Der Hochmut - die erste Sünde

 
Vor einiger Zeit wurde mir von jemand erzählt, dass diese Person eine Unterhaltung mit einer dritten Person zum Thema hatte, welche Sünde denn die schlimmste sei, durch welches moralische Vergehen die Menschen Gott wohl am meisten verletzten. Und es sei dabei von einem jener Gesprächsteilnehmer der Begriff der Unreinheit und Unzucht genannt worden. Nach Meinung der betreffenden Person würde sich die Menschheit durch die ganzen Sünden gegen das Sechste Gebot Gottes wohl am schlimmsten gegen Gott versündigen.

Nun, jede Sünde ist ihrem Wesen nach gegen die Liebe Gottes gerichtet. Und in der Tat  stellen  auch  die Sünden der so genannten Unreinheit ein schwerwiegendes Vergehen gegen das moralische Gebot Gottes dar. Schon im Alten Bund galt der Ehebruch als ein Greuel in den Augen Gottes. So wurde der König David hart durch den Propheten Nathan gerügt, weil er mit Bethsabee, der Frau des Hethiter Urias Ehebruch begangen hatte und dann diesen Urias auch noch hatte umbringen lassen, um anschließend Bethsabee zur eigenen Ehefrau nehmen zu können (vgl. 2 Kön 11,12). Wie ein klares Drohwort klingt dabei an die Adresse aller Ehebrecher vor allem jener Satz aus dem Munde Nathans (im Auftrag Gottes): „Denn du hast Mich verachtet und die Frau des Hethiters Urias dir zum Weib genommen“ (3 Kön 12,10), wodurch eindrucksvoll unterstrichen wurde, dass die Ehe eine von Gott (und nicht vom Menschen) eingesetzte Institution ist und somit vom Menschen nicht außer Kraft gesetzt werden darf!

Und auch im Neuen Bund mangelt es nicht an klaren Worten. Exemplarisch sei hier nur die eine Passage aus dem Epheserbrief des hl. Apostels Paulus zitiert, wodurch er sich letztendlich an alle Christen wendet: „Unzucht oder irgendwelche Unreinheit [...] soll bei euch nicht einmal genannt werden. So ziemt es sich für Heilige. [...] Denn davon seid fest überzeugt: Kein Lüstling oder Unreiner [...] - das heißt Götzendiener - hat Anteil am Reiche Christi und Gottes. Keiner täusche euch durch leeres Gerede. Denn um solcher Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Ungehorsams. Habt darum nichts mit ihnen zu tun“ (Eph 5,3-7). Ist ja auch die Institution Ehe von Jesus Christus zu einem der sieben heiligen Sakramente erhoben worden, die sich somit des besonderen Gnadenbeistandes Gottes erfreut!

Und auch tatsächlich gibt es nicht selten einen klaren Zusammenhang zwischen den Sünden der Unreinheit auf der einen und dem zunehmenden Nachlassen im Glauben und schlussendlich auch dem weitestgehenden Aufgeben der Gottesbeziehung durch die Menschen auf der anderen Seite. Bringt denn die sexuelle Revolution gegen die entsprechenden moralischen Werte des Christentums und des Katholizismus, welche in den 60-er und 70-er Jahren des letzten Jahrhunderts eingeleitet wurde, inzwischen nicht furchtbare „Früchte“? Und trug (und trägt) dieser Verlust an gesundem Anstand und diese teilweise sogar schreckliche Verwilderung der guten Sitten nicht entscheidend dazu bei, dass weite Bevölkerungsschichten - hier vor allem die Jugend - dem Glauben zunehmend entfremdet wurden? Wurden und werden ja in den letzten Jahrzehnten viele Menschen durch die geradezu systematisch angelegte Propaganda der sexuellen Freizügigkeit und den praktisch weitestgehenden Tabubruch auf dem Gebiet des 6. Gebotes nichts anderes als so richtig ins Verderben gestürzt!

Aber trotz dieses desaströsen Phänomens stellt sich hier dennoch die Frage, ob denn diese ganzen Vergehen gegen das 6. Gebot Gottes geeignet seien, als die so genannte Ursünde der Menschheit zu gelten, als eine Sünde bezeichnet werden könne, die die hauptsächlichste Ursache, die eigentliche Quelle für viele anderen moralischen Übertretungen des göttlichen Gebotes darstelle. Dazu eignet sich doch eher eine andere Sünde, die als die zentrale Wurzel und der eigentliche Ursprung des gesamten Übels in der Menschheit angesehen werden kann.

Wenn wir einen Blick auf die Engelwelt werfen, dann erblicken wir, dass nach der Lehre der christlichen Offenbarungsreligion ein Teil der sich ursprünglich der Anschauung Gottes erfreuenden Engel gefallen ist, sich von Gott losgesagt hat. Und nach der fast einhelligen Meinung der christlich-katholischen Tradition gilt die Sünde des Stolzes als die so genannte Spezies, das Eigentümliche der Engelsünde, wobei man sich dabei auf die Stelle der Heiligen Schrift stützt: „Lass dich nie in deinen Gedanken und in deinen Worten vom Stolz beherrschen; denn mit ihm hat alles Übel seinen Anfang genommen“ (Tob 4,14)! Auch der hl. Paulus weist auf die generelle Gefährlichkeit der Stolzes hin, indem er bei seiner Anordnung, dass kein Neubekehrter Vorsteher einer Gemeinde werde, erläuternd hinzufügt, „damit er nicht hochmütig werde und dem Gericht des Teufels verfalle“ (1 Tim 3,6).

Und auch beim Sündenfall der Menschen spielt der Stolz und der Hochmut die entscheidende Rolle. Denn die Schlange, durch welche sich hier der Teufel an unsere Stammeltern wandte, begründete ihr Argument, Adam und Eva dürften doch vom Baume, „der in der Mitte des Gartens steht“, essen, mit dem Verweis darauf, dass ihnen „die Augen aufgehen“ und sie „wie Gott“ würden, sobald sie nur davon essen (Gen 3,5). Und letztendlich dieses „Wie Gott“-Werden-Wollen stachelte dann unsere Stammeltern dazu an, sich über Gottes Willen hinwegzusetzen und ihrem eigenen von Gott abgekoppelten menschlichen Willen den Vorzug zu geben.

Sowohl die gefallenen Engel als auch Adam und Eva erlagen somit der Versuchung, nicht nach der gnadenhaften Gottebenbildlichkeit und Endseligkeit zu verlangen, sondern durch selbstmächtiges, eigenwilliges und der göttlichen Ordnung widerstrebendes Verlangen nach dem greifen und es besitzen zu wollen, was bzw. wer der Herrgott Seiner eigenen göttlichen Natur nach in alle Ewigkeit ist! Oder mit anderen Worten: man wollte Gott nicht (mehr) in aller Konsequenz als Gott anerkennen und Ihm dienen, sondern statt dessen sich selbst als Seiner ebenbürtig erachten und somit sozusagen selbst Gott spielen - der klassische Fall des Hochmutes und des geistigen Stolzes!

Und dieser menschliche Stolz ist in der Folge in der Menschheitsgeschichte ursächlich für eine ganze Reihe anderer Verfehlungen verantwortlich, wodurch wir, die Menschen, uns nicht nur von Gott entfernen, sondern auch unser eigenes Leben, die verschiedenen zwischenmenschlichen Beziehungen, ziemlich erschweren. Deshalb kann diese Sünde durchaus, wie gleich unten dargelegt wird, gewissermaßen als die Quelle vielen Übels, als die so genannte Ursünde der Menschheit bezeichnet werden.

Denn jemand, der der Versuchung des Stolzes und des Hochmutes erliegt, ist in der Regel auch sehr von seiner eigenen Person eingenommen. Er meint fast wie selbstverständlich, bereits alles zu kennen, alles zu wissen und alles zu können. Nicht selten äußert sich auch ein solcher Mensch in diesem Sinne sowohl verbal mit Worten als auch praktisch im Benehmen, wie klug und intelligent er denn sei, was er schon so alles geleistet habe, welche große Verdienste er sich erworben hätte. Da bleibt kaum bis kein Raum für eine objektive Selbstkritik, für eine vernünftige kritische Überprüfung der eigenen Absichten, Worte und Handlungen. Bildet man sich ja ein, wenigstens in einem bestimmten Sachbereich bzw. Personenkreis der Beste und der Klügste, der einmalige Experte zu sein.

Demzufolge ist ein solcher Mensch praktisch nicht in der Lage, auf andere Menschen zu hören, ihnen überhaupt zuzuhören, auf sie einzugehen und somit gelegentlich auch noch etwas dazuzulernen. Wer ist denn schon perfekt und somit nicht mehr sozusagen verbesserungsfähig? Und diese persönliche Einbildung verhindert dann eine jegliche sachliche Diskussion, sollte es sich einmal um Meinungsverschiedenheit untereinander handeln, wie es ja immer wieder bei uns, Menschen, vorkommt, und trägt somit auch nicht zur gemeinsamen und somit auch möglichst für alle Seiten zufriedenstellenden Lösung eines jedweden auftretenden Problems oder der Fragestellung bei.

Im Gegenteil, man vergrößert durch diese gewichtige persönliche Unzulänglichkeit vielleicht sogar noch künstlich das tatsächlich bestehende Problem und erweist der guten Sache, für die man angeblich eintreten möchte, alles andere als einen guten Dienst. Und wie oft kommt es vor, dass etwas zu einem Problem hochstilisiert wird, wo doch die Lösung so nahe ist, wollte man nur den Sachverstand einschalten, den Sachgegenstand objektiv analysieren, dem anderen aufmerksam zuhören, ihm bei der Richtigkeit seiner Ansichten oder Ausführungen auch recht geben und somit nicht immer nur seinen eigenen Dickschädel durchsetzen!

Und bisweilen liegt auch überhaupt kein Problem vor, wenn die zur Diskussion stehende Situation nicht durch die die objektive Realität verzerrende Brille des menschlichen Eigenwillens und der persönlichen Unbelehrbarkeit gesehen würde! Da wird auf diese Weise gelegentlich auch ziemlich künstlich etwas in eine Sache hinein projeziert, wo beim sachlichen Blick nichts Verwerfliches vorhanden ist bzw. daran an sich nichts auszusetzen wäre.

Wer aber wegen seines vielleicht sogar krankhaften Stolzes nicht in der Lage sein sollte, im zwischenmenschlichen Bereich gesunde Kompromisse zu schließen (die nicht selten sogar dringend geboten wären), der verursacht nicht nur in diesem Bereich viel Ärger und Stress, sondern belastet dadurch natürlich auch enorm vor allem seine eigene Beziehung zum Herrgott. Denn wer nicht auf Mitmenschen einzugehen weiß, der hört in der Regel auch nicht so richtig Gott zu.

Ist es doch eine Grundwahrheit des geistlichen Strebens, sein inneres Ohr, das so genannte Ohr der Seele, aufmerksam für die leise Stimme Gottes zu öffnet, womit Er zu uns spricht und uns zur Erlangung der christlichen Vollkommenheit und somit zur Erlangung der wahren Freiheit, „der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes“ (Röm 8,21), anregen und anleiten möchte. Wer aber massiv vom Virus des menschlichen Stolzes und Hochmutes infiziert ist, der ist in aller Regel nicht so richtig zu diesem Zuhören bereit und überhört somit viel zu häufig auch die sanften Anregungen des göttlichen Meisters. Und dies gereicht dann natürlich zum nicht geringen, ja größten Schaden der Seele des betreffenden Menschen.

Und es ist in der Tat ziemlich von Nachteil für das Heil der eigenen Seele, nicht auf die Stimme Gottes zu hören, die an uns entweder durch die Stimme des (ständig zu schärfenden) Gewissens oder durch äußere für uns Sinn besitzende Ereignisse oder auch in der Gestalt einer Entscheidung einer für uns verantwortlichen Person (seien dies unsere Eltern, Vorgesetzte, Priester oder Bischöfe) herangetragen wird!

Achten wir somit darauf, nicht nur immer unsere eigene Meinung auf Gedeih und Verderb durchzuboxen, sondern feinfühlig darauf zu merken, was denn der Wille Gottes sei, was denn von Ihm für mich mittels anderer Personen oder auch mittels Seiner Vorsehung konkret zugelassen und somit bestimmt wird. Und man tue dies bitte unabhängig davon, welche Meinung man selbst ursprünglich davon gehabt, welche Vorlieben und Wünsche man zu Beginn dieses Erkenntnisprozesses besessen hat. Soll es uns nach der bekannten Bitte des Vaterunsers ja letztendlich um nichts anderes als um die Realisierung und Umsetzung, um das Geschehen des Willen Gottes gehen (vgl. Mt 6,10)!

Bemühen wir uns daher, uns in der Nachfolge Jesu Christi in die Schule desselben göttlichen Erlösers zu begeben, Der ja im Evangelium bezeugt, dass Er „sanftmütig und demütig von Herzen“ ist. Denn wer sich gleich den Heiligen gewissermaßen seiner selbst, seines eigenen Ego und seines ungeordneten (!) Strebens nach Mehr entleert, der wird dann ebenfalls „Ruhe finden für eure Seelen“ (vgl. Mt 11,29), weil er nämlich erst dadurch sozusagen „aufnahmebereit“ für Gott und Seine Liebe wird und sich eben nicht durch den menschlichen Stolz vom Vernehmen der leisen Stimme Gottes abbringen lässt.

So singt auch die Muttergottes uns allen den hehren Gesang einer demütigen Magd Gottes (vgl. Lk 1,38) vor: „Er verwirft die Herzen voll Hochmut. Gewalthaber stürzt Er vom Thron, Niedrige hebt Er empor. Hungrige erfüllt Er mit Gütern, Reiche lässt Er leer ausgehen“ (Lk 1,51-53)!

 

P. Eugen Rissling 


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