Wo ist Autorität heute?


Teil 2

Fragestellung 

In der Vergangenheit haben wir versucht, unter Verweis auf das Zeugnis der Hl. Schrift, der Väter und unter Berücksichtigung der Praxis der katholischen Kirche die Frage nach der kirchlichen Autorität zu behandeln: ihr Wesen, ihren Zweck und ihre Schranken (“Beiträge”, Nr. 5-7). Dann beleuchteten wir die aktuelle Entwicklung in der offiziellen Amtskirche und kamen zum Ergebnis, daß, sobald sie sich in Widerspruch zur katholischen Kirche aller Zeiten begibt, weder deren derzeitige “Amts”-träger kirchliche Autorität ausüben (können) noch sie selbst die römisch-katholische Kirche (aller Jahrhunderte) ist. Somit erfolgte die Feststellung, daß derzeit wichtige kirchliche Ämter nicht besetzt sind. 

Diese Erkenntnis bedeutet u. a. auch, daß alle Amtshandlungen, die von den Funktionsträgern der sogenannten Amtskirche begangen wurden und werden, null und nichtig sind! Wenn sich jemand nicht im Besitz der rechtmäßigen Autorität befindet, dann können auch seine Aktivitäten keinen Anspruch auf kirchliche Rechtmäßigkeit und Gültigkeit besitzen. Sollte daher die heutige kirchliche Notlage jemals bereinigt werden - worum wir innigst beten sollten -, dann hätten auch solche “Amtshandlungen” der modernistischen Hierarchie keine Gültigkeit, die man an sich als ein treugebliebener Katholik vertreten könnte: z.B. die seit der neuzeitlichen kirchlichen “Reform” erfolgten “Heiligsprechungen” von Personen, die auch die überlieferten strengeren Bestimmungen bezüglich der Heiligsprechung erfüllen würden. 

Das Vatikanum II. und die darauf folgenden tiefgreifenden “Reformen” haben den treugebliebenen Katholiken äußerst schwere Zeiten bereitet. Wir sind heute Zeugen einer bis dahin tatsächlich nie dagewesenen Situation geworden. Trotz zahlreicher Abspaltungen in der Christenheit seit der Frühzeit der Kirche handelte es sich dabei immer nur um einen Teil der Gläubigen und der Amtsträger, um die es uns hier hauptsächlich geht. Daß aber eine religiöse Gemeinschaft, die bis dahin mit Recht römisch-katholische Kirche war, nun zum größten Teil zur “Kirche” wird, ist eine völlig neue Erscheinung in der Kirchengeschichte. Daher drängt sich die Frage auf, ob und unter welchen Voraussetzungen treugebliebene Katholiken ihren Widerstand gegen diese traurige Entwicklung praktizieren dürfen. Um eine Antwort darauf geben zu können, möchten wir zunächst auf das Vorhandensein der zweifache Gewalt in der Kirche - der Weihe- und Hirtengewalt (ordentliche Jurisdiktion) - hinweisen. 

 

Weihe- und Hirtengewalt

“Grundlage der hierarchischen Gewalten ist die durch Jesus Christus der Kirche gegebene Sendung, Sein Heilswirken durch den Wechsel der Zeiten fortzusetzen... . Kraft göttlichen Willens ist diese Sendung an einen besonderen Auftrag gebunden, deren erste Träger die vom Herrn erwählten Apostel waren. Diesen gab der Herr den vom Vater erhaltenen eigenen Auftrag: `Wie Mich der Vater gesandt hat, so sende Ich euch` (Joh 20,21) und machte sie dadurch zu Mitvollziehern Seiner Berufung, zu `Dienern Christi und Ausspendern der Geheimnisse Gottes` (1 Kor 4,1). Mit der durch die apostolische Nachfolge verbürgten Fortdauer der Sendung des Herrn lebt Jesus Christus selbst in der Kirche fort und ist nicht allein durch das unsichtbare Walten des Hl. Geistes, sondern auch im sichtbaren Wirken der von Ihm auserwählten Diener das alle Glieder Seines mystischen Leibes belebende und regierende Haupt... . In dem Wirken des Hauptes zeigt sich eine zweifache Kraft, ein das Leben der Glieder zeugendes und erhaltendes, sowie ein die Glieder lenkendes Prinzip. Diese funktionelle Unterschiedenheit im Wirken des Herrn spiegelt sich in der Unterscheidung zwischen Weihe- und Hirtengewalt”1

“Die Weihegewalt wird mit dem gültigen Empfang einer Weihe erworben und ist unverlierbar (can.211 §1); nur das Recht, sie erlaubt auszuüben, kann entzogen werden. (...) Die Weihegewalt ist ihrem Wesen nach die innere seinshafte Befähigung zum Vollzug bestimmter sakramentaler Handlungen; sie bildet daher das Lebensprinzip, das die Glieder des neuen Gottesvolkes gebiert und nährt.”2 

“Die Hierarchie der Hirtengewalt beruht auf den beiden durch göttliche Anordnung gegebenen Grundpfeilern, dem Primat des Papstes, der als Nachfolger des hl. Petrus die oberste Hirtengewalt über die ganze Kirche und alle Teilgemeinschaften hat (can.218), sowie auf dem Episkopat, der eine kraft göttlichen Rechtes eigenberechtigte Oberhirtengewalt über ein kirchliches Teilreich (Diözese) besitzt, in deren Ausübung er aber von der päpstlichen Vollgewalt abhängig ist (can.335 §1). Von dem päpstlichen Primat und dem Episkopat zweigen sich andere Hirtenämter (z.B. das Amt eines Pfarrers - Anm. des Autors) ab, die auf kirchlicher Einsetzung beruhen.”3 

“Im Unterschied zu den durch die sakramentalen Weihen gegebenen Sondergliedschaften, deren Unaufhebbarkeit im übernatürlichen Gottesgeschehen gründet, ist in allen Stufen der Ämterhierarchie eine Aufgabe oder ein Verlust des Amtes möglich. (...) Weihe- und Hirtengewalt ... sind beide einander eng verbunden und dürfen nicht voneinander getrennt werden. Ihr gegenseitiger Bezug zeigt sich zunächst darin, daß grundsätzlich nur die Träger der Weihegewalt als Inhaber der Hirtengewalt in Betracht kommen (can.118, 198, 501). Andererseits ist die erlaubte Spendung der Weihen von der Hirtengewalt abhängig; denn nur ein Oberhirt darf die Weihen spenden oder spenden lassen, und zwar unter Beachtung der vom Hirtenamt der Kirche bestimmten Voraussetzungen. So wird die Erteilung der Weihen, die ihrerseits die Grundlage für die Inhaberschaft von Hirtengewalt abgeben, durch die Hirtengewalt selbst geordnet und geleitet. (...) Dieses wechselseitige Ineinandergreifen beider Gewalten zeigt ihren einheitlichen Ursprungsgrund: Jesus Christus, den Stifter der Kirche als das alle Glieder belebende und regierende Haupt des neuen Gottesvolkes.”3 

Somit genügt es nicht, nach dem Empfang einer Weihe diese Weihevollmacht ohne weiteres auszuüben - die von Christus eingesetzten Sakramente müssen erlaubterweise innerhalb der vom selben Herrn gestifteten Kirche gespendet werden! Wer nicht in der Einheit mit der Einen, Heiligen, Katholischen und Apostolischen Kirche steht, hat auch keinen Anteil an der Hirtengewalt (Jurisdiktion) und an dem Sendungsauftrag, der an dieselbe Kirche ergangen ist: “Wie kann man aber predigen, wenn man nicht gesandt ist?” (Röm 10,15) Da wir aber heute - wie bereits dargelegt - niemand haben, der diese oberste Hirtengewalt aktuell innehat, stellt sich die Frage, ob die Sakramentenspendung in der derzeitigen verwirrenden Situation der Kirche überhaupt noch möglich und vertretbar sei. Sollte denn mit dem Hinweis auf das Fehlen ordentlicher Jurisdiktion jegliche Sakramentenspendung, die durch treugebliebene Priester und Bischöfe erfolgt, als untersagt betrachtet werden? 

 

Kirchenrechtliche Regelungen

Einen wichtigen Hinweis zur Lösung unserer Problematik geben die kirchenrechtlichen Bestimmungen bezüglich der Spendung des Beichtsakramentes. Grundsätzlich hat jeder Priester kraft der Weihe die Vollmacht, jede beliebige Sünde nachzulassen. Allerdings wird diese Vollmacht von der Kirche an das Vorhandensein einer Beichtjurisdiktion, der Beichtgewalt, gebunden4; manchmal wird sie in der Weise eingeschränkt, daß von bestimmten Sünden nicht jeder Priester absolvieren kann. So ist z.B. die ordentliche Beichtgewalt eines Pfarrers normalerweise auf das Territorium seines Pfarrsprengels beschränkt; die Kirche möchte nämlich durch Zuständigkeiten den Sakramentenempfang ordnen. Außerhalb seines Pfarrgebietes darf der Pfarrer die Beichte nur bei seinen eigenen Pfarrkindern hören, es sei denn der zuständige Pfarrer erlaubt ihm die Sakramentenspendung, oder es gibt zusätzliche Regelungen in und zwischen den einzelnen Diözesen. 

Für den Fall der Todesgefahr darf allerdings jeder Priester, auch einer, der keine Beichtvollmacht über bestimmte Sünden oder keine Beichtgewalt besitzt oder dem auch jedes Beichthören grundsätzlich untersagt wurde (z.B. einem suspendierten oder laisierten Priester), gültig und erlaubt die Lossprechung von jeder Sünde erteilen (can. 882), ja er ist sogar verpflichtet, dies zu tun! Denn das Heil der Seelen ist das oberste Gebot der Kirche - salus animarum suprema lex! Hier ergänzt die Kirche die fehlende Jurisdiktion. 

Einige gewichtigere Sünden ziehen nach der Anordnung der Kirche bestimmte Besserungsstrafen (Exkommunikation, persönliche Gottesdienstsperre) nach sich. Bevor dann diese Sünden nachgelassen werden dürfen, müssen die betreffenden Beichtkinder zunächst von ihren Kirchenstrafen befreit werden, was auch in der Absolutionsformel zum Ausdruck kommt. “Die Lossprechung von der Besserungsstrafe (kann) einem höheren Oberen vorbehalten sein, so daß der niedere Gewaltträger die Lossprechung von der Strafe und folglich auch die von den Sünden nicht erteilen kann. (...) Die Gewalt des untergeordneten Gewaltinhabers wird soweit eingeschränkt, als der Vorbehalt reicht.”5 Durch diese Erschwerung der Lossprechung soll den Gläubigen die besondere Schwere der betreffenden Sünden zu Bewußtsein gebracht werden. Und wiederum ist jeder Priester befugt, in dringenden Fällen (can. 2254, 2290) oder in Todesgefahr (can.2252) diese Kirchenstrafen nachzulassen. (In ähnlicher Weise erfreut sich in eiligen Fällen oder in Todesgefahr jeder Priester der Vollmacht zur Befreiung von Ehehindernissen, welche ihm im Normalfall nicht gegeben ist.) Auch hier stellt die Kirche das Seelenheil der Gläubigen über den Jurisdiktionsgedanken, der im Normalfall eine wichtige ordnende Funktion hat. Somit steht das Kirchenrecht letztendlich im Dienst des ewigen Heils der unsterblichen Seelen und nicht umgekehrt! 

Nun ist aber die heutige Situation der Kirche mehr als ungewöhnlich. Wann gab es schon in der Kirchengeschichte den Fall, daß die Amtsträger der offiziellen Amtskirche nicht (mehr) katholisch und somit wichtige kirchliche Ämter seit Jahrzehnten nicht besetzt sind? Wir erleben einen äußersten Notfall der Kirche, der in dieser Weise im Kirchenrecht nicht vermutet und vorgesehen, für den im Kirchenrecht keine (ausführliche) Vorsorge getroffen wurde! Somit ist es auch legitim, von der Sache her geboten und notwendig, die Seelsorge auch trotz des momentanen Fehlens ordentlicher Jurisdiktion weiterzuführen! Das Plädieren für das Einstellen der Seelsorge in der heutigen veränderten Lage der Kirche würde bedeuten, einige kirchenrechtliche Bestimmungen, die für den Normalfall gelten, grundsätzlich über das tatsächliche Heilswirken Gottes bis in die aktuelle Zeit hinein zu stellen. Der Kirche muß es vor allem anderen um die Erlösung und das Seelenheil der Menschen gehen, zumal ja auch das Kirchenrecht selbst für den Fall der Beichte in einer Notsituation eindeutige Regelungen trifft! 

In der Kirche galt immer schon der Satz, daß in Extremsituationen auch solche Lösungen - natürlich nur im Rahmen des grundsätzlich Möglichen - Anwendung finden dürfen, die für den Normalfall keine Geltung besitzen. So hat auch Jesus das Rupfen der Ähren am Sabbat durch Seine hungrigen Apostel u. a. auch mit dem Essen der Schaubrote durch David und dessen hungrige Gefährten verteidigt, was sonst nur den Priestern erlaubt war (vgl. Mt 12, 1-8)! 

 

Bedingungen für den kirchlichen Widerstand

Will man auch im konkreten Einzelfall die Sakramentenspendung rechtfertigen, müssen unbedingt einige Bedingungen erfüllt sein: 

- der betreffende Priester muß eindeutig katholisch sein, d.h. er muß in allem die Lehre der katholischen Kirche teilen, grundsätzlich alle kirchlichen Ämter (Papstum, Episkopat usw.) anerkennen und darf in keiner Weise irgendeiner nicht-katholischen Gemeinschaft angehören; 
- er muß entschieden alle modernistischen “Reformen” in Lehre und Praxis (hier v. a. die Liturgie-”reform”) ablehnen und sich eindeutig u. a. auch von den Funktionsträgern der heutigen Amtskirche distanzieren; 
- sein Einsatz muß der Reinhaltung und Verbreitung der katholischen Lehre, dem Heil der anvertrauten Gläubigen gelten sowie die Wiederherstellung geordneter kirchlicher Verhältnisse bezwecken; 
- sowohl die Gültigkeit seiner Weihen als auch seine persönliche Seriosität muß über jeden berechtigten Zweifel erhaben sein; 
- will er für die Kirche arbeiten, muß er auch Interesse an der Zusammenarbeit treugebliebener Geistlicher und Gemeinden haben und darf diese nicht durch grobes Verschulden behindern oder zerstören; 
- die Gläubigen, die zu den Empfängern der Sakramente gehören, müssen sich ebenfalls im kirchlichen Widerstand befinden oder wenigstens sogenannte “unschuldig Verführte” sein, die sonst in allem voll hinter der überlieferten katholischen Glaubenslehre stehen. 

Nur unter diesen Voraussetzungen darf in der heutigen Notlage der Kirche eine Sakramentenspendung erfolgen, bzw. darf dieser Sakramentenspendung aktiv beigewohnt werden. Ansonsten wäre sie nach kirchlichen Prinzipien nicht zu rechtfertigen! 

Wir für unseren Teil stützen uns jedenfalls bei unserer Sakramentenspendung bzw. dem -empfang unter Berufung auf die momentane Notsituation der katholischen Kirche auf die oben dargelegten Argumente und bekennen uns (um der Klarheit willen) zu allen diesen Zielen, die gerade aufgezählt wurden! 

 

P. Eugen Rissling



1 Mörsdorf, K., Lehrbuch des Kirchenrechts, 1959, Band I, S.254. 
2 ebd., S.255.
3 ebd., S.255. 
4 ebd., S.256f. 
5Eines der bekanntesten Beispiele ist der hl.Johannes Vianney, dem diese Beichtgewalt anfänglich auch nicht erteilt wurde. 
6 Mörsdorf II, S. 83

 

 

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