Kurze Messbetrachtung


25. Teil


16. Kanon - Supplices te rogamus 

Der spezifische Charakter des Heiligen Opfers des Neuen und Ewigen Bundes besteht unter anderem auch darin, dass es im Unterschied zu den liturgischen Opfern des Alten Bundes überzeitlich ist. Der Hebräerbrief beginnt die Ausführungen zu diesem Thema in seinem 7. und 8. Kapitel zunächst mit dem Verweis auf die Verschiedenheit zwischen dem Priestertum des Alten und des Neuen Bundes. Diese besteht u. a. darin, dass durch den Tod bzw. die Sterblichkeit der levitischen Priester auch das alttestamentliche Priestertum als solches begrenzt war, zeitlich eingegrenzt wurde (vgl. Hebr 7,23). Da sich dieses Priestertum lediglich auf die betreffenden sterblichen Menschen ausdehnte, konnte es eben nicht ewig bestehen. Es war einzig und allein an die physische Existenz einer bestimmten Gruppe von Menschen, Aarons und seiner leiblichen Nachkommen, gebunden. 

In Bezug auf Jesus Christus heißt es aber: „Hier aber ist einer, der in Ewigkeit bleibt und darum ein unvergängliches Priestertum hat“ (Hebr 7,24). Da Jesus im Besitz der göttlichen Natur bzw. „eines Wesens mit dem Vater“ ist (Credo), hört auch Sein Priestertum nicht auf zu existieren! Er, und sonst niemand, ist der eigentliche Priester des Neuen Bundes, „Priester auf ewig nach der Ordnung des Melchisedech“ (Hebr 7,17; vgl. 7,3). Die von Ihm zu neutestamentlichen Priestern berufenen Männer werden ihrerseits - durch die betreffenden Weihen - lediglich mit der Teilhabe an Seinem Priestertum ausgestattet bzw. beschenkt. Ihr Priestertum ist somit nicht unabhängig von dem Jesu Christi, es besteht nicht separat, neben Seinem Priestertum, sondern erklärt und versteht sich erst von Ihm, dem „Hohenpriester, der sich zur Rechten des Thrones der Majestät im Himmel niederließ“ (Hebr 8,1)! In und durch ihre sakrale Handlungen aktualisiert sich gewissermaßen jeweils das eine Priestertum Jesu Christi, an welchem die menschlichen Priester eben Anteil haben. 

Daraus folgt - wie der katholische Glaube ja ausdrücklich lehrt -, dass sich dementsprechend auch das eine Erlösungsopfer, das Jesus am Stamm des Kreuzes zu unserem Heil darbrachte, in den einzelnen liturgischen Opfern der katholischen Kirche aktualisiert, bzw. im Opfer des Altares wird das Kreuzesopfer gegenwärtig gesetzt. Das hl. Messopfer ist somit wahre und reale Partizipation, Anteilnahme an der liebenden Selbsthingabe unseres göttlichen Hohenpriesters! 

Nun geht aber der Hebräerbrief einen Schritt weiter und führt den Gedanken der Überzeitlichkeit des neutestamentlichen Opfers noch weiter aus, indem er darauf verweist, dass Christus „den Dienst im Heiligtum verrichtet, im wahren Zelt, das der Herr erbaut hat und nicht ein Mensch“ (Hebr 8,2). Und weil Er „ein unvergängliches Priestertum hat, darum vermag er auch vollkommen zu retten, die durch Ihn vor Gott hinzutreten. Er lebt ja immerdar, um Fürsprache für sie einzulegen“ (Hebr 7,24f). 

Das heißt, die Fürsorge Christi um uns hat nicht mit Seinem Leiden und Sterben am Kreuz aufgehört. Sie setzt sich - überzeitlich gesehen - gewissermaßen auch noch im Himmel, im nicht von Menschenhand errichteten überirdischen „Heiligtum“, „im wahren Zelt“ fort. Dort „verrichtet“ Er „den Dienst“ und legt als jemand, der unaufhörlich Priester ist, als das „Lamm“, das „dasteht wie geschlachtet“ (vgl. Offb 5,6), (d.h. im Opferzustand, sich opfernd!), vor Seinem himmlischen Vater Fürsprache für uns ein, um uns gewissermaßen fortwährend durch Sein „Blut“ „für Gott aus allen Stämmen und Sprachen, Völkern und Nationen“ loszukaufen (vgl. Offb 5,9). Demnach ist das zeitlich gesehene einmalige Kreuzesopfer Jesu Christi ein ununterbrochenes Vor-die-Augen-führen Seiner Heilstat Gottvater gegenüber, und zwar - von uns aus gesehen - in der Zeitphase nach Seiner Himmelfahrt, wollten wir versuchen, die überzeitliche Realität mit gebrechlichen Worten zu umschreiben bzw. sie uns in etwa bildlich vorzustellen. Das historische Leiden und Sterben Jesu Christi vor den Toren Jerusalems ist somit ein ewiger Akt des Ver- bzw. Hinweisens auf Seine auf Erden praktisch vollbrachte göttliche Erlöserliebe! Und die Funktion des Messopfers besteht darin, dass sie jene Instanz ist, mittels welcher erst für die Menschen das Hinzutreten „vor Gott“ ermöglich wird, von welchem der Hebräerbrief spricht. Indem sich ein Mensch im Messopfer mit dem „Lamm“, das „dasteht wie geschlachtet“ entsprechend vereinigt, d.h. Seine Opfergesinnung teilt, tritt er gewissermaßen „durch Ihn vor Gott“ hin, um dann auch der von Christus am Kreuz verdienten Erlösungsfrüchten teilhaftig zu werden! 

Und diese biblische und kirchliche Lehre über das hl. Messopfers sowie über die Überzeitlichkeit des Opfers Jesu Christi spiegelt sich trefflich im dritten Kanongebet nach der hl. Wandlung, dem Gebet Supplices te rogamus, wieder: „Demütig bitten wir Dich, allmächtiger Gott: lass dieses Opfer durch die Hand Deines heiligen Engels zu Deinem himmlischen Altar empor tragen vor das Angesicht Deiner göttlichen Majestät. Damit wir alle, die wir durch die Teilhabe an diesem Altar das hochheilige X Fleisch und X Blut Deines Sohnes empfangen, mit allem himmlischen Segen und der Gnade erfüllt werden. Durch Christus, unseren Herrn. Amen.“ Ein Engel, vielleicht der, der nach Offb 8,3 die Gebete „aller Heiligen auf den goldenen Altar vor dem Thron (Gottes)“ gelegt hat, möge auf die demütige Bitte der Kirche hin das auf Erden von ihr gefeierte eucharistische Opfer in den Himmel hinauftragen und auf den „himmlischen Altar“ legen. Die Opfergabe der Kirche ist - was hier somit einmal mehr unterstrichen wird - nicht eine rein irdische Gabe, sondern letztlich Christus selbst, der sich sozusagen gleichzeitig „wie geschlachtet“ Seinem Vater auf dem „himmlischen Altar“ präsentiert! 

Damit wird hier das Messopfer als die wirkliche Teilnahme an der göttlichen, überzeitlichen, sich im Himmel fortwährend abspielenden Liturgie (!) angesehen, worauf ja auch schon das dreimalige Sanctus hinweist. Die Messe ist - wie wir es hier erneut sehen - im Widerspruch zur verflachten modernistischen Auffassung kein bloßes Menschenwerk und stellt auch keine rein menschliche Aktivität dar. Sie ist nicht nur die sich in der jeweiligen Zeit vollziehende Aktualisierung des Erlösungsopfers Christi auf Erden, sondern in gewissem Sinn auch die mysterienhafte Widerspiegelung der himmlischen Ereignisse! 

Eine weitere Erkenntnis, die sich daraus ergibt, besteht darin, dass sich das Messopfer auch einer enormen Fürbittkraft erfreut. Denn die Opfergabe, die da geopfert wird, wird ja sogar bis vor das „Angesicht“ der „göttlichen Majestät“ gebracht! Deshalb stellt die hl. Messe den größten Schatz der katholischen Kirche dar, der unbedingt vor jeder Art von Entstellung und Verfälschung gehütet werden muss. Auf dieser Segenskraft der Messe ruht auch das ganze Vertrauen des gläubigen katholischen Volkes, welches heute teilweise sogar weite Wege und viele Opfer in Kauf nehmen muss, um an dem unverfälschten überlieferten Messopfer der Kirche teilnehmen und Gott dadurch die Ehre geben zu können. 

Zugleich wird in diesem Kanongebet auch der Zweck des liturgischen Opfers angegeben. „Durch die Teilhabe an diesem Altar“, d.h. durch das innerliche Sich-Beteiligen an der Opferhandlung der hl. Messe, sollen die Gläubigen „mit allem himmlischen Segen und der Gnade erfüllt werden“, indem sie nämlich unter den Gestalten von Brot und Wein den wahren Leib und das kostbare Blut des göttlichen Erlösers empfangen. Mit anderen Worten: die Frucht des eigenen Mitopferns mit dem Liebesopfer des Gottessohnes besteht in der umfangreichen geistlichen Gemeinschaft mit Ihm, in dem übernatürlichen Eingetaucht-Werden in und in dem eigentlich unverdienten Beschenkt-Werden mit dem unerschaffenen Leben Gottes! Seinen Ausdruck und seine Begründung findet diese sakramentale Realität sichtbar im Empfang des „hochheiligen Fleisches und Blutes Deines Sohnes“ Jesus Christus. Vergessen wir dabei nicht, dass diese Gemeinschaft mit unserem göttlichen Erlöser gewissermaßen auch eine vorgezogene Teilhabe am ewigen Leben (!) darstellt, welches Er ja wesensmäßig ist und womit Er uns, die Menschen auf Erden, beschenken möchte. („Das Leben ist sichtbar erschienen. Wir haben es gesehen. Wir bezeugen und verkündigen euch das ewige Leben, das beim Vater war und uns sichtbar erschienen ist.“ [1 Joh 1,2]) Zwar besitzen wir dieses „ewige Leben“ (noch) nicht endgültig und unverlierbar - aufgrund unserer eigenen Sündhaftigkeit können wir es ziemlich schnell verscherzen und verspielen. Nichtsdestoweniger wird es uns durch den Empfang der konsekrierten eucharistischen Gestalten nicht lediglich symbolisch, sondern real mitgeteilt! 

Um die Inständigkeit der Bitte bei diesem Kanongebet zu unterstreichen, „um seine Unwürdigkeit und zugleich seine Ehrfurcht gegen Gott auch äußerlich zu bekunden, verrichtet der Priester das Gebet in tiefgebeugter Stellung. [...] Bei den Worten ´ex hac altaris participatione´ (´durch die Teilhabe an diesem Altar´) muss der Altar geküsst werden: zum Zeichen der Ehrfurcht, da Christi Leib und Blut auf dem Altar ruhen, zugleich aber auch zum Zeichen der liebenden Hingabe an Christus, der durch den Altar versinnbildet ist“ (Eisenhofer, L., Handbuch der katholischen Liturgik. Band II, Freiburg 1933, S. 188). Zumal ja hier nicht vom Altar abstrakt, sondern gerade von dem jeweils konkreten kirchlichen Altar die Rede ist, der uns, den Gläubigen, durch das auf ihm vollzogene sakrale Geschehen ja kaum etwas geringeres als „allen himmlischen Segen und die Gnade“ vermittelt! Die beiden Kreuzzeichen, die der Priester bei der Nennung des „Fleisches“ und „Blutes“ Jesu Christi über diesen macht, unterstreichen auf der einen Seite den Opfercharakter der kirchlichen Liturgie (Er ja ist am Kreuz gestorben) und versinnbilden auf der anderen Seite auch die Segenskraft, die von diesem Kreuz Christi ausgeht. 

 

P. Eugen Rissling

 

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