Das Opfermahl
 


Religionsgeschichtlicher Hintergrund

Religionsgeschichtlich betrachtet war bei den Menschen schon seit frühesten Zeiten irgendein Opferkult immer verbreitet gewesen. Es ist kaum ein Volk vorzufinden, das ursprünglich keine Opfer, keine Opferdarbringung kennt. Eigentlich kann bei den Urvölkern mit der Existenz eines Opferkultes auch das Vorhandensein des menschlichen Bewußtseins, der geistigen Seele, angenommen werden. Die Erkenntnis, Opfer darbringen zu müssen, entspringt dem klaren Bewußtsein der eigenen Schuldhaftigkeit und Unzulänglichkeit. Die Menschen spürten, daß sie sich in irgendeiner Weise gegen ein höheres Wesen - was sie darunter auch verstanden haben mochten - versündigt hatten. Wenigstens ahnten sie, daß am Anfang alles gut erschaffen und daß diese ursprüngliche göttliche Ordnung der Harmonie durch ihre eigene (verkehrte) Handlungsweise zerstört wurde. 

Aus dieser Erkenntnis der eigenen Schuldhaftigkeit, aus der Erkenntnis heraus, die Gottheit verletzt zu haben, resultiert auch das Bewußtsein, dafür gerechte Strafe verdient zu haben! Man erkannte, die Gottheit habe das Recht, dem Menschen zur Strafe letztendlich sogar das Teuerste zu nehmen, was er (nach heidnischer Auffassung) besitzt - sein eigenes (physisches) Leben!1 Um der eigenen Vernichtung, dem physischen Tod, zu entgehen, wurden stellvertretend für die Menschen der Gottheit Opfer dargebracht, wobei der eigentliche Akt des Opferns in der Vernichtung des Lebens und der Existenz der dargebrachten Gaben besteht! Nach dem Prinzip „Leben für Leben“ mußten entweder Tiere ihr Leben lassen zur Sühne für die Vergehen der Menschen oder sogar selbst menschliche Opfer für die große Masse der übrigen Menschen mit ihrem eigenen Leben herhalten. Auch Sachopfer wurden dem üblichen Gebrauch des Alltags entzogen und/oder vernichtet.2 

Die Opfergaben wurden zwar der Gottheit dargebracht, aber ein Teil der geopferten Gaben wurde zurückbehalten zum Zweck des Verzehrs durch die Opfernden. Dem liegt eine Vorstellung zugrunde, daß die Opfergabe durch die Darbringung in einen besonderen, gehobeneren Seinszustand versetzt wird. Dadurch, daß z.B. ein Tier geopfert wurde, wurde es dem täglichen Gebrauch durch die Menschen entzogen. Es hat eine irgendwie geartete Teilhabe an der Gottheit, der es geopfert wurde, erhalten, weil es ja für diese Gottheit bestimmt war. Die Opfergabe wurde nicht mehr als profan betrachtet, sondern sie hat einen sakralen Charakter erhalten. Wenn nun der Opfernde, d.h. der, der die Gabe stiftete, einen Teil dieses geopferten Tieres genießt, verbindet er sich in einer sakral-kultischen Weise mit der Gottheit, der dieses Tier geopfert wurde. Damit ist aber der ganze Gedankengang, der dem Opfergedanken zugrunde liegt, abgeschlossen. Der Mensch beleidigt die Gottheit, die Opfergabe versöhnt ihn mit ihr, indem sie stellvertretend für diesen Menschen Sühne leistet, und läßt ihn durch den Genuß ihrer selbst einen Anteil an dieser Gottheit gewinnen. Die ursprüngliche göttliche Ordnung ist wiederhergestellt, weil wieder Friede herrscht zwischen dem Menschen und der (entsprechenden) Gottheit. 

Somit ist das Opfermahl ein wesentliches Element der Opferdarbringung selbst, es gehört selbstverständlich zum Akt des Opferns hinzu, ja es ist ein wesentlicher Bestandteil des Opferkultes! Letztendlich kann man sowohl religionsgeschichtlich als auch inhaltlich-theologisch das Opfer und das Opfermahl nicht gegeneinander ausspielen. Beide Elemente bilden eine unzertrennbare Einheit: das Opfermahl kann nicht existieren ohne die vorausgehende Opferung3, d.h. ohne z.B. die Schlachtung des Opfertieres, und die Opferdarbringung selbst findet ohne das Opfermahl nicht ihre letzte Bestimmung für den Menschen. Denn das Opfermahl vervollständigt die Opferdarbringung und erlaubt erst, die sakral-kultische Gemeinschaft des Menschen mit der Gottheit einzugehen. 

 

Opfermahl in Israel

An diese bei den Menschen seit ihrer Vertreibung aus dem Paradies verbreitete Opfervorstellung hat sich Gott bei der konkreten Offenbarung Seiner selbst - der positiven Offenbarung - angelehnt. Denn die Sehnsucht der Menschheit nach der inneren Reinigung ist ja ihr von Gott durch den Schöpfungsakt sozusagen in die Wiege gelegt worden.4 Gott hat die Menschen ja auch schrittweise auf den vollkommenen Opferkult, das immerwährende Opfer des Neuen Bundes, vorbereitet. 

Wenn in Israel Opfer gemäß dem levitischen Gesetz und dem ausdrücklichen Auftrag Gottes (vgl. Lev 7,37f.) dargebracht wurden, dann mußten zwar die verschiedenen Brand- und Sündopfer gänzlich „auf dem Altar in Rauch aufgehen ... als Feueropfer zu lieblichem Geruch für den Herrn“ (Lev 1,9.13.17; vgl. 4,10.12.19.21). Was dagegen von den Speiseopfern „übrig bleibt, soll als Hochheiliges von den Feueropfern des Herrn dem Aaron und seinen Söhnen gehören“ (Lev 2,3.10). Zwar dienten diese „Reste“ dem Lebensunterhalt der Priester, aber durch diese Zuteilung an die Priesterschaft wird ebenfalls angedeutet, daß auch die Opfernden - hier wenigstens die Priesterschaft - Gemeinschaft mit Gott gewinnen, weil sowohl die Speise- als auch die Sünd- und Schuldopfer „hochheilig“ sind (Lev 6,10f.19.22; 7,1f.)! 

Eine große Bedeutung im Hinblick auf das Verständnis des Alten Testaments vom Opfer als auch vom Opfermahl spielt die Schlachtung des Paschalammes durch die Israeliten beim Auszug aus Ägypten. „Jeder Hausvater“ sollte „gegen Abend ein einjähriges, fehlerloses Lamm schlachten“. Durch die Besprengung der Türpfosten mit dem Blut dieses Lammes sind sie im Unterschied zu den Ägyptern von der Tötung ihrer Erstgeburt verschont geblieben. Die Gemeinschaft mit Gott kommt dadurch deutlich zum Ausdruck, daß sie angehalten wurden, das Fleisch des Lammes zu braten und noch in derselben Nacht zu essen (Ex 12,3-8). Das Opferblut des Lammes bewahrte sie vom Unheil, und der Genuß des Lammes ließ sie sakral-kultische - d.h. auch reale - Gemeinschaft mit Gott eingehen! Jährlich bei der Feier des Paschalammes zur Erinnerung an die Befreiung des Volkes Israel ist es so gemäß dem Auftrag Gottes (vgl. Ex 12,14) bis in die Zeit Jesu hinein auch gehalten worden (vgl. Lk 22,7). Damit sind deutlich Parallelen zum Kult des Neuen Bundes gezogen worden. 

 

Opfermahl im Neuen Bund

Unter Berücksichtigung dieses religionsgeschichtlichen Hintergrunds wird verständlich, warum die Kirche die eucharistischen Opfergaben schon bei der Opferung als „Kelch des Heiles“ und als „makellos“ bezeichnet, die für „unzählige Sünden, Fehler und Nachlässigkeiten“ „und zum Segen und der ganzen Welt zum Heile“ dargebracht werden. Die Opfergaben sind mit der Darbringung nicht mehr bloß Brot und Wein: mit ihrer Opferung, mit der Bestimmung, Träger Christi, der eigentlichen Opfergabe, zu werden, werden sie dem profanen Gebrauch entzogen und gewinnen so einen sakralen Charakter! Im Hinblick auf die Wandlung wird in ihnen schon vor der Konsekration Christus, das wahre Lamm, gesehen und direkt oder indirekt auch verehrt. Ansonsten würde es nicht nur völlig unverständlich, sondern sogar gotteslästerlich sein, wenn profanen Gegenständen wie Weizenbrot und Traubenwein eine solche tiefe Verehrung, die nur Christus zukommen darf, erwiesen wird!20 

Diese (göttliche) Verehrung wird den Opfergaben letztendlich deshalb erwiesen, weil sie konsekriert werden. Durch die geheiligten Worte, die Christus selbst bei der Feier der ersten Heiligen Messe im Abendmahlssaal gesprochen hatte - die Wandlungsworte - werden die Opfergaben zum hochheiligsten Leib und zum kostbaren Blut unseres Herrn gewandelt. Die Liturgie wird von der Kirche als ein Ganzes, als eine monolithische Einheit betrachtet, und nicht etwa als eine Aneinanderreihung einzelner eigenständiger Bestandteile. Die Konsekration erfolgt zeitlich gesehen zwar erst nach der Opferung, sie wird aber schon während der Opferung gedanklich vorausgesetzt und vorweggenommen! 

Und das Besondere am neutestamentlichen Opfer ist, daß es uns, den mit unserem Hohenpriester Mitopfernden, nicht nur irgendwie Andeutungen macht auf die Gemeinschaft mit Gott - Gott selbst wird unsere Opfergabe und unsere Opferspeise! Christus sagt mittels des geweihten Priesters nicht: „Das bedeutet Mein Leib und Mein Blut“, sondern: „Das ist Mein Leib und Mein Blut.” Nicht nur versinnbildlicht hier die Materie irgendeine Idee, Gegenstand oder Person, wie z.B. die Fahne ein wichtiges Symbol des jeweiligen Staates ist. Nein, in der Heiligen Eucharistie erfüllt die Materie ihren höchsten Zweck und erfährt die größte Verklärung, die für sie überhaupt möglich ist - sie wird zur Trägerin Gottes selbst! 

Die unvollkommenen Opfer können nicht die eigentliche Sühne für die Sünden der Menschen bewirken und die vollkommene Gemeinschaft mit Gott vermitteln bzw. wiederherstellen. Dazu bedarf es - wie wir schon oft darauf hingewiesen hatten - des wahren Gotteslammes Jesus Christus. Allein der christliche Opferkult erfüllt diese Aufgabe. Deshalb ist auch die Gemeinschaft mit Gott, die durch dieses Opfer hergestellt wird, eine vollkommene Gemeinschaft! Es ist eine lebendige und (für uns) lebenspendende Verbindung mit Christus, die wir eingehen. Denn unter den eucharistischen Gestalten von Brot und Wein empfangen wir Christus nicht als eine Sache, als einen toten Gegenstand. Wir empfangen nicht die leblosen Leib und Blut Christi, sondern den lebenden, den einzig lebendigen Gott! 

Auf dem Hintergrund dieser Wahrheit erfährt die tiefe eucharistische Frömmigkeit des katholischen Volkes seine Begründung und Rechtfertigung. Der aus ernsthaften religiösen Motiven begründete Gang in die Kirche (natürlich den Idealfall der gültigen katholischen Heiligen Messe vorausgesetzt!) bedeutet - in Anspielung an eine der früheren (gegenteiligen) Äußerungen des jetzigen „Kardinals“ Ratzinger - tatsächlich, Gott zu begegnen, der hier wirklich wohnt! Denn in der Eucharistie verehren und empfangen wir Christus mit Seiner Gottheit und Menschheit, mit Seele und Leib. Er ist hier dem Wesen nach genauso gegenwärtig, wie Er unter Aposteln und anderen Seiner Zeitgenossen weilte! 
Jemand sagte einmal, daß man bei der (ernsthaften) Betrachtung der gewaltigen und erschütternden Geheimnisse des Heiligen Meßopfers und der Heiligen Eucharistie entweder in tiefer Anbetung in die Knie gehen oder (aus dem Kirchenraum) fliehen muß. Diese Worte treffen ganz genau den wahren Sachverhalt. Denn Mittelmäßigkeit im Wollen und Halbheit beim eigenen Einsatz widersprechen zutiefst dem göttlichen Geheimnis der Heiligen Messe!

 

P. Eugen Rissling



1 Der christliche Glaube betrachtet den geistigen Tod, d.h. den Ausschluß vom Leben Gottes als die eigentliche Strafe für die Sünde, den Akt des Ungehorsams Gott gegenüber! Daher wird ja auch eine schwere Sünde „Todsünde“ genannt, weil sie uns von der Gemeinschaft mit Gott ausschließt! 

2 Hier sei in Kürze noch einmal auf die unzulängliche und unzureichende Sühnekraft der Tier- und selbst der Menschenopfer hingewiesen. Die Entstehung und Entwicklung des Opfergedankens in der Menschheit schreit geradezu nach dem vollkommenen Opfer, nach der reinen und unbefleckten Opfergabe - nach dem Gottmenschen Jesus Christus! 

3 Das Mahl kann erst nach der Schlachtung stattfinden! 
4 Die Pervertierung des Opferkultes durch abscheuliche Menschenopfer ist natürlich nur der Verderbtheit der Menschen zuzuschreiben.

 

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