Katholische Kirche in Russland

(2. Teil - von 1917 bis 1990)


Bericht eines Historikers und Augenzeugen

Die Katholiken Russland nahmen die Februarrevolution 1917 mit Freude auf, da sie von der neuen Regierung in ihren Rechten den Orthodoxen gleichgestellt wurden. Einige Monate lang - von März bis November 1917 - war die katholische Kirche tatsächlich frei. Die von der Zarenregierung als unzuverlässig eingestuften Priester kehrten aus der Verbannung zurück. So kehrten heim der Bischof von Vilnus Eduard von der Ropp, der Bischof von Galizien Andreas Scheptizkij, der Priester Leonid Fedorov. Im Mai 1917 kam es in Petrograd (wie St. Petersburg seit 1914 genannt wurde) unter dem Vorsitz des Metropoliten A. Scheptizkij zu einem Treffen der russisch-katholischen Geistlichkeit, auf welchem das Exarchat der russischen Katholiken des östlichen Ritus ins Leben gerufen wurde. Diese Beschlüsse wurden später von Papst Benedikt XV. bestätigt. Im Juli 1917 konnte der Heilige Stuhl ganz frei den neuen Mogilever Metropoliten ernennen, E. von der Ropp.

Der Heilige Stuhl reagierte zurückhaltend auf die Februarrevolution. Auf der einen Seite erhielt jetzt die katholische Kirche in Russland die volle Freiheit und die Möglichkeit, sich zu entwickeln. Auf der anderen Seite verlor aber der Heilige Stuhl in der Gestalt des Zarenreiches einen Verbündeten im Kampf gegen den wachsenden Liberalismus. Interessant ist, dass der letzte Vertreter des Russischen Zaren am Heiligen Stuhl, Nikolaus Bock (+1962), zum Katholizismus übertrat und Jesuitenpater wurde.
Allerdings erwies sich die Zeitspanne der Freiheit als sehr kurz. Im Oktober 1917 kamen die Bolschewiken zur Macht, welche alle Gläubigen in ihrem „Recht“ gleichstellten, sich von der Religion loszusagen oder für sie zu sterben. Gleich in den ersten Tagen nach ihrer Machtergreifung begannen die Kommunisten mit ihrem Angriff auf die Kirche. Eine der ersten Entscheidungen der Sowjetmacht bestand in der Konfiszierung von Grund und Boden, welche religiösen Organisationen gehörten. Der nächste Schritt war die Verstaatlichung aller sich in der Hand der Kirche befindenden wohltätigen und bildungsfördernden Organisationen.

Im Januar 1918 nahm die Sowjetmacht das Gesetz „Über die Trennung von Staat und Kirche“ an. Zunächst nahmen die Katholiken, welche das Russische Reich niemals bedauerten, das neue Gesetz, welches sich für die Russische Orthodoxe Kirche als eine Katastrophe erwies, ganz ruhig an. Aber als im August 1918 alle religiösen Organisationen ohne Ausnahme jeglicher juristischer Rechte beraubt und ihr Eigentum als Staatseigentum erklärt wurde, als die Pfarrer verpflichtet wurden zu unterschreiben, dass sie das ganze kirchliche Eigentum (lediglich) zeitlich nutzen, protestierten die katholischen Hirten dagegen.

Der vom Metropoliten von der Ropp im November 1918 eingereichte offizielle Protest blieb nicht ohne Folgen. Anfang 1919 wurde der Neffe des Metropoliten festgenommen, und im April 1919 wurde dann auch der Metropolit selbst ins Gefängnis geworfen. Im Juli 1919 brachte man den Erzbischof nach Moskau, die 1918 zur Hauptstadt wurde. Nachdem sich der Kardinal Pietro Gasparri auf diplomatischen Kanälen aktiv eingemischt hatte, wurde Metropolit von der Ropp im November 1919 im Austausch für den bekannten Kommunisten K. Radek nach Polen geschickt, wo er dann auch bis zu seinem Tod im Juli 1939 leben musste.

Nach der Verbannung des Metropoliten von der Ropp leitete der Weihbischof Jan Zepljak die Mogilever Erzdiözese, der 1919 von Papst Benedikt XV. in den Rang eines Titularerzbischof erhoben wurde. Im August 1918 wurde Bischof Aloisius Kessler gezwungen, den Sitz der Tiraspoler Diözese, Saratov, zu verlassen. Er musste 10 Tage lang zu Fuß nach Odessa gehen. Im Januar 1920 verließ er das Land und lebte bis zu seinem Tod im Jahre 1933 in Deutschland.

Der Bürgerkrieg, welcher durch das ganze Land hinwegfegte, führte zur endgültigen Errichtung der Sowjetmacht im Land und zerstörte die Illusionen vom baldigen Fall des Regimes. Nach Beendigung des Bürgerkrieges, also nach der Abfertigung mit den politischen Feinden, widmeten sich die Kommunisten gänzlich der Vernichtung der Kirche. Die furchbare Hungersnot der Jahre 1921-1922 nahmen die Kommunisten zum Anlass, die Geistlichkeit zu verfolgen. Im Februar 1922 kam der Erlass über die Beschlagnahme kirchlicher Schätze, welche herhalten sollten zum Kauf von Lebensmitteln für die Hungernden. Im März 1922 begann man mit der Konfiszierung gottesdienstlicher Geräte. Das war sowohl eine Provokation gegen die orthodoxe als auch gegen die katholische Kirche.

Die Gläubigen opferten ihre Wertsachen, um den Hungernden zu helfen, der Heilige Stuhl organisierte Hilfe aus dem Ausland. Und auch der sich außerhalb des Landes befindende Bischof Kessler beteiligte sich im Westen aktiv an der Sammlung von Mitteln. Aber die Kommunisten hatten ein anderes Ziel im Augen als die Hilfe für die Hungernden. Den Protest der katholischen Geistlichkeit ausnutzend, die sich weigerte, sakrale Gegenstände herauszugeben, führte die Sowjetmacht Massenverhaftungen durch; und im März 1923 fand in Moskau ein Schauprozess gegen die katholische Hierarchie statt. Vor Gericht standen der Erzbischof Jan Zepljak, der Prälat Konstantin Budkevic, der Exarch L. Fedorov und viele andere Priester.

Erzbischof Zepljak und Prälat Budkevic (Pfarrer in Petrograd) wurden zum Tod durch Erschießen verurteilt. Aus aller Welt trafen bei der Sowjetregierung Protestschreiben ein. Der Erzbischof wurde begnadigt und aus der Sowjetunion ausgewiesen, Prälat K. Budkevic dagegen wurde in der Osternacht 1923 im Keller des Ljubjanka-Gefängnisses erschossen, welches sich nur in einigen Metern Entfernung von der St. Ludwigs Kirche befindet. So wurde er der erste katholische Priester-Martyrer in Moskau.

Mitte der 20-er Jahre entschied der Heilige Stuhl, dass es notwendig sei, die auf dem Gebiet der Sowjetunion ihrer Häupter beraubten kirchlichen Strukturen auf irgendeine Weise zu erneuern. Es war klar, dass von der Wiederaufnahme der Tätigkeit der Bistümer Mogilev und Tiraspol keine Rede sein konnte. Es wurde entschieden, in der UdSSR heimlich einige Apostolische Administraturen zu errichten und Bischöfe zu weihen. Zu diesem Zweck wurde der Jesuitenpater Michel d`Herbigny im Frühjahr 1926 nach Moskau gesandt. Auf dem Weg dorthin kehrte er in Berlin ein und erhielt dort vom Apostolischen Nuntius Eugenio Pacelli in aller Heimlichkeit die Bischofsweihe. In Moskau konsekrierte dann Bischof d`Herbigny am 21. April 1926 in der St. Ludwigs Kirche den französischen Priester Pie Eugene Neveu.

Es wurden folgende Apostolische Administraturen errichtet: die Moskauer, mit Bischof Neveu als Haupt, der von Papst Pius XI. außerordentliche Vollmachten erhielt, darunter auch das Recht, Bischofsweihen auch ohne die vorherige Einholung der Zustimmung Roms vorzunehmen; die Leningrader, welcher Bischof Antonius Malezkij vorstand, der ebenfalls 1926 heimlich von Bischof Neveu konsekriert wurde; die Kasano-Samaro-Simbirische, welche der Priester Michael Iodokas leitete; die Wolgaer unter Führung des Priesters Augustinus Baumtrog; und die Nordkaukasische, für welche der Priester Johannes Rot verantwortlich war.

Allerdings konnte man dies alles nicht geheim halten. Die Repressionen wurden fortgesetzt. Bischof Malezkij wurde 1927 festgenommen, dann freigelassen und wieder festgenommen. 1934 hat man ihn nach Polen ausgewiesen. Der Priester Iodokas wurde bereits im Dezember 1926 festgenommen, dann für kurze Zeit freigelassen, erneut festgenommen. Sein weiteres Schicksal ist nicht bekannt. Der Priester Baumtrog wurde 1930 festgenommen, in Haft starb er oder wurde erschossen. Der Priester Rot wurde 1930 festgenommen, dann freigelassen, 1937 wieder festgenommen und 1938 erschossen. Ähnliches Schicksal erlitten praktisch alle katholische Priester. Die, die nicht nach Polen oder Deutschland emigrieren konnten, kamen in Arbeitslager. Und die, die in der ersten Hälfte der 30-er Jahre nicht in diesen Arbeitslagern umkamen, wurden gegen Ende des Jahrzehnts erschossen.

Eine Ausnahme bildete der Pfarrer der St. Ludwigs Kirche und der Moskauer Apostolische Administrator P.-E. Neveu, welcher einen französischen Pass besass. Nach der Ausweisung von Bischof Malezkij, weihte Msgr. Neveu 1935 den in Leningrad wirkenden französischen Priester Maurice Amoudru zum Bischof. Da aber die Behörden davon erfuhren, wurde Amoudru des Landes verwiesen. Bischof Neveu hatte in Moskau einen Freund, den orthodoxen Erzbischof Bartholomäus Remov. Dieser trat 1932 offiziell (aber heimlich) zum Katholizismus über (was Papst Pius XI. bestätigte), wurde dann aber 1935 festgenommen und erschossen.

Nach der Errichtung der diplomatischen Beziehungen zwischen der UdSSR und den USA reiste der amerikanische katholische Priester Leopold Brown nach Moskau. Er wurde zum Gehilfen von Bischof Neveu. Nachdem allerdings Bischof Neveu 1936 nach Frankreich reiste, wurde ihm die Rückkehr nach Russland verweigert.

In der zweiten Hälfte der 30-er Jahre begann die endgültige Vernichtung der katholischen Kirche, indem nun alle Kirchen geschlossen und die Priester Repressionen unterzogen wurden. Zu Beginn des Krieges gab es nur zwei Kirchen: die des hl. Ludwig in Moskau, in welcher der amerikanische Priester L. Brown seinen Dienst versah, und die der hl. Gottesmutter von Lourdes in Leningrad, in welcher der französische Priester Michel Florent wirkte. Pater Florent wurde allerdings 1941 des Landes verwiesen.

Nachdem die UdSSR die Westukraine, den westlichen Teil Weißrusslands und die Baltischen Staaten annektierte, wo es intakte katholische Kirchenstrukturen gab, startete die Staatsmacht nun auch auf diesen Territorien eine neue Welle der Repressionen gegen die katholische Geistlichkeit. Außerdem wollte man nun in Moskau keinen Priester mehr tolerieren, welcher durch einen diplomatischen Pass beschützt wurde. 1945 wurde P. Brown aus der UdSSR ausgewiesen. An seine Stelle wurden zwei andere Priester gesandt, die sich allerdings nicht lang in Moskau halten konnten. Seit 1950 durfte in der St. Ludwigs Kirche nur ein solcher Priester wirken, der einen sowjetischen Pass besass. Zunächst war dies P. Josef Buturovic aus Lettland, danach einige Priester aus Litauen.

Auf diese Weise wurde die Moskauer St. Ludwigs Gemeinde seit 1950 einer jeglichen Verbindung mit der äußeren katholischen Welt beraubt und dadurch eines (wenn auch ziemlich illusorischen) Schutzes in der Gestalt eines Priesters, der diplomatisch unantastbar war. Jetzt verwandelte sich die katholische Kirche in Russland, die nur zwei Kirchen (in Moskau und in Leningrad) besass, in eine „schweigende Kirche“, von welcher Papst Pius XI. sprach. Nur der göttlichen Vorsehung ist es zu verdanken, dass die in Russland lebenden Katholiken weiterhin an den hl. Sakramenten teilnehmen konnten. Die Kommunisten konnten zwar Kirchen schließen und Priester töten, aber sie waren nicht in der Lage, den katholischen Glauben und das innere Verlangen der Menschen nach Christus und Seiner Kirche auszurotten 1.

In ganz Russland waren nur zwei Kirchen geöffnet (hier ist die Rede von Russland in seinen jetzigen Grenzen, also ohne Berücksichtigung der Baltischen Länder und des westlichen Teils Weißrusslands). Die St. Ludwigs Kirche in Moskau wurde zum Zentrum des russischen Katholizismus. Über sie gab es in keinem einzigen offiziellen Handbuch Informationen, und dennoch fanden die Gläubigen den Weg zu ihr.

So fand z.B. der Autor dieser Zeilen, der keinen einzigen Katholiken kannte und lange die Anschrift dieser Kirche suchte, einen ganz originellen Weg. Ich kam in das Hauptgebäude der atheistischen Propaganda in Moskau (selbstverständlich hatte man keine Probleme, diese Adresse zu finden) und erzählte dort, dass ich, damals ein ganz junger Mensch, in der Schule ein Treffen für atheistische Propaganda gegründet hätte und, um die Kirche besser zu entlarven, „sehen muss, wie die Popen verschiedener Religionen wirken“. Ich sagte, Orthodoxe hätte ich bereits gesehen, aber noch keine Katholiken und Protestanten. Man warnte mich zwar, wie heimtückisch diese ganzen Katholiken und Protestanten doch seien, aber die Adressen gaben sie mir dennoch!

Zwei Tage später kniete ich das erste Mal während der hl. Messe in der St. Ludwigs Kirche und nach einigen Wochen wurde ich getauft. (Es ist klar, dass die Frage nach den Protestanten nur zur Ablenkung geschah.) Einige Zeit später traf ich in unserer Kirche zufällig einen jungen Mann, welcher offenkundig das erste Mal dorthin kam. Ich bot ihm meine Hilfe an. So wurde ich dann Taufpate bei jemand, der von Gott zum Glauben berufen wurde und für einige Tage nach Moskau von der ferner Insel Sachalin kam, nur um zu versuchen, ein katholisches Gotteshaus zu finden. Einige Zeit später wiederholt sich diese Geschichte auch mit einem anderen Menschen von der Sachalin, der nicht ahnte, dass er neben sich einen Mitbruder im Glauben hatte. Und wieder werde ich Taufpate, aber jetzt kann ich ihm schon eine „katholische Adresse“ auf der Sachalin geben in der Freude, dass Gott durch mich zwei Katholiken 10.000 Kilometer von der Kirche entfernt verbindet.

Alle diese Jahre betreute Pater Stanislav Mazejka die Moskauer Katholiken seelsorglich. Das war unser Pfarrer von Ars, der wahre Apostel Moskaus. Und diese Stadt erinnerte tatsächlich an das „Dritte Rom“, aber nicht, was die ruhmvolle Erhabenheit angeht, sondern die Christenverfolgung. P. Stanislav wurde 1967 der zuständige Pfarrer und blieb es bis 1990, als allerdings eine ganz andere Geschichte begann.

Jedes Mal, wenn wir und P. Stanislav auf dem Weg zur Kirche waren, mussten wir an der bedrohlichen KGB-Zentrale vorbeigehen, welche sich in der Nähe befand und deren Videokameras auf die Kirche gerichtet waren. Und gerade in diesem Gebäude wurde 1923 der erste katholische Priester erschossen, und wir konnten nicht, im Vorbeigehen nicht daran zu denken. Einige unserer Gemeindemitglieder, welche Arbeitslager hinter sich hatten, erinnerten sich, wie sie in diesem Gebäude verhört wurden und wie sie währenddessen durch das Fenster sahen, wie ihre Glaubensbrüder zur hl. Messe gingen, um dann später vielleicht auch ihr eigenes Schicksal zu teilen. Daran mussten wir auch denken.

Aber nichtsdestoweniger erinnern wir uns alle, die dies erlebt hatten, an jene Jahre als an die allerglücklichsten. Wir waren tatsächlich froh, für Christus zu leiden. Es gab auch lustige Episoden. Einer meiner Freunde sah eines morgens auf dem Weg zur hl. Messe, dass eine Kamera sich nach ihm dreht und ihn verfolgt. Er blieb stehen, nahm die Mütze ab und verneigte sich leicht mit Würde den unsichtbaren Mitarbeiter des KGB begrüßend. Jener erwies sich ebenfalls als ein Mensch mit Humor - die Kamera bewegte sich einige Male rauf und runter.

In jenen Jahre konnten wir nicht wissen, dass wir nicht nur durch den Eisernen Vorhang von der übrigen katholischen Welt getrennt wurden, sondern auch durch den guten Willen unserer Hirten, die uns vom Eindringen des modernistischen Giftes bewahrt hatten, welcher sich in den 60-er Jahren auf die ganze Kirche ausbreitete. Wir wuchsen in jenen Jahren im Glauben, um dann später, wenn der Eiserne Vorhang niedergerissen wird und mit der Freiheit zu uns auch der durch nichts aufgehaltene Strom des Modernismus überschwappt, erneut eine richtige Entscheidung treffen können: für Christus und Seine Kirche. Allerdings war diese Wahl wieder nicht leicht zu treffen, vielleicht sogar schwerer als zur Zeit des Kommunismus. Aber hierfür hat es andere Ursachen.


Alexander Kryssov

Übersetzt von P. Eugen Rissling

 

 


1 Wie in vielen anderen Teilrepubliken der Sowjetunion haben daneben auch in Russland katholische Priester heimlich gewirkt, indem sie zwar tagsüber einer 
   zivilen Arbeit nachgehen mussten, aber abends und in der Nacht für die katholischen Gläubigen verschiedenster Nationalität die hl. Messe feierten und die hl.
   Sakramente spendeten. (Anm. vom Übersetzers)

 

 

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