Kurze Messbetrachtung


27. Teil


17. Kanon - Nobis quoque peccatoribus 

Im Gedächtnis der Toten (Memento etiam), welches zuletzt folgte, erflehte der Priester für die aus dieser Welt geschiedenen Seelen „den Ort der Erquickung, des Lichtes und des Friedens“. Dadurch wurde er an das Himmlische Jerusalem der Apokalypse erinnerte, wo es keine „Nacht mehr gibt. Man braucht weder Lampen- noch Sonnenlicht. Gott der Herr erleuchtet sie. Und sie herrschen in alle Ewigkeit“ (Offb 22,5). Von Freude über das unbeschreibliche Glück und die immerwährende Seligkeit der Geretteten erfüllt, besinnt sich der Priester aber auch des insgesamt unerfreulichen Zustandes, in welchem er und alle anderen Menschen sich hier auf Erden, dem doch elenden Tränental, noch befinden. Daher erwächst in ihm die Sehnsucht nach jenem Ort des inneren Friedens und der Harmonie mit Gott, welchem er naturgemäß auch Ausdruck gewähren möchte. 

Und die Römische Messliturgie kleidet dieses starke Gefühl der Sehnsucht nach der allumfassenden Gemeinschaft mit Gott in die folgenden Worte des Nobis quoque peccatoribus, welches unmittelbar auf das Gedächtnis der Toten folgt: „Auch uns, Sündern, Deinen Dienern, die auf Deine überreiche Barmherzigkeit vertrauen, schenke in Gnaden Anteil und Gemeinschaft mit Deinen heiligen Aposteln und Blutzeugen: mit Johannes, Stephanus, Matthias, Barnabas, Ignatius, Alexander, Marcellinus, Petrus, Felicitas, Perpetua, Agatha, Lucia, Agnes, Cäcilia, Anastasia, und allen Deinen Heiligen. Wäge nicht, wir flehen zu Dir, unser Verdienst, sondern schenke uns gnädig Verzeihung und nimm uns auf in ihre Gemeinschaft. Durch Christus, unseren Herrn.“ 

Während der Priester die Anfangsworte dieses liturgischen Gebetes spricht („Auch uns, Sündern, Deinen Dienern...“), schlägt er mit seiner rechten Hand auf die Brust, um der Reuegesinnung Ausdruck zu verleihen, von der ja auch in diesen Worten die Rede ist. Zumal er ja auch seine Hoffnung und sein ganzes Vertrauen letztendlich auf nichts anderes bzw. auf niemand anderen als auf Gottes „überreiche Barmherzigkeit“ (erbarmendes Herz!) setzt - von ihr allein erhofft er sich alles! Und wenn die ersten drei Gebetsworte laut Rubriken etwas lauter gesprochen zu werden haben, damit sie von den umstehenden Altardienern akustisch verstanden werden sollen, dann hat dieser Umstand zunächst damit zu tun, dass sich in alter Zeit in Rom die Subdiakone als Assistenz des Papstes bei diesen Worten aus ihrer gebeugten Haltung, die sie während des Kanons einzunehmen hatten, erheben mussten. Für uns heute kann dieses etwas lautere Aussprechen der Anfangsworte als eine Art Ermahnung dienen, „sich in Reue an das Gebet des Priesters anzuschließen“ (Eisenhofer, L., Handbuch der katholischen Liturgik. Band II, Freiburg 1933, S. 191). 

Im Bewusstsein seiner eigenen und der seiner Mitmenschen Sündhaftigkeit lässt den Priester „die Demut nur um einen kleinen Anteil („partem aliquam“) an der Herrlichkeit der Heiligen flehen, von denen fünfzehn zu unserem Beispiel und zu ihrer Verherrlichung genannt werden“ (Eisenhofer, L., ebd. S. 191). Er verlangt nicht nach mehr, dieser kleine („gewisse“) Anteil würde ihm schon voll und ganz genügen, „denn ein Tag in Deinen Höfen ist besser als tausend woanders“ (Ps 83,11); und: „Was kein Auge geschaut, kein Ohr gehört hat, was kein Menschenherz sich je gedacht, das hat Gott denen bereitet, die Ihn lieben“ (1 Kor 2,9). 

Mit der Nennung der Heiligenreihe knüpft dieses Kanongebet an das Communicantes vor der hl. Wandlung an. Unter dem hier genannten Johannes wird gemäß der Entscheidung der Ritenkongregation vom 27. März 1824 der Johannes der Täufer verstanden, der Vorläufer und Wegbereiter Christi. Ist er ja auch ein „Blutzeuge“, der wie auch alle übrigen hier erwähnten Heiligen mit seinem eigenen Blut das Zeugnis für die Wahrheit des zu uns in Jesus sprechenden Gottes abgelegt hat (vgl. Mt 14,3-12). Matthias wurde ja anstelle des Verräters Judas Iskariot ins Apostelkollegium (nach-)gewählt (vgl. Apg 1,15-26). Stephanus, Diakon und Erzmartyrer (vgl. Apg 6.7), sowie Barnabas, der Begleiter Pauli auf dessen Missionsreisen (Apg 13.14), gehörten eindeutig dem apostolischen Zeitalter an, weshalb sie vielleicht im weiteren Sinne als „Apostel“ zu bezeichnen sind. So wohl auch Ignatius, der ein Schüler des Apostels Johannes war. 

„Unter den aufgezählten Martyrern haben die meisten in Rom den Tod für Christus erlitten, wie Ignatius, Alexander, Marcellinus und Petrus, Agnes, Cäcilia, und haben hier (mit Ausnahme des hl. Ignatius) ihr Grab gefunden. Nur durch ihr Grab steht die Martyrin Anastasia mit der römischen Kirche in Verbindung. Die Verehrung der beiden afrikanischen Martyrinnen Perpetua und Felicitas war nach Angabe des ältesten römischen Festkalenders schon in der Mitte des 4. Jahrhunderts in Rom eingebürgert; ebenso war der Kult der sizilianischen Martyrinnen Agatha und Lucia schon frühzeitig nach Rom gekommen, wahrscheinlich durch die Beziehungen zu den Latifundien der römischen Kirche in Sizilien“ (Eisenhofer, ebd., S. 192). 

Gleich zu Beginn hat ja der Priester in diesem Gebet darauf hingewiesen, dass er auf die „überreiche Barmherzigkeit“ Gottes setzt. Sollten die Menschen einzig und allein sich selbst überlassen werden, gibt es oft nur die sprichwörtlichen Mord und Totschlag, was ja die Menschheitsgeschichte zur Genüge bestätigt. Ganz ohne Gott und Sein heiliges Gebot zerfleischt sich die Menschheit früher oder später selbst. Daher betet die Kirche (auch) nach der Nennung der Heiligen, der Herr möge hauptsächlich und eigentlich nicht auf „unser Verdienst“ schauen, dieses „unser Verdienst“ ab-„wägen“, es auf die Waage der göttlichen Gerechtigkeit legen. Was haben wir denn sowohl wegen unserer grundsätzlichen sittlichen Gebrechlichkeit als auch wegen der zahlreichen konkreten Übertretungen der göttlichen Gebote denn schon Nennenswertes und in den Augen Gottes Zählendes vorzuweisen? 

Nein, am Anfang des Rechtfertigungsprozesses steht in der christlichen Offenbarung die sich uns mitteilende Liebe, die sich uns zuwendende Güte des dreifaltigen und dreieinen Gottes: „Nicht ihr habt Mich erwählt, sondern Ich habe euch erwählt (und euch dazu bestellt, dass ihr hingeht und Frucht bringt, bleibende Frucht)“ (Joh 15,16)! Denn auch die Erhörung unserer Gebete hängt ja in erster Linie nicht von unseren Verdiensten, von unseren menschlichen Leistungen ab, sondern von der Barmherzigkeit, der Verzeihungsbereitschaft Gottes. Somit können wir nur nach dem vorherigen Erlangen dieser Verzeihung in die „Gemeinschaft mit Deinen heiligen Aposteln und Blutzeugen“ aufgenommen werden, worum ja die Kirche hier auch bittet. 

 

P. Eugen Rissling

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