unseren Gebeten und Opfern ebenfalls daran beteiligen dürfen! 

Durch diese Wahrheit ermuntert und getröstet, wollen wir fortfahren, nicht nur für uns selbst zu bitten, sondern auch in allen (berechtigten) Anliegen unserer Mitmenschen und der heutigen Zeit Fürsprache einzulegen. Unsere Gebetsbereitschaft möge entfacht, und wir in unserer Gebetsbemühung beflügelt werden. Unser Gottvertrauen möge wachsen, und die Zuversicht auf die Realisierung Seines himmlischen Reiches sich noch weiter vermehren! 

 

P. Eugen Rissling


2Zitiert nach der Übersetzung von Karl Haselböck, „Freude an der Wahrheit“, Nr. 11, Wien. Hervorhebungen durch die Redaktion.

 

 

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